Thermische Labyrinthprüfung

Die thermische Labyrinthprüfung (Synonym: kalorische Labyrinthprüfung) ist eine diagnostische Methode der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde zur Prüfung des Vestibularapparates (Gleichgewichtsapparates) und somit zum Nachweis von Gleichgewichtsstörungen. 

Schwindel (Vertigo) und Gleichgewichtsstörungen sind sehr häufige Beschwerden und können durch eine Vielzahl an Erkrankungen bedingt sein. Da die genaue Ursache häufig unbekannt bleibt, ist eine Differenzierung in zentralen und vestibulären (vom Gleichgewichtsorgan ausgehend) Schwindel oftmals sehr hilfreich.
Zentrale Gleichgewichtsstörungen werden am häufigsten durch Läsionen (Schädigungen) im Hirnstamm oder Kleinhirn verursacht (z. B. Durchblutungsstörungen, Infekte, Entzündungen, Tumoren etc.).
Vestibulärer Schwindel hingegen beruht auf einer Dysfunktion des Gleichgewichtsapparates, wobei häufig nur eine Seite betroffen ist. Anatomisch gesehen gehört das Vestibularorgan zusammen mit der Cochlea (Hörschnecke) zum Innenohr bzw. Labyrinth und befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Mittelohr. Diese anatomische Beziehung ermöglicht es über einen thermischen Reiz im äußeren Gehörgang auch indirekt das Gleichgewichtsorgan zu stimulieren und auf dessen Funktionalität zu überprüfen. Im Falle von vestibulärem Schwindel kann mithilfe der thermischen Labyrinthprüfung häufig bestimmt werden, auf welcher Seite und zum welchem Ausmaß ein Vestibularorgan erkrankt ist.

Zielsetzung der thermischen Labyrinthprüfung

Die thermische Labyrinthprüfung, auch bekannt als kalorische Labyrinthprüfung, dient der diagnostischen Untersuchung des Vestibularapparates zur Identifizierung von Gleichgewichtsstörungen und Schwindelgefühlen.

Indikationen (Anwendungsgebiete)

Schwindel und Gleichgewichtsstörungen sind Indikationen für die Durchführung einer thermischen Labyrinthprüfung mit anschließender Nystagmusaufzeichnung. Es können auch andere Methoden wie rotatorische oder optokinetische Reizung angewandt werden, um einen Nystagmus auszulösen und dadurch die korrekte Funktion des Vestibularapparates zu überprüfen. 

Der wesentliche Vorteil der thermischen Labyrinthprüfung besteht darin, dass jedes Vestibularorgan einzeln untersucht wird. Die periphere Erregbarkeit wird zwischen links und rechts verglichen, sodass einseitige Funktionsminderungen bzw. Funktionsausfälle festgestellt werden können.

 Bei folgenden peripheren vestibulären Funktionsstörungen kann die thermische Labyrinthprüfung hilfreich sein:

  • Akuter einseitiger Vestibularisausfall (das betroffene Labyrinth ist in der thermischen Labyrinthprüfung unter-/unerregbar).
  • Morbus Menière (Trias aus Schwindelattacken, Tinnitus (Ohrgeräusche) und anfallsartiger Schwerhörigkeit; während der Attacken vestibulärer Nystagmus zur gesunden Seite; im Verlauf Unterfunktion des Labyrinths der betroffenen Seite und somit kein Nystagmus bei thermischer Reizung)
  • Beidseitiger peripherer Vestibularisausfall (die Nystagmen sind nur sehr schwach ausgeprägt)

Bei zentralen vestibulären Funktionsstörungen ist die thermische Erregbarkeit meist beidseits gleich gemindert oder beidseits unauffällig.

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

  • Trommelfellperforation: Vor der Durchführung der thermischen Labyrinthprüfung muss eine intakte Trommelfellmembran sichergestellt werden. Bei bekannter Perforation des Trommelfells ist die Durchführung des Verfahrens kontraindiziert. In solchen Fällen kann alternativ eine Reizung mit warmer oder kalter Luft erfolgen, um die Gefahr von Komplikationen zu vermeiden.

Vor der Untersuchung

  • Positionierung des Patienten: Der Kopf des Patienten wird in eine optimale Position gebracht, indem er entweder um 30° angehoben wird, wenn der Patient liegt, oder um 60° zurückgeneigt wird, wenn er sitzt. Dies gewährleistet eine optimale Ausrichtung der horizontalen Bogengänge des Vestibularapparates.
  • Spülung der Gehörgänge: Jeder Gehörgang wird abwechselnd für 30-40 Sekunden mit warmem und kaltem Wasser gespült. Es werden insgesamt vier Spülungen durchgeführt, zwischen denen Pausen von einigen Minuten eingelegt werden.

Das Verfahren

Durch Wasserspülung des äußeren Gehörgangs wird der horizontale Bogengang des Vestibularapparates erregt. Da entweder mit kaltem oder warmem Wasser gespült wird, kommt es zur Abkühlung bzw. Erwärmung der Endolymphe (Innenohrflüssigkeit) im Bogengang. Durch den Temperaturunterschied wird die Dichte der Endolymphe verändert, sodass es unter dem Einfluss der Schwerkraft zu einer Strömung im Bogengang kommt. Diese Strömung wird in der Ampulle (Erweiterung des Bogengangs) durch Sinneszellen registriert und als neuronaler Impuls über den Nervus vestibularis (Gleichgewichtsnerv) zum Hirnstamm geleitet, wo schließlich Augenmuskelkerne erregt werden und es somit zum Nystagmus (Augenbewegung) kommt.

  • Warmes Wasser: Eine Erwärmung führt zu einer ampullopedalen (hin zur Ampulle) Bewegung der Endolymphe, die in einer Depolarisierung der Sinneszellen, Steigerung der Impulsfrequenz des Nervus vestibularis und Verstärkung des Ruhetonus im Vestibulariszentrum resultiert. Objektiv kann man einen Nystagmus zur Seite des gespülten Ohres registrieren.
  • Kaltes Wasser: Ein Kältereiz verursacht hingegen eine ampullofugale (weg von der Ampulle) Strömung, Hyperpolarisierung der Sinneszellen, Minderung der Impulsfrequenz und Abschwächung des Ruhetonus im Vestibulariszentrum. Objektiv kann man einen Nystagmus weg vom gespülten Ohr registrieren.

Untersuchungstechnik

  1. Der Kopf des Patienten muss zunächst in eine optimale Position gebracht werden. Im Liegen wird der Kopf dafür um 30° angehoben, im Sitzen um 60° zurückgeneigt. Dadurch wird gewährleistet, dass die horizontalen Bogengänge möglichst senkrecht stehen.
  2. Jeder Gehörgang wird jeweils mit warmem und kaltem Wasser ca. 30-40 Sekunden lang gespült. Es sind insgesamt vier Spülungen erforderlich, zwischen denen Pausen von einigen Minuten eingelegt werden sollten.
    • Kaltspülung: 30 °C (Methode nach Hallpike) oder 17 °C (nach Veits)
    • Warmspülung: 44 °C (Hallpike) oder 47 °C (nach Veits)
  3. Der thermisch verursachte Nystagmus kann mithilfe der Frenzel-Brille, elektronystagmographisch oder videonystagmographisch registriert werden.

Mögliche Befunde 

Die thermische Labyrinthprüfung ermöglicht die Untersuchung verschiedener vestibulärer Funktionsstörungen und kann hilfreich sein bei:

  • Akutem einseitigem Vestibularisausfall: Bei einem einseitigen Vestibularisausfall ist das betroffene Labyrinth in der thermischen Labyrinthprüfung unter- oder unerregbar.
  • Morbus Menière: Diese Erkrankung ist durch eine Trias aus Schwindelattacken, Tinnitus (Ohrensausen) und anfallsartiger Schwerhörigkeit gekennzeichnet. Während der Attacken kann ein vestibulärer Nystagmus ("Augenzittern") zur gesunden Seite beobachtet werden, während im Verlauf des Krankheitsverlaufs eine Unterfunktion des Labyrinths der betroffenen Seite auftritt und somit kein Nystagmus bei thermischer Reizung nachweisbar ist.
  • Beidseitigem peripherem Vestibularisausfall: Bei einem beidseitigen peripheren Vestibularisausfall sind die Nystagmen nur schwach ausgeprägt.

Mögliche Komplikationen

Bedingt durch die thermische Reizung des Vestibularapparates können außer den Augenbewegungen weitere Reaktionen auftreten:

  • Nausea (Übelkeit) und Erbrechen 
  • Verstärktes Schwindelgefühl
  • Kurzzeitige Desorientiertheit/Benommenheit

Literatur

  1. Grevers G, Iro H, Probst R: Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Georg Thieme-Verlag 2008
  2. Behrbohm H, Kaschke O, Nawka T: Kurzlehrbuch Hals-Nasen-Ohrenheilkunde. Georg Thieme-Verlag 2009
  3. Boenninghaus HG, Lenarz T: HNO. Springer-Verlag 2012