Sprachaudiometrie
Die Sprachaudiometrie ist ein subjektives audiologisches Testverfahren zur Erfassung des Sprachverständnisses (Verstehen gesprochener Wörter) bei verschiedenen Lautstärken. Im Gegensatz zur Reintonaudiometrie (Hörtest mit einzelnen Tönen), die die Hörschwelle für reine Töne bestimmt, erlaubt die Sprachaudiometrie Rückschlüsse auf die praktische Hörfähigkeit im Alltag. Die Untersuchung wird insbesondere zur Feststellung von sozial relevanten Hörverlusten (Alltagsbeeinträchtigung des Hörens), wie sie bei Presbyakusis (Altersschwerhörigkeit) oder beruflich bedingter Lärmschwerhörigkeit auftreten, eingesetzt.
Beurteilbare Strukturen und Funktionen
- Zentrales Sprachverstehen (Verarbeitung von Sprache im Gehirn) unter verschiedenen Schalldruckpegeln (Lautstärken)
- Unterscheidungsfähigkeit (Diskrimination) von Sprachlauten (Lauten der gesprochenen Sprache)
- Seitengetrennte Hörfähigkeit (unabhängige Prüfung von rechtem und linkem Ohr) durch monaurale Testung (links/rechts)
- Alltagsrelevante Kommunikation (Verstehen in typischen Hörsituationen) bei Hintergrundgeräuschen (in Sonderformen)
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Erfassung von sozialrelevanter Hörstörung (alltagswirksamer Hörverlust) bei Alters- oder Lärmschwerhörigkeit
- Beurteilung des Sprachverstehens (Verstehen von Sprache) bei Kindern und Erwachsenen
- Objektivierung von Hörstörungen mit Diskriminationsverlust (Verminderung der Fähigkeit, Wörter korrekt zu unterscheiden), z. B. bei retrocochleären Läsionen (Schädigung des Hörnervs oder zentraler Strukturen)
- Verlaufskontrolle nach Hörgeräteversorgung (Anpassung technischer Hörhilfen) oder Cochlea-Implantation (Einsetzen eines elektronischen Innenohrimplantats)
- Diagnostik bei Verdacht auf psychogene Schwerhörigkeit (seelisch bedingter Hörverlust)
- Überprüfung der Rehabilitationserfolge (Erfolg der Therapie) nach operativen Eingriffen am Ohr
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
Für die Durchführung der Sprachaudiometrie bestehen keine absoluten Kontraindikationen (medizinische Gründe gegen die Anwendung). Kognitive Einschränkungen (z. B. Demenz), Sprachbarrieren oder mangelnde Kooperation können jedoch die Aussagekraft der Untersuchung beeinträchtigen.
Vor der Untersuchung
- Anamnese (Erhebung der Krankengeschichte) bezüglich subjektivem Hörverlust, beruflicher Lärmbelastung und Kommunikationsfähigkeit im Alltag
- Otoskopie (Ohrspiegelung) zur Beurteilung des äußeren Gehörgangs und Trommelfells
- Reintonaudiometrie (Hörtest mit Tönen) zur Bestimmung der Hörschwelle als Grundlage für die Sprachaudiometrie
- Falls erforderlich: Berücksichtigung der Muttersprache oder Auswahl passender Testlisten
Das Verfahren
Bei der Sprachaudiometrie hört der Patient über Kopfhörer oder Lautsprecher standardisierte Wortlisten (gleich aufgebaute Wortfolgen), meist bestehend aus Einsilbern (einsilbige Wörter, z. B. aus dem Freiburger Sprachtest). Die Wörter werden bei verschiedenen Lautstärken (in dB SPL – Dezibel Schalldruckpegel) dargeboten. Der Patient wiederholt die gehörten Wörter, und die Anzahl korrekt verstandener Wörter wird dokumentiert.
- In der Regel wird die Sprachverständlichkeitsschwelle (Lautstärke bei 50 %-Verständnis) sowie das Diskriminationsmaximum (maximale Verständlichkeit bei optimaler Lautstärke) ermittelt.
- Die Untersuchung erfolgt getrennt für jedes Ohr.
- Die häufigste Testmethode in Deutschland ist der Freiburger Einsilbertest, optional ergänzt durch Zahlentests oder Satztests (z. B. Oldenburger Satztest – OLSA).
Mögliche Befunde
- Normales Sprachverstehen: 100 % Verständlichkeit bei ca. 60-70 dB SPL
- Kochleäre Hörstörung (Innenohr-Schwerhörigkeit): Diskriminationsverlust bei erhöhter Lautstärke, z. B. 70 % bei 80 dB SPL
- Retrocochleäre Störung (z. B. bei Tumor des Hörnervs): deutlich reduziertes Diskriminationsmaximum
- Altersbedingte Schwerhörigkeit (Presbyakusis): reduzierte Sprachverständlichkeit, besonders im Störschall (Hintergrundlärm)
- Beruflich bedingte Lärmschwerhörigkeit: typischer Diskriminationsverlust mit Notch (Einbruch im Hörvermögen) in der Reintonaudiometrie (häufig bei 4.000 Hz)
Nach der Untersuchung
- Dokumentation der Ergebnisse in Prozentangaben pro Lautstärkepegel
- Interpretation der Resultate im Kontext der Reintonaudiometrie
- Ableitung von Empfehlungen, z. B. für Hörgeräteversorgung, weiterführende Bildgebung bei retrocochleärem Verdacht oder Berufskrankheitenmeldung
Mögliche Komplikationen
- Keine physischen Risiken – es handelt sich um ein nicht-invasives (nicht in den Körper eingreifendes), sicheres Verfahren
- Bei unzureichender Testdurchführung (z. B. mangelhafter Sprechtest oder technische Fehler): mögliche Fehldiagnose (falsche Interpretation der Testergebnisse)