Reintonaudiometrie

Die Reintonaudiometrie (Hörtest mit Tönen unterschiedlicher Frequenz) ist ein subjektives, audiologisches Standardverfahren zur Bestimmung der individuellen Hörschwelle (geringste wahrnehmbare Lautstärke) über definierte Frequenzbereiche. Sie erlaubt die getrennte Beurteilung der Luftleitung (Schallübertragung über Gehörgang und Mittelohr) und der Knochenleitung (direkte Schallübertragung auf das Innenohr) und dient der Erkennung und Differenzierung von Schallempfindungsschwerhörigkeit (Hörverlust im Innenohr oder Hörnerv) und Schallleitungsschwerhörigkeit (Hörverlust im Außen- oder Mittelohr).

Beurteilbare Strukturen

  • Außenohr (äußerer Gehörgang, Ohrmuschel) und Mittelohr (Trommelfell, Gehörknöchelchen) – über Luftleitung
  • Innenohr (Cochlea) – über Knochenleitung
  • Nervus cochlearis (Hörnerv) – anteilig über Knochenleitung beurteilbar
  • Auditive Reizverarbeitung (Hörverarbeitung im Gehirn) – indirekt über charakteristische Hörkurvenmuster

Indikationen (Anwendungsgebiete)

  • Abklärung einer subjektiv wahrgenommenen Hörminderung (Verminderung des Hörvermögens)
  • Differenzierung zwischen Schallempfindungsschwerhörigkeit (Innenohrschaden) und Schallleitungsschwerhörigkeit (Mittelohrproblem)
  • Verlaufskontrolle bei bekannten Hörstörungen (z. B. Presbyakusis (Altersschwerhörigkeit), Otosklerose (Verknöcherung des Steigbügels))
  • Prüfung der Hörgeräteindikation (medizinische Notwendigkeit für ein Hörgerät)
  • Basisdiagnostik bei Tinnitus (Ohrgeräuschen), Vertigo (Schwindel) oder Verdacht auf zentrale Hörstörungen

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

  • Keine absoluten Kontraindikationen
  • Relative Einschränkungen:
    • Akute Otitis externa oder media (Entzündung des Gehörgangs oder Mittelohrs)
    • Geringe Kooperationsfähigkeit (z. B. bei Demenz, Kleinkindern)

Vor der Untersuchung

  • Anamnese (Erhebung der Krankengeschichte), insbesondere zu Hörveränderungen, Lärmbelastung, Medikamenteneinnahme
  • Otoskopie (Ohrspiegelung) zum Ausschluss von Cerumen obturans (Ohrenschmalzpfropf), Trommelfellperforationen oder Entzündungen
  • Aufklärung und Instruktion zur aktiven Mitarbeit bei der Untersuchung

Das Verfahren

  • Luftleitungsmessung: Über Kopfhörer werden Reintöne (Töne mit nur einer Frequenz) von 125 bis 8000 Hz dargeboten. Die Lautstärke wird in 10-dB-Schritten reduziert, bis der Patient den Ton gerade nicht mehr wahrnimmt. So wird die individuelle Hörschwelle (geringste wahrnehmbare Lautstärke) bestimmt.
  • Knochenleitungsmessung: Über einen Knochenleitungshörer (Vibrator) am Mastoid (Knochen hinter dem Ohr) oder an der Stirn wird der Ton direkt auf das Innenohr übertragen. Die Schallleitung (Außen- und Mittelohr) wird umgangen.
  • Maskierung: Bei asymmetrischem Hörvermögen erfolgt im besser hörenden Ohr die Maskierung (Ausschaltung des Hörens durch Rauschen), um eine Verfälschung der Ergebnisse durch Überhören zu vermeiden.
  • Darstellung: Die Ergebnisse werden in einem Audiogramm (graphische Darstellung der Hörschwellen) dokumentiert. Die Frequenzen (Tonhöhen) sind auf der x-Achse, die Lautstärke in Dezibel auf der y-Achse abgetragen.

Mögliche Befunde

  • Normales Hörvermögen – Hörschwellen ≤ 20 dB über alle Frequenzen
  • Schallleitungsschwerhörigkeit – Hörverlust nur über Luftleitung, Knochenleitung normal, Luft-Knochen-Spalt > 10 dB
  • Schallempfindungsschwerhörigkeit – Luft- und Knochenleitung gleichermaßen verschlechtert, kein Luft-Knochen-Spalt
  • Kombinierte Schwerhörigkeit – Verschlechterung beider Leitungsarten, mit zusätzlichem Luft-Knochen-Spalt
  • Charakteristische Einkerbung der Hörkurve bei 4000 Hz – typisches audiometrisches Zeichen einer lärmbedingten Innenohrschädigung.
  • Unregelmäßige oder unplausible Schwellen – Hinweis auf funktionelle oder zentrale Störung

Nach der Untersuchung

  • Auswertung und Befundbesprechung
  • Bei auffälligem Befund: weiterführende Diagnostik wie Sprachaudiometrie (Verständlichkeitsprüfung mit Wörtern), Tympanometrie (Messung der Mittelohrfunktion) oder otoakustische Emissionen (Ohrgeräusche des Innenohrs)
  • Festlegung therapeutischer Maßnahmen (z. B. Hörgerät, operative Versorgung, Beobachtung)

Mögliche Komplikationen

  • Keine körperlichen Risiken, da es sich um ein nicht-invasives Verfahren handelt
  • Bei fehlender Instruktion oder mangelnder Kooperation: fehlerhafte Ergebnisse mit Gefahr von Über- oder Unterdiagnostik