Lactat

Lactat ist das Endprodukt der anaeroben Glykolyse (Zuckerabbau ohne Sauerstoff). Als Lactate bezeichnet man Salze und Ester (chemische Verbindungen) der Milchsäure.

Lactat entsteht überwiegend in der Skelettmuskulatur (Körpermuskulatur), darüber hinaus im Gehirn, in Erythrozyten (rote Blutkörperchen), im Nebennierenmark (innerer Teil der Nebenniere), im Darm sowie in der Haut. Es dient der kurzfristigen Energiegewinnung bei eingeschränktem Sauerstoffangebot und ist zugleich ein wichtiger Metabolit (Stoffwechselprodukt) im Interorgan-Stoffwechsel (Stoffaustausch zwischen Organen).

Etwa 60-70 % des gebildeten Lactats werden zur Leber transportiert und im Rahmen der Gluconeogenese (Neubildung von Glucose) metabolisiert (Cori-Zyklus (Stoffwechselkreislauf zwischen Muskel und Leber)). Auch die Nieren tragen in geringerem Umfang zur Gluconeogenese und Lactat-Clearance (Abbau/Ausscheidung) bei. Das Myokard (Herzmuskel) nutzt Lactat unter Belastung als bevorzugten aeroben Energieträger (Energiegewinnung mit Sauerstoff).

Ein vorübergehender Anstieg nach schwerer körperlicher Arbeit oder intensivem Sport sowie nach epileptischen Anfällen (Krampfanfällen) ist physiologisch (normal) und reversibel (rückbildungsfähig). Persistierende Erhöhungen sind pathologisch (krankhaft) und sprechen für Störungen von Oxygenierung/Perfusion (Sauerstoffversorgung/Durchblutung), mitochondrialem Stoffwechsel (Zellkraftwerks-Stoffwechsel) oder Arzneimittel-/Toxin-Effekten (Medikamenten-/Giftwirkungen).

Steigt die Lactat-Konzentration im Blut an, spricht man von Hyperlactämie (erhöhtes Lactat); bei zusätzlicher metabolischer Azidose (Übersäuerung) (pH < 7,35) von Lactazidose (Lactat-Übersäuerung).

Synonyme

  • Laktat
  • Milchsäure (umgangssprachlich, biochemisch: Lactat als Anion der Milchsäure)

Charakteristische Laborbefunde

  • Hyperlactämie: Lactat oberhalb des methoden-/laborabhängigen Referenzbereichs (typisch > 2,0 mmol/l im klinischen Kontext, z. B. Sepsis (Blutvergiftung)/Schock (Kreislaufversagen))
  • Lactazidose: Lactat typischerweise ≥ 5,0 mmol/l bei pH < 7,35 (Konstellation im klinischen Kontext interpretieren)
  • Dynamik/Verlauf: Persistenz bzw. fehlende Abnahme unter Therapie ist prognostisch ungünstig (z. B. Sepsis, Schock)

Das Verfahren

Benötigtes Material – je nach Indikation

  • 1 ml Natrium-Fluorid-Plasma oder
  • 0,5 ml Liquor (Nervenwasser) oder
  • 0,5 ml Punktat (abpunktierte Flüssigkeit)

Vorbereitung des Patienten

  • Die venöse Blutentnahme (Blutabnahme aus einer Vene) sollte aus der ungestauten Vene erfolgen, da in der gestauten Vene die Lactat-Konzentration höher ist als in der ungestauten.
  • Der Patient soll vor der Blutentnahme nicht mit der Hand pumpen, da dies zu erhöhten Lactat-Werten führt.

Abnahmehinweise

Auch in vitro (außerhalb des Körpers) bauen Erythrozyten Glucose zu Lactat ab. Die Lactat-Werte werden folglich durch diesen Prozess verfälscht. Um die Glykolyse (Zuckerabbau) im Probenmaterial sofort und dauerhaft zu hemmen, werden dem Probenmaterial Mannose und Natrium-Fluorid hinzugegeben (Glykolyseinhibitoren (Hemmer des Zuckerabbaus)). Auch die alleinige Zugabe von Natrium-Fluorid stoppt die Glykolyse, allerdings erst nach zwei Stunden (volle Wirksamkeit nach 4 Stunden). Solche Proben müssen unverzüglich ins Labor gebracht und zentrifugiert werden.

Störfaktoren

  • Präanalytik (Probengewinnung/Probenhandling): Verzögerter Probentransport/fehlende sofortige Glykolysehemmung führt zu artefiziell erhöhten Lactat-Werten (in vitro Glykolyse).
  • Stauung/Faustpumpen: Führen zu falsch hohen Lactat-Werten.
  • Point-of-care vs. Zentrallabor (Sofortmessung am Patientenbett vs. Zentrallabor): Systematische Abweichungen je nach Gerät/Matrix möglich; Verlaufsbeurteilungen möglichst mit konsistentem System.

Nimmt der Patient einen der nachfolgend aufgeführten Wirkstoffe therapeutisch ein, sollte die Blutentnahme vor der Medikamentengabe erfolgen, da diese Wirkstoffe zu falsch niedrigen Lactat-Werten führen können:

  • Acetaminophen (Paracetamol)
  • Metamizol
  • N-Acetylcystein

Methode

  • Enzymatische Bestimmung (Zentrallabor): Photometrische Verfahren (Lichtmessung) auf Basis von Lactatdehydrogenase (Lactat → Pyruvat; NADH-Änderung) oder Lactatoxidase-Methoden (geräteabhängig).
  • Point-of-care/Blutgasanalysator (Sofortmessgerät/Blutgasgerät): Schnelle Lactatmessung aus Vollblut, meist amperometrisch/enzymatisch; geeignet für Notaufnahme (Notfallambulanz)/Intensivstation (Intensivstation) und zeitkritische Verlaufsbeurteilungen.
  • Matrix: Plasma/Vollblut/arteriell/venös abhängig von Fragestellung; Referenzbereiche und Entscheidungsgrenzen sind matrix- und methodenabhängig.

Normbereiche (je nach Labor)

Material     mg/dl     mmol/l
Plasma [venös]     5-20  0,5-2,2
Liquor     11-19    
1,2-2,1
Punktat    
9-16 1-1,8

Normbereiche sind methoden- und laborabhängig.

Indikationen

  • Leistungsdiagnostik im Sport (Laktattest (Belastungstest mit Lactatmessung))
  • Diagnostik okkulter Gewebshypoxien (verdeckter Sauerstoffmangel im Gewebe) und Perfusionsstörungen (Durchblutungsstörungen)
  • Diagnostik akuter intestinaler Gefäßverschlüsse (Gefäßverschluss im Darm) (z. B. Mesenterialischämie (Durchblutungsstörung des Darms))
  • Bakterielle Meningitis (bakterielle Hirnhautentzündung)
  • Prognose und Verlaufsbeurteilung metabolischer Azidosen (Übersäuerungen)
  • Prognose und Verlaufsbeurteilung bei Kreislaufschock und Vergiftungen
  • Erkennung fetaler Notsituationen (Kindsnot) bei der Geburt
  • Diagnostik bei Kindern mit Verdacht auf eine angeborene Stoffwechselerkrankung (erblich bedingte Stoffwechselkrankheit)

Spezielle Indikationen für Lactat im Liquor

  • Zur Differenzierung der Ursache von Erkrankungen des zentralen Nervensystems (Gehirn und Rückenmark)
    • inflammatorische (entzündliche)
    • vaskuläre (gefäßbedingte)
    • metabolische (stoffwechselbedingte)
    • neoplastische (tumorbedingte)

Spezielle Indikationen für Lactat im Punktat

  • Zur Differenzierung entzündlicher Erkrankungen
  • Zur Mitbeurteilung maligner Ergüsse (bösartige Flüssigkeitsansammlungen) (kontextabhängig)

Interpretation

Erhöhte Werte

  • Akute Alkoholintoxikation (Alkoholvergiftung) [Plasma]
  • Akute Entzündungen, vor allem bakteriell bedingte [Punktat]
  • Akute Infektionen, z. B. HIV [Plasma]
  • Apoplex (Schlaganfall) [Liquor]
  • Chronische Entzündungen [Punktat]
  • CO-Vergiftung [Plasma]
  • Krampfleiden („Grand-mal-Anfall“) [Liquor]
  • Hypoglykämisches Koma (Unterzuckerungskoma) [Liquor]
  • Hyperlactämie mit Azidose (Lactazidose) [Plasma]
    • Behandlung mit Biguaniden (z. B. Metformin)
    • Herzinsuffizienz (Herzschwäche)
    • Herz-Kreislauf-Versagen (Kreislaufzusammenbruch)
    • Kongenitale Stoffwechselstörungen (angeborene Stoffwechselstörungen)
      • Fructoseintoleranz (Fruchtzuckerunverträglichkeit)
      • Fructose-1,6-diphosphatase-Mangel
      • Pyruvat-Decarboxylase-Mangel
    • Schock
    • Sepsis
    • Verbrennungen
  • Hyperlactämie ohne Azidose [Plasma]
    • Hohe Insulingaben
    • Kohlenhydratinfusionen
    • Kompensatorisch bei Hyperventilation (Überatmung)
    • Schwere körperliche und sportliche Aktivität
    • Postoperativ (nach Operation)
  • Maligne Prozesse (bösartige Erkrankungen) [Punktat; Pleurapunktat]
  • Meningitis [Liquor]
    • Teilweise behandelte Meningitis [Liquor]
    • Bakterielle Meningitis [Liquor]
  • Systemisches inflammatorisches Response-Syndrom (SIRS) [Plasma]
  • Trauma (Verletzung) [Liquor]
  • Riboflavin (Vitamin B2)-Mangel [Plasma]
Material     mg/dl     mmol/l
Plasma [venös]        
Hyperlactämie mit Azidose (Lactazidose)    45
[und pH-Wert < 7,35]
5
Liquor            
Meningitis/Enzephalitis            
  • virale Meningitis/Enzephalitis   
< 21 < 2,4
  • bakterielle Meningitis/Enzephalitis   
> 30 > 3,5
Apoplex  18-72 2-8
Hypoglykämisches Koma    18-36 2-4
Krampfleiden    18-54 2-6
Punktat            
Aszites           
  • nicht entzündlich   
14 ± 3  1,55 ± 0,3
  • Lebermetastasen   
22 ± 8 2,5 ± 0,9
Pleuraerguss            
  • nicht bakteriell   
5-45 0,65-5,2
  • bakteriell   
45-200 5-22
Synovialflüssigkeit       
  • nicht entzündlicher Erguss   
< 37 < 4,18
  • entzündlicher Erguss   
< 60 < 6,82
  • traumatischer Erguss   
9-17 1,0-1,8

Umrechnungsfaktor

  • mmol/l x 9,008 = mg/dl

Erniedrigte Werte

  • McArdle-Krankheit (Glykogenspeicherkrankheit Typ V) [Plasma]
  • Verminderte Lactatbildung [Plasma]

Lactat im Sepsis-Algorithmus (Zeitpunkte, Cut-offs, Prognose)

  • Initiale Messung: Bei Verdacht auf Sepsis oder septischen Schock (Blutvergiftung mit Kreislaufversagen) soll Lactat frühzeitig bestimmt werden (zeitkritisch im Rahmen der 1-hour bundle-Logik).
  • Remeasurement: Erneute Messung, wenn initial erhöht (typisch > 2,0 mmol/l) zur Verlaufsbeurteilung und zur Einschätzung der Perfusions-/Resuscitationsantwort.
  • Schwellenwerte mit unmittelbarer klinischer Relevanz:
    • Lactat > 2,0 mmol/l: Hinweis auf relevante Hypoperfusion/Stressmetabolismus im Kontext; Bestandteil der Sepsis-3-Septikschock-Konstellation zusammen mit Vasopressorbedarf.
    • Lactat ≥ 4,0 mmol/l: In Bundles als Kriterium für aggressive initiale Volumentherapie/Resuscitation berücksichtigt, auch ohne Hypotonie (niedriger Blutdruck).
  • Prognose: Persistierend erhöhte Werte und fehlende Abnahme unter Therapie sind mit ungünstiger Prognose assoziiert; Verlauf ist in der Akutphase häufiger aussagekräftiger als ein Einzelwert.
  • Kontext: Lactat ist ein Perfusionsmarker, aber nicht spezifisch für Hypoxie; Interpretation immer zusammen mit klinischer Perfusion (z. B. Rekapillarisierungszeit), Blutgasanalytik und hämodynamischen Parametern.

Abgrenzung Hyperlactämie Typ A vs. Typ B

  • Typ A (hypoxisch/perfusionsbedingt):
    • Ursache: Gewebe-Hypoxie und/oder Minderperfusion (Schock, schwere Hypoxämie (Sauerstoffmangel im Blut), schwere Anämie (Blutarmut), regionale Ischämien (Durchblutungsstörungen) wie Mesenterialischämie).
    • Kontext: Häufig kombiniert mit metabolischer Azidose; klinisch Zeichen der Hypoperfusion möglich.
  • Typ B (nicht primär hypoxisch):
    • Ursache: Mitochondriale Dysfunktion (Störung der Zellenergiegewinnung), Arzneimittel/Toxine (z. B. Biguanide), Leberinsuffizienz (Leberversagen) (reduzierte Clearance), Malignome (bösartige Tumoren), schwere Infektionen/Inflammation (Entzündung) ohne manifeste Hypotonie, Krampfanfälle, Beta-adrenerge Stimulation (Stresshormonwirkung).
    • Kontext: Kann ohne ausgeprägte Hypotonie auftreten; Azidose kann fehlen (Hyperlactämie ohne Azidose).

Präanalytik-Quick-Check für Notaufnahme und Intensivstation

  • Matrix/Ort: Für Zeitkritik bevorzugt Vollblut am Blutgasanalysator für Erstwert und frühe Verlaufskontrollen; für Vergleichbarkeit Verlaufsserie möglichst im selben System.
  • Entnahme: Keine Stauung, kein Faustpumpen; rasche Probenverarbeitung.
  • Transport: Verzögerungen vermeiden; bei Zentrallaborversand Glykolysehemmung sicherstellen (geeignetes Röhrchen/Prozess).
  • Dokumentation: Arteriell/venös und Messsystem dokumentieren (Vergleichbarkeit, Interpretation).
  • Kontext: Lactat immer zusammen mit pH, Base Excess, Bicarbonat, Anionenlücke, Glucose, Oxygenierung und klinischen Perfusionszeichen interpretieren.
  • Verlauf: Bei initial > 2,0 mmol/l zeitnahe Re-Messung zur Therapie-/Perfusionsbeurteilung.

Weiterführende Diagnostik

  • Blutgasanalyse (Analyse der Blutgase): pH, Base Excess, Bicarbonat, Oxygenierung, CO2-Status (Einordnung Azidose/Respirationskomponente).
  • Organperfusions-/Schockdiagnostik: Hämodynamik, Rekapillarisierungszeit, Diurese, ggf. Echokardiographie (Herzultraschall).
  • Ursachensuche bei Hyperlactämie:
    • Infektionsdiagnostik (Sepsis): Blutkulturen, Fokusdiagnostik, Entzündungsparameter.
    • Ischämie: Lactat im Kontext von Klinik und Bildgebung (z. B. Mesenterialischämie).
    • Medikamente/Toxine: Anamnese, ggf. Spiegel/Screening.
    • Leberfunktion: Transaminasen, Bilirubin, Gerinnung (Clearance-Einschränkung).
    • Stoffwechsel/Genetik: Bei Kindern je nach Konstellation (z. B. organische Azidopathien, mitochondriale Erkrankungen).

Literatur

  1. Giulieri S, Chapuis-Taillard C, Jaton K, et al. CSF lactate for accurate diagnosis of community-acquired bacterial meningitis. Eur J Clin Microbiol Infect Dis. 2015;34:2049-2055. https://doi.org/10.1007/s10096-015-2450-6

Leitlinien

  1. Evans L, Rhodes A, Alhazzani W, et al. Surviving sepsis campaign: international guidelines for management of sepsis and septic shock 2021. Intensive Care Med. 2021;47(11):1181-1247. https://doi.org/10.1007/s00134-021-06506-y
  2. Singer M, Deutschman CS, Seymour CW, et al. The Third International Consensus Definitions for Sepsis and Septic Shock (Sepsis-3). JAMA. 2016;315(8):801-810. https://doi.org/10.1001/jama.2016.0287