Amenorrhoe: Labordiagnostische Untersuchungen
Die Amenorrhoe stellt ein häufiges, aber diagnostisch herausforderndes gynäkologisches Leitsymptom dar. Sie ist definiert als das vollständige Ausbleiben der Menstruation über einen klinisch relevanten Zeitraum und kann sowohl Ausdruck einer physiologischen Übergangsphase (z. B. Menopause) als auch Folge einer hormonellen, strukturellen oder genetischen Störung sein.
Die differenzierte Labordiagnostik ist von zentraler Bedeutung, um die zugrunde liegende Ursache zu identifizieren, reversible Auslöser zu erkennen und irreversible Prozesse frühzeitig zu diagnostizieren. Dabei erfolgt die Zuordnung in der Regel anhand der Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation, welche die Amenorrhoe anhand typischer Hormonmuster in funktionelle Hauptgruppen unterteilt. Die Auswahl der Laborparameter orientiert sich an der Anamnese (Erhebung der Krankengeschichte), dem körperlichen Befund, Zyklusverhalten sowie Begleitsymptomen.
Die laborbasierte Stufendiagnostik umfasst eine initiale Basisuntersuchung (1. Ordnung) zur hormonellen Orientierung und eine erweiterte zweite Stufe (2. Ordnung) zur differenzialdiagnostischen Einordnung in zentrale, ovariell bedingte oder uterine Ursachen.
1. Zentrale Bedeutung der Amenorrhoe-Diagnostik
Amenorrhoe (Ausbleiben der Menstruationsblutung) – ist keine eigenständige Erkrankung, sondern Ausdruck einer funktionellen Störung der hypothalamisch-hypophysär-gonadalen Achse (Regelkreis zwischen Zwischenhirn, Hirnanhangsdrüse und Eierstöcken) oder Folge anatomischer Veränderungen. Sie kann primär (Menarche ausbleibend bis zum 16. Lebensjahr) oder sekundär (Blutungsstopp ≥ 3 Monate) auftreten. Die differenzierte Abklärung orientiert sich an der Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation:
- WHO-Klasse I – hypothalamisch bedingte Amenorrhoe bei erniedrigten Gonadotropinen (Hirnanhangsdrüsenhormonen) und Estradiol (Östrogen)
- WHO-Klasse II – normogonadotrope Amenorrhoe, v. a. polyzystisches Ovarialsyndrom (Hormonstörung mit häufig ausbleibendem Eisprung)
- WHO-Klasse III – hypergonadotrope Amenorrhoe bei primärer Ovarialinsuffizienz (frühzeitiges Versagen der Eierstockfunktion)
- Weitere Sonderformen – uterine (gebärmutterbezogenen) Ursachen (z. B. Verwachsungen), Hyperprolaktinämie (erhöhter Prolaktinspiegel) und genetische Anomalien (angeborene Veränderungen der Erbanlagen)
2. Die wichtigsten Laborparameter
2.1. Laborparameter 1. Ordnung – obligate Basisuntersuchungen
- Humanes Chorion-Gonadotropin (Schwangerschaftshormon) – zum sicheren Ausschluss einer Schwangerschaft
- Follikelstimulierendes Hormon (FSH) – Einschätzung der ovariellen Reserve (Eizellvorrat) und Hypophysenfunktion (Hormonsteuerung)
- Luteinisierendes Hormon (LH) – Beurteilung des LH/FSH-Verhältnisses
- Prolaktin – Nachweis einer Hyperprolaktinämie (z. B. Prolaktinom oder Schilddrüsenunterfunktion)
- Schilddrüsenstimulierendes Hormon (TSH) – primärer Screeningparameter für Schilddrüsenerkrankungen
- Freies Trijodthyronin (fT3) – zusätzlicher Parameter bei latenter Hyperthyreose/Schilddrüsenüberfunktion
- Freies Thyroxin (fT4) – Differenzierung primärer oder zentraler Schilddrüsenfunktionsstörungen
- 17-Beta-Östradiol – Marker der Östrogenproduktion durch die Ovarien (Eierstöcke)
- Gesamt-Testosteron – Basisparameter bei Verdacht auf Hyperandrogenämie (erhöhtes männliches Hormon)
- Kleines Blutbild – Ausschluss hämatologischer Grunderkrankungen (z. B. Anämie/Blutarmut)
- Differentialblutbild – Beurteilung infektiöser oder entzündlicher Begleitprozesse
2.2. Laborparameter 2. Ordnung – differenzialdiagnostische Erweiterung
- Androstendion, Dehydroepiandrosteron (DHEA), Dehydroepiandrosteronsulfat (DHEAS), Dihydrotestosteron – Differenzierung androgener Ursachen (z. B. bei Hormonstörungen der Nebenniere)
- Sexualhormon-bindendes Globulin (SHBG) – zur Beurteilung der freien Androgenaktivität, insbesondere bei Verdacht auf Hyperandrogenämie (z. B. PCOS). Ein erniedrigter SHBG-Wert spricht für eine erhöhte Wirkung freier Androgene. Die Berechnung des freien Androgenindex (FAI) verbessert die diagnostische Aussagekraft.
- Cortisol (basal) – bei Verdacht auf Stressinduktion oder Cushing-Syndrom (erhöhter Cortisolspiegel)
- Dexamethason-Hemmtest – Suppressionstest bei klinischem Verdacht auf übermäßige Cortisolproduktion
- Gestagentest – Einschätzung der Reaktionsfähigkeit der Gebärmutterschleimhaut bei Östrogenmangel
- Östrogen-Gestagen-Test – Diagnostik bei ausbleibender Blutung nach Gestagen-Test
- Clomifen-Test – Funktionsprüfung der hypothalamischen Gonadotropinfreisetzung (Hormonantwort aus dem Zwischenhirn)
- Gonadotropin-Releasing-Hormon-Test (GnRH-Test) – Testung der Hypophysenfunktion (Hormonfreisetzung aus der Hirnanhangsdrüse)
- Anti-Müller-Hormon (AMH) – Marker für die ovarielle Reserve (Eizellvorrat), v. a. bei frühzeitigem Funktionsverlust der Eierstöcke
- 25-Hydroxy-Vitamin D – Statuskontrolle bei Knochenrisiko infolge Östrogenmangel
- Glukosestoffwechsel-Parameter (Nüchternglukose, Langzeitblutzucker, Insulin, oraler Glukosetoleranztest, HOMA-Index) – bei Verdacht auf metabolisches Syndrom (z. B. bei Übergewicht und polyzystischem Ovarialsyndrom)
- Leberfunktionsparameter (Alanin-Aminotransferase, Aspartat-Aminotransferase, Gamma-Glutamyl-Transferase, Glutamat-Dehydrogenase, alkalische Phosphatase, Bilirubin) – bei Zyklusstörung mit möglicher Leberbeteiligung
- Nierenparameter (Harnstoff, Kreatinin, Kreatinin-Clearance, Cystatin C) – Ausschluss einer Beeinträchtigung der Nierenfunktion
- Chromosomenanalyse – bei primärer Amenorrhoe oder Auffälligkeiten (z. B. bei Verdacht auf genetisches Syndrom: z. B. Turner-Syndrom)
3. Weitere diagnostische Maßnahmen
- Transvaginaler Ultraschall – zur Beurteilung von Eierstöcken, Gebärmutter und Schleimhaut
- Magnetresonanztomographie des Schädels – bei Verdacht auf Tumoren oder Hormonstörungen im Bereich der Hypophyse (Hirnanhangsdrüse)
- Endometriumhistologie – bei Verdacht auf Schleimhautveränderungen oder Adhäsionen (Verwachsungen)
- Knochendichtemessung (DXA, QCT, QUS) – zur Erkennung einer durch Östrogenmangel bedingten Osteomalazie/Osteoporose (Knochenerweichung/Knochenschwund)
- Genetische Paneldiagnostik – bei unklarer Ursache oder familiärer Häufung
Amenorrhoe: Diagnostische Entscheidungslogik – Übersichtstabelle WHO-Klassifikation
Hier folgt die abschließende Fachkreistabelle zur diagnostischen Entscheidungslogik bei Amenorrhoe, strukturiert gemäß der WHO-Klassifikation und ergänzt um typische Konstellationen sowie zugeordnete Funktionstests und Bildgebung. Die Inhalte wurden nicht verändert.
WHO-Klasse / Ursache | Typische Laborparameter | Bildgebung / Funktionstests | Interpretation |
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WHO I – hypothalamische Amenorrhoe | ↓ Follikelstimulierendes Hormon, ↓ Luteinisierendes Hormon, ↓ Estradiol, normal Prolaktin | Magnetresonanztomographie, Clomifen-Test | Funktionelle zentrale Suppression (z. B. Stress, Diät, Sport) |
WHO II – normogonadotrope Amenorrhoe, v. a. polyzystisches Ovarialsyndrom | Normales Follikelstimulierendes Hormon, erhöhtes Luteinisierendes Hormon, ↑ Androgene, normal Estradiol | Ultraschall (polyzystische Ovarstruktur), oGTT, HOMA-Index | Normogonadotrope ovarielle Dysfunktion mit Hyperandrogenämie |
WHO III – primäre Ovarialinsuffizienz | ↑ Follikelstimulierendes Hormon, ↑ Luteinisierendes Hormon, ↓ Estradiol | Anti-Müller-Hormon ↓, Chromosomenanalyse | Vorzeitige Menopause, genetische oder autoimmunologische Ursache |
Hyperprolaktinämie | ↑ Prolaktin, ↓ Gonadotropine, ↓ Estradiol | Magnetresonanztomographie der Hypophyse | Prolaktinom, medikamentös, Hypothyreose |
Schilddrüsendysfunktion | ↑ oder ↓ Schilddrüsenstimulierendes Hormon, gestörtes freies Thyroxin / Trijodthyronin | Schilddrüsensonographie | Hypo- oder Hyperthyreose mit Zyklusstörung |
Uterine Ursachen (Asherman-Syndrom) | Normaler Hormonstatus | Hysteroskopie, Endometriumbiopsie | Synechien oder Endometriumatrophie |
Genetische Anomalien (z. B. Turner-Syndrom) | Hypergonadotrope Konstellation, ↓ Estradiol | Chromosomenanalyse | Gonadendysgenesie oder Störung der Geschlechtsdifferenzierung |
Therapiezuordnung und Verlaufskontrolle bei Amenorrhoe (WHO-Klassifikation)
WHO-Klasse / Ursache | Therapieansätze | Verlaufskontrolle / Monitoring |
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WHO I – hypothalamische Amenorrhoe |
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WHO II – polyzystisches Ovarialsyndrom |
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WHO III – primäre Ovarialinsuffizienz |
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Hyperprolaktinämie |
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Schilddrüsendysfunktion |
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Uterine Ursachen (Asherman-Syndrom) |
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Genetische Anomalien (z. B. Turner-Syndrom) |
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