Brustkorbverletzung (Thoraxtrauma) – Körperliche Untersuchung

Eine umfassende klinische Untersuchung ist die Grundlage für die Auswahl der weiteren diagnostischen Schritte.

Die Behandlung eines Thoraxtraumas (Brustkorbverletzung) muss schnell erfolgen (Sofortdiagnostik). Es muss immer der gesamte Körper abgesucht werden, um Begleitverletzungen auszuschließen!

Grundsätzlich muss bei bewusstseinseingetrübten Personen zuerst eine Notfalluntersuchung nach der Glasgow Coma Scale (GCS) durchgeführt werden:

  Kriterium Punktzahl
Augenöffnen    spontan 4
auf Aufforderung 3
auf Schmerzreiz 2
keine Reaktion 1
 Verbale Kommunikation     konversationsfähig, orientiert 5
konversationsfähig, desorientiert (verwirrt) 4
unzusammenhängende Worte 3
unverständliche Laute 2
keine verbale Reaktion 1
 Motorische Reaktion      befolgt Aufforderungen 6
gezielte Schmerzabwehr 5
ungezielte Schmerzabwehr 4
auf Schmerzreiz Beugesynergismen  3
auf Schmerzreiz Strecksynergismen  2
keine Reaktion auf Schmerzreiz 1

Beurteilung

  • Die Punkte werden für jede Kategorie einzeln vergeben und anschließend addiert. Die maximale Punktzahl ist 15, die minimale 3 Punkte.
  • Bei 8 oder weniger Punkten ist von einer sehr schweren Gehirnfunktionsstörung auszugehen und des besteht die Gefahr von lebensbedrohlichen Atmungsstörungen.
  • Bei einem GCS ≤ 8 muss eine Sicherung der Atemwege erwogen werden.

Anschließend folgt eine umfassende körperliche Untersuchung:

  • ABCDE-Schema*
  • Vitalfunktionen: Blutdruck, Puls, Atmung, Sauerstoffsättigung (SpO2) engmaschig überwachen, um eine Hypoxie (Sauerstoffmangel), Hypotonie (niedriger Blutdruck), Herzarrhythmien (Herzrhythmusstörungen) und einen Spannungspneumothorax rechtzeitig zu erkennen
  • Inspektion (Betrachtung) der Haut
    • Prellmarken – durch Gurtmale, Lenkrad, Airbag etc.
    • gestaute Halsvenen [Spannungspneumothorax?]
    • Zyanose (bläuliche Verfärbung der Haut/Schleimhaut bei Sauerstoffmangel)
    • Hautemphysem (Luft-/Gasansammlung in der Haut) [Rippenserienfraktur? Pneumothorax?]
    • Blässe – Schocksymptomatik
  • Inspektion bzw. Überprüfung des Thorax
    • Vorwölbungen am Thorax?
    • atemabhängige Schmerzen?
    • Prüfung der Atembewegungen
      • Beobachtung der Atemexkursionen – zur Beurteilung der Dehnungsfähigkeit des Thorax (sollte im Seitenvergleich erfolgen) [einseitige Atembewegungsverzögerung: Pneumothorax?]
      • instabiler Thorax – größere Anteile lösen sich aus dem Rippenverbund [Rippenserienfraktur?] → paradoxe Atmung: instabiler Anteil bewegt sich beim Ausatmen thoraxauswärts und beim Einatmen thoraxeinwärts
      • schlürfendes Geräusch [Spannungspneumothorax?]
    • Palpation (Abtasten) des Thorax
      • Druck- oder Kompressionsschmerz?
    • Perkussion (Klopfschall) des Thorax
      • Dämpfung oder hypersonorer Klopfschall
    • Auskultation (Abhören) des Thorax
      • abgeschwächtes Atemgeräusch
      • Krepitation (Geräusche wie "Rasseln", "Knirschen")?
      • seitendifferente Atemgeräusche
    • Hämoptoe (Bluthusten)
  • Untersuchung der Lunge (wg. möglicher Folgeerkrankungen):
    • Bronchophonie (Überprüfung der Weiterleitung hochfrequenter Töne; der Patient wird aufgefordert, mehrmals mit spitzer Stimme das Wort "66" auszusprechen, während der Arzt die Lunge abhört)
      [verstärkte Schallleitung durch pulmonale Infiltration/Verdichtung des Lungengewebes (z. B. bei Pneumonie) die Folge ist, die Zahl „66" ist auf der erkrankten Seite besser zu verstehen als auf der gesunden Seite; bei verminderter Schallleitung (abgeschwächt oder fehlend: z. B. bei Pleuraerguss, Pneumothorax, Lungenemphysem). Die Folge ist, die Zahl "66" ist über der erkrankten Lungenpartie kaum hörbar bis fehlend, da die hochfrequenten Töne stark gedämpft werden]
    • Perkussion (Klopfschall) der Lunge [z. B. bei Lungenemphysem; Schachtelton beim Pneumothorax]
    • Stimmfremitus (Überprüfung der Weiterleitung tiefer Frequenzen; der Patient wird aufgefordert, mehrmals mit tiefer Stimme das Wort "99" auszusprechen, während der Arzt seine Hände auf den Brustkorb oder Rücken des Patienten legt)
      [verstärkte Schallleitung durch pulmonale Infiltration/Verdichtung des Lungengewebes (z. B. bei Pneumonie) die Folge ist, die Zahl „99" ist auf der erkrankten Seite besser zu verstehen als auf der gesunden Seite; bei verminderter Schallleitung (abgeschwächt: z. B. Atelektase, Pleuraschwarte; stark abgeschwächt oder fehlend: bei Pleuraerguss, Pneumothorax, Lungenemphysem). Die Folge ist, die Zahl "99" ist über der erkrankten Lungenpartie kaum hörbar bis fehlend, da die tieffrequenten Töne stark gedämpft werden]
  • Auskultation (Abhören) des Herzens
  • Palpation (Abtasten) des Abdomens (Bauch) (Druckschmerz?, Klopfschmerz?, Hustenschmerz?, Abwehrspannung?, Darmgeräusche (bei Ruptur (Riss) des Zwerchfells)?, Bruchpforten?, Operationsnarben?)
  • Digital rektale Untersuchung (DRU): Untersuchung des Rektums (Mastdarm) und der angrenzenden Organe mit dem Finger per Palpation: Beurteilung der Prostata in Größe, Form und Konsistenz

In eckigen Klammern [ ] wird auf mögliche pathologische (krankhafte) körperliche Befunde hingewiesen.

*ABCDE-Schema

  Therapeutische Maßnahmen
Airway
(Atemweg)
Sicherung der Atemwege
  • Mund freiräumen
  • Kopf überstrrecken
  • ggf. Intubation (Einführen eines Tubus (einer Hohlsonde) in die Trachea/Luftröhre)
Cave: Wirbelsäule schützen!
Breathing
(Beatmung)
Sicherung einer adäquaten Respiration (Ausatmung) und Ventilation (Belüftung des Respirationstraktes (Atmungsapparat) während der Atmung)
  • ggf. Beatmung
  • ggf. Herzdruckmassage
  Eine nicht ausreichende (Be-)Atmung zeigt sich durch:
  • Atemfrequenz < 5/min oder > 20/min
  • Zyanose (bläuliche Verfärbung der Haut/Schleimhaut bei Sauerstoffmangel)
  • fehlendes Atemgeräusch
  • paradoxe Atemexkursionen (instabiler Anteil bewegt sich beim Ausatmen thoraxauswärts und beim Einatmen thoraxeinwärts)
Circulation
(Kreislauf)
Aufrechterhaltung des Kreislaufs bzw. Schockbehandlung
  • Pulskontrolle
  • Beurteilung der Hautfarbe
  • ggf. Herzdruckmassage
Disability
(Defizit, neurologisch)
  • Versorgung von Verletzungen
  • Neurologischer Status
  • Pupillenkontrolle
Exposure
(Exploration)
  • Endkleidung

Literatur

  1. Teasdale G, Jennet B: Assessment of coma and impaired consciouness: a pratical scale, Lancet 2:81-84, 1974