Gasbrand – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Beschreibung des Erregers
- Erreger: Gasbrand (Clostridiale Myonekrose) wird hauptsächlich durch Clostridium perfringens verursacht, ein grampositives, sporenbildendes und obligat anaerobes Bakterium, das zur Familie der Clostridiaceae gehört. Weitere Clostridienarten, die Gasbrand verursachen können, sind Clostridium septicum, Clostridium novyi und Clostridium histolyticum.
- Genom: Clostridien besitzen ein bakterielles Genom, das Gene für verschiedene toxische Proteine und Gewebe-abbauende Enzyme enthält, darunter Alpha-Toxin, Theta-Toxin und Kollagenasen. Diese Toxine und Enzyme sind für die Gewebeschädigung und das rasche Fortschreiten der Infektion verantwortlich.
- Virulenz (Infektionskraft): Die Virulenz basiert auf der Fähigkeit, toxische Substanzen zu produzieren, die eine nekrotisierende Entzündung (Gewebezerstörung) hervorrufen und gleichzeitig die Blutgefäße schädigen, was eine Verbreitung der Infektion begünstigt.
Epidemiologie und Übertragungsweg
- Verbreitung: Clostridien sind weltweit verbreitet und kommen vor allem im Erdboden, in Gewässern sowie in der Darm- und Genitalflora von Menschen und Tieren vor.
- Hauptübertragungsweg:
- Gasbrand entsteht in der Regel durch direkte Inokulation von Clostridien-Sporen in tiefe Wunden oder verletztes Gewebe. Dies geschieht häufig bei traumatischen Verletzungen (z. B. Verkehrsunfälle, Kriegsverletzungen) oder postoperativen Wundinfektionen.
- Weitere Übertragungswege:
- In seltenen Fällen kann eine endogene Infektion auftreten, wenn Clostridien aus der Darm- oder Genitalflora in schlecht durchblutetes Gewebe eindringen.
- Reservoir: Hauptreservoir sind Erdboden, Tiere und die Darmflora von Menschen.
- Infektiosität: Clostridien sind hochinfektiös in schlecht durchblutetem oder nekrotischem Gewebe, da dies eine anaerobe Umgebung bietet, die für ihr Wachstum ideal ist.
Eintrittspforte des Erregers
- Haupteintrittspforte: Der Erreger gelangt über tiefe Hautverletzungen, traumatische Wunden oder chirurgische Inzisionen in das subkutane Gewebe und die Muskelstrukturen.
- Nebeneintrittspforten: In seltenen Fällen kann eine Übertragung über endogene Flora (z. B. Darm- oder Genitalflora) erfolgen, wenn es zu einer schweren Gewebeschädigung kommt.
Pathogenese des Erregers
- Initiale Infektion und Gewebeinvasion:
- Nach der Inokulation der Clostridien-Sporen in verletztes Gewebe (z. B. tiefe Wunden) keimen die Sporen unter anaeroben Bedingungen aus und beginnen sich zu vermehren.
- Das Vorhandensein von nekrotischem Gewebe oder schlecht durchblutetem Gewebe begünstigt die Vermehrung der Bakterien und die Produktion von Toxinen.
- Freisetzung von Toxinen und Gewebeschäden:
- Clostridien produzieren eine Vielzahl von toxischen Substanzen, darunter das Alpha-Toxin (Lecithinase), das für die Zerstörung von Zellmembranen verantwortlich ist und eine massive Gewebsnekrose verursacht.
- Das Theta-Toxin (Perfringolysin) schädigt Endothelzellen (Zellen der Blutgefäße), was zu einer erhöhten Gefäßpermeabilität (Durchlässigkeit der Blutgefäße) und Hämolyse (Zerstörung von roten Blutkörperchen) führt.
- Gewebsnekrose und Gasbildung:
- Die bakterielle Vermehrung führt zur Bildung von Gasblasen (CO₂ und H₂), die sich im Gewebe und den Muskelstrukturen ansammeln.
- Diese Gasbildung bewirkt die typische knisternde Konsistenz des Gewebes und führt zur Druckerhöhung im infizierten Bereich, was die Blutzirkulation weiter beeinträchtigt.
- Die fortschreitende Gewebszerstörung und die Gasbildung verursachen das charakteristische "Knistern" beim Palpieren (Abtasten) der betroffenen Gewebe.
- Rasche Ausbreitung und systemische Toxizität:
- Die Toxine führen zur raschen Ausbreitung der Infektion im Muskel- und Weichgewebe, wobei die Blutversorgung und Sauerstoffzufuhr weiter unterbrochen werden.
- Die nekrotisierende Entzündung breitet sich entlang der Faszien und Muskelstrukturen aus, was zur Zerstörung großer Gewebebereiche führt.
- Im weiteren Verlauf gelangen die Toxine in den systemischen Kreislauf und verursachen eine schwere Toxämie (Vorhandensein von Toxinen im Blut), was zu Schock, Organversagen und letztlich zum Tod führen kann.
Wirtsreaktion
- Lokale Immunantwort:
- Die Gewebsnekrose und die Freisetzung von Bakterientoxinen lösen eine starke Entzündungsreaktion aus, die durch die Aktivierung von Makrophagen und neutrophilen Granulozyten charakterisiert ist.
- Die lokale Immunantwort ist jedoch aufgrund der massiven Gewebszerstörung und der anaeroben Bedingungen stark eingeschränkt, was eine effektive Bekämpfung der Bakterien verhindert.
- Systemische Immunantwort:
- Die systemische Freisetzung von Bakterientoxinen führt zu einer Aktivierung des Komplementsystems und einer starken Zytokinfreisetzung, was einen septischen Schock (Schock durch Blutvergiftung) auslöst.
- Die massive Entzündungsreaktion und die Gerinnungsstörungen können eine disseminierte intravasale Koagulation (DIC) auslösen, die die Prognose erheblich verschlechtert.
- Anpassungsmechanismen des Erregers:
- Clostridien sind in der Lage, unter extremem Sauerstoffmangel zu überleben und Sporen zu bilden, die jahrelang infektiös bleiben können.
- Durch die Produktion von toxischen Enzymen (z. B. Kollagenasen) fördern sie die Ausbreitung im Gewebe und verhindern eine effektive Immunabwehr.
Organaffinität und Gewebeschäden
- Bevorzugte Zielorgane: Clostridien befallen primär das Weichgewebe und die Muskulatur, insbesondere bei schlecht durchbluteten Wunden, traumatisierten Geweben oder postoperativen Infektionsstellen.
- Resultierende Gewebeschäden:
- Es kommt zur Gewebenekrose, Gasbildung und in schweren Fällen zur kompletten Zerstörung von Muskelgewebe.
- Die Schädigung der Blutgefäße führt zu Gewebeischämie (Sauerstoffmangel) und Blutungen.
- Die toxische Wirkung auf den systemischen Kreislauf kann zu Multiorganversagen führen.
Klinische Manifestation
- Symptomatologie:
- Frühsymptome umfassen starke Schmerzen im betroffenen Bereich, die oft über den sichtbaren Schaden hinausgehen.
- Es treten Schwellungen, Blasenbildung und eine rötlich-bläuliche Verfärbung der Haut auf.
- Typisch ist das Knistern beim Abtasten des Gewebes aufgrund der Gasbildung.
- Im fortgeschrittenen Stadium treten Hypotonie (niedriger Blutdruck), Tachykardie (beschleunigter Herzschlag) und Bewusstseinsstörungen auf.
- Komplikationen:
- Septischer Schock durch Toxinausbreitung.
- Multiorganversagen bei systemischer Ausbreitung der Toxine.
- Disseminierte intravasale Koagulation (DIC) als Folge der massiven Toxinfreisetzung.
Verläufe und Schweregrade
- Milde Verläufe: Selten, meist bei lokalisierter Infektion mit geringer Toxinproduktion.
- Schwere Verläufe: Typischerweise sehr rasch fortschreitend, mit hoher Mortalität (Sterberate; bis zu 100 % unbehandelt).
Prognosefaktoren
- Wirtsfaktoren:
- Vorbestehende Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Arteriosklerose (Arterienverkalkung) und Immunsuppression (geschwächte immunabwehr) begünstigen schwere Verläufe.
- Schlechte Wundhygiene und mangelnde Durchblutung erhöhen das Risiko.
- Erregerfaktoren:
- Clostridienarten mit erhöhter Toxinproduktion sind besonders virulent.
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Gasbrand (Clostridiale Myonekrose) ist eine lebensbedrohliche Weichgewebeinfektion, die durch Clostridien verursacht wird. Die Pathogenese ist durch eine massive Gewebsnekrose, Gasbildung und toxische Schädigung des Wirtsgewebes charakterisiert. Eine frühzeitige chirurgische Intervention, hochdosierte Antibiotikatherapie und intensive supportive Maßnahmen sind entscheidend für das Überleben der Patienten.
Ätiologie (Ursachen)
Verhaltensbedingte Ursachen
- Ernährung
- Mangelernährung (Unterernährung) (Immunschwäche, verzögerte Wundheilung)
- Proteinmangel oder Hypovitaminosen (Vitaminmangelzustände) (z. B. Vitamin C, Zink – beeinträchtigen Geweberegeneration und Immunantwort)
- Genussmittelkonsum
- Chronischer Alkoholabusus (chronischer Alkoholkonsum) (Immunsuppression, Leberfunktionsstörung, Wundheilungsstörung)
- Drogenkonsum – insbesondere intravenöser Heroingebrauch („Skin Popping“) mit kontaminierten Injektionslösungen
- Nikotinabusus (Rauchen) (Mikrozirkulationsstörung, reduzierte Sauerstoffversorgung des Gewebes)
- Körperliche Aktivität
- Training in kontaminierter Umgebung (z. B. Erde, Schlamm, Stall) mit Eintrittspforte über Mikrotraumen (kleine Verletzungen)
- Unzureichende Wundhygiene nach Sportverletzungen (z. B. Schürf-, Stich- oder Platzwunden)
- Psycho-soziale Situation
- Verzögerte ärztliche Vorstellung trotz progredienter Symptomatik (zunehmender Beschwerden) (z. B. Angst, Scham, Substanzabhängigkeit)
- Vernachlässigung der Körperhygiene bei sozialer Desintegration (sozialem Rückzug), Obdachlosigkeit oder psychischer Erkrankung
- Schlafqualität
- Chronischer Schlafmangel (anhaltender Schlafmangel) (erhöhte Infektanfälligkeit, verzögerte Immunantwort)
- Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas)
- Erhöhtes Risiko für Hautläsionen (Hautverletzungen) und schlecht heilende Wunden durch Hautfalten, Druckstellen und eingeschränkte Durchblutung
Krankheitsbedingte Ursachen
Blut, blutbildende Organe (Organe der Blutbildung) und Immunsystem (Abwehrsystem) (D50–D89)
- Hämolytische Anämien (Blutarmut durch vermehrten Abbau roter Blutkörperchen) – reduzierter Sauerstofftransport, lokale Gewebshypoxie (Sauerstoffmangel)
- Immundefekte (Störungen der Immunabwehr) (primär oder sekundär, z. B. HIV-Infektion, Kortikosteroidtherapie) – verminderte Abwehr anaerober Erreger
- Neutropenie (Mangel an neutrophilen weißen Blutkörperchen) (z. B. nach Chemotherapie) – eingeschränkte bakterielle Abwehr
Endokrine (hormonelle), Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00–E90)
- Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) – Mikro- und Makroangiopathie (Gefäßschädigung), gestörte Leukozytenfunktion, erhöhte Infektanfälligkeit
- Hypoproteinämie (Eiweißmangel im Blut) und Vitaminmangelzustände (z. B. Vitamin C, Zink, Eisen) – beeinträchtigte Wundheilung
- Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) – verminderte Stoffwechselaktivität und verzögerte Regeneration
Haut und Unterhautzellgewebe (L00–L99)
- Chronische Ulzera (chronische Geschwüre), Dekubitus (Druckgeschwüre), Gangrän (Gewebsbrand) – prädisponierende Eintrittspforten
- Dermatitis (Hautentzündung) mit Barrierestörung – erleichterte Keimpenetration
Kreislaufsystem (I00–I99)
- Chronisch venöse Insuffizienz (chronische Venenschwäche) – venöse Stauung, trophische Störungen und Ulzerationen (Geschwüre) als Eintrittspforte
- Herzinsuffizienz (Herzschwäche) – Minderperfusion (verminderte Durchblutung) und Hypoxie (Sauerstoffmangel) des Gewebes
- Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) (Durchblutungsstörung der Beine) – ischämisches (sauerstoffarmes) Gewebe als anaerobes Milieu
Nervensystem (G00–G99)
- Neuropathien (Nervenschäden) – herabgesetzte Sensibilität (Wahrnehmungsvermögen), verspätete Wahrnehmung von Verletzungen
- Rückenmarksläsionen (Schädigungen des Rückenmarks) – trophische Hautstörungen, Druckulzera (Druckgeschwüre) als Eintrittspforte
Verletzungen, Vergiftungen und andere Folgen äußerer Ursachen (S00–T98)
- Crush-Syndrom (Quetschungssyndrom) (Weichteilquetschung) – Gewebehypoxie (Sauerstoffmangel im Gewebe) als anaerobes Milieu für Clostridienwachstum
- Darmverletzungen – Freisetzung anaerober Darmflora (Clostridium perfringens) in das Wundgebiet
- Kriegsverletzungen (Kriegswunden) – z. B. Explosions-, Splitter- und Schussverletzungen mit massiver Gewebszerstörung und Kontamination (Verunreinigung) durch Erde und Schlamm (aktuelles Risikoszenario in Ukraine und anderen Krisengebieten)
- Kontamination von Wunden – z. B. durch Erde, Staub, Tierexkremente (Tierausscheidungen) oder Fremdkörper
- Offene Frakturen (offene Knochenbrüche) (besonders Unterschenkel, Oberschenkel) mit ausgedehnter Gewebsnekrose (Gewebezerstörung)
- Penetrierende oder stumpfe Weichteilverletzungen (Weichteilwunden) (v. a. mit Boden- oder Straßenkontakt – Eintrittspforte für Clostridien)
- Verbrennungen und Nekrosen (Gewebeabsterben) – begünstigen bakterielle Superinfektion (Zweitinfektion) durch Verlust der Hautbarriere
Weiteres (iatrogen, postoperativ, sonstige Faktoren)
- Chronische Wundverhältnisse (chronische Wunden) (z. B. Dekubitus, Ulcus cruris (Unterschenkelgeschwür)) als Eintrittspforte für anaerobe Erreger
- Iatrogene Gewebsischämien (durch ärztliche Maßnahmen verursachte Durchblutungsstörungen) (z. B. nach Kompressionsverbänden, intraarteriellen Injektionen)
- Injektionen kontaminierter Substanzen (verunreinigte Einspritzungen) (medizinisch oder nichtmedizinisch)
- Operationen mit unsterilen Instrumenten oder unzureichender Steriltechnik (unzureichende Keimfreiheit)
- Postoperative Wundinfektionen (nach Operation auftretende Wundinfektionen) nach Eingriffen im abdominellen (Bauchraum) oder perinealen Bereich (Dammregion)
Komplikationen bei medizinischen Eingriffen (Y83–Y84)
- Postoperative Infektionen (nach Operation auftretende Infektionen) nach Gewebsresektionen (Gewebeentfernungen) oder Implantationen (Einsetzen von Fremdmaterial) (anaerobe Superinfektion durch Clostridien)
- Injektionen kontaminierter Medikamente oder Infusionslösungen (verunreinigte Flüssigkeiten) in Gefäß- bzw. Muskelgewebe