Schilddrüsendiagnostik in der Labormedizin
Die Schilddrüse ist ein zentrales Organ des endokrinen Systems mit weitreichender metabolischer Steuerungsfunktion. Eine fundierte Schilddrüsendiagnostik ist essenziell, um Funktionsstörungen (z. B. Hypothyreose [Schilddrüsenunterfunktion], Hyperthyreose [Schilddrüsenüberfunktion]), Autoimmunerkrankungen (wie Hashimoto-Thyreoiditis oder Morbus Basedow) sowie neoplastische Veränderungen frühzeitig zu erkennen und zu differenzieren. Die Labordiagnostik bildet hierbei die Basis der Abklärung und ermöglicht die Beurteilung von Hormonstatus, Autoantikörperprofil sowie tumorassoziierten Markern (Tumormarkern). In Kombination mit bildgebenden Verfahren ermöglicht sie eine präzise Diagnosestellung und Verlaufskontrolle.
1. Zentrale Bedeutung der Schilddrüsendiagnostik
Die Schilddrüse reguliert wesentliche Stoffwechselvorgänge, das Wachstum und die Entwicklung. Eine gestörte Schilddrüsenfunktion kann nahezu alle Organsysteme betreffen. Die Labordiagnostik ermöglicht eine objektive Einschätzung der Schilddrüsenfunktion und ist für die Differenzierung von Erkrankungen mit ähnlicher klinischer Symptomatik unverzichtbar.
Besonders bei subklinischen Funktionsstörungen, unspezifischen Symptomen oder im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen spielt die Schilddrüsendiagnostik eine entscheidende Rolle. Auch vor geplanter Schwangerschaft, bei Infertilität (Unfruchtbarkeit) oder im Rahmen der onkologischen Nachsorge ist sie von hoher klinischer Relevanz.
2. Die wichtigsten Laborparameter
2.1. Hormonelle Funktionsparameter
- TSH (Thyreoidea-stimulierendes Hormon) – Primärer Screening-Parameter zur Beurteilung der Schilddrüsenfunktion. Erhöhte Werte sprechen für eine Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion), erniedrigte Werte für eine Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion) oder zentrale Funktionsstörung.
- fT3 (freies Trijodthyronin) – Spiegel des biologisch aktiven Schilddrüsenhormons, insbesondere relevant bei Verdacht auf Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion).
- fT4 (freies Thyroxin) – Wichtiger Parameter zur Beurteilung der Schilddrüsenhormonproduktion. In Kombination mit TSH ermöglicht fT4 die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Funktionsstörungen.
2.2. Autoantikörper (Autoimmunitätsdiagnostik)
- Thyreoperoxidase-Antikörper (TPO-AK) – Marker für Autoimmunthyreoiditis (Entzündung der Schilddrüse durch das eigene Immunsystem, meist Hashimoto-Thyreoiditis).
- Thyreoglobulin-Antikörper (TAK) – Ebenfalls bei Autoimmunthyreoiditis (Hashimoto-Thyreoiditis) erhöht.
- TSH-Rezeptor-Antikörper (TRAK) – Nachweis von Morbus Basedow oder immunogener Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion).
2.3. Tumormarker/Onkologische Parameter
- Calcitonin – Früherkennung des medullären Schilddrüsenkarzinoms (bösartiger Tumor der C-Zellen der Schilddrüse), insbesondere bei familiärer Belastung oder auffälligen Knoten.
- Thyreoglobulin (Tg) – Verlaufsparameter bei differenzierten Schilddrüsenkarzinomen (bösartige Tumoren der Schilddrüse). Wichtig: Tg kann bei bestehendem Antikörpernachweis (Tg-AK) fehlerhaft bestimmt werden.
2.4. Funktionstests
-
TRH-Test (Thyreotropin-Releasing-Hormon-Test) – Dient der Abklärung von zentralen (hypophysären oder hypothalamischen) Störungen der TSH-Ausschüttung. In der klinischen Routine zunehmend durch hochsensitive TSH-Messungen ersetzt.
2.5. Weitere relevante Parameter
- Parathormon (PTH) – Diagnostik der Nebenschilddrüsenfunktion (wichtiger Parameter zur Steuerung des Calciumhaushalts), insbesondere bei Schilddrüsenoperationen oder kalziumassoziierten Störungen.
- Jod im Urin – Parameter zur Erfassung der individuellen Jodversorgung. Relevant bei Verdacht auf Jodmangel oder Jodexzess.
2.6. Spezialparameter
-
rT3 (reverses T3; Reverse-T3) – Bestimmung in Spezialfällen, insbesondere bei Non-Thyroidal Illness Syndrome (NTIS; Schilddrüsenerkrankung bei schwerer Allgemeinerkrankung).
NTIS kann zu niedrigen fT3-Werten (freies Trijodthyronin) und erhöhten rT3-Werten (reverses Trijodthyronin) führen. Diese Veränderungen stellen eine Anpassungsreaktion des Körpers dar und sind keine echte Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion). Eine Therapie mit Schilddrüsenhormonen ist daher meist nicht indiziert, da die Veränderungen reversibel sind, sobald die Grunderkrankung behandelt wird.
3. Indikationen für die Schilddrüsendiagnostik
- Symptome einer Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) oder Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion)
- Struma (Kropf) oder Schilddrüsenknoten
- Verdacht auf Autoimmunerkrankungen (Hashimoto-Thyreoiditis, Morbus Basedow)
- Schilddrüsenkarzinome (bösartige Schilddrüsentumoren; Diagnostik und Verlaufskontrolle)
- Kinderwunsch, Schwangerschaft oder Wachstumsstörungen
- Psychiatrische Symptome (z. B. depressive Verstimmung bei Hypothyreose)
- Systemische Erkrankungen, die mit einer sekundären Schilddrüsenbeteiligung einhergehen können
4. Interpretation der Laborparameter
Die Interpretation erfolgt stets unter Berücksichtigung der klinischen Symptomatik und etwaiger Einflussfaktoren wie Schwangerschaft, Alter oder Begleiterkrankungen.
Referenzbereiche:
- Sind alters- und teilweise geschlechtsabhängig.
- Sollten methodenspezifisch berücksichtigt werden.
Kombinierte Bewertung:
- TSH + fT3/fT4 zur Unterscheidung zwischen primären und sekundären Störungen.
- Autoantikörperprofile zur Differenzierung autoimmuner von nicht-autoimmunen Erkrankungen.
- Tg und Calcitonin als onkologische Marker im Verlauf und Screening.
Besonderheiten:
- NTIS (Non-Thyroidal Illness Syndrome) kann zu niedrigen fT3-Werten und erhöhten rT3-Werten führen, ohne dass eine echte Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) vorliegt. Die Veränderungen sind funktionell bedingt und stellen meist eine reversible Anpassungsreaktion auf schwere Allgemeinerkrankungen dar.
- Medikamentöse Einflüsse (z. B. Amiodaron, Lithium, Glukokortikoide) sind in der Beurteilung zu berücksichtigen.
5. Differentialdiagnostische Aspekte
- Primäre Schilddrüsenfunktionsstörungen (Hypothyreose [Schilddrüsenunterfunktion], Hyperthyreose [Schilddrüsenüberfunktion])
- Zentrale Funktionsstörungen (Hypophysen- oder Hypothalamus-Ursachen)
- Autoimmunthyreopathien (Hashimoto-Thyreoiditis, Morbus Basedow)
- Funktionelle Autonomie (heiße Knoten)
- NTIS
- Medikamenteneinflüsse (Amiodaron, Lithium, Glukokortikoide, Tyrosinkinase-Inhibitoren)
6. Zusätzliche diagnostische Maßnahmen
- Sonographie (Ultraschall der Schilddrüse)
- Szintigrafie (bildgebendes Verfahren zur Funktionsbeurteilung, insbesondere bei Hyperthyreose oder suspekten Knoten)
- Feinnadelpunktion (Gewebeentnahme bei malignitätsverdächtigen Knoten)
- TRAK-Bestätigungstests, falls erforderlich
7. Zusammenfassung
Die Schilddrüsendiagnostik basiert auf einer Kombination aus Laborparametern und bildgebenden Verfahren. Die korrekte Auswahl und Interpretation der Labortests ermöglicht eine frühzeitige und präzise Diagnostik sowie eine differenzierte Verlaufsbeurteilung bei Erkrankungen der Schilddrüse. Eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Labormedizin, Endokrinologie und Nuklearmedizin ist hierbei essenziell.
8. Diagnostische Entscheidungsfindung – Übersichtstabelle
Diagnostischer Schritt | Laborparameter | Mögliche Befunde | Weiteres Vorgehen |
---|---|---|---|
Screening | TSH | Erhöht: Verdacht auf HypothyreoseErniedrigt: Verdacht auf Hyperthyreose | fT3, fT4 bestimmen |
Funktionsdiagnostik | fT3, fT4 | fT4/fT3 erhöht: HyperthyreosefT4/fT3 erniedrigt: Hypothyreose | Autoantikörper messen |
Autoimmunitätsabklärung | TPO-AK, TAK, TRAK | TPO-AK/TAK positiv: HashimotoTRAK positiv: Morbus Basedow | Bildgebung erwägen |
Tumordiagnostik | Calcitonin, Tg | Erhöht: Verdacht auf Karzinom | Sonographie, ggf. Feinnadelpunktion |
Spezielle Fragestellungen | rT3, PTH, Jod im Urin | rT3 erhöht bei NTISPTH, Jod je nach Fragestellung | Grunderkrankung behandeln bzw. Jodzufuhr anpassen |
Literatur
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