Medikamentöse Therapie
Diabetes mellitus Typ 1

Ein Therapieziel

Glucose

BZ nüchtern/präprandial 90-130 mg/dl (5,0-7,2 mmol/l)
BZ 1-2 h postprandial
(nach der Mahlzeit)
< 180 mg/dl (< 10 mmol/l)
HbA1c < 7,5 % (bis 6 %, wenn keine Risiken für gehäufte Hypoglykämien/Unterzuckerungen vorliegen; die meisten Leitlinien empfehlen einen HbA1c-Wert von weniger als 7,0 Prozent, die nicht einmal jeder 10. Patient auf Dauer erreicht; siehe dazu unter Diabetes mellitus Typ 1/Folgeerkrankungen/Prognosefaktoren)
Zu Hypoglykämien kommt es, wenn der Patient vor den Mahlzeiten zu viel Insulin spritzt oder den nächtlichen Bedarf überschätzt.

Weitere Parameter

Parameter Zustand Therapieziel
Lipide
(Blutfette)
Patienten ohne mikro- oder makrovaskuläre Erkrankung
  • Gesamtcholesterin < 200 mg/dl (< 5,7 mmol/l)
  • LDL < 100 mg/dl (< 2,6 mmol/l)
  • HDL > 35 mg/dl (> 0,9 mmol/l)
  • Nüchtern-Triglyceride < 150 mg/dl (< 3,9 mmol/l)
  Patienten mit mikro- oder makrovaskulärer Erkrankung
  • Gesamtcholesterin < 170 mg/dl (< 4.4 mmol/l)
  • LDL < 100 mg/dl (< 2,6 mmol/l)
  • HDL > 40 mg/dl (> 1,0 mmol/l)
  • Nüchtern-Triglyceride < 150 mg/dl (< 3,9 mmol/l)
  Patienten mit Triglyceriden > 1.000 mg/dl
  • Triglyceride akut < 400 mg/dl (< 10,3 mmol/l),
  • unter Dauertherapie < 150 mg/dl (< 3,9 mmol/l)
Blutdruck
Patienten mit arterieller Hypertonie/Bluthochdruck
  • < 130 mmHg/ < 80 mmHg
Gewicht BMI
  • ≤ 25 kg/m2

Therapieempfehlungen 

  • Intensivierte Insulintherapie, Therapie der ersten Wahl
  • Siehe auch unter "Weitere Therapie".

Insulintherapie:

  • Basalunterstützte orale Therapie (BOT)
    • Basalinsulin in Kombination mit oralen Antidiabetika
    • Ggf. mit GLP-1-Rezeptoragonisten
  • Supplementäre Insulintherapie mit präprandialen ("nach den Mahlzeiten") Injektionen ohne Basalinsulin (SIT)
    • Ggf. orale Antidiabetika beibehalten
  • Konventionelle Insulintherapie (CT)
    • Starres Injektionsschema: Gabe von Insulinmischung (meist 1/3 Normalinsulin, 2/3 Intermediärinsulin)
    • 2 x tgl. (morgens, abends) ≈ 2/3 der Gesamtmenge, 30 Min. vor Frühstück,≈ 1/3, 30 Min. vor Abendessen
      • morgens: Normalinsulin (Abdeckung des Frühstück), Intermediärinsulin (für Basisbedarf + Mittagessen)
      • abends: Normalinsulin (Abdeckung des Abendessens), Intermediärinsulin (Basisbedarf)
    • keine Flexibilität
    • Indikationen: ältere und unselbstständige Patienten (wg. schlechter Compliance)

Intensivierte konventionelle Insulintherapie (ICT), Therapie der ersten Wahl

  • Basaler Insulinspiegel: Deckung des Basalbedarfes über Verzögerungsinsulin/Intermediärinsulin (Dosis wird individuell festgelegt; Gabe spätabends, evtl. zusätzlich frühmorgens)
  • Mahlzeitenbezogener Insulinbedarf: Mahlzeitenadaptiertes Spritzen von Altinsulin (je nach Appetit, Blutzucker, Zeit, körperlicher Belastung) durch gut geschulten Patienten
  • Intensivierte Insulintherapie:
    • mind. 3 Insulininjektionen pro Tag
    • Substitution wie folgt:
      • Basaler Insulinspiegel: basaler Insulinbedarf mit langwirkendem Basalinsulin/Verzögerungsinsulin (1 x /d)
      • Mahlzeitenbezogener Insulinbedarf: prandialer (mahlzeitenbezogener) Insulinbedarf mit kurzwirksamen "Bolusinsulin"
    • Durchführung mit: Insulinspritze, Insulinpens oder Insulinpumpen
    • flexible Insulingaben je nach Situation.

Falls unter intensivierter konventioneller Insulintherapie (ICT) Therapieziele nicht erreichbar, dann: 

    • Sensor-System zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) sowie Insulinpumpe oder
    • System zur automatisierten Insulindosierung (AID, Synonym: Closed Loop)

Insulinpumpentherapie (PT)

  • Basaler Insulinspiegel: Zufuhr einer kontinuierlichen Menge an Altinsulin s.c. als Basalbedarf
  • Mahlzeitenbezogener Insulinbedarf: Bolus Altinsulin zu Mahlzeiten; Anpassung der Dosis an den aktuellen Blutzuckerspiegel und Energiegehalt der Nahrung
  • Indikationen: häufige Hypoglykämien (Unterzuckerungen), stark schwankende Blutzuckerwerte, schlecht einstellbarer Diabetes mellitus während der Schwangerschaft (Gestationsdiabetes), geplante Schwangerschaft bei Typ 1-Diabetikerinnen
  • Patienten, die mit einer Insulinpumpe versorgt werden, haben ein niedrigeres Mortalitätsrisiko (Sterberisiko) als Patienten, die selbst spritzen [1]

Beachte: 

  • Bei häufigen Hypoglykämien (Unterzuckerungen) oder bei rezidivierenden schweren Hypoglykämien unter ICT mit CGM sollte der Einsatz einer Insulinpumpentherapie mit AID-Algorithmus angeboten werden [S3-Leitlinie].
  • Sollten Therapieziele bei Typ-1-Diabetes nicht anders erreichen, sollten Betroffene künftig ein System zur automatisierten Insulindosierung (AID) bekommen [S3-Leitlinie]

Automatisierte Insulindosierung (AID, Synonym: Closed Loop)

  • Inzwischen gibt es ein „closed loop“ (einen geschlossenen Kreislauf) aus sensorgestützter Glucosemessung und Insulinpumpe. Dabei wird die Insulinabgabe durch Echtzeit-Glucose Messung automatisch gesteuert ("künstliches Pankreas"/"künstliche Bauchspeicheldrüse").
    Die Qualität der Therapie wird unter anderem an der „time in range“ (TIR) beurteilt. Diese gibt den Anteil der Zeit im Tagesverlauf an, in der die Glucosewerte im gewünschten Bereich von 70-180 mg/dl liegen. Nachfolgend die Ergebnisse im Studienverlauf [7]:
    • TIR-Werte lagen zu Beginn der Studie im Schnitt bei 61 (Verumgruppe) und 59 % (Kontrollgruppe); 6 Monate nach Therapie stiegen die Werte in der Verumgruppe im Schnitt um 10 Prozentpunkte auf 71 %, in der Kontrollgruppe blieben sie im Großen und Ganzen unverändert.
    • Reduktion von HbA1c (Langzeitzucker) sowie von Hyper- und Hypoglykämiezeiten (Über- und Unterzuckerung)

Patientenempfehlung

  • Regelmäßiges Wechseln der Injektionsstelle vermeidet eine Lipodystrophie (Fettverteilungsstörung; Fettschwund).

Beachte: 

  • Patienten mit einem latenten autoimmunen Diabetes im Erwachsenenalter (LADA) werden weitgehend wie Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 behandelt, benötigen aber meist früher Insulin als Typ-2-Diabetiker ohne Antikörper.
  • In einer Phase-III-Studie konnte gezeigt werden, dass der Calcium-Antagonist Verapamil bei Patienten mit einem neu diagnostiziertem Typ-1-Diabetes die Restfunktion von Insulin über ein Jahr weitgehend erhalten konnte [12].

Wichtige Fakten

  • Täglicher Insulinbedarf ca. 0,5-1,0 I.E./kg/die (durchschnittlich ≈ 40 I.E./d bei Insulinmangel)
  • 1 Broteinheit (BE) ≡ Menge eines Nahrungsmittels, die 12 g Kohlenhydrate enthält; 1 BE ≡ 2 I:E: Insulin: mittags 1 IE und abends 1,5 IE
    Berechnung der notwendigen Insulinmenge = Menge der Broteinheiten pro Mahlzeit multipliziert mit dem sogenannten BE-Faktor; BE-Faktor ≡ Insulinmenge, die der Patient benötigt, um eine Broteinheit ohne Blutzuckeranstieg abzubauen
  • 1 I.E. Normalinsulin senkt den Blutzucker (Bz) um ≈ 30 mg%
  • Dosisanpassung Insulinmenge: (aktueller Bz minus Zielwert (120 mg%)) dividiert durch 30, das Ergebnis multipliziert mal (Quotient: täglicher Insulinbedarf dividiert durch 40)
  • Cave: 1 ml Normalinsulin ≡ 40 I.E:/ml; Insulin für den Pen: 100 I.I./ml!

Weitere Hinweise

  • Hinweise zur Insulinallergie (s. u.)
  • Therapieempfehlungen in unterschiedlichen Situationen (s. u.).
  • Hinweise zur Insulin-begleitenden Therapie mit GLP-1-Analoga (wie Liraglutid) oder SGLT-Inhibitoren (wie Dapagliflozin und Sotagliflozin) (s. u.) [Berichte aus der aktuellen Forschung]
  • CD3-Antikörper Teplizu­mab – kann den Beginn der Insulinpflicht im Frühstadium der Erkrankung um etwa 2 Jahre hinauszögern.
  • Metformin
      • Für das alleinige Therapieziel einer Verbesserung der glykämischen Kontrolle sollte der zusätzliche Einsatz von Metformin nicht erfolgen [S3-Leitlinie].
      • Bei kardiovaskulären Risikofaktoren, Übergewicht/Adipositas und einer Insulinresistenz, kann die zusätzliche Gabe von Metformin wegen vorteilhafter Effekte auf das LDL-Cholesterin, das Körpergewicht sowie auf Surrogatparameter der Arteriosklerose erwogen werden (EG 0) [S3-Leitlinie]

Wirkstoffe (Hauptindikation)

Insulin

Wirkstoff Wirkbeginn  Wirkmaximum  Wirkdauer  Indikationen Besonderheiten
Kurzwirksame Insuline
Normalinsulin 
(= Altinsulin)
15-30 min 1-3 h 5-8 h ICT, PT, 
i.v.-Therapie
< 30 min Spritz-Ess-Abstand
Insulin-Analoga
Insulin lispro
Insulin aspart
Insulin glulisin
5-15 min 1 h 2-3 h ICT Kein Spritz-Ess-Abstand
Verzögerungsinsulin
Intermediärinsulin 45-90 min 4-10 h Max. 24 h Typ 2-Therapie 30-60 min Spritz-Ess-Abstand
Langzeitinsulin 2-4 h 7-20 h 28-36 h ICT 30-60 min Spritz-Ess-Abstand
Insulin-Analoga
Insulin glargin
Insulin detemir
2-4 h  
20 h/
> 24 h
ICT

30-60 min Spritz-Ess-Abstand

Niedrigeres Hypoglykämierisiko; bessere und risikoämere Stoffwechseleinstellung möglich

Kombinationsinsuline
  Je nach genauer Zusammensetzung
von Normal- und Verzögerungsinsulin
CT < 30 min Spritz-Ess-Abstand

Wirkungsweise

Ersatz des fehlenden körpereigenen Insulins: 

  • → Glykogensynthese, Lipidsynthese, Proteinbiosynthese
  • → Glykogenolyse ↓, Gluconeogenese ↓, Proteinolyse ↓, Lipolyse ↓

Add-on-Therapie bei Typ-1-Diabetes

Inkretinmimetika (GLP-1-Rezeptoragonisten)

Wirkstoff Besonderheiten
Liraglutid

mahlzeitenunabhängig subkutan

Im Jahr 2014 wurde eine Fixkombination mit Insulin degludec zugelassen 

  • Wirkweise: Inkretinmimetika erhöhen die Insulinsekretion; nebenbei fördern sie die schnellere Sättigung
  • Nebenwirkungen: gastrointestinal (Übelkeit, Durchfall, Erbrechen); Bauchschmerzen, reduzierter Appetit.
  • Beachte: Das Inkretinmimetikum Liraglutid (Analogon des Hormons Inkretin (GLP-1)) hat in einer tierexperimentellen Studie langfristig die Beta-Zellen ("Burnout" der Beta-Zellen) erschöpft [4].
  • Abnahme des Körpergewichts; gering bessere adäquate Kontrolle des Typ-1-Diabetes; Add-on-Therapie führte nicht zu mehr Hypoglykämien

Gliflozine (SGLT-2-Inhibitoren/SGLT2-Hemmer; SGLT-2-Blocker)

Wirkstoff Besonderheiten
Dapagliflozin

Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz profitieren deutlich [8].

Bei schwerer Leberfunktionsstörung sollte die Therapie mit 5 mg/d begonnen und dann evtl. auf 10 mg gesteigert werden.

Die Insulindosen sind unter Dapagliflozin kontinuierlich zu optimieren!

Seit 2021 ist das Indikationsspektrum von dabei Dapagliflozin erweitert worden: Der SGLT2-Hemmer ist in den Ländern der EU auch zur Behandlung von chronischen Nierenerkrankungen bei Erwachsenen mit und ohne Typ-2-Diabetes zugelassen.

Beachte: Dapagliflozin darf nicht mehr wegen der Gefahr von Ketoazidosen bei Typ-1-Diabetes angewendet werden [10].

Sotagliflozin

kombinierter SGLT1- und -2-Hemmer

Bei einer mittelschweren und schweren Beeinträchtigung der Leberfunktion wird die Anwendung von Sotagliflozin nicht empfohlen.

  • Wirkweise: Selektive Inhibition des Natrium-Glucose-Cotransporters 2 (SGLT-2) um ca. 40-50 % → Hemmung der renalen Glukoseabsorption (Glukosurie beim Gesunden/vermehrte Ausscheidung von Glucose (Traubenzucker) im Urin: 60-70 g/d; beim Diabetiker 80-120 g/d) → Blutzuckersenkung (HbA1c-Senkung), Gewichtsverlust, Blutdruckreduktion
  • Antidiabetika-Gruppe der SGLT-2-Hemmer senkt auch Blutharnstoffwerte.
  • Je geringer die Nierenfunktion, desto geringer ist die Wirkung von SGLT-2-Inhibitoren: Bei Nierenfunktionseinschränkungen nicht indiziert; bei einer GFR von 30-60 ml/min ist nur noch mit einer HbA1c-Senkung von 0,4 % zu rechnen
  • Indikation: Typ-1-Patienten mit einem BMI ≥ 27
  • Kontrainkationen: Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff; Gravidität (wg. Toxizität in Tierversuchen)
  • Nicht empfohlen sind SGLT-2-Hemmer bei Volumenmangel bzw. Diuretikatherapie.
  • Nebenwirkungen: gastrointestinal (Übelkeit), Harnwegsinfektionen, Genitalinfektionen (Vulvitis und Vulvovaginitis bei der Frau sowie Balanitis beim Mann), Rückenschmerzen, Dysurie, Polyurie, Dyslipidämie
  • Patienten sollten ihre Keton-Spiegel selbst messen
  • US-Arzneibehörde warnt vor dem möglichen Auftreten einer schweren Ketoazidose unter der Therapie mit SGLT2-Inhibitoren wie Canagliflozin, Dapagliflozin und Empagliflozin [5]
  • AkdÄ Drug Safety Mail | 07–2017|: Information des BfArM zu SGLT-2-Inhibitoren: möglicherweise erhöhtes Risiko für Amputationen der unteren Extremitäten.
    Die US-Arzneimittelbehörde FDA kommt in einer neuen Bewertung des Antidiabetikums zum Ergebnis, dass das Amputationsrisiko unter der Behandlung mit Canagliflozin doch nicht so hoch ist wie bisher angenommen [9].
  • Dapagliflozin: Abnahme des Körpergewichts; gering bessere adäquate Kontrolle des Typ-1-Diabetes; Patienten hatten ein erhöhtes Risiko für eine diabetische Ketoazidose; Anstieg von Genitalinfektionen (bereits bekannt bei der Therapie mit SGLT-Inhibitoren bei Typ-II-Diabetes

Therapie in besonderen Situationen

Körperliche Aktivität

Sport und schwere körperliche Arbeit führen zu einer vermehrten Aufnahme von Glucose durch die Muskelzellen, wobei dies weitgehend insulinunabhängig ist. Daher müssen je nach Intensität der Aktivität die Insulindosis vor einer geplanten Aktivität um bis zu 50 % verringert werden, oder es müssen 2-4 zusätzliche Kohlenhydratportionen (Broteinheiten; BE) zusätzlich verzehrt werden.

Nach einer solchen Aktivität kann die Glucoseaufnahme und -verbrennung durch die Muskeln noch für Stunden insulinunabhängig aufrechterhalten werden, sodass die Insulindosis angepasst werden muss.

Um sportinduzierte Hyper- bzw. Hypoglykämien (Über- und Unterzuckerung) zu vermeiden, sollten Typ-1-Diabetiker:

  • Blutzuckerspiegel vor, während und nach dem Sport messen
  • Beginn der sportlichen Betätigung verzögern, wenn der Blutzuckerspiegel über 14 mmol/l (250 mg/dl) oder unter 5,5 mmol/l (100 mg/dl) liegt
  • Insulin in ein durch die körperliche Aktivität nicht beanspruchtes Gebiet injizieren
  • Ggf. Zufuhr zusätzlicher Kohlenhydrate, wenn eine Anpassung der Insulin-Dosis nicht mehr möglich ist

Adipositas

  • Bei Patienten mit Typ-1-Diabetes, die eine Adipositas und damit häufig zusätzlich einen Typ-2-Diabetes entwickelt haben, können Inkretinmimetika Semaglutid und Tirzepatid das Körpergewicht senken [13]. 
    Die „Off Label-Behandlung" geht mit Risiken einher: Die Behandlung führt dazu, dass der tägliche Insulinbedarf absinkt, was schnell zur Überdosierung und Hypoglykämie (Unterzuckerung) führen kann.

Akute oder chronische Infekte

Diese erhöhen durch den katabolen Zustand den Insulinbedarf, die die Diabeteseinstellung somit erheblich erschwert. In einem solchen Fall muss die Insulindosis in Abhängigkeit von den Blutzuckerwerten schrittweise gesteigert werden, um die Blutzuckerwerte wenigstens in einem Bereich von 8,3-11,1 mmol/l (150-200 mg/dl) zu halten zu können. Nicht selten ist hierzu ein Mehrbedarf von 50-100 % erforderlich. Eine vollständige Normalisierung der Blutglucose gelingt hierbei fast nie und ist in einer solchen Situation auch nicht erforderlich. Mit Abklingen der Infektion muss auch die Insulindosis wieder schrittweise reduziert werden.

Es darf auf keinen Fall der Fehler begangen werden, überhaupt kein Insulin zu verabreichen, falls der Patient krankheitsbedingt die Nahrungsaufnahme verweigert. Dies ist ein häufiger Fehler, den Patienten und Angehörige machen und sollte gesondert in den Schulungen vermittelt werden.

Insulinallergie

  • Kriterien für eine Insulinallergie sind [11]:
    • Wiederkehrende lokale oder systemische Reaktionen
      • sofort nach der Injektion (Typ-I-Allergie: Urtikaria; Larynxödem) oder
      • verzögert (Typ-IV-Reaktion: subkutane, nicht juckende Knoten)
    • jede Insulingabe führt zu diesen Reaktionen
    • um die Injektionsstelle zentrierte Reaktionen
    • Reaktion auch nachweisbar unter Insulinprovokation unter ärztlicher Aufsicht
  • In 95 % der Fälle mit Verdacht auf Insulinallergie ist keine allergische Komponente die Ursache der Symptome [2]
  • Maßnahmen bei Insulinallergie (modifiziert nach Jaquier et al. 2013) [3]
    • Schweregrad: leicht
      • Untersuchungen: Ausschließen schadhafter Nadeln; Reaktion auf Insulin bestätigen
      • Maßnahmen: ggf. Austausch der Nadeln und/oder des Insulinpräparates; bei Bedarf Antihistaminikum
    • Schweregrad: moderat
      • Untersuchungen (zusätzlich zu oben):
        • Gesamt IgE
        • Insulinspezifisches IgE
        • Latexspezifisches IgE
        • Glucose und C-Peptid (bei Bedarf)
      • Maßnahmen:
        • Regelmäßige Einnahme nicht sedierender Antihistaminika: Loratadin, Desloratadin, Cetirizin
        • Topische Steroide
        • Inhalierbare Beta-Agonisten bei Bronchospasmus
    • Schweregrad: schwer bzw. persistierend
      • Untersuchungen (zusätzlich zu oben):
        • Prick- oder intradermaler Hauttest
        • C1-Inhibitor
        • Komplementfaktoren
        • Ausschließen von viralen und bakteriellen Infektionen als Ursache der Urtikaria (Hepatitis B, CMV, EBV)
        • Ggf. Dermatologen / Rheumatologen / Immunologen / konsultieren
      • Maßnahmen:
        • H1- und H2-Antihistaminika (Loratadin + Ranitidin)
        • Ggf. Insulin i.v. kurzzeitig
        • Insulinpumpentherapie mit oder ohne Hydrocortison
        • Hyposensibilisierung 
        • Systemische Steroide; Leukotrienrezeptorantagonist; Omalizumab (anti-IgE-monoklonale Antikörper); systemische Immunsuppression
        • Pankreastransplantation
      • Stufentherapie der Insulinallergie [11]
        • versuchen, das Insulin durch ein orales Antidiabetikum oder einen GLP1-Antagonisten zu ersetzen.
        • andere Insulinformulierung ausprobieren
        • bei sofort-Typ Allergie: Antihistaminikum
        • Wechsel auf eine Insulinpumpentherapie

Perioperative Betreuung

Chirurgische Eingriffe bei Diabetikern sind unter enger Abstimmung des Chirurgen, des Anästhesisten und des Internisten zu planen.

Folgende Vorgehensweise hat sich bei insulinspritzenden Diabetikern bewährt:

  • Operation so früh wie möglich am Tag
  • Blutzuckerkontrolle alle 1-2 Stunden (Ziel: 6,7-11,1 mmol/l/120-200 mg/dl)
  • Ggf. Glukoseinfusion/Insulin i.v. (je nach klinikinternem Schema)
  • Kaliumkontrolle im Serum
  • Postoperativ Rückkehr zum ursprünglichen Behandlungsregime, sobald der Patient essen kann

Schwangerschaft

Eine Schwangerschaft bei Typ-1-Diabetikerinnen erfordert eine genaue Planung und strikte Einhaltung der therapeutischen Maßnahmen. Für Diabetikerinnen mit Kinderwunsch ist eine Normalisierung des HbA1c und eine intensivierte Insulintherapie anzustreben. Insbesondere bei der Konzeption – am besten schon vor der Konzeption – und im ersten Trimenon (Schwangerschaftsdrittel) muss der Stoffwechsel sehr gut eingestellt sein, da sonst das Risiko für fetale Missbildungen vier- bis zehnfach erhöht ist!

Therapie der „Hypercholesterinämie“ für die Sekundär- und Primärprävention

Eine Indikation für eine Statintherapie besteht (gemäß Leitlinien des American College of Cardiology und der American Heart Association; November 2013) für:

  • Patienten mit kardiovaskulären Erkrankung unabhängig vom LDL-Wert
  • Personen mit LDL-Werten ab ≥ 4,9 mmol/l (≥ 190) mg/dl
  • Diabetiker im Alter von 40-75 Jahren
  • Patienten mit einem kardiovaskulären 10-Jahres-Risiko ab 7,5 % und ab einem LDL-Wert von 170 mg/dl

Spezifische therapeutische Maßnahmen bei diabetischen Folgeerkrankungen

Siehe dazu unter den gleichnamigen Themen: 

  • Diabetischer Fuß
  • Diabetische Nephropathie (Nierenerkrankung)
  • Diabetische Polyneuropathie (Erkrankung des peripheren Nervensystems)
  • Diabetische Retinopathie (Netzhauterkrankung)

Supplemente (Nahrungsergänzungsmittel; Vitalstoffe)

Geeignete Nahrungsergänzungsmittel für die Gesundheit von Herz und Gefäßen sollten die folgenden Vitalstoffe enthalten:

  • Vitamine (A, C, E, D3, B1, B2, Niacin (Vitamin B3), Pantothensäure (Vitamin B5), B6, B12, Folsäure, Biotin)
  • Mineralstoffe (Kalium, Magnesium)
  • Spurenelemente (Chrom, Molybdän, Selen, Zink)
  • Fettsäuren (Omega-3-Fettsäuren: Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA); Omega-6-Fettsäure: Gamma-Linolensäure (GLA))
  • Sekundäre Pflanzenstoffe (Beta-Carotin, Traubenkern- und Olivenpolyphenole)
  • Weitere Vitalstoffe (Coenzym Q10 (CoQ10), Fruchtsäuren – Citrat (gebunden in Magnesium- und Kaliumcitrat), probiotische Kulturen: Laktobazillen, Bifidobakterien)

Beachte: Die aufgeführten Vitalstoffe sind kein Ersatz für eine medikamentöse Therapie. Nahrungsergänzungsmittel sind dazu bestimmt, die allgemeine Ernährung in der jeweiligen Lebenssituation zu ergänzen.

Für Fragen zum Thema Nahrungsergänzungsmittel stehen wir Ihnen gerne kostenfrei zur Verfügung.

Nehmen Sie bei Fragen dazu bitte per E-Mail – info@docmedicus.de – Kontakt mit uns auf, und teilen Sie uns dabei Ihre Telefonnummer mit und wann wir Sie am besten erreichen können.

Literatur

  1. Analyse des schwedischen Diabetes-Registers: Study shows users of insulin pumps are at 29 percent lower risk of death compared with patients on insulin injections. Diabetologia 16-Sep-2014 46-707-777-323
  2. Bodtger U, Wittrup M: A rational clinical approach to suspected insulin allergy: status after 5 years and 22 cases. Diabet Med 2005; 22:102-106.
  3. Jacquier J, Chik Cl, Senior PA: A practical, clinical approach to the assessment and management of suspected Insulin allergy. Diabet Med 2013; 30:977-985.
  4. Abdulreda MH et al.: Liraglutide Compromises Pancreatic b Cell Function in a Humanized Mouse Model. Cell Metabolism 23, 1–6 March 8, 2016. http://dx.doi.org/10.1016/j.cmet.2016.01.009
  5. FDA Drug Safety Communication: FDA revises labels of SGLT2 inhibitors for diabetes to include warnings about too much acid in the blood and serious urinary tract infections. FDA Posted 12/04/2015
  6. FDA Drug Safety Communication: FDA warns about rare occurrences of a serious infection of the genital area with SGLT2 inhibitors for diabetes. Posted 08/29/2018
  7. Brown SA et al.: Six-Month Randomized, Multicenter Trial of Closed-Loop Control in Type 1 Diabetes N Engl J Med. October 16, 2019 doi: 10.1056/NEJMoa1907863
  8. Heerspink HJL et al.: Rationale and protocol of the Dapagliflozin And Prevention of Adverse outcomes in Chronic Kidney Disease (DAPA-CKD) randomized controlled trial. Nephrol Dial Transplant. 2020 Feb 1;35(2):274-282. doi: 10.1093/ndt/gfz290.
  9. FDA: Invokana, Invokamet, Invokamet XR (canagliflozin): MedWatch Safety Alert - Boxed Warning about Risk of Leg and Foot Amputations Removed. [Posted 08/26/2020]
  10. Rote-Hand-Brief zu Forxiga® (Dapagliflozin) 5 mg: Das Arzneimittel darf nicht mehr zur Behandlung von Typ-1-Diabetes angewendet werden. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte 29.10.2021
  11. Sola-Gazagnes A et al.: Insulin allergy: a diagnostic and therapeutic strategy based on a retrospective cohort and a case-control study Diabetologia . 2022 May 4. doi: 10.1007/s00125-022-05710-9
  12. Forlenza G et al.: Effect of Verapamil on Pancreatic Beta Cell Function in Newly Diagnosed Pediatric Type 1 Diabetes A Randomized Clinical Trial JAMA. Published online February 24, 2023. doi:10.1001/jama.2023.2064
  13. Garg SK et al.: Efficacy of Semaglutide in Overweight and Obese Patients with Type 1 Diabetes. Diabetes Technology & Therapeutics :1 Feb 2024 https://doi.org/10.1089/dia.2023.0490

Leitlinien

  1. S3-Leitlinie: Therapie des Typ-1-Diabetes. (AWMF-Registernummer: 057-013), September 2023 Langfassung

     
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