Ursachen
Knochenbruch (Fraktur)

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Der gesunde Knochen hält den auf ihn einwirkenden Druck-, Scher- und Biegungskräfte ohne Probleme stand. Erst wenn bei entsprechendem Trauma die elastischen Eigenschaften überfordert sind entsteht eine traumatische Fraktur. Dabei kann direkte Gewalteinwirkung, z. B. durch einen Schlag oder Stoß, oder auch durch indirekte Gewalteinwirkung z. B. durch frakturferne Hebelwirkung zum Knochenbruch führen.

Ein sogenannter Ermüdungsbruch entsteht durch wiederholte Überlastung bzw. durch mehrfache Mikrotraumen eines Knochens. Hier ist die sogenannte Schipperkrankheit zu nennen: Bei ungewohnter stark belastender Schaufelarbeit kommt es durch ein Missverhältnis von Muskelzug und Knochenstabilität zur Abriss- bzw. Ermüdungsfraktur der Dornfortsätze der unteren Halswirbel und/oder oberen Brustwirbel. Ein weiteres Beispiel ist die Marschfraktur (Bruch eines Mittelfußknochens).

Die pathologische Fraktur ist ein Knochenbruch, der ohne adäquates Trauma bzw. nach inadäquatem Trauma, aufgrund einer erkrankungsbedingten Schwächung des Knochens entsteht.

Von einer Spontanfraktur wird gesprochen, wenn eine Fraktur ohne Trauma vorliegt. Die Ursachen hierfür sind vielfältig, z. B. können generalisierte sowie lokale Skeletterkrankungen, die mit einer Verschlechterung der Knochenqualität einhergehen, eine Knochengewebeverminderung (z. B. bei Osteoporose), lokale Osteolysen (räumlich umschriebene Auflösung oder Degeneration des Knochengewebes, z. B. durch Knochenmetastasen oder Osteomyelitis/Knochenmarkentzündung), sowie eine mangelhafte Mineralisation (z. B. bei Osteomalazie/Knochenerweichung) verantwortlich sein.

Sogenannte Grünholzfrakturen sind Frakturen bei Kindern oder Jugendlichen, die durch einen Bruch des Knochens mit erhaltenem Periost (Knochenhaut) gekennzeichnet sind. Das sehr dicke unverletzte Periost schient in einem solchen Fall die Fraktur.

Nach ihrer Entstehung können Frakturen folgendermaßen beschrieben werden:

Verlauf der Frakturlinie/ Art der Gewalteinwirkung

  • Schubfraktur/Abscherfraktur – Direkte Gewalteinwirkung mit hoher kinetischer Energie
  • Biegungsfraktur – Direkte oder indirekte Gewalteinwirkung insbesondere auf lange Röhrenknochen
  • Torsionsfraktur (Dreh-, Rotations-, Spiral- oder Schraubenfraktur) – spiraliger Frakturlinienverlauf durch gegenläufige indirekte Gewalteinwirkung
  • Kompressionsfraktur/Stauchungsfraktur – z. B. an Wirbelkörpern durch axial gerichtete Druckkraft
  • Riss- bzw. Abrissfraktur – sehnennaher Abriss eines Knochenfragments, durch Zugkraft
  • Defektfraktur – z. B. durch eine Schussverletzung

Fragmentanzahl

  • Einfache Fraktur – zwei Fragmente
  • Mehrfragmentfraktur – Splitterfraktur, Etagenfraktur, Trümmerbruch, Kettenfraktur (Sequenz mehrerer Frakturen an einer Extremität bis zum Körperstamm)

Dislokation

  • Dislocatio ad axim – Knick in der vertikalen Achse
  • Dislocatio ad longitudinem cum contractione oder distractione – Längsverschiebung mit Verkürzung oder Verlängerung der Gesamtlänge
  • Dislocatio ad latus – Verschiebung (seitlich)
  • Dislocatio ad peripheriam – Rotation der Fragmente um die vertikale Achse

Beteiligung von Weichteilen und Haut

  • geschlossene Fraktur – keine Verletzung von Haut und Weichteilen
  • offene Fraktur – Verletzung von Haut und Weichteilen:
    • Grad 1: Austritt eines Knochenfragments
    • Grad 2: große Hautverletzung ohne Weichteilbeteiligung
    • Grad 3: großflächige Hautzerstörung mit Weichteilschädigung (Muskulatur, Sehen, Blutgefäße, Nerven)
    • Grad 4: subtotale oder totale Amputation

AO-Klassifikation (siehe Einleitung)
Art der Kontinuitätsunterbrechung

  • vollständige Fraktur
  • unvollständige Fraktur

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung
    • Genetische Erkrankungen
      • Morbus Gaucher – genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang; Lipidspeicherkrankheit durch den Defekt des Enzyms Beta-Glukozerebrosidase, die zu einer Speicherung von Cerebrosiden vor allem in der Milz und den markhaltigen Knochen führt; klinisches Bild: Splenomegalie (Milzvergrößerung), kombiniert mit einer Anämie (Blutarmut) und/oder Thrombozytopenie (krankhafte Verminderung der Thrombozyten/Blutplättchen)
      • Osteogenesis imperfecta (OI) – genetische Erkrankungen mit autosomal-dominantem Erbgang, seltener auch autosomal-rezessivem Erbgang; es werden 7 Typen der Osteogenesis imperfecta differenziert; Hauptmerkmal der OI Typ I ist ein verändertes Kollagen, was zu einer abnorm hohen Knochenbrüchigkeit führt (Glasknochenkrankheit)
      • Osteopetrose (Marmorknochenkrankheit/ Osteopetrosis familiaris/ Osteosclerosis congenita) – genetische Erkrankungen mit sowohl autosomal-dominantem als auch autosomal-rezessivem Erbgang; Störung des Knochenabbaus und hierdurch zu einer pathologischen (krankhaften) Anhäufung von Knochenmatrix im Körper
  • Lebensalter – Die Sturzhäufigkeit und damit nimmt das Frakturrisiko im Alter zu.
  • Hormonelle Faktoren – Da bei Frauen das Osteoporoserisiko aufgrund des postmenopausalen Östrogenmangels sehr hoch ist, steigt auch das Risiko pathologischer Frakturen.

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Alimentäre Osteopathie (ernährungsbedingte Knochenerkrankung/ Hungerosteopathie durch Mangelernährung (Calcium-, Calciferol- und Proteinmangel)
    • Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – siehe Prävention mit Mikronährstoffen
  • Genussmittelkonsum
    • Alkohol 
    • Tabak (Rauchen) [5] – Rauchen führt zu einer beschleunigten Osteoporose und einem erhöhten Frakturrisiko (+20 %).
  • Körperliche Aktivität
    • Körperliche Inaktivität – Körperliche Aktivität fördert die Knochenstabilität, Immobilisierung führt zu Osteopenie (Minderung der Knochendichte).
    • Schwere körperliche Arbeit (+9 %) [5] (Arbeitsunfälle?)
  • Übergewicht (BMI ≥ 25) – Adipositas begünstigt degenerative Knochen- und Gelenkerkrankungen.

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Atopisches Ekzem (AE) (Synonym: atopische Dermatitis (AD)) –  höhere Frakturinzidenz bei Patienten mit einem AE (Hazard Ratio 1,10); Frakturen an der Wirbelsäule (1,19), Hüfte (1,10), Becken (1,10) und Handgelenk (1,07); bei Patienten mit einem leichten AE stieg das Risiko für eine Wirbelsäulenfraktur um 6 %, bei mäßiggradigem AE um 22 % und bei schwerem AE um 109 % [6].
  • Diabetes mellitus, Typ 1 und Typ 2 – Anstieg des Risikos für Hüftfrakturen bei Patienten mit Typ-1-Diabetes (Risikoverhältnis [RR] = 4,93; 95 % -Konfidenzintervall [CI], 3,06-7,95) als auch Typ-2-Diabetes (RR = 1,33; 95 % CI, 1,19-1,49); erhöhtes Risiko für nicht-vertebrale Frakturen (Knochenbrüche, die nicht die Wirbelsäule betreffen) bei Patienten mit Typ 1 (RR = 1,92; 95 % CI, 0,92-3,99) und Typ 2-Diabetes (RR = 1,19; 95 % CI, 1,11-1,28) [3].
  • Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises (z. B. Spondylitis ankylosans/ Morbus Bechterew)
  • Erkrankungen des hämatopoetischen (blutbildenden) Systems
  • Gorham-Osteolyse – Osteolyse (Knochenauflösung) nach traumatischer Einwirkung auf den Knochen
  • Jaffé-Lichtenstein-Syndrom (Osteofibrosis deformans juvenilis; fibröse Dysplasie) – Systemerkrankungen des Skeletts, die in der Kindheit beginnt und die nur einen Knochen befallen (monostotisch) und mehrere Knochen befallen (polyostotisch) kann. Durch Markfibrose (krankhafte Vermehrung des Bindegewebes) und Spongiosierung (porös-schwammartiger, krankhafter Umbau des Knochengewebes) der Kompakta (äußere Randschicht des Knochens) verlieren die betroffenen Knochen an Tragfähigkeit; sporadisches Auftreten
  • Intestinale Osteopathie – Skelettveränderungen infolge Malabsorption (Störung der Nahrungsresorption)
  • Knochentumoren (benigne (gutartige) und maligne (bösartige))
  • Knochenzysten
  • Metastasen (Tochtergeschwülste)
  • Malignome (bösartige Tumoren) 
    • In den ersten Jahren nach einer Krebsdiagnose ist das Frakturrisiko um mehr 57 % erhöht; dies gilt insbesondere für Personen mit Metastasen (Tochtergeschwülsten) und nach einer Chemotherapie. Dagegen wird das Risiko für Knochen- und Wirbelfrakturen durch viel Bewegung vermindert [8].
    • Besonders eine fortgeschrittene Erkrankung, Rauchen, wenig Bewegung und eine Chemotherapie erhöhen die Gefahr für Frakturen [9].
    • Metastasen
    • Maligne Knochentumoren
    • Plasmozytom (Synonyme: (multiples Myelom, Morbus Kahler)
  • Morbus Paget bzw. Paget-Syndrom (Synonyme: Osteodystrophia deformans, Paget-Krankheit, Morbus Paget) – Erkrankung des Skelettsystems, bei der es allmählich zu einer Verdickung mehrerer Knochen, meist der Wirbelsäule, des Beckens, der Extremitäten oder des Schädels kommt
  • Osteoporose (Knochenschwund) → Fragilitätsfraktur
  • Osteomyelitis (Knochenmarkentzündung)
  • Osteomalazie (Knochenerweichung) – Mineralisationsstörung des Knochens z. B. Störungen im Vitamin-D-Stoffwechsel
  • Osteitis/ Ostitis (Knochenentzündung)
  • Osteosklerose – Verdichtung des Knochengewebes mit Elastizitätsverlust
  • Renale (ren – Niere) Osteodystrophie/ Rachitis renalis – Störung des Vitamin-D-Stoffwechsels bzw. Angriff des Knochens durch Anschoppung harnpflichtiger Substanzen
  • Plasmozytom (Synonyme: multiples Myelom, Morbus Kahler); bösartiger Tumor der Plasmazellen)
  • Sekundärer Hyperparathyreoidismus (Nebenschilddrüsenüberfunktion)

Medikamente (frakturbegünstigende Medikamente (fracture-associated drugs, FAD))

  • FAD und Geschlecht [2]:
    • Frauen: Antipsychotika der ersten Generation (HR 1,54); Opioide (HR 3,26); Antiparkinsonmitteln (HR 3,29); riskante Kombinationen sind: Opioid + Hypnotika, Opioid + Schleifendiuretikum, Opioid + Protonenpumpenhemmer, SSRI + Opioid, Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (Selective Serotonin Reuptake Inhibitor, SSRI+ Benzodiazepin, SSRI + Schleifendiuretikum (harntreibende Medikamente, die an der Henleschen Schleife, einem Teil des harnbildenden Systems der Nieren, wirken); Nitrat + Schleifendiuretikum
    • Männer: Hypnotika (HR 1,51); Opioide (HR 3,83); Antiparkinsonmitteln (HR 4,23); riskante Kombinationen sind: Opioid + Schleifendiuretikum, Opioid + PPI, Opioid + SSRI, Nitrat + Schleifendiuretikum
  • Antidepressiva (Amitriptylin, Imipramin) haben ein erhöhtes Risiko für Hüftfrakturen bei älteren Patienten
  • Glitazone – Gruppe von oralen Antidiabetikern, die bei Frauen zu einem erhöhten Frakturrisiko geführt haben und deswegen vom Markt genommen wurden.
  • Hormone
    • Antiandrogene (Enzalutamid, Apalutamid und Darolutamid) in der Behandlung des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms: für alle Stürze ein relatives Risiko (RR) von 1,8, das mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 1,42 bis 2,24 signifikant war. Für die schweren Stürze (Grad 3 oder höher) betrug das relative Risiko 1,6 (1,27 bis 2,08) [4].
  • Opioide – besonders hohes Frakturrisiko in den ersten Tagen nach Behandlungsbeginn (8-faches Risiko); unter der Opioid-Therapie ist die Frakturinzidenz fast 4-fach so hoch wie in opioidfreien Zeiten [7]
  • Protonenpumpenhemmer (Protonenpumpeninhibitoren, PPI; Säureblocker) – erhöhtes Risiko (fünf Ergebnisse pro 10.000 Patientenjahre) für eine proximale Femurfraktur (Hüftfraktur) nach Langzeitanwendung [1]
  • Medikamente, die eine Osteoporose begünstigen (siehe unter "Osteoporose durch Medikamente")

Röntgenstrahlen

  • Osteoradionekrose (Knochenzerstörung durch Strahlung)

Weiteres

  • Körperliche Misshandlung

Literatur

  1. Khalili H et al.: Use of proton pump inhibitors and risk of hip fracture in relation to dietary and lifestyle factors: a prospective cohort study. BMJ 2012; 344; e372
  2. Emeny RT et al.: Association of Receiving Multiple, Concurrent Fracture-Associated Drugs With Hip Fracture Risk. JAMA Netw Open. 2019;2(11):e1915348. doi:10.1001/jamanetworkopen.2019.15348
  3. Vilaca T et al.: The risk of hip and non-vertebral fractures in type 1 and type 2 diabetes: A systematic review and meta-analysis update. ScienceDirect Bone 2020;137, 115457 https://doi.org/10.1016/j.bone.2020.115457
  4. Myint ZW et al.: Evaluation of Fall and Fracture Risk Among Men With Prostate Cancer Treated With Androgen Receptor Inhibitors A Systematic Review and Meta-analysis JAMA Netw Open. 2020;3(11):e2025826. doi:10.1001/jamanetworkopen.2020.25826
  5. Rogmark C et al.: Physical Activity and Psychosocial Factors Associated With Risk of Future Fractures in Middle‐Aged Men and Women JBMR 18 February 2021 https://doi.org/10.1002/jbmr.4249
  6. Lowe KE, Mansfield KE, Delmestri A et al.: Atopic eczema and fracture risk in adults: a population based cohort study. J Allergy Clin Immunol.
    2020 Feb;145(2):563-571.e8. doi: 10.1016/j.jaci.2019.09.015.
  7. Peach EJ et al.: Opioids and the Risk of Fracture: a Self-Controlled Case Series Study in the Clinical Practice Research Datalink American Journal of Epidemiology, kwab042, 19 February 2021 https://doi.org/10.1093/aje/kwab042
  8. Rees-Punia E et al.: Fracture Risk Among Older Cancer Survivors Compared With Older Adults Without a History of Cancer, JAMA Oncol 2022; https://doi.org/10.1001/jamaoncol.2022.5153
  9. Rees-Punia E et al.: Fracture Risk Among Older Cancer Survivors Compared With Older Adults Without a History of Cancer JAMA Oncol. Published online November 3, 2022. doi:10.1001/jamaoncol.2022.5153
     
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