Schielwinkelmessung (Strabismuswinkelmessung)
Die Schielwinkelmessung (medizinisch: Strabismuswinkelmessung) dient der quantitativen Bestimmung des Ausmaßes einer okulären Fehlstellung (Schielen). Sie ist ein zentrales diagnostisches Verfahren in der Augenheilkunde und Orthoptik zur Beurteilung der Abweichung eines oder beider Augen von der physiologischen Sehachse. Die präzise Messung des Schielwinkels ist essenziell für die Planung konservativer und operativer Therapien sowie zur Verlaufskontrolle.
Zielsetzung und Zweck
- Diagnose eines manifesten oder latenten Strabismus (sichtbares oder verborgenes Schielen)
- Quantifizierung der Abweichung zur Verlaufskontrolle oder Therapieplanung
- Prä- und postoperative Evaluierung bei operativer Schielkorrektur
- Beurteilung binokularer Funktionen (Zusammenspiel beider Augen), insbesondere Fusion und Stereopsis (räumliches Sehen)
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Auffälliges oder subjektiv empfundenes Schielen
- Visuelle Doppelbilder (Diplopie)
- Asthenopische Beschwerden (Augenbrennen, Kopfschmerzen, Sehschwäche)
- Visusverschlechterung (Sehverschlechterung) unklarer Ursache (insbesondere im Kindesalter)
- Verlaufskontrolle bei konservativer oder operativer Schielbehandlung
- Screening bei familiärer Disposition zu Strabismus
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Keine absoluten Kontraindikationen; relative Einschränkungen ergeben sich bei
- mangelnder Compliance (z. B. bei Kleinkindern ohne Kooperationsfähigkeit)
- neurologischen Defiziten mit Fixationsunfähigkeit (fehlende Blickfixierung)
- akuten Infektionen oder Verletzungen des Auges, die eine Untersuchung unmöglich machen
Das Verfahren
Die Bestimmung des Schielwinkels erfolgt standardisiert unter Verwendung verschiedener optischer und subjektiver Testverfahren. Die Auswahl richtet sich nach Alter, Kooperationsfähigkeit und Art des Strabismus.
Objektive Verfahren
- Hirschberg-Test (Lichtreflextest)
Erste Orientierung über die Größe des Schielwinkels anhand der Lage des Hornhautreflexes (Lichtreflex auf der Augenoberfläche) in Bezug auf die Pupille. - Krimsky-Test
Kombination aus Hirschberg-Test und prismatischer Kompensation mit Gläsern definierter Brechkraft zur groben Quantifizierung des Winkels. - Synoptophor (spezielles Messgerät)
Diagnostisches Gerät zur Messung des objektiven und subjektiven Winkels mit Hilfe fusionsfähiger Testbilder bei Blick in verschiedene Richtungen.
Subjektive Verfahren
- Abdecktests (Cover–Uncover-Test und alternierender Cover-Test)
Nachweis von Tropien (manifestes Schielen) und Phorien (latentes Schielen); kombiniert mit Prismen zur quantitativen Bestimmung. - Prismenabdecktest (PAT)
Anwendung rotierender Prismen bis zum vollständigen Aufheben der Augenbewegung – liefert exakte Messwerte in Prismendioptrien (Einheit zur Messung von Augenfehlstellungen). - Maddox-Kreuz oder Maddox-Zylinder
Subjektive Verfahren zur Bestimmung von Heterophorien (verstecktem Schielen) unter Nutzung von Dissoziation (Trennung) der Seheindrücke. - Lang-Stereotest und Titmus-Test
Erhebung binokularer Sehfunktionen, v. a. zur Verlaufskontrolle und Einschätzung der funktionellen Bedeutung des Strabismus.
Normbereiche
- Physiologische Heterophorie (normales verstecktes Schielen): bis zu ca. 4 pdpt (Basis innen) oder 2 pdpt (Basis außen) gelten als unauffällig
- Manifester Strabismus (sichtbares Schielen): ≥ 5 pdpt in Fern- oder Nahsicht ist behandlungsbedürftig
Interpretation der Messergebnisse
- Exotropie – Auswärtsabweichung, gemessen mit Basis innen (BI)
- Esotropie – Einwärtsabweichung, gemessen mit Basis außen (BA)
- Hypertropie/Hypotropie – Vertikale Abweichung, gemessen mit Basis oben/unten
- Cyclotropie – Torsionelle Fehlstellung (Drehschielen), häufig schwierig objektivierbar
Weiterführende Diagnostik
- Visusbestimmung (Sehschärfenprüfung) beider Augen getrennt und gemeinsam
- Motilitätsprüfung (Prüfung der Augenbeweglichkeit)
- Funduskopie (Augenhintergrundspiegelung) zur Beurteilung des Netzhautzentrums (Makula)
- Fusionsfähigkeit und Stereosehen (Zusammenspiel beider Augen und räumliches Sehen)
- Bildgebende Verfahren (z. B. Magnetresonanztomographie bei neurogener Ursache)