Rückenmarksstimulation

Die Rückenmarksstimulation (Spinal Cord Stimulation, SCS) ist ein invasives, neuromodulatives Verfahren (Verfahren zur Nervenreizbeeinflussung) zur Behandlung chronischer, therapierefraktärer Schmerzen (Schmerzen, die auf andere Behandlungen nicht ansprechen). Durch elektrische Impulse auf Rückenmarksebene wird die Weiterleitung nozizeptiver Signale (Schmerzsignale) verändert, wodurch Schmerzen gelindert werden können. Die Methode kommt vor allem bei neuropathischen Schmerzsyndromen (Nervenschmerzen) sowie ischämischen Extremitätenschmerzen (durchblutungsbedingten Schmerzen der Gliedmaßen) zum Einsatz und ist heute fester Bestandteil multimodaler Schmerzkonzepte (Kombination verschiedener Therapieverfahren).

Zielsetzung

  • Reduktion chronischer Schmerzintensität bei therapierefraktären Schmerzen
  • Verbesserung der Lebensqualität und Mobilität
  • Reduktion analgetischer Medikation – insbesondere Opioide (starke Schmerzmittel)
  • Beeinflussung zentraler Schmerzverarbeitungsmechanismen durch neuromodulative Reize
  • Vermeidung destruktiver oder irreversibler neurochirurgischer Verfahren (z. B. Nervenzerstörung)

Indikationen (Anwendungsgebiete)

  • Failed Back Surgery Syndrome (FBSS) – persistierende Schmerzen nach lumbaler Wirbelsäulenoperation (Schmerzen nach Rückenoperation)
  • Komplex-regionales Schmerzsyndrom (CRPS Typ I und II, chronisches Schmerzsyndrom nach Verletzung)
  • Periphere neuropathische Schmerzen – z. B. diabetische Neuropathie (Nervenschädigung bei Diabetes), Ischialgie (Ischiasnerv-Schmerz), Radikulopathie (Nervenwurzelschmerz)
  • Periphere Durchblutungsstörungen – z. B. bei kritischer Extremitätenischämie (Stadium Fontaine III–IV, schwere Durchblutungsstörung)
  • Angina pectoris – therapierefraktär, nicht revaskularisierbar (Brustschmerz bei verengten Herzkranzgefäßen ohne Behandlungsoption)
  • Schmerzen nach Rückenmarksverletzung (in ausgewählten Fällen)
  • Chronische viszerale Schmerzen – z. B. nach Abdominaleingriffen (Bauchoperationen) oder bei Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung)

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

Absolute Kontraindikationen

  • Aktive systemische oder lokale Infektion (Entzündung)
  • Nicht beherrschte Gerinnungsstörung – z. B. INR > 1,5, Thrombozyten < 50.000/µl
  • Psychiatrische Erkrankungen mit fehlender Therapieadhärenz (fehlender Mitwirkung)
  • Unklare Schmerzgenese – z. B. psychosomatische Schmerzen ohne strukturelle Korrelation
  • Allergie gegen Implantatmaterialien

Relative Kontraindikationen

  • Implantierbare Herzgeräte – individuelle elektrotechnische Beurteilung notwendig
  • Schwangerschaft
  • Anhaltende instabile Lebenssituation – z. B. Obdachlosigkeit
  • Fehlende Kooperation oder mangelnde geistige Fähigkeit zur Gerätebedienung

Vor der Behandlung

  • Multidisziplinäre Evaluation – Schmerztherapie, Psychologie, ggf. Neurologie/Neurochirurgie
  • Ausschluss psychogener Schmerzursachen – durch validierte Testinstrumente (standardisierte Fragebögen)
  • Dokumentation der bisherigen Schmerzverläufe – VAS (Schmerzskala), Medikamentenbedarf, Funktionseinschränkung
  • Bildgebung der Wirbelsäule – MRT (Magnetresonanztomographie) oder CT (Computertomographie) zur Lagebeurteilung
  • Aufklärung über Technik, Ablauf, Risiken und Nachsorge
  • Testphase (Screening-Testung) – vor definitiver Implantation

Das Verfahren

Technik

  • Perkutane oder laminotomiegestützte Platzierung epiduraler Stimulationssonden (Einbringen von Elektroden in den Wirbelkanal)
  • Verbindung der Sonden mit einem externen Stimulator (Testphase) oder internem Impulsgeber (IPG, dauerhaftes Gerät)
  • Auswahl zwischen:
    • Klassischer SCS – niederfrequente Stimulation (40-60 Hz) mit Parästhesieempfindung (Kribbeln)
    • Burst-SCS – hochfrequente Stimulation (500 Hz) ohne Parästhesien
    • HF10-SCS – Hochfrequenzstimulation (10 kHz) ohne Parästhesien
  • IPG-Implantation subkutan – z. B. im Flankengewebe oder Gesäßbereich
  • Programmierung des Stimulationsmusters individuell nach klinischem Ansprechen

Mögliche Komplikationen

  • Perioperativ
    • Epidurales Hämatom (Bluterguss im Wirbelkanal)
    • Liquorleck mit postpunktionellem Kopfschmerz (Austritt von Nervenwasser)
    • Infektion – z. B. Wundinfektion, Epiduritis (Rückenmarksentzündung)
  • Langfristig
    • Dislokation der Elektrode (Verschieben)
    • Kabelbruch oder Hardwareversagen
    • Narbenbildung und Stimulationseffektverlust
    • Schmerzen im Bereich der Aggregattasche (Schrittmachertasche)
  • Stimulationseffekte
    • Missempfindungen, unangenehme Parästhesien (Kribbeln, Stromgefühl)
    • Motorische Irritationen bei Fehlelektrodenlage
    • Unwirksamkeit („Non-Responder“ trotz korrekter Platzierung)

Nach der Behandlung

  • Stationäre Überwachung – nach Implantation für ca. 24-48 Stunden
  • Anpassung der Stimulationsparameter – über externes Steuergerät
  • Wundkontrolle und Infektionsprophylaxe
  • Einweisung in Geräteeinstellung und Handhabung
  • Dokumentation des Therapieansprechens – VAS, Lebensqualitäts-Scores, Medikamentenreduktion
  • Langzeitnachsorge – regelmäßig (alle 3-6 Monate) zur Funktionskontrolle, ggf. Nachprogrammierung

Diagnostischer Nutzen

  • Teststimulation zur Beurteilung des Therapiepotentials
  • Abgrenzung funktioneller Schmerzsyndrome – bei fehlendem Ansprechen
  • Indikationsvalidierung vor Implantation

Langzeitwirkungen und therapeutische Bewertung

  • Nachhaltige Schmerzreduktion – insbesondere bei neuropathischen Schmerzsyndromen (Nervenschmerzen)
  • Verbesserte Lebensqualität – belegbar durch SF-36 oder EQ-5D Scores (Fragebögen zur Lebensqualität)
  • Opioidreduktion – durch Wegfall systemischer Analgetika (Schmerzmittel)
  • Reversibilität – Stimulator kann deaktiviert oder explantiert werden (entfernt)
  • Kosten-Nutzen-Bilanz – initial hohe Investition, langfristig ökonomisch sinnvoll bei Erfolg

Gegenüberstellung: Sympathikusblockade versus Rückenmarksstimulation – Technik, Indikationen, Vor- und Nachteile

Verfahren Technik Indikationen Vorteile Nachteile
Sympathikusblockade Bildgestützte perkutane Injektion (CT, Fluoroskopie oder Ultraschall) von Lokalanästhetika oder Neurolysepräparaten an sympathische Ganglien CRPS Typ I/II, ischämische Extremitätenschmerzen, viszerale Tumorschmerzen, chronische Beckenschmerzen, Hyperhidrosis Gering invasiv, diagnostisch nutzbar, bei Erfolg kurzfristige Linderung, neurolytisch auch länger wirksam, gezielte Segmenttherapie möglich Nur bei sympathisch unterhaltenen Schmerzen wirksam, ggf. nur kurzzeitiger Effekt, Nebenwirkungen je nach Lokalisation (z. B. Hypotonie, Horner-Syndrom, Diarrhö)
Rückenmarksstimulation Epidurale Platzierung von Stimulationssonden, Testphase, ggf. dauerhafte subkutane Implantation eines Impulsgebers CRPS Typ I/II, Failed Back Surgery Syndrome (FBSS), periphere Neuropathien, kritische Extremitätenischämie, chronische Viszeralschmerzen Wirksam auch bei sympathetically independent pain (SIP), individualisierbare Langzeittherapie, reduzierte Medikamentenabhängigkeit, reversibel, belegte Lebensqualitätsverbesserung. Invasiv, hohe Initialkosten, Infektionsrisiko, möglicher Funktionsverlust des Systems, Patientenschulung notwendig, regelmäßige Nachsorge erforderlich.

Literatur

  1. Kumar K, Taylor RS, Jacques L et al.: Spinal cord stimulation versus conventional medical management for neuropathic pain: a multicentre randomised controlled trial in patients with failed back surgery syndrome. Pain. 2007;132(1-2):179-188. https://doi.org/10.1016/j.pain.2007.07.028
  2. Deer TR, Mekhail N, Provenzano D et al.: The appropriate use of neurostimulation: stimulation of the spinal cord and peripheral nervous system for chronic pain. Neuromodulation. 2014;17(6):515-550. https://doi.org/10.1111/ner.12208
  3. North RB, Kidd DH, Farrokhi F, Piantadosi S: Spinal cord stimulation versus repeated lumbosacral spine surgery for chronic pain: a randomized, controlled trial. Neurosurgery. 2005;56(1):98-106. https://doi.org/10.1227/01.NEU.0000144839.65524.E0