Psychologische Schmerztherapie – Verfahren, Behandlungsmöglichkeiten und Ansätze bei chronischen Schmerzen

Die psychologische Schmerztherapie ist ein integraler Bestandteil der multimodalen Schmerzbehandlung und adressiert kognitive, emotionale und verhaltensbezogene Einflussfaktoren chronischer Schmerzzustände (lang andauernde Schmerzen). Sie basiert auf verhaltenstherapeutischen, kognitiven und interpersonellen Konzepten und zielt darauf ab, Schmerzverarbeitung, Krankheitsbewältigung und Lebensqualität zu verbessern. Die Wirksamkeit ist bei vielen chronischen Schmerzsyndromen evidenzbasiert belegt.

Zielsetzung

  • Reduktion der Schmerzintensität durch Modifikation der Schmerzverarbeitung
  • Verbesserung der funktionellen Alltagskompetenz trotz Persistenz der Schmerzen
  • Förderung der emotionalen Stabilität – insbesondere bei komorbiden affektiven Störungen (z. B. Depression oder Angst)
  • Abbau maladaptiver Kognitionen und Verhaltensmuster (unangemessene Denkmuster und Verhaltensweisen)
  • Stärkung der Selbstwirksamkeitserwartung und aktiven Krankheitsbewältigung
  • Reduktion von Depressivität, Angst, Katastrophisierung und Schonverhalten

Indikationen (Anwendungsgebiete)

  • Chronische nichtmaligne Schmerzen – z. B. Rückenschmerzen, Spannungskopfschmerzen, Fibromyalgie (chronisches generalisiertes Schmerzsyndrom)
  • Chronische Schmerzsyndrome mit zentraler Sensibilisierung – z. B. somatoforme Schmerzstörung, Reizdarmsyndrom
  • Schmerzen mit psychischer Komorbidität – z. B. Depression, Angsterkrankung, posttraumatische Belastungsstörung
  • Komplex-regionales Schmerzsyndrom (CRPS Typ I und II, Schmerzsyndrom mit Durchblutungs- und Bewegungsstörungen)
  • Schmerzen bei funktionellen Störungen – z. B. bei Hypervigilanz und somatischer Fixierung (übermäßige Körpersymptom-Wahrnehmung)
  • Begleitung invasiver schmerztherapeutischer Verfahren – z. B. vor/nach Rückenmarksstimulation, Sympathikusblockade
  • Therapiebegleitung in palliativmedizinischen Settings (lindernde Behandlung im fortgeschrittenen Krankheitsstadium)

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

Absolute Kontraindikationen

  • Aktive Psychosen mit Realitätsverlust (z. B. Schizophrenie)
  • Akute Suizidalität (akute Selbsttötungsgefahr)
  • Substanzabhängigkeit ohne begleitende Entzugstherapie
  • Kognitive Einschränkungen mit fehlender Teilnahmefähigkeit

Relative Kontraindikationen

  • Akute Lebenskrisen ohne Stabilisierung
  • Sprachbarrieren ohne therapeutisch gesicherte Kommunikation
  • Mangelnde Therapieadhärenz oder fehlende Motivation zur Veränderung

Vor der Behandlung

  • Psychologische Diagnostik mittels strukturierter Interviews, standardisierter Schmerzfragebögen und psychometrischer Tests (z. B. DASS, FESV, MPI)
  • Differenzialdiagnostische Einschätzung – somatisch vs. psychisch dominierte Schmerzverarbeitung
  • Motivationsanalyse und Zielklärung im therapeutischen Setting
  • Einbindung in das multiprofessionelle Schmerzteam (Arzt, Psychologe, Physio-, Ergo-, Musiktherapie etc.)
  • Ausschluss schwerwiegender psychiatrischer Kontraindikationen

Die Verfahren

Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)

  • Identifikation und Modifikation schmerzverstärkender Gedanken, Einstellungen und Verhaltensmuster
  • Techniken: kognitive Umstrukturierung, Exposition, Verstärkerpläne, Problemlösetraining

Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT)

  • Förderung psychologischer Flexibilität bei chronischen Schmerzen
  • Fokus auf Achtsamkeit, Werteklärung, Commitment zum Handeln trotz Schmerzen

Biofeedbackverfahren

  • Training vegetativer Körperfunktionen (z. B. Muskeltonus, Hautleitwert, Puls) zur Stress- und Schmerzmodulation

Entspannungsverfahren

  • Progressive Muskelrelaxation, autogenes Training, achtsamkeitsbasierte Ansätze

Psychoedukation

  • Vermittlung von Schmerzmodellen, Reiz-Reaktions-Mustern und biopsychosozialen Einflussfaktoren

Gruppentherapieangebote

  • Förderung von Selbsthilfe, soziale Integration, Erlernen von Bewältigungsstrategien im Austausch

Spezielle Verfahren

  • Hypnotherapie bei ausgewählten Patienten
  • EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) bei Schmerzen nach Trauma

Mögliche Komplikationen

  • Aktivierung latenter Konflikte – z. B. bei biografischer Bearbeitung
  • Verschlechterung psychischer Komorbiditäten bei unzureichender Begleitung
  • Therapieabbrüche – z. B. infolge mangelnder Motivation oder fehlender Zielkongruenz
  • Sekundärer Krankheitsgewinn – z. B. bei Aufrechterhaltung durch soziale Verstärker (z. B. Aufmerksamkeit)
  • Unrealistische Erwartungen – insbesondere bei rein schmerzfokussierter Zielsetzung

Nach der Behandlung

  • Evaluation des Therapieerfolgs – z. B. durch Schmerzskalen, psychometrische Re-Tests, Lebensqualitätsfragebögen
  • Anschlussbehandlung – ggf. weiterführende Einzel- oder Gruppentherapie
  • Empowerment des Patienten – Förderung von Selbstverantwortung und Verhaltensstabilisierung
  • Integration in Alltag und Beruf – ggf. über ergotherapeutische oder sozialmedizinische Unterstützung
  • Dokumentation und interdisziplinäre Rückkopplung mit behandelnden Fachärzten und Therapeuten

Diagnostischer Nutzen

  • Differenzierung primär psychogener Schmerzkomponenten
  • Identifikation maladaptiver Verhaltensmuster und psychischer Komorbiditäten
  • Indikationsprüfung für invasive Maßnahmen – z. B. SCS oder interventionsbezogene Therapieziele
  • Prognoseeinschätzung bezüglich Therapieadhärenz und Langzeitcompliance

Langzeitwirkungen und therapeutische Bewertung

  • Reduktion von Schmerzintensität und Schmerzbelastung – belegt durch RCTs (randomisierte Studien) und Metaanalysen
  • Stabile Alltagsfunktion trotz chronischer Schmerzen
  • Reduktion psychischer Komorbidität – insbesondere Depression, Angst und Stress
  • Deutliche Verbesserung der Lebensqualität bei kontinuierlicher Nachsorge
  • Kosteneffektivität im Rahmen integrierter Versorgungskonzepte

Gegenüberstellung: Psychologische Schmerztherapie und interventionelle Verfahren – Technik, Indikationen, Vorteile und Nachteile

Verfahren Technik Indikationen Vorteile Nachteile
Psychologische Schmerztherapie Gesprächsbasierte Verfahren (KVT, ACT, Entspannung, Biofeedback, Gruppentherapie) Chronische Schmerzsyndrome mit biopsychosozialer Komponente, CRPS, Fibromyalgie, somatoforme Störungen, Depression/Angst bei Schmerz Nicht-invasiv, keine körperlichen Nebenwirkungen, adressiert Ursachen und Aufrechterhaltungsfaktoren, langfristiger Kompetenzaufbau, evidenzbasiert Wirkung oft mittel- bis langfristig, erfordert aktive Mitarbeit und Motivation, bei rein somatischen Ursachen allein oft nicht ausreichend wirksam
Sympathikusblockade Perkutane Injektion unter Bildgebung an sympathische Ganglien (z. B. Ganglion stellatum, Plexus coeliacus) CRPS, ischämische Extremitätenschmerzen, Tumorschmerzen, Hyperhidrosis Zielgerichtet, schneller Wirkeintritt, auch diagnostisch einsetzbar, geringe Invasivität, neurolytisch länger wirksam. Wirkung begrenzt auf sympathetically maintained pain, ggf. nur kurzzeitige Wirkung, lokale Komplikationen, vegetative Nebenwirkungen
Rückenmarksstimulation (SCS) Epidurale Elektrodenplatzierung mit subkutanem Impulsgeber, individuell programmierbar CRPS, Failed Back Surgery Syndrome (FBSS), periphere Neuropathien, kritische Extremitätenischämie, chronische viszerale Schmerzen Auch bei sympathetically independent pain wirksam, reversibel, Medikamentenreduktion möglich, personalisierbar, belegte Verbesserung von Lebensqualität. Invasiv, Risiko technischer Komplikationen, hohe Initialkosten, regelmäßige Nachsorge und Patientenschulung erforderlich.

Literatur

  1. Williams AC de C, Eccleston C, Morley S: Psychological therapies for the management of chronic pain (excluding headache) in adults. Cochrane Database Syst Rev. 2012;2012(11):CD007407. https://doi.org/10.1002/14651858.CD007407.pub3
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