Fetale Ultraschalldiagnostik (Missbildungsdiagnostik)
In jeder Schwangerschaft sollten gemäß den Mutterschaftsrichtlinien mindestens drei Ultraschalluntersuchungen im Sinne eines Screenings durchgeführt werden. Sie sollten jeweils etwa in der 10., in der 20. und in der 30. Schwangerschaftswoche durchgeführt werden.
Bei der ersten Ultraschalluntersuchung etwa in der 10. Schwangerschaftswoche wird nach Vitalitätskriterien des Embryos gesucht. Dies sind vor allem Herzaktionen oder Bewegungen. Daneben wird auch die Lage der Plazenta (Mutterkuchen) beschrieben und der Geburtstermin errechnet.
Bei der zweiten Ultraschalluntersuchung in der Schwangerschaft, die zwischen der 18. und 22. Schwangerschaftswoche durchgeführt wird, soll nach den Qualitätskriterien der DEGUM (Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin; DEGUM I) in der fetalen Sonographie (Synonyme: fetale Ultraschalldiagnostik; Feindiagnostik; Missbildungsdiagnostik) vor allem auf Hinweise für Fehlbildungen geachtet werden.
Werden solche Hinweise entdeckt, so ist die Schwangere an ein Zentrum mit der Pränataldiagnostik der DEGUM-Stufe II zu verweisen.
Ziel der Fehlbildungsdiagnostik im zweiten Trimenon: Beurteilung der fetalen Sonoanatomie (Beurteilung der Anatomie durch Ultraschall) und Ausschluss von Fehlbildungen.
Der nichtinvasive molekularbiologische Bluttest (NIPT) zur Pränataldiagnostik auf Trisomien erübrigt nicht die Pränataldiagnostik per Ultraschall:
Beachte: 90 Prozent der fetalen oder kindlichen Fehlbildungen sind gar nicht chromosomalen Ursprungs.
Die Patientin sollte darüber informiert werden, dass ungünstige Ultraschallbedingungen zu Einschränkungen in der Aussagekraft der Untersuchungsmethode führen können. Zu diesen Bedingungen zählen vor allem Adipositas (Fettsucht), eine ungünstige Lage des Fetus, Oligohydramnie (Fruchtwassermenge < 500 ml) oder sonstige Einschränkungen wie eine narbige Bauchdecke der Schwangeren.
Weiterhin gilt zu bedenken, dass nicht alle Fehlbildungen sonographisch erkannt werden können.
Beurteilbare Strukturen
- Erstes Trimester/Schwangerschaftsdrittel (ca. 10. SSW)
- Vitalitätskriterien des Embryos: Herzaktionen und embryonale Bewegungen.
- Plazentalage (Lage des Mutterkuchen) und -struktur.
- Berechnung des Geburtstermins basierend auf der Embryonalentwicklung.
- Zweites Trimester (ca. 20. SSW)
- Fetale Sonoanatomie zur Beurteilung der Anatomie durch Ultraschall.
- Ausschluss von Fehlbildungen mit Fokus auf Kopf-/Gesichtsform, intrakraniellen Strukturen, Halsform, Hand-/Fußbildung, Thoraxform, Herzlage und -konfiguration, Magen-Darm-Trakt, Urogenitalsystem, und Rückenkontur.
- Drittes Trimester (ca. 30. SSW)
- Entwicklung und Wachstum des Fetus: Biometrie (Vermessung des Fetus) zur Erkennung von Wachstumsretardierungen (Wachstumsstörung).
- Dopplersonographie zur Beurteilung der Plazentafunktion und Anzeichen einer Plazentainsuffizienz (Mutterkuchenschwäche).
Indikationen (Anwendungsgebiete)
Auf folgende Hinweise sollte in der Ultraschalluntersuchung verstärkt geachtet werden (sie gelten als Indikation für eine weiterführende Ultraschalluntersuchung nach DEGUM-Stufe II):
- Abweichungen von der normalen Kopf-/Gesichtform wie beispielsweise
- Kurz- oder Breitköpfigkeit mit Abflachung des Hinterkopfes
- Mikrognathie (zu kleiner Unterkiefer); Retrognathie (Unterkiefer normal groß, aber nach hinten verlagert)
- Gesichtsdysostosen (Gruppe heterogener, angeborener kraniofazialer Anomalien/Fehlbildungen im Schädel-Gesichtsbereich)
- Veränderungen/Fehlen von intrakraniellen Strukturen – z. B. Agenesie des Corpus callosum (quer verlaufende Faserverbindung zwischen den beiden Großhirnhemisphären)
- Veränderungen der Halsform wie das Hygroma colli (Gewebevermehrung im Bereich über dem Schlüsselbein)
- Abweichungen von der normalen Hand-/Fußbildung
- Polydaktylie (Auftreten überzähliger Finger oder Zehen, mit oder ohne Knochenanlage) [bei Polydaktylie ist eine vertiefende Sonographie zum Ausschluss anderer Fehlbildungen erforderlich]
- Radius(strahl)fehlbildung
- angeborener Pes equinovarus (Klumpfuß) [bei isolierten Pes equinovarus sollte eine Kanutypisierung durchgeführt werden]
- Abweichungen von der normalen Thorax-Form mit Veränderungen zu der normalen Herzlage und -konfiguration, inklusive Herzrhythmusstörungen
- Veränderungen oder Fehlen von Abschnitten des Magen-Darm-Traktes oder des Urogenitalsystems
- Flüssigkeitsansammlung im Abdomen (Bauchraum)
- Konturunregelmäßigkeiten des Rückens wie die Spina bifida (offener Rücken)
Vor der Untersuchung
- Aufklärung über die Ziele, Methoden und möglichen Konsequenzen der Ultraschalluntersuchungen.
- Vorbereitung ist normalerweise nicht erforderlich, außer der Empfehlung, mit einer moderat gefüllten Blase zu erscheinen, um die Sichtbedingungen zu verbessern.
Das Verfahren
- Durchführung: Die fetale Sonographie wird in der Regel zwischen der 18. und 22. Schwangerschaftswoche durchgeführt. Der Ultraschallkopf wird über den Bauch der Mutter bewegt, um detaillierte Bilder des Fetus zu erstellen. Moderne Ultraschallgeräte erlauben hochauflösende, dreidimensionale Bilder und, in manchen Fällen, 4D-Bilder (bewegte 3D-Bilder), die eine umfassende Beurteilung der fetalen Anatomie ermöglichen.
- Sonoanatomie: Besonderes Augenmerk wird auf die Struktur und Funktion des fetalen Herzens, des Gehirns, der Wirbelsäule, der Gliedmaßen, des Gesichts, des Thorax (Brustkorb), des Abdomens und der Plazenta (Mutterkuchen) gelegt. Die Untersuchung beinhaltet die Messung verschiedener Körperteile des Fetus, um Wachstum und Entwicklung zu beurteilen.
- Spezialisierte Beurteilungen: Abhängig von den vorliegenden Befunden oder der familiären Anamnese können zusätzliche spezialisierte Untersuchungen wie die fetale Echokardiographie erforderlich sein.
Nach der Untersuchung
- Mitteilung der Befunde: Sofortige oder nachfolgende Kommunikation der Untersuchungsergebnisse an die Schwangere.
- Beratung: Detaillierte Erläuterung der Befunde und Beratung über weiterführende Untersuchungen bei Auffälligkeiten.
- Empfehlungen für weiterführende Diagnostik: Bei Hinweisen auf Fehlbildungen Weiterleitung an Zentren mit höherer DEGUM-Stufe oder Empfehlung invasiver Diagnostik wie Amniozentese oder Chorionzottenbiopsie.
Weitere Indikationen für eine weiterführende Ultraschalluntersuchung der DEGUM-Stufe II neben den Auffälligkeiten in der Ultraschalluntersuchung sind:
- Anamnestisches Risiko
- Risiko seitens der Mutter oder des Kindes
- Psychische Belastung der Mutter
- Untersuchung vor geplanter weiterführender Diagnostik (wie unten beschrieben)
Sind Hinweise auf eine Fehlbildung im Rahmen der Untersuchung aufgetreten, so sollten folgende weiterführende Untersuchungen (sogenannte Feindiagnostik) durchgeführt werden. Zu dieser zählen je nach Hinweis aus der Sonographie:
- Amniozentese (Fruchtwasserpunktion)
- Chorionzottenbiopsie – Gewebeentnahme aus speziellen Bereichen der Plazenta (Mutterkuchen)
- Cordozentese – Punktion der Nabelschnur
- Intrauterine Transfusion – Blutaustausch im Mutterleib
- Fetalpunktion
- Shunteinlage – Einbringen einer Kurzschlussverbindung, wie sie beispielsweise bei urologischen Erkrankungen des Fetus wie der Megazystis (schwere Erweiterung der Harnblase) am ungeborenen Kind durchgeführt werden kann
- Amnioninfusion – Fruchtwasserauffüllung bei starkem Oligohydramnion (Fruchtwassermenge < 500 ml)
- Fetoskopie – Darstellung des Feten im Mutterleib
Bei den Ultraschalluntersuchungen in der 20. und 30. Schwangerschaftswoche wird der Verlauf und die Entwicklung des Fetus untersucht.
Über die Biometrie (Fetometrie/Vermessung des Fetus) lassen sich Wachstumsretardierungen (Wachstumsverzögerungen) erkennen.
Auffälligkeiten in der Dopplersonographie (Ultraschalluntersuchung, mit der die Fließgeschwindigkeit des Blutes in den Gefäßen (Arterien und Venen) gemessen werden kann) können Hinweise auf eine Plazentainsuffizienz (Mutterkuchenschwäche, d. h. die Plazenta /Mutterkuchen) kann den Fetus nicht ausreichend versorgen) geben.
Weitere Hinweise
- Eine sonographische Diagnostik in der 35-34. Schwangerschaftswoche deckt ein Viertel der fetalen Anomalien auf, die zuvor nicht erkannt worden sind. Die häufigsten spät diagnostizierten Entwicklungsstörungen waren eine leichte Ventrikulomegalie (krankhafte Vergrößerung der Herzkammern), Ventrikelseptumdefekte (Fehlbildung des Herzens (Herzfehler), bei der die Herzscheidewand zwischen den Ventrikeln (Septum interventriculare) nicht vollständig verschlossen ist), Doppelnieren, Ovarial- und Arachnoidalzysten (Eierstockzysten und Fehlbildungen der mittleren spinnennetzartigen Hirnhaut (Arachnoidea)) [3].
- Als Bestätigungs- und Ergänzungsdiagnostik bei sonographisch diagnostizierten fetalen Pathologien steht die fetale Magnetresonanztomographie (MRT) zur Verfügung: insb. ZNS-Anomalien und thorakale Fehlbildungen können mit diesem Verfahren besser dargestellt werden. Häufigste Indikationen im Rahmen der ZNS-Diagnostik mittels fetalem MRT sind die Ventrikulomegalie (z, B. wg. Hydrocephalus bei Aquäduktstenose), Arachnoidalzysten, Balkenagenesie, und Veränderungen in der hinteren Schädelgrube (v. a. Dandy-Walker-Malformationen) [1].
- Die Häufigkeit und Dauer von Ultraschalluntersuchungen in der Schwangerschaftsvorsorge war in einer Fall-Kontroll-Studie nicht mit Autismus-Spektrum-Störungen der Kinder verbunden [2].
Literatur
- Malinger G, Ben-Sira L, Lev D et al.: Fetal brain imaging: a comparison between magnetic resonance imaging and dedicated neurosonography. Ultrasound Obstet Gynecol 2004 Apr;23(4):333-40.
- Rosman NP et al.: Association of Prenatal Ultrasonography and Autism Spectrum Disorder. JAMA Pediatr. Published online February 12, 2018. doi:10.1001/jamapediatrics.2017.5634
- Ficara A et al.: Value of routine ultrasound examination at 35-37 weeks’ gestation in diagnosis of fetal abnormalities. Ultrasound Obstet Gynecol 2019; https://doi.org/10.1002/uog.20857