Dynamometrische Handkraftmessung

Die Handkraft ist ein zentraler Parameter zur Beurteilung der körperlichen Leistungsfähigkeit und korreliert mit zahlreichen gesundheitlichen Outcomes (Gesundheitsergebnissen). Die dynamometrische Handkraftmessung stellt dabei ein standardisiertes, reproduzierbares Verfahren zur Erfassung dieses funktionellen Biomarkers (Messwerts) dar. Insbesondere im geriatrischen (altersmedizinischen), neurologischen und arbeitsmedizinischen Kontext hat sie eine hohe prognostische und diagnostische Bedeutung.

Definition und Formen der Handkraft

Handkraft bezeichnet die Fähigkeit der Hand- und Unterarmmuskulatur, mechanische Kraft auszuüben. Dabei lassen sich verschiedene funktionelle Kraftformen differenzieren:

  • Quetschende Griffkraft (Crushing Grip) – Kraft beim Zusammendrücken eines Objekts zwischen den Fingern und der Handfläche
  • Haltekraft (Support Grip) – Fähigkeit, ein Gewicht über einen längeren Zeitraum zu halten
  • Daumenkraft (Pinch Grip) – Kraft zwischen Daumen und einem oder mehreren Fingern
  • Fingerkraft – Isometrische (statische) oder dynamische Belastung einzelner Finger
  • Handgelenkskraft – Kraftentwicklung im Bereich des Handgelenks

Bedeutung der Handkraft für die Gesundheit

Die Handkraft gilt als unabhängiger Prädiktor (Vorhersagewert) für Morbidität (Krankheitshäufigkeit) und Mortalität (Sterblichkeit). Eine verminderte Handkraft ist mit einer Vielzahl negativer Gesundheitsereignisse assoziiert:

  • Prädiktor für Gesamtmortalität – Geringe Handkraft ist mit einem bis zu 67 % höheren Sterberisiko assoziiert
  • Frühmarker für Sarkopenie (altersbedingter Muskelschwund) – Kraftverlust der Handmuskulatur geht häufig der generellen Muskelatrophie voraus
  • Zusammenhang mit funktioneller Autonomie – Niedrige Handkraft korreliert mit erhöhter Pflegebedürftigkeit im Alter
  • Korrelation mit kognitiven Funktionen – Assoziation zwischen reduzierter Griffkraft und kognitivem Abbau (geistigem Abbau)
  • Prädiktiver Wert bei Krankenhausaufenthalten – Niedrige Werte bei Aufnahme sind mit verlängerter Verweildauer und erhöhter Komplikationsrate verbunden

Messung der Handkraft

Die dynamometrische Handkraftmessung erfolgt standardisiert und ermöglicht eine objektive Verlaufs- oder Interventionskontrolle.

  • Verfahren:
    • JAMAR®-Dynamometer – Referenzinstrument mit isometrischer Messung
    • Fünf-Positionen-Test – Testung in verschiedenen Griffweiten zur Differenzierung von Kraftverteilung oder Leistungsminderung
  • Durchführung:
    • Sitzposition mit 90°-Flexion im Ellbogengelenk, neutraler Unterarmhaltung
    • Drei Wiederholungen pro Hand, höchster Wert als Referenz
    • Durchführung vorzugsweise morgens, standardisierte Instruktion
  • Normwerte:
    • Männer (20-39 Jahre): 48-52 kg
    • Frauen (20-39 Jahre): 30-33 kg
    • Altersabhängige Abnahme: ca. 5-10 % pro Dekade (Jahrzehnt)
  • Einflussfaktoren:
    • Alter, Geschlecht, Körpergröße
    • Trainingsstatus, Ernährung, Motivation
    • Neurologische, rheumatische oder muskuläre Erkrankungen (z. B. Neuropathien [Nervenerkrankungen], Muskeldystrophien [erblich bedingte Muskelerkrankungen])

Training der Handkraft

Ein gezieltes Training der Handkraft ist sowohl präventiv als auch therapeutisch sinnvoll, insbesondere bei funktionellen Einschränkungen oder im Rahmen der Rehabilitation (Wiederherstellung der Funktion).

  • Trainingsformen:
    • Isometrische Übungen mit Therapieknete, Gummibällen oder Grip-Trainern
    • Dynamisches Training mit Hanteln, Wrist Rollern, Kettlebells
    • Spezifische Reize für Flexoren, Extensoren und intrinsische Handmuskulatur
  • Trainingsprinzipien:
    • 2-3 Einheiten pro Woche, progressive Belastung
    • Kombination von Maximalkraft- und Kraftausdauertraining
    • Einbindung in alltagsnahe Bewegungsmuster
  • Spezialtraining:
    • Rehabilitatives Training bei Schlaganfall (Durchblutungsstörung im Gehirn), Polyneuropathie (Schädigung peripherer Nerven), Arthrose
    • Kletterspezifisches Training im Leistungssport

Handkraft im klinischen Kontext

Die dynamometrische Messung der Handkraft hat sich in zahlreichen klinischen Fachgebieten etabliert:

  • Geriatrisches Assessment (funktionelle Bewertung älterer Menschen):
    • Bestandteil validierter Verfahren wie SPPB (Short Physical Performance Battery) und Fried-Kriterien zur Sarkopeniediagnostik
    • Grenzwerte: < 27 kg (Männer), < 16 kg (Frauen) als Hinweis auf Sarkopenie
  • Neurologie und Psychiatrie:
    • Zusammenhang mit Demenz, Depression, Fatigue
    • Einsatz zur Verlaufsbeurteilung bei Multipler Sklerose (MS; entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems) oder Parkinson-Syndrom
  • Rehabilitation:
    • Verlaufskontrolle bei peripheren Nervenschädigungen oder nach Operationen
    • Kraftwert als Surrogatparameter (stellvertretender Messwert) funktioneller Wiederherstellung
  • Arbeitsmedizinische Relevanz:
    • Belastbarkeitsprüfung bei handintensiven Tätigkeiten
    • Dokumentation bei Berufskrankheiten, Rentengutachten, Reha-Entlassungsberichten

Fazit

Die dynamometrische Handkraftmessung ist ein etablierter, ökonomischer und hoch valider Parameter zur Einschätzung der funktionellen Kapazität. Ihre prognostische Relevanz erstreckt sich von der Geriatrie bis zur Arbeitsmedizin. Neben ihrer Bedeutung als Screening- und Verlaufsinstrument ist sie essenziell in der Beurteilung von Sarkopenie, Frailty (Gebrechlichkeit) und neurodegenerativen Erkrankungen. Die Integration in standardisierte Assessments sowie ihre leichte Durchführbarkeit machen sie zu einem unverzichtbaren Bestandteil der klinischen Routinediagnostik.

Literatur

  1. Leong DP et al.: Prognostic value of grip strength: findings from the Prospective Urban Rural Epidemiology (PURE) study. Lancet. 2015 Jul 18;386(9990):266-73. doi: 10.1016/S0140-6736(14)62000-6
  2. Cruz-Jentoft AJ et al.: Sarcopenia: revised European consensus on definition and diagnosis. Age Ageing. 2019 Jan;48(1):16-31. doi: 10.1093/ageing/afy169