Libidostörungen des Mannes – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Libidostörungen, die sich durch einen verminderten oder fehlenden sexuellen Antrieb äußern, betreffen etwa zwei Prozent der Männer. Die Pathogenese dieser Störung ist multifaktoriell und umfasst somatische, psychische und soziale Faktoren, die oft in Kombination auftreten.

Hormonelle Einflüsse

Ein wesentlicher Faktor bei der Entstehung von Libidostörungen sind Hormonstörungen, insbesondere in Bezug auf das Verhältnis von Testosteron und Östrogenen im männlichen Körper. Die Testosteronspiegel im Blut spielen eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung der männlichen Libido, aber auch Östrogene (insbesondere Estradiol) tragen signifikant zur sexuellen Funktion bei.

Testosteron und Östrogene

  • Testosteron ist das primäre männliche Sexualhormon und fördert die sexuelle Motivation, die Häufigkeit sexueller Fantasien und die Fähigkeit zur sexuellen Erregung. Ein Testosteronmangel kann zu einer deutlichen Reduktion des sexuellen Verlangens führen.
  • Östrogene, insbesondere Estradiol, spielen eine wichtige Rolle bei der Regulierung der Libido des Mannes. Im normal-männlichen Bereich trägt Estradiol gemeinsam mit Testosteron zur Aufrechterhaltung der sexuellen Aktivität bei. Sowohl ein Östrogenmangel als auch ein Östrogenüberschuss können negative Auswirkungen auf die Libido haben. [4-8]

Es besteht ein empfindliches Gleichgewicht zwischen Testosteron und Estradiol, das für eine gesunde Libido entscheidend ist. Testosteronmangel allein ist nicht immer ursächlich für Libidostörungen; oft spielen Veränderungen im Verhältnis von Testosteron zu Estradiol eine Rolle.

Psychische und soziale Faktoren

Psychische Einflüsse sind ebenfalls häufig an der Entstehung von Libidostörungen beteiligt. Zu den relevanten psychischen Ursachen gehören:

  • Stress und Angstzustände, die zu einer verminderten sexuellen Motivation führen können.
  • Depression: Eine der häufigsten Ursachen für verminderte Libido bei Männern, da Depressionen oft mit einem Verlust des Interesses an Aktivitäten, einschließlich Sexualität, einhergehen.
  • Beziehungsprobleme: Konflikte in der Partnerschaft, mangelnde emotionale Nähe oder Kommunikationsprobleme können das sexuelle Verlangen erheblich beeinträchtigen.

Auch soziale Faktoren wie gesellschaftlicher Druck, beruflicher Stress oder finanzielle Belastungen können einen Einfluss auf das sexuelle Verlangen haben.

Somatische Faktoren

Körperliche Erkrankungen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Pathogenese der Libidostörung. Zu den somatischen Ursachen zählen:

  • Chronische Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Herzerkrankungen oder Nierenerkrankungen können das sexuelle Verlangen durch direkte Auswirkungen auf die hormonelle Regulation und den allgemeinen Gesundheitszustand negativ beeinflussen.
  • Neurologische Erkrankungen, die die Nervenbahnen beeinflussen, die für die sexuelle Erregung verantwortlich sind.
  • Medikamente: Bestimmte Medikamente wie Antidepressiva oder Antihypertensiva (blutdrucksenkende Mittel) können als Nebenwirkung zu einer Abnahme des sexuellen Verlangens führen.

Zusammenwirken mehrerer Faktoren

In vielen Fällen treten mehrere Ursachen zusammen auf. Häufig beeinflussen sich somatische und psychische Faktoren gegenseitig. Beispielsweise kann ein Testosteronmangel durch eine körperliche Erkrankung das sexuelle Verlangen reduzieren, was wiederum zu psychischen Belastungen wie Depression oder Frustration führt, die das Problem weiter verstärken.

Zusammenfassung

Die Pathogenese der Libidostörungen beim Mann ist komplex und umfasst eine Interaktion von hormonellen, psychischen und somatischen Faktoren. Ein Gleichgewicht zwischen Testosteron und Östrogenen ist entscheidend für eine normale sexuelle Funktion. Ein Ungleichgewicht in diesem Verhältnis, zusammen mit Faktoren wie Stress, psychischen Erkrankungen und körperlichen Krankheiten, kann zu einem verminderten sexuellen Verlangen führen. Die Rolle von Estradiol ist besonders wichtig, da sowohl ein Mangel als auch ein Überschuss negative Auswirkungen auf die männliche Libido haben können [4-8].

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Lebensalter – höheres Alter
  • Störungen in der Eltern-Kind-Beziehung (Tabus in der Erziehung)
  • Sexueller Missbrauch
  • Hormonelle Faktoren – Andropause (Wechseljahre des Mannes)

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Genussmittelkonsum
    • Alkohol 
  • Psycho-soziale Situation
    • Psychische Konflikte
    • Kontaktstörungen
    • Stress 
  • Von der Norm abweichende sexuelle Neigungen

Krankheitsbedingte Ursachen

Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)

  • Akromegalie (Riesenwuchs)
  • Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit)
  • Hyperprolaktinämie (erhöhte Prolaktin-Serumspiegel)
  • Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion)
  • Hypogonadismus – Keimdrüsenunterfunktion (Hoden) mit daraus resultierendem Androgenmangel (Mangel an männlichem Geschlechtshormon)
  • Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion)
  • Morbus Addison (primäre Nebennierenrindeninsuffizienz)
  • Morbus Basedow – Form der Hyperthyreose, die durch eine Autoimmunerkrankung bedingt ist
  • Morbus Cushing – Gruppe von Erkrankungen, die zum Hyperkortisolismus (Hypercortisolismus; Überangebot von Cortisol) führen

Herzkreislaufsystem (I00-I99)

  • Arterielle Verschlusskrankheit (AVK) oder peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) (engl.: peripheral artery occlusive disease, PAOD): fortschreitende Verengung bzw. Verschluss der die Arme/ (häufiger) Beine versorgenden Arterien, meist aufgrund von Atherosklerose (Arteriosklerose, Arterienverkalkung)Arterienverkalkung)
  • Hypertonie (Bluthochdruck)

Leber, Gallenblase und Gallenwege – Pankreas (Bauchspeicheldrüse) (K70-K77; K80-K87)

  • Leberfunktionsstörungen, nicht näher bezeichnet

Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)

  • Anorexia nervosa (Magersucht)
  • Alkoholkonsum, chronischer
  • Kontaktstörungen
  • Multiple Sklerose (MS)
  • Neurologische Erkrankungen, nicht näher bezeichnet
  • Psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen
  • Psychische Konflikte
  • Von der Norm abweichende sexuelle Neigungen

Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen

  • Stress

Urogenitalsystem (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)

  • Nierenfunktionsstörungen, nicht näher bezeichnet

Labordiagnosen – Laborparameter, die als unabhängige Risikofaktoren/Ursachen gelten

  • Hyperlipidämie (Fettstoffwechselstörung) wie Hypercholesterinämie oder Hypertriglyzeridämie
  • Hyperprolaktinämie (erhöhte Prolaktin-Serumspiegel)
  • Testosteron ↓

Medikamente

  • Antidepressiva
    • Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI, Selective Serotonin Reuptake Inhibitor) – Citalopram, Escitalopram, Fluvoxamin, Fluoxetin, Sertralin
  • Antihypertensiva
    • Angiotensin-II-Antagonisten (Synonyme: AT-II-RB; ARB; Angiotensin-II-Rezeptor-Subtyp-1-Antagonisten; AT1-Rezeptorantagonisten, AT1-Antagonisten; Angiotensin-Rezeptorblocker (ARB), „Sartane“) – Candesartan, Eprosartan, Irbesartan, Losartan, Olmesartan, Telmisartan, Valsartan
    • Betablocker (Atenolol, Betaxolol, Bisoprolol, Carvedilol, Celiprolol, Metoprolol, Nadolol, Nebivolol Oxprenolol, Pindolol, Propranolol 
    • Clonidin
    • Methyldopa
    • Reserpin
  • Antipsychotika (Neuroleptika)
  • Anxiolytika
  • Haarwuchsmittel (Finasterid)
  • Lipidsenker
    • Clofibrate (Bezafibrat, Fenofibrat, Gemfibrozil)
  • Magen- und Darmtherapeutika (Cimetidin, Metoclopramid)
  • Prostatamittel (Finasterid, Dutasterid)
  • Psychoanaleptika
  • Sympathomimetika 
  • Tranquilizer
  • Zytostatika (Estramustin, Methotrexat, Revlimid)

Die nachfolgend genannten Wirkstoffe bzw. Wirkstoffgruppen können eine Hyperprolaktinämie [1-3] auslösen und damit beim Mann zu Libido- und Potenzstörungen führen:

  • Adrenalin
  • Angiotensin II
  • Antiarrhythmika (Verapamil)
  • Antidepressiva
    • MAO-Hemmer (Moclobemid, Rasagilin, Selegilin, Tranylcypromin)
    • Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, SSRI (Selective Serotonin-Reuptake-Inhibitoren) (Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin)
    • Trizyklische Antidepressiva (Amitryptilin, Amitriptylin­oxid, Clomipramin, Desipramin, Dopexin, Imipramin, Maprotilin, Nortriptylin, Opipramol, Tranylcypromin, Trimipramin)
  • Antiemetika (Domperidon, Metoclopramid)
  • Antihistaminika (Synonyme: Histamin-Rezeptorblocker oder Histamin-Rezeptorantagonisten)
  • Antihypertensiva (Clonidin, Methyldopa)
    • Calciumkanalblocker (Amlodipin, Dilitiazem, Nifedipin))
  • Antipsychotika (Neuroleptika)
    • Konventionelle (Klassische) Antipsychotika (Neuroleptika)
      • Butyrophenone – Benperidon, Fluspirilen, Haloperidol, Melperon, Pipamperon
      • Trizyklische Neuroleptika
        • Phenothiazine (Chlorpromazin, Fluphenazin, Levomepromazin, Perazin, Perphenazin, Promethazin, Thioridazin)
        • Thioxanthene (Chlorprothixen, Flupentixol, Zuclopenthixol)
    • Atypische Antipsychotika (Neuroleptika)
      • Benzamide – Sulpirid
      • Benzisoxazolpiperidin – Risperidon
      • Dibenzodiazepine – Olanzapin, Quetiapin
  • Antisympathotonika (Reserpin)
  • Endogene Opiate (Endorphine)
  • Endorphin
  • Hormone
    • Antiandrogene (Cyproteronacetat)
    • GnRH
    • Melatonin
    • Östrogene
    • TRH
    • TSH-Releasing-Hormon (Synonyme: Thyroid-Stimulating Hormone, Thyrotropin)
  • H2-Rezeptorenblocker (Cimetidin, Ranitidin)
  • Opioide (Hydromorphon, Morphin)
  • Oxytocin
  • Psychopharmaka (Phenothiazine, Thioxanthene)
  • Serotonin
  • Vasopressin

Operationen

  • Orchiektomie, beidseits (Entfernung beider Hoden)

Literatur

  1. Stauber M, Weyerstahl T: Gynäkologie und Geburtshilfe. Thieme Verlag Stuttgart, 2005
  2. Karow T, Lang-Roth R: Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie. 18. Auflage 2010
  3. Fauci AS et al.: Harrisons Innere Medizin, 17. Auflage Hrsg.: M Dietel, N Suttorp, M Zeitz ABW Wissenschaftsverlag Berlin, 2009
  4. Finkelstein JS, Lee H, Burnett-Bowie SA, Pallais JC, Yu EW, Borges LF, Jones BF, Barry CV, Wulczyn KE, Thomas BJ, Leder BZ: Gonadal steroids and body composition, strength, and sexual function in men. N Engl J Med. 2013 Sep 12;369(11):1011-22. doi: 10.1056/NEJMoa1206168.
  5. Cooke PS, Nanjappa MK, Ko C, Prins GS, Hess RA: Estrogens in Male Physiology. Physiol Rev. 2017 Jul 1;97(3):995-1043. doi: 10.1152/physrev.00018.2016.
  6. Rochira V et al.: Estrogens and male reproduction. Bookshelf ID: NBK278933, 2018
  7. Schulster M, Bernie AM, Ramasamy R: The role of estradiol in male reproductive function. Asian J Androl. 2016 May-Jun;18(3):435-40. doi: 10.4103/1008-682X.173932.
  8. Schulster. M et al.: The role of estradiol in male reproductive function. Asian J Androl. 2016 May-Jun; 18(3): 435–440. doi: 10.4103/1008-682X.173932.