Trigeminusneuralgie – Strahlentherapie
Die Trigeminusneuralgie (Gesichtsschmerz durch Reizung des Drillingsnervs) ist eine chronische, neuropathische Schmerzerkrankung (krankhafte Nervenschmerzstörung), die durch blitzartig einschießende Schmerzen im Versorgungsgebiet des Nervus trigeminus (fünfter Hirnnerv) charakterisiert ist. Neben medikamentösen und chirurgischen Verfahren stellt die Strahlentherapie (Behandlung mit ionisierender Strahlung), insbesondere in Form der stereotaktischen Radiochirurgie (punktgenaue Bestrahlung ohne Operation), eine etablierte therapeutische Option dar – vor allem bei therapierefraktären Verläufen (nicht auf Medikamente ansprechende Verläufe) oder bei Kontraindikationen (medizinische Gründe gegen eine Behandlung) für invasive Eingriffe.
Zielsetzung und Wirkung
Therapeutische Zielsetzung
Ziel der strahlentherapeutischen Behandlung ist die dauerhafte Reduktion oder Ausschaltung der Schmerzattacken durch gezielte Läsionierung (gezielte Zerstörung) der Nervenstruktur oder deren Umgebung, insbesondere im Bereich des Nervenwurzelaustritts (Austrittsstelle des Nervs aus dem Gehirn).
Wirkmechanismus
Die hochpräzise Bestrahlung mit hoher Dosis führt zu einer funktionellen Destruktion (Funktionsausschaltung) von pathologisch aktiven Nervenfasern in der Eintrittszone des Nervus trigeminus in das Ponsareal (Bereich des Hirnstamms). Dies geschieht ohne mechanische Manipulation, was das Risiko für neurologische Defizite (Störungen der Nervenfunktion) im Vergleich zur Mikrokompression oder Dekompression (Druckentlastung) minimiert.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Medikamentös therapierefraktäre klassische Trigeminusneuralgie (nicht durch Medikamente beherrschbarer Gesichtsschmerz)
- Rezidive (Rückfälle) nach operativen Eingriffen (z. B. mikrovaskuläre Dekompression, perkutane Thermokoagulation)
- Patienten mit Kontraindikationen (Gegenanzeigen) für chirurgische Maßnahmen (z. B. Multimorbidität, Ablehnung invasiver Verfahren)
- Idiopathische Trigeminusneuralgie (Gesichtsschmerz ohne erkennbare Ursache) ohne vaskuläre Kompression (ohne Gefäßdruck auf den Nerv)
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Nachweis einer symptomatischen Trigeminusneuralgie sekundär zu Tumoren (z. B. Neurinom – gutartiger Nerventumor) – primär operative oder systemische Therapie erforderlich
- Strahlensensibilität (Strahlenempfindlichkeit, z. B. bei genetischen Erkrankungen wie Ataxia teleangiectatica)
- Vorbestrahlung des Zielgebietes mit maximaler Dosis
- Unklare Schmerzgenese (unklare Schmerzursache) oder atypische Schmerzverläufe ohne klare Trigeminusbeteiligung
Das Verfahren (Anwendung und Durchführung)
Die stereotaktische Radiochirurgie (punktgenaue Bestrahlung ohne Operation) wird meist als einmalige fraktionierte Hochdosisbehandlung (einmalige Bestrahlung mit hoher Strahlendosis) mit Linearbeschleuniger (Bestrahlungsgerät), Gamma Knife oder CyberKnife durchgeführt:
- Planung: Hochauflösende Magnetresonanztomographie (MRT, Schnittbildverfahren mit Magnetfeldern) in Kombination mit Computertomographie (CT, Röntgenschichtbild) zur Zielvolumenbestimmung
- Zielstruktur: Meist die Eintrittszone des Nervus trigeminus in den Pons (Eintrittsstelle des Nervs in den Hirnstamm)
- Dosis: Typischerweise 70-90 Gy (Strahlendosis) in einer Einzelsitzung
- Dauer: Die eigentliche Bestrahlung dauert wenige Minuten, die Planung kann mehrere Stunden beanspruchen
- Monitoring: Keine Narkose erforderlich; ambulante Durchführung ist Standard
Aktueller Stellenwert im Therapiekonzept
Die Radiochirurgie (punktgenaue Bestrahlung) stellt eine anerkannte, minimalinvasive Option bei therapierefraktären Verläufen (nicht auf Medikamente ansprechende Verläufe) der klassischen Trigeminusneuralgie dar. Sie eignet sich insbesondere für ältere oder chirurgisch nicht belastbare Patienten. Der Vorteil liegt in der geringen Invasivität (geringe Belastung für den Körper) bei gleichzeitig guter Langzeitwirkung, allerdings mit einer verzögerten Wirkung von bis zu mehreren Wochen.
Evidenzlage und Studien
- In mehreren retrospektiven Studien (rückblickende Auswertungen) sowie prospektiven Kohortenanalysen (vorausschauende Patientenbeobachtung) wurde eine signifikante Schmerzreduktion bei bis zu 80 % der Patienten berichtet, mit einer anhaltenden Wirkung über 3-5 Jahre [1].
- Vergleichsstudien mit operativen Verfahren zeigen eine vergleichbare Effektivität, jedoch mit niedrigerer Inzidenz sensibler Defizite (geringere Wahrscheinlichkeit für Gefühlsstörungen) [2].
- Die Wirksamkeit ist bei idiopathischer Trigeminusneuralgie höher als bei sekundären Formen.
- Nebenwirkungen sind selten, beinhalten vor allem leichte Hypästhesien oder Parästhesien (vermindertes oder unangenehmes Gefühl) im Versorgungsgebiet des N. trigeminus [3].
Literatur
- Kondziolka D, Lunsford LD, Flickinger JC. Stereotactic radiosurgery for trigeminal neuralgia: a multiinstitutional study. J Neurosurg. 1996 Jan;84(1):940-5. doi: 10.3171/jns.1996.84.6.0940
- Tuleasca C, Régis J, Sahgal A et al. Stereotactic radiosurgery for trigeminal neuralgia: a systematic review. J Neurosurg. 2018;130(3):733-757. doi: https://doi.org/10.3171/2017.9.JNS17545
- Sato D et al.: Long-Term Results of Gamma Knife Radiosurgery for Trigeminal Neuralgia World Neurosurg . 2023 Mar:171:e787-e791. doi: 10.1016/j.wneu.2022.12.110. Epub 2022 Dec 28.