Tourette-Syndrom – Medizingerätediagnostik

Obligate Medizingerätediagnostik

  • Standardisiertes Video-Monitoring (Videoaufzeichnung der Symptome) – zur objektiven Beurteilung der Tic-Charakteristik (z. B. motorisch (Bewegung) vs. vokal (Lautäußerung), einfach vs. komplex)
  • Audiovisuelle Beobachtung (Beobachtung von Bewegungen und Lauten) – zur Erkennung von Unterdrückungsfähigkeit, Suggestibilität (Beeinflussbarkeit), Rebound-Effekt (verstärkte Symptome nach Unterdrückung)
  • Neurokognitive Testverfahren (Testung geistiger Leistungsfähigkeit) – zur Beurteilung von Aufmerksamkeits- und Exekutivfunktionen (Planungs- und Steuerungsfähigkeit) – z. B. bei Verdacht auf komorbides Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom (ADHS)
  • Verhaltensdiagnostik (Verhaltensanalyse) – standardisierte Erfassung komorbider Störungen (z. B. Zwangsstörung (Zwangshandlungen und -gedanken), Angststörung (Angstkrankheit), depressive Symptomatik (depressive Verstimmung), Impulskontrollstörung (Kontrollverlust über Handlungsimpulse))

Fakultative Medizingerätediagnostik – in Abhängigkeit von den Ergebnissen der Anamnese, körperlichen Untersuchung, Labordiagnostik und obligaten Medizingerätediagnostik – zur differentialdiagnostischen Abklärung

Neurologische Zusatzuntersuchungen

  • Magnetresonanztomographie des Schädels (Kernspintomographie des Kopfes) – bei atypischem Verlauf, neurologischen Ausfällen (Funktionsstörungen des Nervensystems), fokalen Zeichen (örtlich begrenzte neurologische Symptome), Beginn nach dem 18. Lebensjahr oder progredienter Symptomatik (zunehmender Verlauf); dient dem Ausschluss struktureller Läsionen (Gewebeschäden) wie Tumor (Geschwulst), Enzephalitis (Gehirnentzündung), Multiple Sklerose (entzündliche Nervenerkrankung), Basalganglienpathologie (Erkrankung tiefer Hirnzentren)
  • Elektroenzephalographie (EEG, Hirnstrommessung) – bei Verdacht auf epileptische Aktivität (Anfallsleiden), Bewusstseinsstörungen oder bei Anfallsäquivalenten (anfallsähnlichen Zuständen)
  • Elektromyographie (EMG, Muskelstrommessung) – zur Differenzierung zwischen Tics und Myoklonien (ruckartige Muskelzuckungen) bzw. choreatischen Bewegungen (unwillkürliche Bewegungen) bei unklarem Bewegungsmuster
  • Evokierte Potenziale (VEP, AEP, SEP – Messung der Reizweiterleitung in Nervenbahnen) – nur bei begleitenden sensorischen Defiziten (Störungen der Sinneswahrnehmung) oder unklaren neurologischen Ausfällen
  • Liquordiagnostik (Untersuchung des Nervenwassers) – bei Verdacht auf entzündliche oder infektiöse Genese (Ursache), z. B. Autoimmunenzephalitis (autoimmune Gehirnentzündung), Neuroborreliose (Nerveninfektion durch Borrelien), postinfektiöse Tic-Syndrome (Tic-Erkrankungen nach Infektionen)
  • Genetische Diagnostik (Erbgutanalyse) – in Ausnahmefällen, wenn anamnestisch familiäre Häufung (mehrere betroffene Familienmitglieder) mit atypischem Verlauf oder syndromalen Begleiterscheinungen (z. B. Fragiles-X-Syndrom (genetische Entwicklungsstörung), Neuroakantocytose (seltene Nerven- und Bluterkrankung)) vorliegt

Psychiatrisch-neuropsychologische Zusatzverfahren

  • Funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT, spezielle Hirnfunktionsdarstellung) – in wissenschaftlichen bzw. spezialisierten klinischen Zentren zur Untersuchung der Aktivierungsmuster in Basalganglien (tiefe Hirnkerne), Thalamus (Zwischenhirnstruktur) und präfrontalem Cortex (vorderer Stirnlappen); nicht routinemäßig
  • Computertomographie (CT) des Schädels (Schädel-Computertomographie) – nur indiziert, wenn eine MRT nicht durchführbar ist (z. B. bei Metallimplantaten)
  • Polysomnographie (Schlaflaboruntersuchung) – bei zusätzlicher Symptomatik im Rahmen von Schlafstörungen (z. B. Restless-Legs-Syndrom (unruhige Beine), Schlafmyoklonien (nächtliche Muskelzuckungen))
  • Neuropsychologische Detaildiagnostik (umfangreiche Gedächtnis- und Aufmerksamkeitstests) – zur quantitativen Erfassung von Aufmerksamkeits-, Gedächtnis- und Planungsdefiziten (kognitive Störungen), insbesondere bei Verdacht auf ADHS-Komorbidität

Begründung (Leitlinienlage)

  • Nach der ESSTS-Leitlinie 2022 ist die Diagnose des Tourette-Syndroms (Tic-Erkrankung mit Bewegungs- und Lautäußerungen) eine klinische Diagnose, die auf Anamnese (Krankengeschichte) und Beobachtung basiert.
  • Eine Bildgebung oder EEG ist nicht routinemäßig erforderlich, sondern fakultativ, wenn neurologische Auffälligkeiten (z. B. Lähmungen, Krampfanfälle), atypischer Verlauf oder andere organische Verdachtsmomente (körperliche Ursachen) bestehen.
  • Zusatzverfahren wie fMRT oder genetische Analysen sind nicht Bestandteil der Routine, sondern Forschungs- oder Spezialdiagnostik.
  • Differenzialdiagnostisch müssen insbesondere sekundäre Tic-Erkrankungen (z. B. bei struktureller Läsion (Hirnschaden), entzündlicher Erkrankung, medikamentöser Ursache oder neurodegenerativer Erkrankung (fortschreitender Nervenzellabbau)) ausgeschlossen werden.

Leitlinien

  1. European Society for the Study of Tourette Syndrome (ESSTS). European clinical guidelines for Tourette syndrome and other tic disorders – version 2.0. Eur Child Adolesc Psychiatry. 2022;31(3):383–416. DOI: 10.1007/s00787-021-01842-2