Gangstörungen – Anamnese

Die Anamnese (Krankengeschichte) stellt einen wichtigen Baustein in der Diagnostik der Gangstörung dar.

Familienanamnese

  • Gibt es in Ihrer Familie neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Morbus Parkinson oder hereditäre Ataxien (erblich bedingte Erkrankungen, die zu Koordinationsstörungen führen)?
  • Bestehen familiäre Häufungen von Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus oder Schilddrüsenerkrankungen?

Sozialanamnese

  • Beruf:
    • Welchen Beruf üben Sie aus?
    • Gibt es dabei Expositionen gegenüber toxischen Substanzen (z. B. Schwermetalle), die neurologische Symptome verursachen könnten?
  • Wie gestalten Sie Ihre Freizeit? Gibt es Aktivitäten, die mit einem erhöhten Risiko für Kopf- oder Rückenverletzungen einhergehen?

Reiseanamnese

  • Waren Sie in den letzten Wochen oder Monaten auf Reisen? Wenn ja:
    • Wann sind Sie gereist? [Wichtig zur Einschätzung der Inkubationszeit]
    • Wie lange dauerte Ihr Aufenthalt?
    • Waren Sie in den letzten Monaten in tropischen oder subtropischen Gebieten?
      • z. B. Südostasien, Afrika, Mittel- und Südamerika, Osteuropa
    • Haben Sie sich in ländlichen oder waldreichen Regionen aufgehalten?
      • z. B. Nordamerika, Russland, Skandinavien, Mitteleuropa [FSME, Borreliose]
    • Waren Sie in Regionen mit erhöhter Tollwut-Gefahr oder in Kontakt mit Wildtieren?
      • z. B. Indien, China, Afrika, Südamerika, Osteuropa [Tollwut]
    • Waren Sie in tropischen Regenwaldgebieten oder in Höhlen?
      • z. B. Amazonas, Kongo, Südostasien [Trypanosomiasis (Schlafkrankheit), Histoplasmose, Ebola]
    • Haben Sie Gebiete besucht, in denen Japanische Enzephalitis vorkommt?
      • z. B. China, Indien, Thailand, Philippinen, Indonesien
  • Hatten Sie Zeckenstiche während Ihrer Reise?
  • Wurden Sie von Mücken gestochen?
  • Hatten Sie Kontakt mit Tieren, insbesondere Hunden, Fledermäusen oder Affen?
  • Hatten Sie Kontakt mit stehenden Gewässern oder Flüssen?
  • Haben Sie ungekochtes Wasser oder Rohmilchprodukte konsumiert?
  • Wurden Sie während Ihrer Reise medizinisch behandelt, hatten Sie eine Bluttransfusion oder chirurgische Eingriffe?
  • Wann sind die ersten Symptome aufgetreten? Direkt während der Reise oder erst nach der Rückkehr?
  • Erkrankungen, die mit reiseassoziierter Ataxie (Gangstörungen) einhergehen können, und ihre Risikogebiete:
    • Virale Enzephalitiden
      • Japanische Enzephalitis – Südostasien, China, Indien, Nepal, Indonesien, Philippinen, Papua-Neuguinea
      • Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) – Mitteleuropa (Deutschland, Österreich, Schweiz, Tschechien), Skandinavien, Baltikum, Russland, Osteuropa
      • Tollwut – Afrika, Asien (Indien, China, Philippinen, Thailand, Indonesien), Mittel- und Südamerika, Osteuropa
      • West-Nil-Fieber – USA, Kanada, Südeuropa (Italien, Spanien, Griechenland), Naher Osten, Afrika, Russland
      • Dengue-Fieber – Südostasien (Thailand, Vietnam, Malaysia, Indonesien, Philippinen), Lateinamerika (Brasilien, Mexiko, Kolumbien), Afrika (Ägypten, Kenia, Tansania), Karibik
      • Zika-Virus – Mittel- und Südamerika (Brasilien, Kolumbien, Mexiko), Karibik, Südostasien, Afrika
    • Bakterielle Infektionen:
      • Borreliose (Lyme-Krankheit) – Nordamerika (USA, Kanada), Mitteleuropa (Deutschland, Österreich, Schweiz, Polen, Frankreich, Skandinavien), Russland
      • Leptospirose – Tropen und Subtropen (Südamerika, Afrika, Südostasien, Karibik, Pazifikinseln)
      • Listeriose – Weltweit verbreitet, besonders in Entwicklungsländern mit schlechter Lebensmittelhygiene
      • Brucellose – Mittelmeerraum (Spanien, Italien, Griechenland, Türkei), Naher Osten, Zentralasien, Afrika, Südamerika
      • Tuberkulose – Afrika (Südafrika, Nigeria, DR Kongo), Südostasien (Indien, Indonesien, Philippinen), Osteuropa, Zentralasien
      • Syphilis – Weltweit, mit erhöhtem Risiko in Osteuropa, Afrika, Südostasien und Lateinamerika
      • Rickettsiosen (Fleckfieber, Zeckenbissfieber) – Afrika (Äthiopien, Kenia, Südafrika), Mittelmeerraum, Südostasien, Australien, Mittel- und Südamerika
    • Parasitäre Erkrankungen:
      • Afrikanische Trypanosomiasis (Schlafkrankheit) – West- und Zentralafrika (Demokratische Republik Kongo, Angola, Sudan, Tschad, Uganda, Mosambik, Nigeria, Tansania)
      • Malaria – Subsahara-Afrika (Nigeria, DR Kongo, Mosambik, Uganda), Südostasien (Myanmar, Indonesien, Papua-Neuguinea), Südamerika (Brasilien, Venezuela, Peru)
      • Bilharziose (Schistosomiasis) – Afrika (Ägypten, Sudan, Kenia, Tansania, Mali), Naher Osten, Brasilien, Philippinen, China

Aktuelle Anamnese/Systemanamnese

  • Wann haben die Beschwerden begonnen?
  • Hat sich die Intensität verändert? Stärker geworden?
  • War der Beginn plötzlich* (Hinweis auf Apoplex (Schlaganfall)) oder schleichend (Hinweis auf degenerative Erkrankungen wie Morbus Parkinson)?
  • Wann tritt die Gangstörung auf? Immer? Regelmäßig?
  • Wie weit können Sie am Stück laufen?
  • Können Sie Treppe steigen?
  • Wird die Gangstörung bei geschlossenen Augen schlimmer?
  • Beschreiben Sie Ihren Gang:
    • Hinkend (möglicherweise aufgrund von Schmerzen, z. B. bei Arthrose)
    • Unkoordiniert (Hinweis auf Ataxie, z. B. bei Kleinhirnerkrankungen)
    • Kleinschrittig (typisch für Parkinson)
    • Breitbasig (kann auf sensorische Ataxie hindeuten, z. B. bei Polyneuropathie (Erkrankung der peripheren Nerven))
  • Begleitsymptome:
    • Schwindel?
    • Zittern?
    • Sehstörungen?*
    • Sensibilitätsstörungen?
    • Schmerzen in den Beinen oder im Rücken bzw. beim Gehen? Falls ja:
      • Wo genau sind dann die Schmerzen?
      • Wird der Schmerz, je länger sie laufen, besser oder müssen sie eine Pause einlegen?
    • Inkontinenz?
    • Kognitive Störungen*
  • Werden die Beschwerden in Dunkelheit oder auf unebenem Untergrund schlimmer (Hinweis auf sensorische Defizite)?
  • Sind Sie schon einmal im Rahmen der Gangstörungen gestürzt?
  • Beeinflussen bestimmte Medikamente Ihre Symptome?
  • Gibt es Veränderungen beim Stuhlgang oder Wasserlassen?

Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese

  • Haben Sie Veränderungen des Appetits bemerkt?
  • Haben Sie ungewollt Gewicht verloren (kann auf systemische Erkrankungen hindeuten)? Geben Sie bitte uns Ihr Körpergewicht (in kg) und Ihre Körpergröße (in cm) an.
  • Rauchen Sie? Wenn ja, wie viele Zigaretten, Zigarren oder Pfeifen pro Tag?
  • Nehmen Sie Drogen? Wenn ja, welche Drogen und wie häufig pro Tag bzw. pro Woche?

Eigenanamnese

  • Vorerkrankungen:
    • Bestehen bekannte neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Morbus Parkinson oder Apoplexe (Schlaganfälle)?
    • Leiden Sie an Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus oder Schilddrüsenerkrankungen?
    • Haben Sie eine Anämie (Blutarmut) oder andere Blutbildveränderungen?
  • Wurden Sie am Gehirn, Rückenmark oder an den Gelenken operiert?
  • Sind Allergien oder Unverträglichkeiten bekannt?

Medikamentenanamnese

  • Analgetika (Schmerzmittel), nicht näher bezeichnet
  • Antiarrhythmika – Medikamente gegen Herzrhythmusstörungen, nicht näher bezeichnet
  • Anticholinergika (Parasympatholytika) – Medikamente, die bestimmte Nervenendigungen blockieren und dort verschiedene Wirkungen wahrnehmen
  • Antidiabetika, nicht näher bezeichnet
  • Antihypertonika – Medikamente gegen Bluthochdruck wie ACE-Hemmer, Betablocker
  • Antipsychotika (Neuroleptika) – Medikamente, die bei psychischen Erkrankungen eingesetzt werden wie Melperon, Fluspirilen
  • Anti-Parkinson-Medikamente
  • Benzodiazepine – Beruhigungsmittel wie Diazepam
  • Chinin (Malariamedikament)
  • Lithium
  • Phenytoin (Antikonvulsivum: Medikamente zur Epilepsie-Behandlung)

* Falls diese Frage mit "Ja" beantwortet worden ist, ist ein sofortiger Arztbesuch erforderlich! (Angaben ohne Gewähr)

Unsere Empfehlung: Drucken Sie die Anamnese aus, markieren Sie alle mit „Ja“ beantworteten Fragen und nehmen Sie das Dokument mit zu Ihrem behandelnden Arzt.