Megaloblastäre Anämie – Anamnese

Die Anamnese (Krankengeschichte) stellt einen wichtigen Baustein in der Diagnostik der megaloblastären Anämie dar.

Familienanamnese

  • Gibt es in Ihrer Familie bekannte hämatologische Erkrankungen (Erkrankungen des Blutes) (z. B. perniziöse Anämie, Sichelzellenanämie, Thalassämie, hämolytische Anämien, angeborene Störungen des Vitamin-B12- oder Folsäurestoffwechsels)?
  • Leiden nahe Verwandte an chronischen Darmerkrankungen (z. B. Morbus Crohn, Zöliakie (Glutenunverträglichkeit)), die die Nährstoffaufnahme beeinträchtigen können?
  • Gibt es in Ihrer Familie Autoimmunerkrankungen (z. B. Hashimoto-Thyreoiditis, Typ-1-Diabetes), die mit einem erhöhten Risiko für perniziöse Anämie einhergehen können?

Sozialanamnese

  • Beruf:
    • In welchem Berufsfeld arbeiten Sie?
    • Besteht eine Exposition gegenüber toxischen Substanzen (z. B. Schwermetallen, organischen Lösungsmitteln)?

Aktuelle Anamnese/Systemanamnese (somatische und psychische Beschwerden)

  • Haben Sie eine allgemeine Leistungsminderung, schnelle Ermüdbarkeit, Müdigkeit, Blässe, Schwindel, Herzklopfen oder Atemnot bemerkt?**
  • Treten gastrointestinale Symptome wie Zungenbrennen, Appetitlosigkeit, Bauchschmerzen, Übelkeit, Durchfälle oder Verstopfung auf?**
  • Fallen neurologische Symptome wie Kribbeln oder Taubheitsgefühle, Muskelschwäche, Gangunsicherheit, Sehstörungen oder Gedächtnisprobleme auf?**
  • Gab es psychische Veränderungen wie Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen, depressive Verstimmung oder Verwirrtheit?**

Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese

  • Ernähren Sie sich ausgewogen und nehmen Sie ausreichend Lebensmittel mit Vitamin B12 (Fleisch, Fisch, Eier, Milchprodukte) und Folsäure (grünes Blattgemüse, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte) zu sich?
  • Ernähren Sie sich vegetarisch oder vegan und wenn ja, nutzen Sie Supplemente?
  • Haben Sie in letzter Zeit stark abgenommen oder zugenommen?
  • Trinken Sie Alkohol? Wenn ja, welches Getränk bzw. welche Getränke und wie viele Gläser pro Tag?
  • Nehmen Sie Drogen? Wenn ja, welche Drogen und wie häufig pro Tag bzw. pro Woche?

Eigenanamnese inkl. Medikamentenanamnese

  • Vorerkrankungen:
    • Herz-Kreislauf-Erkrankungen?
    • Bluterkrankungen?
    • Chronische Darmerkrankungen (z. B. Morbus Crohn, Colitis ulcerosa)?
    • Lebererkrankungen?
    • Chronische Infektionen?
    • Autoimmunerkrankungen (z. B. Hashimoto-Thyreoiditis, Typ-1-Diabetes)?
  • Hatten Sie eine Magenoperation (insbesondere Magenresektion (Teil- oder vollständige Entfernung des Magens), Dünndarmoperationen oder bariatrische Eingriffe (Magenverkleinerung oder andere Operationen zur Behandlung von starkem Übergewicht))?
  • Sind Sie aktuell schwanger oder besteht ein Kinderwunsch?
  • Stillen Sie zurzeit?

Medikamentenanamnese

Medikamenteninduzierte Ursachen eines B12-Mangels

  • Antikonvulsiva (z. B. Phenytoin, Phenobarbital, Primidon) – Beeinträchtigen die intestinale Absorption von Vitamin B12
  • Chloramphenicol – Kann die Knochenmarksfunktion zusätzlich beeinträchtigen
  • Colchicin – Hemmt die Zellteilung und stört die intestinale Resorption
  • Distickstoffmonoxid (Lachgas) – Oxidiert Cobalamin irreversibel und macht es funktionell inaktiv
  • H2-Rezeptorantagonisten (z. B. Ranitidin, Famotidin) – Verringern die Magensäuresekretion und behindern die Freisetzung von Vitamin B12 aus Nahrungsproteinen
  • Methotrexat – Hemmt die DNA-Synthese; relevant im Rahmen kombinierter Folsäure-/B12-Mangelzustände
  • Metformin – Beeinträchtigt die intestinale Aufnahme von Vitamin B12
  • Neomycin – Antibiotikum, das die Resorption im Dünndarm hemmt
  • Protonenpumpenhemmer (PPI) (z. B. Omeprazol, Pantoprazol) – Reduzieren die Magensäureproduktion und somit die Freisetzung von Vitamin B12 aus der Nahrung
  • Pyrimethamin und Trimethoprim – Hemmen die Dihydrofolatreduktase und können kombinierte Folsäure- und Vitamin-B12-Störungen verstärken

Medikamenteninduzierte Ursachen eines Folsäuremangels

  • Barbiturate (z. B. Phenobarbital) – Induzieren mikrosomale Leberenzyme und beschleunigen den Folsäuremetabolismus
  • Carbamazepin – Antikonvulsivum; reduziert Plasmaspiegel von Folsäure durch beschleunigten Metabolismus
  • Cholestyramin – Gallensäurebinder; kann auch fettlösliche Vitamine und Folsäure binden und so die Absorption hemmen
  • Cycloserin – Antibiotikum; kann mit Folsäuremetabolismus interferieren (selten, aber dokumentiert)
  • Hydroxyurea (Hydroxycarbamid) – Zytostatikum; bei längerem Einsatz erhöhter Bedarf an Folsäure
  • Isoniazid – Antituberkulotikum; hemmt indirekt die Umwandlung von Folsäure in aktive Formen
  • Lamotrigin – Antiepileptikum; möglicherweise mit Störung der Folsäurehomöostase assoziiert
  • Methotrexat – Dihydrofolatreduktase-Inhibitor; blockiert die Umwandlung von Folsäure zu Tetrahydrofolat
  • Metformin – Kann zusätzlich zur Beeinflussung des B12-Stoffwechsels auch den Folsäurestatus negativ beeinflussen
  • Nitrofurantoin – Harnwegsantibiotikum; bei Langzeiteinnahme in Einzelfällen mit Folsäuremangel assoziiert
  • Pentamidin – Antiprotozoikum; hemmt indirekt den Folsäuremetabolismus
  • Phenobarbital – siehe Barbiturate
  • Phenytoin – Antikonvulsivum; reduziert intestinale Absorption und erhöht metabolische Inaktivierung von Folsäure
  • Primidon – Prodrug von Phenobarbital; gleiches Wirkprofil bezüglich Folsäure
  • Pyrimethamin – Antimalariamittel; potenter Dihydrofolatreduktase-Hemmer
  • Sulfasalazin – Hemmt die intestinale Folsäureresorption, insbesondere bei CED-Patienten
  • Triamteren – Kaliumsparendes Diuretikum; hemmt Dihydrofolatreduktase in vitro
  • Trimethoprim – Hemmt selektiv die bakterielle und auch menschliche Dihydrofolatreduktase

Anämie (Blutarmut)

  • Antiprotozoika
    • Analogon des Azofarbstoffs Trypanblau (Suramin)
    • Pentamidin
  • Chelatbildner (D-Penicillamin, Trieethylentetramin-Dihydrochlorid (Trien), Tetrathiomolybdan)
  • Direkter Faktor Xa-Inhibitor (Rivaroxaban)
  • Immunsuppressiva (Thalidomid)
  • Januskinase-Inhibitoren (Ruxolitinib)
  • Monoklonale Antikörper – Pertuzumab
  • mTOR-Inhibitoren (Everolimus, Temsirolimus)
  • Neomycin
  • P-Aminosalicylsäure (Mesalazin)
  • Phenytoin [megaoblastäre Anämie]
  • Thrombininhibitor (Dabigatran)
  • Tuberkulostatika (Isoniazid, INH; Rifampicin, RMF)
  • Virostatika
    • Nukleosid-Analoga (Ribavirin) [hämolytische Anämie]
    • NS5A-Inhibitoren (Daclatasvir)
    • Protease-Inhibitoren (Boceprevir, Telaprevir)

Aplastische Anämie

  • Allopurinol*
  • Alpha-Methyldopa*
  • Antibiotika – Medikamente wie Streptomycin*, Tetracyclin* oder Methicillin*
  • Antidiabetika – Tolbutamid und Chlorpropamid
  • Antihistaminika – Cimetidin
  • Antikonvulsiva – Carbomazepin
  • Carboanhydrasehemmer (CAH, CAI)Acetazolamid, Dichlorphenamid, Methazolamid
  • Chinidin*
  • Chloramphenicol
  • Colchicin
  • D-Penicillamin – Medikament, welches bei der Therapie der rheumatoiden Arthritis eingesetzt wird
  • Lithium*
  • Medikamente gegen Protozoen-Infektionen wie Chloroquin oder Mepacrin
  • Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) – Phenylbutazon, Ibuprofen oder Acetylsalicylsäure (ASS)
  • Östrogene
  • Sedativa – wie Chlorpromazin* oder Meprobamat*
  • Sulfonamide
  • Tuberkulostatika (Isoniazid, INH)
  • Thyreostatika – wie Methylthiouracil oder Carbimazol
  • Zytostatika
    • Alkylanzien wie Chlorambucil oder Cyclophosphamid
    • Antimetaboliten wie Mercaptopurin, Fluorouracil oder Methotrexat
    • Mitosehemmer wie Vincristin oder Paclitaxel

Anmerkung: Bei den mit Stern (*) gekennzeichneten Medikamenten ist der Zusammenhang mit der aplastischen Anämie nur gering belegt.

** Falls diese Frage mit "Ja" beantwortet worden ist, ist ein sofortiger Arztbesuch erforderlich! (Angaben ohne Gewähr)

Unsere Empfehlung: Drucken Sie die Anamnese aus, markieren Sie alle mit „Ja“ beantworteten Fragen und nehmen Sie das Dokument mit zu Ihrem behandelnden Arzt.