Drohende Frühgeburt – Medikamentöse Therapie

Therapieziel

Ziel ist es entweder die Schwangerschaft zeitlich möglichst zu prolongieren (verlängern), da die tägliche Zunahme der Reife eine Reduktion der Morbidität (Krankheitshäufigkeit) und Mortalität (Sterberate) bedeutet, oder bei entsprechender Pathologie wie z. B. ausgeprägter Plazentainsuffizienz die Lungenreife durch Gabe von Glucocorticoiden zu induzieren und die Schwangere in ein Perinatalzentrum (Einrichtung zur Versorgung von Früh- und Neugeborenen) zu verlegen, um auf diese Weise dem Kind größere Überlebenschancen bzw. ein Leben ohne Handicap zu ermöglichen.   

Therapie, Allgemeines

Unter Nutzen-Risiko-Abwägung wird eine medikamentöse Tokolyse empfohlen von der 24+0 Schwangerschaftswoche (SSW) bis 34+0 SSW. Vor 24+0 SSW haben die Kinder meist keine Überlebenschancen, nach 34+0 SSW sind die Überlebenschancen der Kinder so gut, dass eine Schwangerschaftsverlängerung durch Tokolyse, da sie risikobehaftet ist, dem Kind keinen Vorteil mehr bringt und für die Mutter problematisch sein kann.
Siehe auch unter "Weitere Therapie".

Medikamentöse Therapie (grundsätzliche Überlegungen)

  • Die Dauer der Tokolyse (Wehenhemmung) sollte so kurz wie möglich sein.
  • Eine Tokolyse > 48 h sollte die Ausnahme und individuell begründet sein.
  • Eine orale Tokolyse mit Betamimetika ist ineffektiv und deshalb obsolet.
  • In Deutschland sind nur zwei Tokolytika zur Therapie zugelassen: Das Betamimetikum Fenoterol und der Oxytocin-Antagonist Atosiban.
  • Nach derzeitigem Wissensstand gibt es kein Tokolytikum (Wehenhemmer) der ersten Wahl. Das Präparat sollte unter individuellen Gesichtspunkten (Nebenwirkungen, Kontraindikationen/Gegenanzeigen, Wirksamkeit, Effektivität, spezielle Situation, Off-Label-Situation) ausgewählt werden.

Indikationen zur Therapie

  • Vorzeitige Wehentätigkeit: spontane, regelmäßige Wehen (> 4/20 Min) und
  • gleichzeitig eine Verkürzung der funktionellen Cervixlänge und/oder
  • Eröffnung der Cervix 

Sonographische Cervixlängenmessung [7, 8]

Cervixlänge
 ≥ 30 mm  15-30 mm  < 15 mm
   Biochemischer Test*  
   Negativ  Positiv  
Niedriges Risiko: keine Behandlung Niedriges Risiko: keine Behandlung Erhöhtes Risiko: stationäre Aufnahme, Tokolyse Erhöhtes Risiko: stationäre Aufnahme Tokolyse

*Fetales Fibronektin (fFN; siehe unter Labordiagnostik)

Kontraindikationen (Gegenanzeigen) zur Therapie

  • Amnioninfektionssyndrom (engl.: amniotic infection syndrome, abgekürzt: AIS; Infektion der Eihöhle, Plazenta, Eihäute und eventuell des Fetus/ungeborene Kind während der Schwangerschaft oder Geburt mit Gefahr der Sepsis (Blutvergiftung) für das Kind)
  • Fehlbildungen des Kindes, die mit dem Leben unvereinbar sind
  • Kindliche Indikation zur Beendigung der Schwangerschaft
  • Mütterliche Indikation zur Beendigung der Schwangerschaft

Wirkstoffe

  • In Deutschland sind lediglich Fenoterol und Atosiban zur Tokolyse zugelassen. 
  • Indometacin und Nifedipin sind die wirksamsten Tokolytika hinsichtlich der Schwangerschaftsverlängerung um 48 Stunden. Sie haben die geringsten Nebenwirkungen und ein gutes neonatale Outcome, d. h. die Medikation bekommt dem Neugeborenen gut.
  • Bei einer Frühgeburt 32 SSW kann durch die Gabe von Magnesium i.v. eine fetale Neuroprotektion im Sinne einer Reduktion kindlicher Zerebralparesen erreicht werden.

Lungenreifeinduktion mit Glucocorticoiden

Die pränatale Applikation von Glucocorticoiden (Synonym: antenatale Kortikosteroidtherapie, ACT) zwischen 24+0 SSW und 33+6 SSW zur Induktion (Einleitung) der Lungenreife, d. h. Forzierung der intraalveolären Surfactan-Synthese, ist die effektivste Therapie zur Prophylaxe eines kindlichen Atemnotsyndroms. Es reduziert auch intraventrikuläre Hirnblutungen, die Inzidenz nekrotisierender Enterokolitiden (NEC; Darmerkrankung, die als Komplikation bei der Behandlung von sehr klein Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht kleiner 1.500 g gefürchtet ist) und damit die perinatale Mortalität (Anzahl der kindlichen Todesfälle in der Perinatalperiode/Totgeburten und Todesfälle bis zum 7. Tag nach der Geburt).

Bei neonatal-intensivmedizinischer Maximaltherapie und drohender Frühgeburt < 24 SSW kann auf Wunsch der Eltern die Steroidgabe auch ab der 22+0 SSW erfolgen.

Die pränatale Gabe von Steroiden in der 34. bis Ende der 36. SSW konnte in einer randomisierten klinischen Studie die Häufigkeit von respiratorischen Komplikationen um 20 % senken. Die Therapie war mit einer erhöhten Rate von neonatalen Hypoglykämien verbunden, die zu keinen ernsthaften Folgen führte.
Eine Ausweitung der pränatalen Steroidtherapie bis zum Ende der 36. Gestationswoche ist sicherlich zu diskutieren [5].

Weitere Hinweise

  • Eine Kohortenstudie mit fast 30.000 extremen Frühchen belegt, dass eine Lungenreifeinduktion mit Glucocorticoiden selbst bei einer Geburt zwischen der 22. und 23. Gestationswoche (Schwangerschaftswoche) die Überlebenschancen verbesserte [9]. 
    Fazit: Bei einer zu erwartenden drohenden Frühgeburt ab der 22. SSW sollten vorgeburtlich Glucocorticoide gegeben werden.
  • Eine populations­basierte, retrospektive Ko­hortenstudie konnte zeigen, dass Frühgeborene, deren Mütter zur Reifung der fetalen Lungenfunktion Glucocorti­coide erhalten hatten, signifikant häufiger als Kinder, die nicht exponiert waren, unter psychischen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten leiden [10].
    Fazit: N
    ur Kinder, die tatsächlich zu früh geboren werden, ziehen auch ein Nutzen aus der Therapie. Das bedeutet, dass die Auswahl zur Therapie sorgfältig getroffen werden muss, um überflüssige Fehlbehandlungen auszuschließen.

Antibiotikatherapie

Vaginale Infektionen (Scheideninfektionen) sind die wichtigsten Ursachen für eine vorzeitige Wehentätigkeit und für einen vorzeitigen Blasensprung. Die Gabe von Antibiotika wird deshalb als primäre Therapie schon lange diskutiert. Metaanalysen bestätigen, dass die Applikation bei vorzeitigem Blasensprung sinnvoll unter dem Gesichtspunkt einer Verhinderung der Frühgeburt und der Reduktion der kindlichen Morbidität (Krankheitshäufigkeit) und Mortalität (Sterberate) ist. Bei drohender Frühgeburt ohne vorzeitigem Blasensprung lässt sich zwar die mütterliche Infektionsrate mindern, nicht jedoch die Schwangerschaft verlängern und die kindliche Morbidität und Mortalität verringern. Aus diesem Grunde wird derzeit die routinemäßige Applikation von Antibiotika bei vorzeitiger Wehentätigkeit nicht empfohlen.

Asymptomatische Bakteriurie (ASB): Die antibiotische Therapie der asymptomatischen Bakteriurie ist ebenfalls eine wichtige Maßnahme zur Reduktion der Anzahl der Frühgeburten [6].

Wirkstoffe zur Tokolyse (Hauptindikation)

  • Betamimetika
  • Calciumantagonisten
  • Magnesium
  • Nitrate (Nitro-Verbindungen)
  • Oxytocin-Rezeptor-Antagonisten
  • Prostaglandinsynthesehemmer antiphlogistische und antipyretische Analgetika (Schmerzmittel; Non-steroidal anti-inflammatory drugs (NSAID), nichtsteroidale Entzündungshemmer) bzw. Nicht-Steroidale Antirheumatika (Rheumamittel; NSAR)

Antibiotikatherapie bei vorzeitigem Blasensprung

Es gibt derzeit keine allgemeingültigen Empfehlungen zum Prozedere (Vorgehen), insbesondere was die Wahl der Antibiotika und die Dauer der Applikation  betrifft (die Applikation schwankt zwischen zwei Dosen bis zu 10 Tage Therapie. Viele machen für zwei Tage eine intravenöse und anschließend für fünf Tage eine orale Therapie.). Metaanalysen konnten eindeutig zeigen, dass es zu einer signifikanten Reduktion des Amnioninfektionssyndroms, sowie der mütterlichen und kindlichen Infektmorbidität kommt. 

Supplemente (Nahrungsergänzungsmittel; Vitalstoffe)

Geeignete Nahrungsergänzungsmittel für Schwangere sollten die folgenden Vitalstoffe enthalten:

  • Vitamine (C, E, D3, K, B1, B2, Niacin (Vitamin B3), Pantothensäure (Vitamin B5), B6, B12, aktivierte Folsäure, Biotin)
  • Mineralstoffe (Calcium, Kalium, Magnesium)
  • Spurenelemente (Chrom, Eisen, Jod, Molybdän, Selen, Zink)
  • Fettsäuren (Omega-3-Fettsäuren*: Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA))
  • Sekundäre Pflanzenstoffe (Beta-Carotin)
  • Weitere Vitalstoffe (Fruchtsäuren – Citrat (gebunden in Magnesiumcitrat und Kaliumcitrat))

*Prävention

Beachte: Die aufgeführten Vitalstoffe sind kein Ersatz für eine medikamentöse Therapie. Nahrungsergänzungsmittel sind dazu bestimmt, die allgemeine Ernährung in der jeweiligen Lebenssituation zu ergänzen.

Für Fragen zum Thema Nahrungsergänzungsmittel stehen wir Ihnen gerne kostenfrei zur Verfügung.

Nehmen Sie bei Fragen dazu bitte per E-Mail – info@docmedicus.de – Kontakt mit uns auf, und teilen Sie uns dabei Ihre Telefonnummer mit und wann wir Sie am besten erreichen können.

Literatur

  1. ACOG Guidelines on Premature Rupture of Membranes. Am Fam Physician. 2008 Jan 15;77(2):245-246.
  2. S2k-Leitlinie: Sepsis bei Neugeborenen – frühe Form – durch Streptokokken der Gruppe B, Prophylaxe. (AWMF-Registernummer: 024-020), März 2016 Langfassung
  3. Kenyon S, Boulvain M, Neilson JP: Antibiotics for preterm rupture of membranes. Cochrane Database Syst Rev. 2010 Aug 4;(8):CD001058. doi: 10.1002/14651858.CD001058.pub2.
  4. RCOG Guidelines ( Royal College of Obstetricians and Gynaecologists): Green-top Guidline No. 44. November 2006 (Minor amendment October 2010).
  5. Gyamfi-Bannerman C et al.: Antenatal Betamethasone for Women at Risk for Late Preterm Delivery. N Engl J Med 2016; 374:1311-1320April 7, 2016 doi: 10.1056/NEJMoa1516783
  6. Gonçalves LF et al.: Intrauterine infection and prematurity. Mental retardation and developmental disabilities research reviews 8.1 (2002): 3-13.
  7. DeFranco EA et al.: Improving the screening accuracy for preterm labor: is the combination of fetal fibronectin and cervical length in symptomatic patients a useful predictor of preterm birth? A systematic review. Am J Obstet Gynecol 2013;208(3):233.e1-6 doi10.1016/j.ajog.2012.12.015
  8. van Baaren GJ et al.: Predictive value of cervical length measurement and fibronectin testing in threatened preterm labor. Obstet Gynecol 2014;123(6):1185-92 doi: 10.1097/AOG.0000000000000229.
  9. Ehret DEY et al.: Association of Antenatal Steroid Exposure With Survival Among Infants Receiving Postnatal Life Support at 22 to 25 Weeks’ Gestation. JAMA Network Open. 2018;1(6):e183235. doi:10.1001/jamanetworkopen.2018.3235
  10. Räikkönen K et al.: Associations Between Maternal Antenatal Corticosteroid Treatment and Mental and Behavioral Disorders in Children. JAMA. 2020;323(19):1924-1933. doi:10.1001/jama.2020.3937

Leitlinien

  1. S1-Leitlinie: Vorzeitiger Blasensprung, Empfehlungen zum Vorgehen beim .... (AWMF-Registernummer: 015 - 029), Juni 2006 Langfassung
  2. RCOG Guidelines ( Royal College of Obstetricians and Gynaecologists): Green-top Guideline No. 44. November 2006 (Minor amendment October 2010).
  3. S2k-Leitlinie: Sepsis bei Neugeborenen – frühe Form – durch Streptokokken der Gruppe B, Prophylaxe. (AWMF-Registernummer: 024 - 020), März 2016 Langfassung
  4. S2k-Leitlinie: Prävention und Therapie der Frühgeburt. (AWMF-Registernummer: 015 - 025), Oktober 2022 Langfassung