Atemnotsyndrom des Erwachsenen (ARDS) – Medikamentöse Therapie

Therapieziele

  • Behandlung der Hypoxie (Sauerstoffmangel im Blut)
  • Vermeidung weiterer Komplikationen (Folgeerkrankungen)

Therapieempfehlungen

  • Maschinelle Beatmung/lungenprotektive Beatmung (s. u. „Weitere Therapie“)
    • Ziel: Begrenzung der beatmungsinduzierten Lungenschädigung durch niedrige Tidalvolumina (6 ml/kg Körpergewicht) und Begrenzung des Plateaudrucks < 30 cm H₂O
    • Bei besonders schweren Verlaufsformen des ARDS (akutes Atemnotsyndrom) ggf. mit einer initialen neuromuskulären Blockade mit Cisatracurium (nicht-depolarisierendes Muskelrelaxans) für 48 Stunden → Reduktion der 90-Tage-Mortalität und der Gesamtbeatmungsdauer [1]
  • Flüssigkeitsrestriktion – zur Reduktion des interstitiellen Lungenödems (Flüssigkeitsansammlung in der Lunge) und Verbesserung der Sauerstoffversorgung
  • Lagerungstherapie – erhöhte Oberkörperlagerung; ggf. intermittierend Bauchlage (bei schwerem ARDS empfohlen, da signifikante Mortalitätsreduktion belegt)
  • Medikamentöse Therapie
    • Schmerz- und Beruhigungsmittel – erforderlich bei mechanischer Beatmung
    • Glucocorticoide (Kortisonpräparate): gemäß aktueller S3-Leitlinie keine routinemäßige Anwendung bei ARDS-Patienten (Empfehlungsgrad stark).
      Die Datenlage ist uneinheitlich; ein schädigender Effekt kann nicht ausgeschlossen werden. Eine individuelle Entscheidung kann in Ausnahmefällen getroffen werden (z. B. bei durch Lungenentzündung (Pneumonie) ausgelöstem ARDS mit positiver Datenlage).
    • Substitution von synthetischem, rekombinantem oder natürlichem Surfactant (oberflächenaktive Substanz der Lunge) – kurzfristige Verbesserung der Sauerstoffversorgung, kein Effekt auf die Sterblichkeit
    • β₂-Rezeptor-Agonisten (z. B. Salbutamol i. v. oder Albuterol inhalativ): kein nachgewiesener positiver Effekt
    • Almitrin (gefäßverengendes Mittel): kann das Verhältnis zwischen Belüftung und Durchblutung der Lunge verbessern; Cave: Risiko einer Übersäuerung (Laktatazidose) und Leberschädigung
  • ECMO (extracorporale Membranoxygenierung – externe Sauerstoffversorgung des Blutes) – zur temporären Organunterstützung („bridge to recovery“)
    • Venovenöse ECMO (vvECMO): nur nach Ausschöpfen konservativer Maßnahmen einschließlich Bauchlagerung (Empfehlungsgrad schwach)
    • Entwöhnung von der Beatmung (Weaning) nach Organerholung bzw. Einsatz als „bridge to transplant“ (Überbrückung bis zur Transplantation), wenn keine Regeneration eintritt
    • Strukturanforderungen an ECMO-Zentren:
      • strukturiertes, ECMO-spezifisches Ausbildungskonzept für ärztliches und pflegerisches Personal
      • 24/7-Verfügbarkeit eines Facharztes mit Zusatzbezeichnung Intensivmedizin
      • Fachdisziplinen: Gefäßchirurgie, Neurochirurgie/Neurologie
      • Diagnostische und interventionelle Verfahren rund um die Uhr verfügbar: Computertomographie (CT), Endoskopie (Spiegelung), Bronchoskopie (Lungenspiegelung), Herzkatheter, Nierenersatztherapie (künstliche Blutwäsche)
      • 24/7-Transfermöglichkeit durch mobiles ECMO-Team
  • Low-flow-ECCO₂R-Verfahren (extrakorporale Kohlendioxid-Elimination): gemäß Leitlinie keine Anwendung außerhalb klinischer Studien (Empfehlungsgrad stark) – kein Nutzen hinsichtlich Sterblichkeit, potenzielles Komplikationsrisiko
  • Behandlung der Grunderkrankung – z. B. Sepsis (Blutvergiftung), Pneumonie (Lungenentzündung) (siehe auch unter Sepsis/Pharmakotherapie)

Weitere Hinweise

  • Bei erwachsenen Patienten mit SARS-CoV-2-induziertem ARDS, die systemische Corticosteroide und invasive Beatmung (mit oder ohne ECMO) erhalten, kann der monoklonale Antikörper Vilobelimab (bindet den Entzündungsfaktor C5a und blockiert die Komplementaktivierung) indiziert sein.
  • Strenge Überwachung auf sekundäre Komplikationen: beatmungsbedingte Lungenentzündung, Barotrauma (Überdruckschaden der Lunge), Kreislauf- und Organfunktionsstörungen.
  • Regelmäßige Reevaluation der Beatmungsstrategie, Flüssigkeitsbilanz und Sedierungstiefe.

Literatur

  1. Papazian L et al.: ACURASYS Study Investigators: Neuromuscular blockers in early acute respiratory distress syndrome. N Engl J Med 2010 Sep 16;363(12):1107-16. doi: 10.1056/NEJMoa1005372.

Leitlinien

  1. S3-Leitlinie: Invasive Beatmung und Einsatz extrakorporaler Verfahren bei akuter respiratorischer Insuffizienz. (AWMF-Registernummer: 001 - 021), August 2025 Kurzfassung Langfassung