Megaloblastäre Anämie – Differentialdiagnosen

Blut, blutbildende Organe – Immunsystem (D50-D90)

  • Aplastische Anämie – Form der Anämie (Blutarmut), die durch eine Panzytopenie (Verminderung aller Zellreihen im Blut; Stammzellerkrankung) und eine gleichzeitig vorliegende Hypoplasie (Funktionseinschränkung) des Knochenmarks gekennzeichnet ist.
  • Blutungsanämie, akute (Blutungsquelle: vor allem genital oder gastrointestinal/Magen-Darm-Trakt)
  • Eisenmangelanämie (Blutarmut aufgrund von Eisenmangel)
  • Entzündungsanämie
  • Elliptozytose – Gruppe von seltenen Defekten des Membranskeletts der Erythrozyten (rote Blutkörperchen) mit autosomal-dominantem oder autosomal-rezessivem Erbgang; Blutausstrich zeigt zahlreiche elliptische Erythrozyten (Elliptozyten) 
  • G6PD-Mangel (Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase-Mangel) – genetische Erkrankung mit X-chromosomal rezessivem Erbgang; Mangel des Enzyms Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase führt zu rezidivierenden Hämolysen und chronischer Anämie; ca. 13 % aller männlichen Individuen aus Zentralafrika: milde, klinisch irrelevante Form; Menschen aus den Mittelmeerländern und China: schwere Form 
  • Hämoglobinopathien (Störungen der Hämoglobinsynthese) der β-Globinketten (manifestiert sich meist im 2. Lebensjahr)
  • Hämolytische Anämie – Anämie (Blutarmut), die durch einen gesteigerten Abbau bzw. Zerfall (Hämolyse) der Erythrozyten (rote Blutkörperchen) gekennzeichnet sind und der durch eine Mehrproduktion im roten Knochenmark nicht mehr ausgeglichen werden kann
  • Myelofibrose (Knochenmarkfibrose)
  • Renale Anämie (nierenbedingte Blutarmut)
  • Runners Anämie – Anämie (Blutarmut durch Zunahme des Blutplasmavolumens und durch vermehrte Hämolyse (Auflösung von roten Blutkörperchen) bei Läufern
  • Sichelzellenanämie (med.: Drepanozytose; auch Sichelzellanämie, engl.: sickle cell anemia) – genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die die Erythrozyten (rote Blutkörperchen) betrifft; sie gehört zur Gruppe der Hämoglobinopathien (Störungen des Hämoglobins; Bildung eines irregulären Hämoglobins, dem sogenannten Sichelzellhämoglobin, HbS)
  • Sphärozytose (Kugelzellenanämie)
  • Thalassämie – autosomal-rezessiv vererbbare Synthesestörung der Alpha- bzw. Beta-Ketten des Proteinanteils (Globin) im Hämoglobin (Hämoglobinopathie/Erkrankungen infolge einer gestörten Bildung von Hämoglobin)
    • α-Thalassämie (HbH-Krankheit, Hydrops fetalis/generalisierte Flüssigkeitsansammlung); Vorkommen: meist bei Südostasiaten
    • β-Thalassämien: weltweit häufigste monogenetische Erkrankung; Vorkommen: Menschen aus Mittelmeerländern, mittlerem Osten, Afghanistan, Indien und Südostasien
  • Tumoranämie

Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)

  • Eisenverwertungsstörungen
  • Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion)
  • Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion)
  • Morbus Addison – primäre Nebennierenrindeninsuffizienz (Nebennierenrinden Unterfunktion), die vor allem einen Ausfall der Cortisolproduktion bedingt, aber auch zu einem Mangel an Mineralocorticoiden (Aldosteron) führt
  • Panhypopituitarismus – Erkrankung, die zu einer Einschränkung bzw. einem kompletten Ausfall aller Hypophysenhormone (Hormone der Hirnanhangsdrüse) führt

Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)

  • Chronische Entzündungen, nicht näher bezeichnet → Anämie bei Entzündung (früher Anämie bei chronischer Erkrankung, ACD); ACD gilt nach der Eisenmangelanämie als zweithäufigste Anämie weltweit 
  • Chronische Infektionen, nicht näher bezeichnet
  • Helminthiasis (Wurmerkrankungen)
  • Malaria
  • Parvovirus-B19-induzierte aplastische Krise bei hämolytischen Anämien
  • Virusinfektionsassoziierte hämolytische Krisen bei hämolytischen Anämien

Leber, Gallenblase und Gallenwege – Pankreas (Bauchspeicheldrüse) (K70-K77; K80-K87)

  • Lebererkrankungen wie Hepatitis (Leberentzündung; z. B. hepatitisassoziierte aplastische Anämie)
  • Portale Hypertension (Pfortaderhochdruck)
  • Zieve-Syndrom – Trias aus: Hyperlipoproteinämie (Synonym: Hyperlipidämie/Fettstoffwechselstörung), hämolytischer Anämie und alkoholtoxischer Leberschaden mit Ikterus (Gelbsucht

Mund, Ösophagus (Speiseröhre), Magen und Darm (K00-K67; K90-K93)

  • Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) (Colitis ulcerosa, Morbus Crohn (Enteritis regionalis))
  • Gastritis (Magenschleimhautentzündung)
  • Gastroösophageale Refluxkrankheit – Erkrankung, die mit einem häufigen Reflux (Rückfluss) von saurem Magensaft und anderen Mageninhalten in den Ösophagus (Speiseröhre) einhergeht
  • Hiatushernie (Zwerchfellbruch)
  • Zöliakie (gluteninduzierte Enteropathie) – Erkrankung der Dünndarmmukosa (Dünndarmschleimhaut), die auf einer Überempfindlichkeit gegen das Getreideeiweiß Gluten beruht

Muskel-Skelett-System und Bindegewebe (M00-M99)

  • Chronisch-entzündliche Erkrankungen (z. B. rheumatoide Arthritis)

Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)

  • Kolonkarzinom (Dickdarmkrebs)
  • Leukämie (Blutkrebs)
  • Magenkarzinom (Magenkrebs)
  • Morbus Hodgkin – maligne Neoplasie (bösartige Neubildung) des lymphatischen Systems mit möglichen Befall weiterer Organe. Sie wird zu den malignen Lymphomen gezählt
  • Myelodysplastisches Syndrom (MDS) – erworbene klonale Erkrankungen des Knochenmarks, die mit einer Störung der Hämatopoese (Blutbildung) einhergeht; definiert durch [2]:
    • dysplastische Zellen im Knochenmark oder Ringsideroblasten oder eine Vermehrung von Myeloblasten bis 19 %
    • Zytopenien (Verminderung der Anzahl der Zellen im Blut) im peripheren Blutbild
    • Ausschluss von reaktiven Ursachen dieser Zytopenien
    Ein Viertel der MDS-Patienten entwickelt eine akute myeloische Leukämie (AML).
  • Plasmozytom (multiples Myelom) – maligne (bösartige) Systemerkrankung, die zu den Non-Hodgkin-Lymphomen der B-Lymphozyten zählt
  • Leiomyome (Uterus myomatosus) – häufigste gutartige Neubildung der Frau, die von der Muskulatur (Myom) des Uterus (Gebärmutter) ausgeht. Die Myome sind histologisch (feingeweblich) meist Leiomyome

Urogenitalsystem (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)

  • Hypermenorrhoe – verstärkte Regelblutung (Blutung ist zu stark (> 80 ml); in der Regel verbraucht die Betroffene mehr als fünf Vorlagen/ Tampons pro Tag)
  • Niereninsuffizienz – Prozess, der zu einer langsam fortschreitenden Verringerung der Nierenfunktion führt

Verletzungen, Vergiftungen und andere Folgen äußerer Ursachen (S00-T98)

  • Bleiintoxikation (Bleivergiftung)

Weitere Differentialdiagnosen

  • Hämolytische Krisen bei G6PD-Mangel
  • Schwangerschaftshydrämie – Verdünnungsanämie durch Wasserretention in der Schwangerschaft

Medikamente

Anämie 

  • Antiprotozoika
    • Analogon des Azofarbstoffs Trypanblau (Suramin)
    • Pentamidin
  • Alpha-Methyldopa (Antihypertensivum) 
  • Antimalariamittel wie Primaquin oder Dapson
  • Chelatbildner (D-Penicillamin, Trieethylentetramin-Dihydrochlorid (Trien), Tetrathiomolybdan)
  • Chinidin
  • Direkter Faktor Xa-Inhibitor (Rivaroxaban)
  • Immunsuppressiva (Thalidomid)
  • Januskinase-Inhibitoren (Ruxolitinib)
  • Monoklonale Antikörper – Pertuzumab
  • mTOR-Inhibitoren (Everolimus, Temsirolimus)
  • Neomycin
  • P-Aminosalicylsäure (Mesalazin)
  • Phenytoin [megaoblastäre Anämie]
  • Thrombininhibitor (Dabigatran)
  • Tuberkulostatika (Isoniazid, INH; Rifampicin, RMF)
  • Virostatika
    • Nukleosid-Analoga (Ribavirin) [hämolytische Anämie]
    • NS5A-Inhibitoren (Daclatasvir)
    • Protease-Inhibitoren (Boceprevir, Telaprevir)

Aplastische Anämie

  • Allopurinol*
  • Alpha-Methyldopa*
  • Antibiotika – Medikamente wie Streptomycin*, Tetracyclin* oder Methicillin*
  • Antidiabetika – Tolbutamid und Chlorpropamid
  • Antihistaminika – Cimetidin
  • Antikonvulsiva – Carbomazepin
  • Carboanhydrasehemmer (CAH, CAI)Acetazolamid, Dichlorphenamid, Methazolamid
  • Chinidin*
  • Chloramphenicol
  • Colchicin
  • D-Penicillamin – Medikament, welches bei der Therapie der rheumatoiden Arthritis eingesetzt wird
  • Lithium*
  • Medikamente gegen Protozoen-Infektionen wie Chloroquin oder Mepacrin
  • Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) – Phenylbutazon, Ibuprofen oder Acetylsalicylsäure (ASS)
  • Östrogene
  • Sedativa – wie Chlorpromazin* oder Meprobamat*
  • Sulfonamide
  • Tuberkulostatika (Isoniazid, INH)
  • Thyreostatika – wie Methylthiouracil oder Carbimazol
  • Zytostatika
    • Alkylanzien wie Chlorambucil oder Cyclophosphamid
    • Antimetaboliten wie Mercaptopurin, Fluorouracil oder Methotrexat
    • Mitosehemmer wie Vincristin oder Paclitaxel

Anmerkung: Bei den Stern (*) gekennzeichneten Medikamenten ist der Zusammenhang mit der aplastischen Anämie nur gering belegt.

Umweltbelastungen – Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Arsen
  • Benzol
  • Bismut
  • Blei
  • Gold
  • Quecksilber

Literatur

  1. Thol F, Heuser M, Ganser A: Myelodysplastic syndromes. Internist (Berl) 2015; 56: 364-73