Nahrungsergänzung in der Schwangerschaft: Können Vitamine und Mineralstoffe das Risiko einer Fehlgeburt senken?
Fehlgeburten (Spontanaborte, Verlust der Schwangerschaft vor der 24. Woche) haben viele Ursachen. Während genetische Faktoren die häufigste Rolle spielen, rückt auch die Ernährung zunehmend in den Fokus. Eine gesicherte Versorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen ist für eine gesunde Schwangerschaft unverzichtbar, da einzelne Nährstoffdefizite das Risiko für Fehlgeburten erhöhen können. Beobachtungsstudien zeigen jedoch zugleich, dass die allgemeine Einnahme von Multivitaminpräparaten das Risiko nicht senken kann. Entscheidend ist daher nicht die pauschale Supplementation (Nahrungsergänzung), sondern die gezielte Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung mit bestimmten Mikronährstoffen [1, 2].
Vitamin B6 (Pyridoxin)
Ein niedriger Vitamin-B6-Status vor der Schwangerschaft war in einer Beobachtungsstudie mit einem erhöhten Risiko für frühe Schwangerschaftsverluste assoziiert [3]. Pyridoxin ist wie Folat und Vitamin B12 in den Homocystein-Stoffwechsel eingebunden und kann bei Mangel zu erhöhten Homocysteinspiegeln und einer gestörten Plazentafunktion (Funktion des Mutterkuchens) führen [4].
Empfehlung: Eine routinemäßige Supplementation ausschließlich zur Prävention von Fehlgeburten wird nach derzeitigem Wissensstand nicht empfohlen. Eine ausreichende Aufnahme über die Ernährung ist jedoch erforderlich, um den physiologischen Bedarf in der Schwangerschaft zu decken. Geeignete Quellen sind Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Bananen und Fisch.
Folsäure (Vitamin B9)
Niedrige Folatspiegel (Vitamin-B9-Spiegel) sind in Studien mit einem erhöhten Risiko für frühe Fehlgeburten assoziiert, insbesondere wenn beim Embryo chromosomale Veränderungen (Abweichungen im Erbgut) vorliegen [5]. Frauen mit wiederholten Fehlgeburten (recurrent pregnancy loss, RPL) weisen häufig erhöhte und niedrige Folatwerte auf [4]. Der Mechanismus beruht auf der zentralen Rolle von Folat im Ein-Kohlenstoff-Stoffwechsel (biochemischer Prozess für Zellteilung und Genregulation), der DNA-Synthese und der Methylierung (chemische Steuerung von Genaktivitäten).
Der präventive Effekt erfordert eine frühzeitige Einnahme: Das Neuralrohr (Vorstufe von Gehirn und Rückenmark) schließt sich zwischen dem 15. und 28. Tag nach der Empfängnis – häufig, bevor die Schwangerschaft überhaupt bekannt ist. Frauen mit Kinderwunsch sollten daher spätestens vier Wochen vor der Empfängnis mit der täglichen Einnahme von 400 µg Folsäure oder äquivalenten Dosen anderer Folate in Form eines Supplements (Nahrungsergänzung) beginnen und diese im ersten Trimenon (ersten Drittel der Schwangerschaft) fortsetzen [12, 21].
Empfehlung: Die Supplementation sollte möglichst zu einem Teil in Form von 5-Methyltetrahydrofolsäure (5-MTHF) erfolgen. Diese biologisch aktive Form ist direkt wirksam und unabhängig von genetischen Varianten des MTHFR-Enzyms (Methylen-Tetrahydrofolat-Reduktase). Häufige Polymorphismen (genetische Varianten) im MTHFR-Gen können die Umwandlung von Folsäure in 5-MTHF einschränken. Eine direkte Supplementation mit 5-MTHF stellt daher die zuverlässigste Versorgung dar.
Vitamin B12 (Cobalamin)
Frauen mit wiederholten Fehlgeburten weisen häufiger niedrige Vitamin-B12-Spiegel und erhöhte Homocysteinwerte auf [4, 6]. Vitamin B12 dient als Cofaktor der Methioninsynthase (Enzym für DNA-Synthese und Methylierung) und wirkt einem Anstieg von Homocystein entgegen. Ein Mangel beeinträchtigt dadurch die Plazentadurchblutung.
Empfehlung: Besonders Frauen mit vegetarischer oder veganer Ernährung sollten Vitamin B12 ergänzen, da pflanzliche Lebensmittel praktisch keine relevanten Mengen enthalten [21].
Vitamin A und Beta-Carotin
Vitamin A (Retinol) ist für die Schwangerschaft von grundlegender Bedeutung: Es unterstützt die Entwicklung von Augen, Haut, Immunsystem und Lunge des Kindes und ist damit essenziell für das kindliche Wachstum. Ein Mangel kann die Organentwicklung beeinträchtigen. Gleichzeitig ist jedoch bekannt, dass eine Überdosierung von Retinol erhebliche Risiken birgt. Überhöhte Spiegel können insbesondere in der Frühschwangerschaft die Organentwicklung des Embryos stören und schwere Fehlbildungen verursachen. Besonders problematisch sind Retinoide (Vitamin-A-Abkömmlinge, z. B. Isotretinoin – ein stark wirksames Medikament gegen schwere Akne), die eindeutig teratogen (fehlbildungsfördernd) wirken und streng kontraindiziert sind, da sie das Risiko für Fehlbildungen und Fehlgeburten erhöhen [1, 7-9].
Empfehlung: Schwangere sollten keine Retinol-Präparate einnehmen und den Verzehr großer Mengen an Leberprodukten vermeiden, da diese sehr hohe Retinolkonzentrationen enthalten und so eine Überdosierung begünstigen. Beta-Carotin (Provitamin A) aus pflanzlichen Lebensmitteln ist hingegen unbedenklich, da es nur bei Bedarf in Vitamin A umgewandelt wird. Besonders reichhaltige Quellen sind Karotten, Süßkartoffeln, Kürbis, Spinat, Grünkohl und Aprikosen. Ihr Verzehr stellt eine sichere und ausreichende Versorgung mit Vitamin A sicher und unterstützt so die gesunde Entwicklung des Kindes, ohne das Risiko einer Überdosierung.
Vitamin D
Eine Metaanalyse ergab, dass Frauen mit Vitamin-D-Mangel (< 50 nmol/L) ein fast doppelt so hohes Risiko für Fehlgeburten hatten wie Frauen mit ausreichenden Spiegeln (> 75 nmol/L) [10]. Die Datenlage ist jedoch heterogen, andere Studien konnten diesen Zusammenhang nicht bestätigen [2]. Vitamin D reguliert Immunprozesse und die Plazentaentwicklung, wodurch ein Mangel die Schwangerschaft beeinträchtigen könnte.
Empfehlung: Eine routinemäßige Supplementation nur zur Fehlgeburtsprävention wird derzeit nicht empfohlen. Eine adäquate Zufuhr über Sonnenexposition und Ernährung (z. B. fettreiche Fische, Eigelb) stellt jedoch eine Grundvoraussetzung für eine stabile Vitamin-D-Versorgung dar. Bei nachgewiesenem Mangel sollte eine gezielte Supplementation erfolgen [21].
Magnesium
Beobachtungsstudien assoziieren einen niedrigen Magnesiumstatus mit Plazentafunktionsstörungen, Frühgeburten und hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen (Bluthochdruck in der Schwangerschaft) [11, 12]. Magnesium beeinflusst den Gefäßtonus (Spannung der Blutgefäße), die Erregbarkeit der Gebärmutter und die Zellteilung. Ein klarer Nutzen für die Prävention von Fehlgeburten ist bislang nicht nachgewiesen.
Empfehlung: Eine routinemäßige Supplementation ausschließlich zur Vorbeugung von Fehlgeburten wird derzeit nicht empfohlen. Eine ausreichende Magnesiumzufuhr über die Ernährung gehört jedoch zu den unverzichtbaren Elementen einer ausgewogenen Schwangerschaftsernährung. Reichhaltige Quellen sind Nüsse, Samen, Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte.
Eisen
Sowohl niedrige als auch sehr hohe Hämoglobinwerte (roter Blutfarbstoff im Blut) im ersten Trimenon sind mit einem erhöhten Fehlgeburtsrisiko verbunden. Optimal erscheinen Werte zwischen 120 und 130 g/L [13]. Eisen ist entscheidend für die Hämoglobinbildung und die Sauerstoffversorgung von Mutter und Kind. Ein Mangel führt zu Anämie (Blutarmut), die mit ungünstigen Schwangerschaftsverläufen assoziiert ist [14].
Empfehlung: Eine Supplementation sollte individuell anhand der Blutwerte erfolgen. Bei nachgewiesenem Mangel oder Anämie ist eine gezielte Substitution erforderlich [21].
Jod
Ein ausgeprägter Jodmangel ist mit erhöhten Raten an Fehl- und Totgeburten verbunden [13]. Jod ist essenziell für die Synthese von Schilddrüsenhormonen, die eine Schlüsselfunktion für die frühe Organentwicklung und die Plazentaentwicklung übernehmen. Ein Mangel kann zu Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) führen und das Fehlgeburtsrisiko erhöhen [15, 16].
Empfehlung: Schwangere sollten zusätzlich 100-150 µg Jod täglich aufnehmen, um insgesamt etwa 250 µg pro Tag zu erreichen. Da dies über die Ernährung kaum möglich ist, werden Supplemente empfohlen. Frauen mit Schilddrüsenerkrankungen sollten die Einnahme ärztlich abklären [21].
Selen und Zink
Niedrige Selen- und Zinkwerte wurden bei Frauen mit wiederholten Fehlgeburten häufiger nachgewiesen. Selen schützt vor oxidativem Stress und unterstützt die Schilddrüsenhormonaktivierung, Zink ist als Cofaktor an DNA-Synthese und antioxidativem Schutz beteiligt. Ein Mangel könnte die Stabilität der Schwangerschaft beeinträchtigen, die Evidenz ist jedoch begrenzt [17-20].
Empfehlung: Eine routinemäßige Supplementation nur zur Vorbeugung von Fehlgeburten wird derzeit nicht empfohlen. Eine ausreichende Aufnahme über die Ernährung ist jedoch erforderlich, um den physiologischen Bedarf in der Schwangerschaft zu decken. Wichtige Quellen sind Fleisch, Hülsenfrüchte, Nüsse, Samen und Vollkornprodukte (für Zink) sowie Fisch, Eier und Paranüsse (für Selen).
Fazit
Eine ausgewogene Ernährung bildet die Grundlage für eine gesunde Schwangerschaft und die optimale Entwicklung des Kindes. Beobachtungsstudien zeigen, dass Defizite bestimmter Mikronährstoffe – insbesondere Folsäure, Vitamin B12, Vitamin D, Eisen und Jod – mit einem erhöhten Risiko für Fehlgeburten verbunden sein können. Eine pauschale Einnahme von Multivitaminpräparaten senkt das Risiko für Fehlgeburten nach aktueller Datenlage jedoch nicht.
Für die Praxis gilt:
- Frauen mit Kinderwunsch sollten frühzeitig Folsäure, vorzugsweise in Form von 5-MTHF, sowie Jod supplementieren.
- Frauen mit vegetarischer oder veganer Ernährung benötigen eine Supplementation mit Vitamin B12.
- Eisen sollte gezielt bei nachgewiesenem Mangel oder Anämie (Blutarmut) ergänzt werden.
- Der Vitamin-D-Status sollte überprüft und ein Defizit gezielt ausgeglichen werden.
- Eine ausreichende Versorgung mit Vitamin B6, Magnesium, Selen und Zink ist ein wesentlicher Faktor für eine gesunde Schwangerschaft und die optimale Entwicklung des Kindes. Eine routinemäßige Supplementation allein zur Fehlgeburtsprävention ist nicht belegt. Grundlage bleibt eine ausgewogene Ernährung, die individuell nach Bedarf durch Supplemente ergänzt werden kann.
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