Nahrungsergänzung in der Schwangerschaft: Können Vitamine und Mineralstoffe Fehlbildungen vorbeugen?
Die adäquate Versorgung mit Mikronährstoffen während der Schwangerschaft ist ein wesentlicher Faktor für die embryonale sowie fetale Entwicklung und kann das Risiko für Fehlbildungen deutlich verringern. Zahlreiche Studien und Leitlinien von Fachgesellschaften belegen, dass bestimmte Vitamine und Mineralstoffe das Risiko für angeborene Fehlbildungen signifikant reduzieren können. Die Evidenz ist jedoch nicht für alle Nährstoffe gleich stark ausgeprägt. Besonders gesichert ist der präventive Effekt von Folsäure, Vitamin B12 und Jod. Darüber hinaus existieren weitere Nährstoffe, die für die allgemeine Entwicklung von Bedeutung sind und deren Einfluss auf Fehlbildungen untersucht wurde. Der folgende Überblick stellt die wichtigsten Mikronährstoffe, ihre präventive Bedeutung und die zugrundeliegenden Mechanismen dar.
Folsäure (Vitamin B9)
Die präventive Wirkung von Folsäure ist durch randomisierte kontrollierte Studien und Metaanalysen umfassend belegt. Eine perikonzeptionelle (um die Empfängnis herum) Supplementation reduziert das Risiko für Neuralrohrdefekte (Fehlbildungen des Rückenmarks) wie Spina bifida (offener Rücken) oder Anenzephalie (Fehlen großer Teile des Gehirns und Schädels) deutlich [1-4]. Zusätzlich gibt es Hinweise auf einen protektiven Effekt gegenüber angeborenen Herzfehlern und Lippen-Kiefer-Gaumenspalten [5]. Der Wirkmechanismus beruht auf der zentralen Rolle von Folat im Ein-Kohlenstoff-Stoffwechsel, der DNA-Synthese sowie der Methylierung [1, 2].
Der rechtzeitige Beginn der Einnahme von Folsäure ist entscheidend für seine präventive Wirkung: Das Neuralrohr schließt sich bereits zwischen dem 15. und 28. Tag nach der Empfängnis – häufig noch bevor eine Schwangerschaft überhaupt bekannt ist. Frauen mit Kinderwunsch sollten daher spätestens vier Wochen vor Eintritt der Schwangerschaft mit der täglichen Einnahme von 400 μg Folsäure oder äquivalenten Dosen anderer Folate in Form eines Supplements (Nahrungsergänzung) beginnen und die Einnahme während des ersten Drittels der Schwangerschaft beibehalten.
Empfehlung: Frauen mit Kinderwunsch sollten täglich 400 µg Folsäure einnehmen, beginnend mindestens vier Wochen vor der Empfängnis bis zum Ende des ersten Schwangerschaftsdrittels [6]. Die Supplementation sollte dabei möglichst zu einem Teil in Form von 5-Methyltetrahydrofolsäure (5-MTHF) erfolgen. Diese biologisch aktive Form ist direkt verfügbar und wirkt unabhängig von genetischen Varianten des MTHFR-Enzyms (Methylen-Tetrahydrofolat-Reduktase). Das Enzym wandelt Folsäure in die aktive Form 5-MTHF um, das für die DNA-Synthese und die Methylierung unerlässlich ist. Polymorphismen (genetische Varianten) im MTHFR-Gen sind in der Bevölkerung sehr häufig (C677T: heterozygot 35-45 %, homozygot 8-15 %; A1298C: heterozygot 30-35 %, homozygot 7-12 %) und können die Aktivität des Enzyms und somit die Bildung von 5-MTHF einschränken. Die direkte Supplementation mit 5-MTHF stellt daher die zuverlässigste Versorgung dar und bietet den bestmöglichen Schutz vor Neuralrohrdefekten.
Cobalamin (Vitamin B12)
Vitamin B12 ist eng mit dem Folatstoffwechsel verknüpft. Niedrige mütterliche B12-Spiegel sind mit einem erhöhten Risiko für Neuralrohrdefekte assoziiert, auch bei ausreichender Folsäurezufuhr [7, 8]. Vitamin B12 dient als Cofaktor der Methioninsynthase und verhindert dadurch eine Blockade des Folatstoffwechsels [7].
Empfehlung: Besonders Frauen mit vegetarischer oder veganer Ernährung sollten Vitamin B12 zusätzlich einnehmen [6].
Jod
Jod ist unverzichtbar für die Synthese von Schilddrüsenhormonen, die eine Schlüsselfunktion für die Organentwicklung und die fetale Gehirnentwicklung haben. Metaanalysen zeigen, dass ein Jodmangel in der Schwangerschaft mit Fehlgeburten, Totgeburten sowie neurologischen Entwicklungsstörungen assoziiert ist [9-12]. Die Supplementation reduziert diese Risiken signifikant.
Empfehlung: Schwangere sollten zusätzlich 100-150 µg Jod pro Tag aufnehmen [6].
Vitamin A (Retinol)
Vitamin A ist essenziell für die Entwicklung von Augen, Herz und Lunge. Ein schwerer Mangel kann Fehlbildungen in diesen Organsystemen verursachen. Gleichzeitig gilt eine Überdosierung in der Frühschwangerschaft als teratogen (fehlbildungsfördernd) und ist mit Missbildungen insbesondere im Bereich des Zentralen, des Schädels und des Herzens assoziiert [13, 14].
Beta-Carotin (Provitamin A) spielt in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle: Es wird im Körper bedarfsgerecht in Vitamin A umgewandelt. Dadurch besteht – im Gegensatz zu Retinol – kein Risiko einer Überdosierung mit teratogenen Effekten. Der Verzehr von beta-carotinreichen Lebensmitteln wie Karotten, Süßkartoffeln oder grünem Blattgemüse ist deshalb eine sichere Möglichkeit, die Versorgung mit Vitamin A in der Schwangerschaft zu unterstützen, ohne das Risiko für Fehlbildungen zu erhöhen.
Empfehlung: Keine Vitamin A (Retinol)-Präparate einnehmen; eine ausgewogene Zufuhr über die Ernährung ist ausreichend. Vom Verzehr großer Mengen an Leber (Innereien) ist in der Schwangerschaft abzuraten, da sie sehr hohe Retinol-Konzentrationen enthält und dadurch das Risiko für Fehlbildungen erhöhen kann. Der Verzehr von beta-carotinreichen Lebensmitteln (Karotten, Süßkartoffeln oder grünem Blattgemüse) ist hingegen unbedenklich und empfehlenswert [6].
Vitamin D, Eisen und Zink
Vitamin D, Eisen und Zink sind essenzielle Mikronährstoffe für die Schwangerschaft, deren Bedeutung vor allem in der Unterstützung der allgemeinen Entwicklung liegt.
- Eine Supplementation mit Vitamin D verbessert nachweislich den Vitamin-D-Status der Schwangeren und wirkt sich positiv auf die Knochengesundheit des Neugeborenen aus; ein direkter präventiver Effekt auf strukturelle Fehlbildungen ist jedoch nicht gesichert [15].
- Eisenmangel führt zu maternaler Anämie (Blutarmut der Mutter) und kann die fetale Sauerstoffversorgung beeinträchtigen. Supplementation senkt die Anämieprävalenz und erhöht das Geburtsgewicht, ein Zusammenhang mit der Prävention spezifischer Fehlbildungen konnte allerdings nicht belegt werden [16].
- Zink ist für DNA-Synthese und Zellteilung notwendig. Beobachtungsstudien deuten auf einen Zusammenhang zwischen Zinkmangel und einem erhöhten Fehlbildungsrisiko hin, randomisierte Studien zeigen jedoch keinen klaren präventiven Effekt, sondern eher eine Reduktion von Frühgeburten [17-19].
Empfehlung: Eine Supplementation von Vitamin D, Eisen oder Zink erfolgt gezielt nach individuellem Bedarf.
Cholin
Cholin ist ein essenzieller Methylgruppen-Donor (Stoff, der chemische Gruppen überträgt) im Ein-Kohlenstoff-Stoffwechsel und trägt zur normalen Entwicklung des Nervensystems bei. Studien zeigen, dass eine niedrige mütterliche Cholinaufnahme mit einem erhöhten Risiko für Neuralrohrdefekte assoziiert sein kann [20, 21]. Eine systematische Übersichtsarbeit bestätigte die Relevanz, hob jedoch die Heterogenität der Daten hervor [22].
Empfehlung: Eine routinemäßige Supplementation wird nicht empfohlen; wichtig ist jedoch eine ausreichende Aufnahme über die Ernährung, zum Beispiel durch Eier oder Fleisch.
Fazit
Die Evidenzlage ist eindeutig für Folsäure, Vitamin B12 und Jod, die nachweislich das Risiko schwerer Fehlbildungen senken. Vitamin A ist essenziell, birgt bei Überdosierung jedoch ein erhebliches teratogenes Risiko. Vitamin D, Eisen und Zink sind für die allgemeine Entwicklung von großer Bedeutung, ohne dass ein gesicherter präventiver Effekt auf strukturelle Fehlbildungen nachgewiesen ist. Cholin stellt einen potenziell relevanten Faktor dar, dessen präventiver Nutzen durch weitere Interventionsstudien zu prüfen ist.
Für die Praxis gilt: Frauen mit Kinderwunsch sollten frühzeitig Folsäure bevorzugt in der biologisch aktiven Form von 5-Methyltetrahydrofolsäure (5-MTHF) sowie Jod supplementieren. Vitamin B12 ist für Risikogruppen ebenfalls essenziell. Eine ausgewogene Ernährung deckt in der Regel die übrigen Nährstoffe ab, eine gezielte Supplementation sollte individuell nach Bedarf erfolgen.
Literatur
- MRC Vitamin Study Research Group. Prevention of neural tube defects: results of the Medical Research Council Vitamin Study. Lancet. 1991;338(8760):131–7
- Czeizel AE, Dudás I. Prevention of the first occurrence of neural-tube defects by periconceptional vitamin supplementation. N Engl J Med. 1992 Dec 24;327(26):1832-5. doi: 10.1056/NEJM199212243272602
- Berry RJ, Li Z, Erickson JD, Li S, Moore CA, Wang H, Mulinare J, Zhao P, Wong LY, Gindler J, Hong SX, Correa A. Prevention of neural-tube defects with folic acid in China. China-U.S. Collaborative Project for Neural Tube Defect Prevention. N Engl J Med. 1999 Nov 11;341(20):1485-90. doi: 10.1056/NEJM199911113412001
- De-Regil LM, Peña-Rosas JP, Fernández-Gaxiola AC, Rayco-Solon P. Effects and safety of periconceptional oral folate supplementation for preventing birth defects. Cochrane Database Syst Rev. 2015 Dec 14;2015(12):CD007950. doi: 10.1002/14651858.CD007950.pub3
- Feng Y, Wang S, Chen R, Tong X, Wu Z, Mo X. Maternal folic acid supplementation and the risk of congenital heart defects in offspring: a meta-analysis of epidemiological observational studies. Sci Rep. 2015 Feb 17;5:8506. doi: 10.1038/srep08506
- Koletzko B, Cremer M, Flothkötter M et al. Ernährung und Lebensstil vor und während der Schwangerschaft – Handlungsempfehlungen des Netzwerks Gesund ins Leben. Geburtsh Frauenheilk. 2018;78(12):1262–82
- Molloy AM, Kirke PN, Troendle JF, Burke H, Sutton M, Brody LC, Scott JM, Mills JL. Maternal vitamin B12 status and risk of neural tube defects in a population with high neural tube defect prevalence and no folic Acid fortification. Pediatrics. 2009 Mar;123(3):917-23. doi: 10.1542/peds.2008-1173
- Ray JG, Wyatt PR, Thompson MD, Vermeulen MJ, Meier C, Wong PY, Farrell SA, Cole DE. Vitamin B12 and the risk of neural tube defects in a folic-acid-fortified population. Epidemiology. 2007 May;18(3):362-6. doi: 10.1097/01.ede.0000257063.77411.e9
- Bougma K, Aboud FE, Harding KB, Marquis GS. Iodine and mental development of children 5 years old and under: a systematic review and meta-analysis. Nutrients. 2013 Apr 22;5(4):1384-416. doi: 10.3390/nu5041384
- Zhou SJ, Anderson AJ, Gibson RA, Makrides M. Effect of iodine supplementation in pregnancy on child development and other clinical outcomes: a systematic review of randomized controlled trials. Am J Clin Nutr. 2013 Nov;98(5):1241-54. doi: 10.3945/ajcn.113.065854
- Taylor PN, Okosieme OE, Dayan CM, Lazarus JH. Therapy of endocrine disease: Impact of iodine supplementation in mild-to-moderate iodine deficiency: systematic review and meta-analysis. Eur J Endocrinol. 2013 Oct 2;170(1):R1-R15. doi: 10.1530/EJE-13-0651
- Harding KB, Peña-Rosas JP, Webster AC, Yap CM, Payne BA, Ota E, De-Regil LM. Iodine supplementation for women during the preconception, pregnancy and postpartum period. Cochrane Database Syst Rev. 2017 Mar 5;3(3):CD011761. doi: 10.1002/14651858
- Lammer EJ, Chen DT, Hoar RM, Agnish ND, Benke PJ, Braun JT, Curry CJ, Fernhoff PM, Grix AW Jr, Lott IT, et al. Retinoic acid embryopathy. N Engl J Med. 1985 Oct 3;313(14):837-41. doi: 10.1056/NEJM198510033131401
- Rothman KJ, Moore LL, Singer MR, Nguyen US, Mannino S, Milunsky A. Teratogenicity of high vitamin A intake. N Engl J Med. 1995 Nov 23;333(21):1369-73. doi: 10.1056/NEJM199511233332101
- Palacios C, Kostiuk LL, Cuthbert A, Weeks J. Vitamin D supplementation for women during pregnancy. Cochrane Database Syst Rev. 2024 Jul 30;7(7):CD008873. doi: 10.1002/14651858.CD008873.pub5
- Finkelstein JL, Cuthbert A, Weeks J, Venkatramanan S, Larvie DY, De-Regil LM, Garcia-Casal MN. Daily oral iron supplementation during pregnancy. Cochrane Database Syst Rev. 2024 Aug 15;8(8):CD004736. doi: 10.1002/14651858.CD004736.pub6
- Moghimi M, Ashrafzadeh S, Rassi S, Naseh A. Maternal zinc deficiency and congenital anomalies in newborns. Pediatr Int. 2017 Apr;59(4):443-446. doi: 10.1111/ped.13176. Epub 2016 Dec 28
- Ota E, Mori R, Middleton P, Tobe-Gai R, Mahomed K, Miyazaki C, Bhutta ZA. Zinc supplementation for improving pregnancy and infant outcome. Cochrane Database Syst Rev. 2015 Feb 2;2015(2):CD000230. doi: 10.1002/14651858.CD000230.pub5
- Carducci B, Keats EC, Bhutta ZA. Zinc supplementation for improving pregnancy and infant outcome. Cochrane Database Syst Rev. 2021 Mar 16;3(3):CD000230. doi: 10.1002/14651858.CD000230.pub6
- Shaw GM, Carmichael SL, Yang W, Selvin S, Schaffer DM. Periconceptional dietary intake of choline and betaine and neural tube defects in offspring. Am J Epidemiol. 2004 Jul 15;160(2):102-9. doi: 10.1093/aje/kwh187
- Mills JL, Fan R, Brody LC, Liu A, Ueland PM, Wang Y, Kirke PN, Shane B, Molloy AM. Maternal choline concentrations during pregnancy and choline-related genetic variants as risk factors for neural tube defects. Am J Clin Nutr. 2014 Oct;100(4):1069-74. doi: 10.3945/ajcn.113.079319
- Jaiswal A, Dewani D, Reddy LS, Patel A. Choline Supplementation in Pregnancy: Current Evidence and Implications. Cureus. 2023 Nov 8;15(11):e48538. doi: 10.7759/cureus.48538