Myasthenia gravis – Labordiagnostik

Laborparameter 1. Ordnung – obligate Laboruntersuchungen

  • Kleines Blutbild – Abklärung Anämie (Blutarmut), Infektmuster, hämatologische Systemerkrankungen (Bluterkrankungen)
  • Differentialblutbild – Differenzierung bakterieller und viraler Infekte, Erkennung von Eosinophilie (erhöhte besondere weiße Blutkörperchen) bei Autoimmunprozessen (Erkrankungen des Abwehrsystems)
  • Entzündungsparameter – CRP (C-reaktives Protein) bzw. BSG (Blutsenkungsgeschwindigkeit) – meist unauffällig bei Myasthenia gravis (Muskelschwächeerkrankung), Anstieg spricht für Infektion oder Begleitentzündung
  • Elektrolyte – Calcium, Magnesium, Natrium, Kalium, Phosphat, Chlorid – Ausschluss elektrolytbedingter Muskelschwäche
  • Nüchternglucose (Nüchternblutzucker), ggf. oraler Glukosetoleranztest (oGTT) – Erfassung eines Diabetes mellitus 
  • Leberparameter – Alanin-Aminotransferase (ALT, GPT), Aspartat-Aminotransferase (AST, GOT) – Beurteilung der Leberfunktion, Ausschluss myotoxischer Ursachen (muskel­schädigende Ursachen)
  • Nierenparameter – Harnstoff, Kreatinin, ggf. Cystatin C bzw. Kreatinin-Clearance – Beurteilung der Nierenfunktion und Grundlage für Medikamentendosierungen
  • Schilddrüsenparameter – TSH, fT3, fT4 – Ausschluss von Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion)/Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) als Ursache oder Verstärker der Muskelschwäche
  • Serumeiweiß- und Immunelektrophorese – Erkennung mono- oder polyklonaler Gammopathien (Eiweißveränderungen im Blut) bei Autoimmunität oder paraneoplastischen Syndromen (Tumorbegleiterscheinungen)
  • Vitamin-B12-Status – Vitamin B12, Methylmalonsäure, Homocystein – Ausschluss eines Vitamin-B12-Mangels als Differenzialdiagnose für Neuropathie (Nervenschädigung)/Muskelschwäche
  • Autoantikörper-Diagnostik –
    • Anti-AChR-Antikörper – Nachweis bei ca. 50 % der Patienten mit okulärer Myasthenia gravis (Augenmuskelschwäche), bis zu 90 % bei generalisierter Myasthenia gravis, nahezu 100 % bei Thymom-assoziierter Myasthenie (Tumor des Thymusdrüsen-Gewebes)
    • Anti-Titin-Antikörper – bei Patienten unter 60 Jahren häufig mit Thymom (Thymusdrüsentumor) assoziiert, bei Patienten über 60 Jahren häufig ohne eigenständigen Krankheitswert
    • Anti-MuSK-Antikörper – in etwa 1-10 % der Fälle nachweisbar, häufig mit bulbär betonter Symptomatik (Schluck- und Sprechstörungen)

Laborparameter 2. Ordnung – in Abhängigkeit von den Ergebnissen der Anamnese, der körperlichen Untersuchung und den obligaten Laborparametern – zur differentialdiagnostischen Abklärung

  • Anti-VGCC-Antikörper – positiver Nachweis bei bis zu 90 % der Patienten mit Lambert-Eaton-Myasthenem Syndrom (Nerven-Muskel-Übertragungsstörung), selten Koexistenz mit Anti-AChR-Antikörpern
  • Screening auf begleitende Autoimmunerkrankungen –
    • Autoimmunthyreoiditis – TPO-Antikörper, Tg-Antikörper
    • Perniziöse Anämie (Vitamin-B12-Aufnahmestörung) – Intrinsic-Factor-Antikörper, Parietalzellantikörper
    • Rheumatoide Arthritis (Gelenkentzündung) – CRP bzw. BSG, Rheumafaktor, CCP-Antikörper, ANA*
    • Systemischer Lupus erythematodes (Autoimmunerkrankung des Bindegewebes) – ANA*, Lupus-Antikoagulans
    • Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen – CRP, ggf. Calprotectin
  • Liquorpunktion (Entnahme von Nervenwasser) – Ausschluss entzündlicher ZNS-Erkrankungen; bei Myasthenia gravis typischerweise unauffälliger Liquorbefund
  • Muskelbiopsie (Gewebeentnahme aus dem Muskel) – Ausschluss primärer Myopathien (Muskelerkrankungen) und mitochondrialer Erkrankungen (Störungen der Zellkraftwerke); Entnahme bevorzugt in Endplattennähe
  • Weitere Laboruntersuchungen bei unklarer Muskelschwäche –
    • Creatinkinase (CK) – bei Myasthenia gravis typischerweise normal, Erhöhung spricht für Myopathie oder nekrotisierende Muskelprozesse
    • Lactat/Pyruvat – Hinweis auf mitochondriale Störungen (Störungen der Zellenergiegewinnung)

Pharmakologische Tests

  • Edrophonium-Test (Tensilon-Test) – fraktionierte intravenöse Gabe (von 2 + 3 + 5 mg bei Erwachsenen, 2-3 × 0,02 mg/kg KG bei Kindern); positive Reaktion bei rascher Besserung der typischen Symptome innerhalb von 30-60 Sekunden (z. B. Rückgang der Ptosis (Lidhochstandsschwäche), Besserung der Diplopie (Doppelbilder), Zunahme der Muskelkraft); Atropin als Antidot bereithalten; Durchführung nur unter Monitoring wegen Asystolie- und Bradykardie-Risiko
  • Neostigmin-Test – Wirkeintritt nach einigen Minuten mit Wirkungsdauer von meist über einer Stunde; geeignet bei erschwerter klinischer Beurteilbarkeit oder wenn Edrophonium nicht verfügbar oder kontraindiziert ist; Beobachtung auf cholinerge Nebenwirkungen (verstärkte Aktivität des Parasympathikus) erforderlich

Differenzialdiagnosen mit endokrinem Bezug

Bei unklarer Muskelschwäche oder Symptomen wie Erschöpfung (starke Müdigkeit), orthostatischer Symptomatik (Kreislaufprobleme im Stehen) und Kreislaufinstabilität, die nicht eindeutig einer Myasthenia gravis zugeordnet werden können, sollte differenzialdiagnostisch an endokrine Ursachen gedacht werden.

  • Cortisol-Tagesprofil – Verdacht auf primäre oder sekundäre Nebenniereninsuffizienz (Nebennierenunterfunktion) oder gestörten Cortisol-Tagesrhythmus
  • ACTH – Differenzierung zwischen primärer und sekundärer Nebenniereninsuffizienz (Hormonsteuerungsstörung)
  • Schilddrüsenparameter – TSH, fT3, fT4 – bereits obligater Bestandteil der Basisdiagnostik, wichtig zur Identifikation einer Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion) oder Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) als Mitursache der Muskelschwäche

Hinweis: Diese endokrinologischen Untersuchungen gehören nicht zur Standard-Labordiagnostik der Myasthenia gravis, sondern werden nur bei entsprechendem klinischen Verdacht eingesetzt.

Red Flags (Warnzeichen) bei Myasthenia gravis

  • Rasch progrediente Ateminsuffizienz mit Dyspnoe (Atemnot) in Ruhe, Einsatz der Atemhilfsmuskulatur oder Hyperkapnieverdacht (zu viel Kohlendioxid im Blut) (myasthenische Krise)
  • Akut zunehmende Dysphagie (Schluckstörung) oder Dysarthrie (Sprechstörung) mit Aspirationsgefahr (Verschluckungsgefahr)
  • Plötzlich auftretende oder deutlich progrediente generalisierte Schwäche mit Unfähigkeit, zu stehen oder zu gehen ohne Hilfe
  • Verdacht auf Thymom (Tumor der Thymusdrüse), insbesondere bei Anti-Titin-Antikörpern bei Patienten unter 60 Jahren oder rascher klinischer Progredienz
  • Deutliche Verschlechterung nach Einnahme myasthenogener Medikamente (z. B. Aminoglykoside, Fluorchinolone, Makrolide, Betablocker, Magnesium, bestimmte Antiarrhythmika)
  • Ausgeprägte Elektrolytstörungen – Hyponatriämie (Natriummangel), Hypocalcämie (niedriges Calcium)/Hypercalcämie (erhöhtes Calcium), Hypokaliämie (Kaliummangel) – mit neu aufgetretener oder deutlich verstärkter Muskelschwäche
  • Neu auftretende neurologische Herdsymptome (z. B. sensible Ausfälle (Gefühlsstörungen), Bewusstseinsstörungen), die nicht zum typischen Muster der Myasthenia gravis passen und auf zusätzliche ZNS- oder PNS-Erkrankungen (Gehirn-/Nervenerkrankungen) hinweisen

Leitlinien

  1. S2k-Leitlinie: Diagnostik und Therapie myasthener Syndrome. (AWMF-Registernummer: 030-087), November 2024 Langfassung