Myasthenia gravis – Labordiagnostik
Laborparameter 1. Ordnung – obligate Laboruntersuchungen
- Kleines Blutbild
- Differentialblutbild
- Elektrolyte – Calcium (Kalk), Magnesium, Natrium (Kochsalzbestandteil), Kalium, Phosphat, Chlorid
- Entzündungsparameter – CRP (C-reaktives Protein) bzw. BSG (Blutsenkungsgeschwindigkeit)
- Leberparameter – Alanin-Aminotransferase (ALT, GPT), Aspartat-Aminotransferase (AST, GOT)
- Nüchternglucose (Blutzucker), ggf. oraler Glukosetoleranztest (oGTT; Zuckerbelastungstest)
- Schilddrüsenparameter – TSH (Schilddrüsensteuerhormon), fT3 (Trijodthyronin), fT4 (Thyroxin)
- Serumeiweiß- und Immunelektrophorese
- Vitamin B12 (Cobalamin) (Methylmalonsäure, Homocystein)
- Autoantikörper-Diagnostik:
- Anti-AChR-AK (Antikörper gegen Acetylcholinrezeptoren) – positiv bei:
- ca. 50 % der Patienten mit okulärer (die Augen betreffende) Myasthenia gravis
- bis zu 90 % der Patienten mit generalisierter (den gesamten Körper betreffende) Myasthenia gravis; bei 10-20 % der Patienten mit generalisierter Myasthenia gravis lassen sich keine Anti-AChR-AK nachweisen
- nahezu 100 % der Patienten mit paraneoplastischer (tumorbedingter) Myasthenie mit Thymom (Tumor der Thymusdrüse)
- Anti-AChR-AK
- können auch bei einzelnen Patienten mit Thymom (Tumor der Thymusdrüse) nachweisbar sein, die zum Zeitpunkt der Operation klinisch noch keine Myasthenie haben, diese aber im Verlauf entwickeln können („post-Thymomektomie-Myasthenie“)
- andere Patienten mit Thymom (Tumor der Thymusdrüse) und klinischer Myasthenie zum Zeitpunkt der Operation entwickeln erst im Verlauf Anti-AChR-AK
- Anti-Titin-AK (Antikörper gegen Titin)
- sind das Korrelat der Autoantikörper gegen Skelettmuskulatur, die bei Patienten < 60 Jahren häufig mit einem Thymom (Tumor der Thymusdrüse) assoziiert sind
- bei Patienten > 60 Jahren ist eine Erhöhung der Anti-Titin-AK häufig ohne Krankheitswert
- Anti-MuSK-AK (Antikörper gegen muskelspezifische Tyrosinkinase)
- in 1-10 % der Fälle können Antikörper gegen die muskelspezifische Tyrosinkinase (MuSK) nachgewiesen werden
- Anti-AChR-AK (Antikörper gegen Acetylcholinrezeptoren) – positiv bei:
Laborparameter 2. Ordnung – in Abhängigkeit von den Ergebnissen der Anamnese, der körperlichen Untersuchung und den obligaten Laborparametern – zur differentialdiagnostischen Abklärung
- Anti-VGCC-AK (Antikörper gegen spannungsabhängige Calciumkanäle) – positiv bei bis zu 90 % mit Lambert-Eaton-Syndrom (Nerven-Muskel-Übertragungsstörung); selten ist die Myasthenie mit einem Lambert-Eaton-Syndrom vereint mit AChR- und VGCC-Antikörpern
- Screening auf begleitende Autoimmunerkrankungen (siehe jeweils bei der entsprechenden Erkrankung):
- Colitis ulcerosa (chronisch-entzündliche Darmerkrankung des Dickdarms)
- Glomerulonephritis (Nierenkörperchenentzündung)
- Morbus Crohn (chronisch-entzündliche Darmerkrankung des Dünn- und Dickdarms)
- Pemphigus vulgaris (Autoimmunerkrankung mit Hautblasenbildung)
- Perniziöse Anämie (Vitamin-B12-Mangelblutarmut)
- Rheumatoide Arthritis (chronisch-entzündliche Gelenkerkrankung) – CRP (C-reaktives Protein) bzw. BSG (Blutsenkungsgeschwindigkeit); Rheumafaktor (RF), CCP-AK (cyclische Citrullin-Peptid-Antikörper), ANA (antinukleäre Antikörper)
- Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew; entzündliche Erkrankung der Wirbelsäule)
- Systemischer Lupus erythematodes (Autoimmunerkrankung des Bindegewebes) – Lupus-Antikoagulans
- Thyreoiditis (Schilddrüsenentzündung)
- Liquorpunktion (Entnahme von Nervenwasser durch Punktion des Rückenmarkskanals) zur Liquordiagnostik – Ausschluss/Nachweis entzündlicher ZNS-Erkrankungen (zentrales Nervensystem)
- Muskelbiopsie (Gewebeprobe eines Muskels) im Bereich der Endplatte – Ausschluss/Nachweis einer Myopathie (Muskelerkrankung) bzw. einer Mitochondrienerkrankung
Pharmakologische Tests
Edrophonium-Test (früher: Tensilon-Test)
Die intravenöse Applikation von Edrophonium (fraktionierte Gabe von 2 + 3 + 5 mg bei Erwachsenen, 2-3 × 0,02 mg/kg KG bei Kindern) führt bei positivem Ansprechen innerhalb von 30-60 Sekunden zu einer Besserung der Symptome. Empfehlenswert ist eine Fotodokumentation (vorher/nachher).
Das Antidot Atropin (Gegenmittel) (0,5-1,0 mg) sollte bereitliegen und bei ausgeprägten muskarinen Nebenwirkungen wie Bradykardie (langsamer Herzschlag < 60 Schläge pro Minute), Hypotonie (niedriger Blutdruck), Bronchospasmus (Verkrampfung der Bronchien) sofort verabreicht werden.
Der Edrophonium-Test sollte wegen der Gefahr der Asystolie (Herzstillstand) nicht in der Ambulanz durchgeführt werden! Weitere Kontraindikationen sind bradykarde Herzrhythmusstörungen (zu langsamer Herzrhythmus) und Asthma bronchiale (chronische Atemwegserkrankung).
Neostigmin-Test
Die Wirkung tritt erst nach einigen Minuten ein und hält über eine Stunde an. Der Test wird durchgeführt, wenn die Beurteilung der Symptome erschwert ist, z. B. bei psychogener Überlagerung oder dissoziativen Symptombildern.
Differenzialdiagnosen mit endokrinem Bezug
Bei unklarer Muskelschwäche oder Symptomen wie Erschöpfung und Kreislaufinstabilität, die nicht eindeutig einer Myasthenia gravis zugeordnet werden können, sollte differenzialdiagnostisch an endokrine Ursachen gedacht werden:
- Cortisol-Tagesprofil – bei Verdacht auf Nebenniereninsuffizienz (Morbus Addison) oder Störungen des Cortisol-Tagesrhythmus
- ACTH (Adrenocorticotropes Hormon) – bei Verdacht auf Hypophyseninsuffizienz (Unterfunktion der Hirnanhangsdrüse) oder sekundäre Nebenniereninsuffizienz
- Schilddrüsenparameter (TSH, fT3, fT4) – bereits obligat, wichtig zur Abgrenzung von Schilddrüsenerkrankungen als Ursache für Muskelschwäche
Hinweis: Diese Parameter gehören nicht zur Standard-Labordiagnostik bei Myasthenia gravis, sondern werden nur eingesetzt, wenn die klinische Untersuchung oder Anamnese eine endokrine Differenzialdiagnose nahelegt.
Leitlinien
- S2k-Leitlinie: Diagnostik und Therapie myasthener Syndrome. (AWMF-Registernummer: 030-087), November 2024 Langfassung