Multiple Sklerose (MS) – Symptome – Beschwerden

Folgende Symptome und Beschwerden können auf Multiple Sklerose (MS) hinweisen:

Frühsymptome

Die Frühsymptome der MS können variieren und entwickeln sich oft schleichend. Diese Symptome treten häufig im Zusammenhang mit einem ersten Krankheitsschub auf:

Leitsymptome
Diese Leitsymptome lenken den Verdacht auf Multiple Sklerose und werden oft zuerst bemerkt:

  • Neuritis nervi optici (Entzündung des Sehnervs): Die Entzündung des Sehnervs ist das häufigste Symptom eines MS-Schubs. Etwa 50 % der Patienten mit typischer Optikusneuritis entwickeln innerhalb von 15 Jahren eine Multiple Sklerose [1]. Bei nur etwa 0,4 % der Patienten tritt die Entzündung gleichzeitig an beiden Augen auf.
    • Symptome: Sehstörungen gehen in der Regel Schmerzen in der Augenregion voraus, die bei etwa 92 % der Patienten auftreten, besonders bei Augenbewegungen. Es folgt eine zunehmende Sehverschlechterung, die oft einseitig ist und über Tage hinweg zunimmt. Der Tiefpunkt wird innerhalb von ein bis zwei Wochen erreicht, gefolgt von einer Besserung in 95 % der Fälle.
    • Weitere Sehstörungen: Diese beinhalten eine mono- oder binokulare Visusminderung (Sehminderung), verschwommenes Sehen bis hin zum vollständigen Visusverlust (Sehverlust), gestörtes Farbempfinden, bei dem Farben als schmutzig und blass wahrgenommen werden.

Hauptsymptome (primäre Symptome)
Diese Hauptsymptome prägen das klinische Bild eines ersten Schubs von MS:

  • Sensibilitätsstörungen: Veränderungen im Empfindungsvermögen, wie Kribbeln oder Taubheitsgefühl, treten häufig auf und können durch Tests, wie den Stimmgabeltest, nachgewiesen werden.
  • Schwäche der Beine bzw. Gangunsicherheit: Es gibt eine 9-fach höhere Rate von Gang- und Bewegungsstörungen in den beiden Jahren vor der MS-Diagnose [4]. Diese Symptome können sich in einem unsicheren Gang oder in einer verminderten Kraft in den Beinen äußern.
  • Parästhesien (Taubheitsgefühl): Veränderte Sensibilität, wie Kribbeln oder Prickeln, wird häufig berichtet. Es gibt eine 5-fach höhere Rate von Empfindungsstörungen der Haut im Jahr vor der MS-Diagnose [4].

Begleitsymptome (sekundäre Symptome)
Diese Begleitsymptome sind weniger charakteristisch und können auf Komplikationen hinweisen:

  • Diplopie (Doppeltsehen, Doppelbilder): Diese tritt auf, wenn die Augenbewegungen nicht mehr richtig koordiniert sind, was zu Doppeltsehen führt.

Weitere Hinweise

  • MS-Patienten beanspruchen bereits in den fünf Jahren vor der Diagnose auffallend häufig ärztliche Hilfe (Zunahme der Zahl der Arzt- und Klinikbesuche sowie der Medikamentenverordnungen) [2].
  • Nicht selten beginnt die Erkrankung zunächst mit einem isolierten Symptom, wofür sich der englische Begriff des "klinisch isolierten Syndroms" (Clinically isolated syndrome, CIS) eingebürgert hat.
    Beachte: Ca. ein Drittel dieser Patienten entwickelt auch langfristig keine Multiple Sklerose
    Patienten mit einem CIS, die eine MS entwickeln, haben in etwa 40 % einen stabilen, gutartigen Verlauf über drei Dekaden. In der Magnetresonanztomographie (MRT) konnten zwei prognostisch relevante Faktoren nachgewiesen werden: Zahl der infratentoriellen Läsionen (Veränderungen "unterhalb des Tentoriums"/querverlaufende Hirnhautstruktur zwischen dem Okzipitallappen/Hinterhauptlappen des Großhirns und dem Kleinhirn) bei CIS-Diagnose und der "deep white matter lesions" (DWM) ein Jahr nach der CIS-Diagnose. Falls diese beiden Faktoren nicht im ersten Jahr nach der CIS-Diagnose auftraten, lag die Wahrscheinlichkeit für eine behindernde Multiple Sklerose nach 30 Jahren bei 13 %. Dagegen, wenn DWM vorlagen bei 49 % und bei Vorliegen von DWM plus infratentoriellen Läsionen bei 94 % [3].

Weitere Symptome und Beschwerden im Verlauf 

Hauptsymptome (primäre Symptome)
Diese Hauptsymptome prägen das klinische Bild einer MS:

  • Ataxie (Gangstörungen) und Tremor (Zittern): Diese Symptome treten bei etwa 80 % der Patienten auf. Der Intentionstremor*, ein Zittern der Gliedmaßen bei einer zielgerichteten Bewegung, ist charakteristisch für MS.
  • Spastik (Zunahme der Muskelspannung): Bei etwa 80 % der Patienten kommt es zu einer erhöhten Muskelspannung, die oft mit Krämpfen verbunden ist.
  • Schmerzen: Ca. 75-80 % der Patienten berichten über Schmerzen:
    • Periorbitale Schmerzen – Schmerzen um die Augenhöhle
    • Schmerzen – am ganzen Körper oder an wechselnden Körperstellen
    • Schmerzhafte Krämpfe
    • TrigeminusneuralgieSchmerzen auf einer Gesichtshälfte aufgrund einer Entzündung des Gesichtsnerven
  • Störungen des Gangbildes: Treten bei etwa 75 % der Patienten auf, oft als Folge von Ataxie, Spastik oder Muskelschwäche
  • Chronische Müdigkeitszustände (Fatigue): Ein sehr häufiges Symptom, das bei etwa 90 % der Patienten auftritt und zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität führt

Begleitsymptome (sekundäre Symptome)
Diese Begleitsymptome sind weniger charakteristisch und können auf Komplikationen hinweisen:

  • Blasenentleerungsstörungen: Etwa 50 % der Patienten leiden unter Problemen mit der Blasenentleerung. Dies kann sich äußern als:
    • Detrusorüberaktivität und Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie (DSD)
    • Harndrang
    • Harninkontinenz
    • neurogene Blasenfunktionsstörungen
  • Darmfunktionsstörungen: Treten bei etwa 50 % der Patienten auf und können führen zu:
    • chronischer Obstipation (Verstopfung)
    • Stuhldrang
    • Stuhlinkontinenz
  • Sexuelle Dysfunktion: Häufig bei MS-Patienten, sie kann sich in Libidoverlust, Impotenz oder genitalen Taubheitsgefühlen äußern
  • Depression: Ein häufiges psychisches Symptom bei MS, das das allgemeine Wohlbefinden stark beeinträchtigen kann
  • Dysarthrie (Sprachstörung): Skandierende Sprache* (langsame, abgehackte und verwaschene Sprache) ist ein charakteristisches Symptom, das bei fortgeschrittener MS auftreten kann
  • Kognitive Defizite bzw. Kognitionsstörungen: Häufige Symptome sind Gedächtnisstörungen, Konzentrationsstörungen und Problemlösungsschwierigkeiten
  • Nystagmus (Augenzittern)*: Ein weiteres häufiges Symptom, das durch gestörte Augenbewegungen verursacht wird
  • Parästhesien (Kribbeln oder Prickeln): Veränderte Sensibilität tritt bei vielen MS-Patienten auf.
  • Vertigo (Schwindel): Häufiges Symptom, das das Gleichgewicht und die Orientierung beeinträchtigen kann
  • Nykturie (nächtliches Wasserlassen): Kann bei MS-Patienten auftreten und den Schlaf stören

*Charcot-Trias I

Symptome bei Erstmanifestation unter 10 Jahren

Leitsymptome
Diese Leitsymptome lenken den Verdacht auf eine MS bei Kindern unter 10 Jahren:

  • Ataxie und Hirnstammsymptome: Diese Symptome sind bei Kindern unter 10 Jahren häufiger als bei älteren Patienten. Ataxie (Koordinationsstörungen) und Symptome, die den Hirnstamm betreffen, wie Hirnnervenstörungen, sind oft die ersten Anzeichen.

Hauptsymptome (primäre Symptome)
Diese Hauptsymptome prägen das klinische Bild bei der Erstmanifestation von MS in dieser Altersgruppe:

  • Hirnstammsymptome: Dazu gehören Augenbewegungsstörungen mit Diplopie (Doppelbildern), Blickrichtungsnystagmus (Augenzittern in Blickrichtung), Sprachstörungen, Dysphagie (Schluckstörung) und Dyspnoe (Atemnot).
  • Läsionen im Bereich des Kleinhirns: Diese führen zu Koordinationsstörungen, Intentionstremor (Zittern bei zielgerichteten Bewegungen), Vertigo (Schwindel), Gang- und Standataxie sowie Gangunsicherheiten. Diese Symptome sind bei Kindern häufiger als bei späterer Erkrankung.
  • Sensorium (Sensibilitätstörungen): Kinder berichten oft über Taubheitsgefühle, Kribbelparästhesien (Kribbeln) und Dysästhesien (veränderte Empfindungen).
  • Motorische Defizite: Häufig treten Paresen (Lähmungen) und Tonusregulationsstörungen auf, die sich in einer unkontrollierten Muskelspannung äußern.
  • Neuropsychologische Symptome: Dazu gehören verminderte Denk- und Konzentrationsfähigkeit, Lernschwierigkeiten und verminderte soziale Interaktion. Im Verlauf der Erkrankung können auch emotionale Störungen und Angststörungen auftreten.

Unspezifische Symptome
Diese unspezifischen Symptome treten bei vielen Erkrankungen auf und tragen weniger zur Diagnose bei:

  • Müdigkeit
  • Cephalgie (Kopfschmerzen)
  • Verspannungen
  • Schwindel

Warnzeichen (red flags)

  • Hyperakuter Symptombeginn und schnelles Abflachen der Symptome (jeweils innerhalb von Minuten und Stunden) → denken an: spricht eher für ischämisches Geschehen (beachte: MS Symptome entstehen allmählich innerhalb von 24 bis 96 Stunden und dauern Tage bis Wochen)
  • Kopfschmerzen* → denken an: Vaskulitis (Gefäßentzündungen), systemischer Lupus erythematodes (SLE; Autoimmunerkrankung), zerebrales Lymphom (Tumoren des Lymphgewebes (Lymphome) die im zentralen Nervensystem (ZNS) auftreten)
  • Schwere, bilaterale Opticusneuritis (beidseitige Entzündung des Sehnerv), die sich nicht zurückbildet → denken an: Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung (NMOSD) [bilateral ist typisch]

*Die Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) von Kopfschmerzen bei MS liegt bei ca. 50-70 %. Neben den oben genannten Ursachen können Kopfschmerzen auch als Nebenwirkungen der MS-Therapie auftreten.

Literatur

  1. Optic Neuritis Study Group: Multiple sclerosis risk after optic neuritis: final optic neuritis treatment trial follow-up. Arch Neurol 2008;65: 727-32
  2. Wijnands JMA et al.: Health-care use before a first demyelinating event suggestive of a multiple sclerosis prodrome: a matched cohort study. Lancet Neurology 2017 Jun;16(6):445-451. doi: 10.1016/S1474-4422(17)30076-5. Epub 2017 Apr 20.
  3. Chung KK et al.: A thirty year clinical and MRI observational study of multiple sclerosis and clinically isolated syndromes. Ann Neurology 2019; https://doi.org/10.1002/ana.25637
  4. Gaspari C et al.: A systematic assessment of medical diseases and symptoms preceding the first diagnosis of multiple sclerosis. Studie mit Versorgungs- und Diagnosedaten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) 2020

Leitlinien

  1. S2e-Leitlinie: Optikusneuritis. (AWMF-Registernummer: 045 - 010), März 2018 Langfassung