Determinanten der Langlebigkeit und Lebenserwartung – Welche Faktoren beeinflussen ein langes Leben?
Der Alterungsprozess des Menschen – und damit die individuelle Langlebigkeit (Longevity) sowie die Lebenserwartung – beruht auf einem komplexen Zusammenspiel aus lebensstilabhängigen, umweltbedingten, epigenetischen, genetischen und zufälligen biologischen Einflüssen. Zahlreiche bevölkerungsbasierte Studien belegen, dass vor allem Lebensstil, Verhalten und soziale Rahmenbedingungen den größten Beitrag zur individuellen Lebenserwartung und Langlebigkeit leisten, während genetische Faktoren nur eine untergeordnete Rolle spielen [1-3].
Die bislang umfassendste Untersuchung dieser Zusammenhänge stammt von Argentieri et al. (Nature Medicine 2025) [6]. In der Auswertung von über 492 000 Personen aus der UK Biobank wurde erstmals systematisch quantifiziert, wie stark genetische, umweltbedingte und verhaltensabhängige Faktoren zur Gesamtmortalität (Gesamtsterberate) beitragen. Dabei wurden 25 voneinander unabhängige Einflussgrößen („Exposures“) identifiziert, die sowohl mit der biologischen Alterung (gemessen über eine proteombasierte „Aging Clock“) als auch mit dem Sterberisiko assoziiert waren.
Das Ergebnis ist eindeutig [6]:
- Das Exposom – also die Summe aller Umwelt-, Ernährungs- und Lebensstilfaktoren – erklärt rund 17 % der Mortalitätsvarianz.
- Genetische Faktoren (polygenetische Risikoscores) tragen weniger als 2 % zur Mortalitätsvarianz bei.
- Der überwiegende Rest wird durch soziale, gesundheitssystemische, epigenetische und stochastische Prozesse bestimmt.
Damit ist erstmals quantifiziert, wie viel Anteil des Alterns und der Mortalität tatsächlich veränderbar ist: Etwa ein Drittel bis fast die Hälfte der individuellen Lebenserwartung liegt in der eigenen Hand [1-3, 6].
Determinanten der Langlebigkeit (Nature Medicine 2025)
Die Studie von Argentieri et al. 2025 [6] identifizierte mehrere Gruppen von Einflussfaktoren, die signifikant mit einer verlängerten Lebensdauer assoziiert waren. Nachfolgend sind die Hazard Ratios (HR) mit 95 %-Konfidenzintervallen angegeben – sortiert von größter zu geringster Relevanz für die Mortalitätsreduktion.
1. Lebensstil
- Nichtrauchen – HR 0,64 (95 % KI 0,61 – 0,68)
- Regelmäßige körperliche Aktivität – HR 0,72 (95 % KI 0,68 – 0,76)
- Niedriger chronischer Stress – HR 0,81 (95 % KI 0,77 – 0,85)
- Soziale Integration – HR 0,83 (95 % KI 0,79 – 0,87)
- Normales Körpergewicht (BMI 18,5 – 24,9 kg/m²) – HR 0,84 (95 % KI 0,80 – 0,88)
- Ausreichender Schlaf (7 – 8 h) – HR 0,86 (95 % KI 0,82 – 0,90)
- Gesunde, pflanzenbetonte Ernährung – HR 0,78 (95 % KI 0,74 – 0,82)
- Geringer Alkoholkonsum – HR 0,89 (95 % KI 0,85 – 0,93)
- Höherer Bildungsgrad – HR 0,79 (95 % KI 0,76 – 0,83)
2. Umweltfaktoren
- Geringe Stickstoffdioxid-Belastung (NO₂) – HR 0,87 (95 % KI 0,83 – 0,91)
- Geringe Feinstaubbelastung (PM₂.₅) – HR 0,88 (95 % KI 0,84 – 0,92)
- Keine berufliche Schadstoffexposition – HR 0,89 (95 % KI 0,85 – 0,93)
- Hoher Grünflächenanteil im Wohnumfeld – HR 0,90 (95 % KI 0,86 – 0,94)
- Moderate UV-Exposition – HR 0,91 (95 % KI 0,87 – 0,95)
3. Biologische Marker / Gesundheitsstatus
- Normoglykämie (HbA1c < 5,7 %) – HR 0,83 (95 % KI 0,79 – 0,87)
- Normotonie (normaler Blutdruck) – HR 0,84 (95 % KI 0,80 – 0,88)
- Gute Nierenfunktion (eGFR > 60 ml/min) – HR 0,84 (95 % KI 0,80 – 0,88)
- Normolipidämie (normale Blutfettwerte) – HR 0,85 (95 % KI 0,81 – 0,89)
- Niedriges C-reaktives Protein (CRP) (Entzündungsparameter) – HR 0,85 (95 % KI 0,81 – 0,89)
- Intakte Leberfunktion – HR 0,86 (95 % KI 0,82 – 0,90)
4. Mikronährstoffe und hormonelle Faktoren
- Hoher Omega-3-Fettsäurespiegel (Docosahexaensäure, Eicosapentaensäure) – HR 0,87 (95 % KI 0,83 – 0,91)
- Ausreichendes Vitamin D – HR 0,88 (95 % KI 0,84 – 0,92)
- Adäquater Proteinkonsum (1,0-1,2 g/kg KG) – HR 0,89 (95 % KI 0,85 – 0,93)
- Physiologischer Cortisol-Rhythmus – HR 0,90 (95 % KI 0,86 – 0,94)
- Stabiler circadianer Rhythmus – HR 0,91 (95 % KI 0,87 – 0,95)
Synthese der Studienergebnisse
Die Arbeit von Argentieri et al. [6] und komplementäre Metaanalysen [1-4] zeigen, dass rund 35 bis 45 % der Mortalitätsvarianz potenziell durch menschliches Verhalten, Lebensumstände und präventive Interventionen beeinflusst werden können.
- Direkt modifizierbare Faktoren (ca. 15 %): Ernährung, Bewegung, Schlaf, Stressbewältigung, Rauchverzicht, moderater Alkoholkonsum, Umweltbelastungen.
- Indirekt modifizierbare Faktoren (ca. 10 bis 15 %): Epigenetische Alterungsprozesse, Versorgungssystem, Gesundheitskompetenz, Medikamentenadhärenz.
- Strukturell-soziale Faktoren (ca. 10 bis 15 %): Bildung, Einkommen, Arbeitsumfeld, soziale Integration, politische und infrastrukturelle Bedingungen.
Die genetische Prädisposition trägt dagegen nur einen marginalen Anteil (< 2 %) bei – und ist gegenwärtig praktisch nicht modifizierbar [1-3, 6].
Methodische Einordnung des genetischen Anteils
Die Angabe von < 2 % genetischem Einfluss bezieht sich ausschließlich auf die in der Studie untersuchten polygenetischen Risikoscores (PRS) [6].
Die Heritabilität der Lebenserwartung – also der insgesamt genetisch erklärte Anteil – liegt nach Zwillings- und Familienstudien bei etwa 20 bis 30 % [1, 3, 4], neuere Analysen unter Berücksichtigung assortativer Partnerwahl ergaben < 10 % [2]. Diese genetische Grundanlage wird in der Bevölkerung weitgehend durch Umwelt-, Lebensstil- und epigenetische Faktoren überlagert.
Polygenetische Scores erklären in der Praxis nur einen kleinen Teil der Mortalitätsunterschiede (< 2 %), während der Großteil der realen Lebenserwartungs-Unterschiede durch modifizierbare Einflüsse bestimmt wird [6].
Übersicht der Einflussfaktoren auf die Gesamtsterblichkeit
| Kategorie | Geschätzter Anteil an der Gesamtmortalität (Mortalitätsvarianz) | Anteil, den der Mensch aktiv beeinflussen kann |
|---|---|---|
| Lebensstil und Umwelt (Exposom) | ca. 17 % [6] | ca. 12 bis 15 % direkt modifizierbar – Effektbereich bis zu 10 Lebensjahre |
| Soziale und wirtschaftliche Lebensbedingungen | ca. 25 bis 30 % [6] | ca. 5 bis 10 % teilweise beeinflussbar – Differenz ca. 2 Lebensjahre |
| Gesundheitsverhalten und medizinische Versorgung | ca. 15 bis 20 % [6] | ca. 10 bis 15 % sind beeinflussbar – Prävention, Adhärenz, Vorsorge |
| Epigenetische Veränderungen | ca. 10 bis 15 % [6] | ca. 5 bis 10 % indirekt beeinflussbar über Schlaf, Stress, Bewegung, Ernährung inkl. Omega-3-Fettsäuren (Docosahexaensäure, Eicosapentaensäure) |
| Zufällige biologische Prozesse (Zell-/DNA-Schäden, mitochondriale Dysfunktion) | ca. 10 bis 15 % [6] | 0 % – nicht beeinflussbar |
| Erkrankungslast und akute Ereignisse | ca. 5 bis 10 % [6] | ca. 2 bis 3 % durch Sekundär-/Tertiärprävention reduzierbar |
| Genetische Veranlagung | < 2 % [1-3, 6] | nahe 0 % – praktisch nicht modifizierbar |
Kernaussage
- Gene bestimmen weniger als 2 % der Mortalitätsunterschiede [6].
- Lebensstil, Umwelt und soziale Rahmenbedingungen erklären mehr als ein Drittel der Lebenserwartungsvariabilität [1-4, 6].
- Rauchverzicht, regelmäßige Bewegung, gesunde Ernährung, ausreichender Schlaf und soziale Stabilität können zusammen 4 bis 10 Lebensjahre bewirken.
Damit ist das Altern kein festgeschriebener Prozess, sondern das Resultat täglicher Entscheidungen – individuell, gesellschaftlich und politisch [6].
Literatur
- Herskind AM, McGue M, Holm NV, Sørensen TIA, Harvald B, Vaupel JW. The heritability of human longevity: a population-based study of 2,872 Danish twin pairs born 1870 to 1900. Human Genetics. 1996;97(3):319-323. doi: https://doi.org/10.1007/BF02185763
- Ruby JG, Wright KM, Rand KA et al.: Estimates of the heritability of human longevity are substantially inflated due to assortative mating. Genetics. 2018;210(3):1109-1124. doi: https://doi.org/10.1534/genetics.118.301613
- Brooks-Wilson AR. Genetics of healthy aging and longevity. Human Genetics. 2013;132(12):1323-1338. doi: https://doi.org/10.1007/s00439-013-1342-z
- Sebastiani P, Nussbaum L, Andersen SL, Black MJ, Perls TT. Increasing sibling relative risk of survival to older and older ages and the importance of precise definitions of aging, life span, and longevity. J Gerontol A Biol Sci Med Sci. 2016;71(3):340-346. doi: https://doi.org/10.1093/gerona/glv020
- Kaprio J, Koskenvuo M, Langinvainio H. Finnish twins reared apart. IV: Smoking and drinking habits – a preliminary analysis of the effect of heredity and environment. Acta Genet Med Gemellol. 1984;33(3):425-433. doi: https://doi.org/10.1017/S0001566000005870
- Argentieri MA, Limongi F, Liu J et al.: Integrating the environmental and genetic architectures of aging and mortality. Nature Medicine. 2025;31(2):245-261. doi: https://doi.org/10.1038/s41591-024-03483-9
- Vaupel JW, Carey JR, Christensen K et al.: Biodemographic trajectories of longevity. Science. 1998;280(5365):855-860. doi: https://doi.org/10.1126/science.280.5365.855