Reizdarmsyndrom – Anamnese

Die Anamnese (Krankengeschichte) stellt einen wichtigen Baustein in der Diagnostik des Colon irritabile (Reizdarmsyndrom) dar.

Familienanamnese

  • Gibt es in Ihrer Familie häufig Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes, wie z. B. entzündliche Darmerkrankungen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa) oder Kolonkarzinom (Darmkrebs)?
  • Gibt es bekannte Stoffwechselstörungen in Ihrer Familie (z. B. Diabetes mellitus, Hyperurikämie/Gicht)?
  • Bestehen in Ihrer Familie bekannte genetisch bedingte Nahrungsmittelunverträglichkeiten, z. B. Laktose-, Fructoseintoleranz, Zöliakie (Glutenunverträglichkeit)?
  • Sind Autoimmunerkrankungen (z. B. rheumatoide Arthritis, Lupus erythematodes, Hashimoto-Thyreoiditis, Multiple Sklerose) oder chronisch-entzündliche Erkrankungen (z. B. Psoriasis (Schuppenflechte)) in Ihrer Familie bekannt?

Sozialanamnese

  • Beruf:
    • Welchen Beruf üben Sie aus?
    • Gehen Sie einer Tätigkeit mit unregelmäßigen Arbeitszeiten nach (z. B. Schichtdienst, Bereitschaftsdienst)?
    • Bestehen in Ihrem Beruf hohe psychische oder körperliche Belastungen (z. B. Termindruck, Zeitmangel, Multitasking)?
    • Haben sich Ihre Beschwerden während Phasen erhöhter beruflicher Belastung verschlechtert?
    • Sind Sie aktuell arbeitslos oder beurlaubt aus gesundheitlichen Gründen?
  • Psychosoziale Situation:
    • Bestehen aktuell familiäre Belastungen, z. B. durch Pflegeverantwortung, Partnerschaftsprobleme oder Überforderung im Alltag?
    • Gibt es Hinweise auf soziale Isolation oder fehlende soziale Unterstützung im privaten Umfeld?
    • Haben Sie das Gefühl, ständig unter Strom zu stehen oder keine Zeit zur Erholung zu haben?
    • Haben Sie das Gefühl, dass Stress in Ihrem Leben Ihre Beschwerden deutlich verschlechtert?

Reiseanamnese

Reisen können das Krankheitsbild des Reizdarmsyndroms negativ beeinflussen.

  • Haben sich Ihre Beschwerden während oder nach einer Reise verschlechtert?
  • Wurden Ihre Beschwerden durch Zeitverschiebung oder Klimawechsel (z. B. Hitze, Feuchtigkeit, Kälte) beeinflusst?
  • Haben Sie während Ihrer Reise Schlafmangel gehabt (z. B. durch Flugreisen, neue Umgebung, Lärm)?
  • Hatten Sie während der Reise oder im Urlaub veränderte Essgewohnheiten? (z. B. vermehrter Verzehr von fettigen, süßen oder scharfen Speisen, Alkohol, koffeinhaltigen Getränken)
  • Haben Sie neue oder ungewohnte Nahrungsmittel ausprobiert, auf die Sie möglicherweise reagiert haben?
  • Hatten Sie während der Reise weniger Gelegenheit zur Entspannung bzw. empfanden Sie die Reise als stressig?
  • Haben Sie sich während der Reise körperlich weniger bewegt als üblich?
  • Gab es im Rahmen der Reise Infekte oder eine Magen-Darm-Erkrankung?
  • Haben Sie im Zuge der Reise Medikamente eingenommen, z. B. gegen Durchfall, Schmerzen, Übelkeit oder Schlafstörungen?
  • Haben Sie während der Reise unter erhöhtem psychischem Stress gestanden (z. B. Reisestrapazen, Konflikte, Angst vor Flügen)?
  • Haben Sie während der Reise Veränderungen im Toilettenverhalten festgestellt (z. B. Stuhlverhalt durch ungewohnte Umgebung, Zeitdruck)?
  • Mussten Sie während oder nach der Reise medizinische Hilfe in Anspruch nehmen?

Aktuelle Anamnese/Systemanamnese (somatische und psychische Beschwerden)

  • Leiden Sie unter wiederkehrenden Schmerzen im Unterbauch?
  • Sind die Schmerzen krampfartig, dumpf oder stechend?
  • Wann und wie häufig treten die Schmerzen auf (vor oder nach den Mahlzeiten, bei Stress, im Liegen oder Sitzen)?
  • Werden die Schmerzen durch den Stuhlgang oder den Abgang von Winden (Blähungen) gelindert?
  • Wie stark sind die Schmerzen auf einer Skala von 1 bis 10?
    • 0-2: kein/kaum Schmerz
    • 3-4: bei Ablenkung ist der Schmerz nicht mehr im Mittelpunkt
    • 5-6: Schmerz behindert Gehen, Ein- und Durchschlafen*
    • 7-8: Bedürfnis sich hinzulegen, Ablenkung nicht mehr möglich, gesamtes Denken kreist um den Schmerz*
    • 9-10: unaushaltbare, fürchterliche Schmerzen, der Patient "möchte schreien" oder schreit tatsächlich*
  • Haben Sie Veränderungen des Stuhlgangs festgestellt, z. B. abwechselnd Durchfall und Verstopfung?
  • Wie oft haben Sie täglich oder wöchentlich Stuhlgang?
  • Leiden Sie unter hartem oder schleimigem Stuhl?
  • Müssen Sie beim Stuhlgang stark pressen? (Hinweis auf Entleerungsstörung)
  • Fühlen Sie sich nach dem Stuhlgang unvollständig entleert?
  • Müssen Sie nachts aufstehen, um Stuhlgang zu haben?
  • Haben Sie weitere Symptome:
    • Blähungen, Völlegefühl oder Druckempfindlichkeit im Bauchbereich?
    • Aufstoßen, Mundtrockenheit oder Sodbrennen?
    • Übelkeit oder Appetitlosigkeit?
    • Kopfschmerzen, Rückenschmerzen?
    • Konzentrationsschwierigkeiten oder chronische Müdigkeit?*
    • Schlafstörungen?*
    • Angstzustände?*
  • Wie lange bestehen diese Beschwerden schon?
  • Wobei verändern sich die Beschwerden oder nehmen zu?
    • Nahrungsmittel? (z. B. fettreiche oder ballaststoffreiche Kost, Milchprodukte, Zitrusfrüchte)
    • Schichtarbeit?
    • Psychologische Stressoren?
    • Medikamente?

Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese

  • Haben Sie in letzter Zeit ungewollt Gewicht verloren oder zugenommen? Geben Sie bitte uns Ihr Körpergewicht (in kg) und Ihre Körpergröße (in cm) an.
  • Ernähren Sie sich ausgewogen und ballaststoffreich?
  • Nehmen Sie häufig Fertigprodukte, stark zuckerhaltige oder fettige Speisen zu sich?
  • Haben Sie Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder allergische Reaktionen bemerkt (Laktose, Fructose, Gluten etc.)?
  • Haben Sie Ihren Flüssigkeitskonsum verändert?
  • Trinken Sie Alkohol? Wenn ja, welches Getränk bzw. welche Getränke und wie viele Gläser pro Tag?

Eigenanamnese inkl. Medikamentenanamnese

  • Vorerkrankungen:
    • Bestehen oder bestanden bei Ihnen Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes?
    • Haben Sie bekannte Nahrungsmittelunverträglichkeiten?
    • Leiden Sie an anderen chronischen Erkrankungen, z. B. Schilddrüsenerkrankungen, Diabetes mellitus oder Autoimmunerkrankungen?
  • Wurden Sie bereits am Magen, Darm oder anderen Organen des Verdauungssystems operiert?
  • Haben Sie bekannte Allergien gegen Medikamente, Nahrungsmittel oder Umweltstoffe?
  • Medikamentenanamnese:
    • Nehmen Sie regelmäßig Medikamente ein? Wenn ja, welche (Antibiotika, Schmerzmittel, Antidepressiva etc.)?
    • Haben Sie neue Medikamente begonnen oder abgesetzt, die die Symptome beeinflusst haben könnten?

Hinweise:

  • Das Führen eines Symptomtagebuchs, ggf. auch eines Stuhlprotokolls, ist bei diesem Beschwerdebild sinnvoll.
  • Die gezielte Meidung von etwa Fett, Kohlenhydrate (z. B. FODMAPs), Hülsenfrüchte, Getreideprodukte, Salicylate, Zwiebeln und Alkohol, kann zum Wegfall oder zur erheblichen Besserung des Beschwerdebildes führen.

Warnzeichen für somatische Krankheitsursachen

Folgende Symptome bedürfen der weiteren Diagnostik zum Ausschluss einer somatischen Erkrankung:

  • Anamnestische Angaben:
    • Entzündliche Darmerkrankungen in der Familie
    • Kolonkarzinom (Dickdarmkrebs) in der Familie
    • kurze Anamnese (< 3 Monate) und/oder progrediente (fortschreitende/zunehmende) Symptomatik
  • Erstmanifestation (erstmaliges Auftreten) nach dem > 40. (50.) Lebensjahr
  • Im Basislabor: Anämie (Blutarmut) und/oder andere relevante Entzündungszeichen (Leukozytose; BKS- und/oder CRP-Erhöhung)
    • Weitere laborchemische Befunde: Erhöhung von Pankreas- oder Leberenzymen, Cholestaseparametern, Nierenretentionswerten; Hinweise auf Schilddrüsenfehlfunktion; Erhöhung von Calprotectin im Stuhl
  • Leitsymptom Diarrhoe (Durchfall)
  • Blut im Stuhl (Hämatochezie), Teerstuhl oder okkultes Blut im Stuhl
  • Fettstühle (Steatorrhoe)
  • Fieber
  • Gewichtsverlust > 10 % bei unveränderter Nahrungszufuhr
  • Leistungsknick
  • An Intensität zunehmende Symptome
  • Nächtliche Beschwerden bzw. Aufwachen wg. Schmerzen oder Symptome
  • Nächtliche Stuhlentleerungen
  • Schmerzen lokalisieren sich
  • Dysphagie (Schluckstörung)
  • Wachstumsstörungen (bei Kindern)
  • Schmerzen abseits des Nabels (bei Kindern)
  • Tastbare Resistenzen
  • Zyklusstörungen (Menstruationsstörungen)

* Falls diese Frage mit "Ja" beantwortet worden ist, ist ein sofortiger Arztbesuch erforderlich! (Angaben ohne Gewähr)

Unsere Empfehlung: Drucken Sie die Anamnese aus, markieren Sie alle mit „Ja“ beantworteten Fragen und nehmen Sie das Dokument mit zu Ihrem behandelnden Arzt.