Medizingerätediagnostik
Herzinfarkt (Myokardinfarkt)

Vom ersten medizinischen Kontakt eines Patienten bis zur EKG-Diagnose dürfen maximal nur zehn Minuten vergehen!

Obligate Medizingerätediagnostik

  • Elektrokardiogramm (EKG; Aufzeichnung der elektrischen Aktivitäten des Herzmuskels)* – während und nach Auftreten eines Infarktes ist dieser in vielen Fällen im EKG vor allem durch ST-Streckenhebung [Nachweis von STEMI/ST segment elevation myocardial infarction; siehe unten: "Stadien eines Myokardinfarkt im EKG"]
    In seltenen Fällen: NSTEMI oder instabile Angina pectoris ("Brustenge"; plötzlich auftretender Schmerz in der Herzgegend mit inkonstanter Symptomatik) – keine ST-Streckenhebungen; bei NSTEMI sind CK-MB und Troponin (TnT) erhöht; bei instabiler Angina pectoris sind diese Werte im Normbereich
    ] Wg. transiente ST-Streckenhebung s. u. "Weitere Hinweise".
    DD: Bei ca. 30 % der Patienten mit einer akuten Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung) lassen sich Zeichen eines Hinterwandinfarkts im EKG nachweisen!
    Beachte: 
    • Patienten mit NSTE-ACS (akutes Koronarsyndrom) und definierten Risikomerkmalen benötigen eine invasive Abklärung mittels Koronarangiographie.
    • Bei einer Person nicht-kaukasischer Herkunft sollte eine ST-Streckenhebung im EKG über den von der ESC oder der AHA/ACC definierten Grenzwert womöglich etwas vorsichtig interpretiert werden [4].
    • Bei Patienten mit Linksschenkelblock im EKG wird häufig fälschlicherweise von einem Myokardinfarkt ausgegangen – siehe dazu unter "Weitere Hinweise": EKG-Kriterien bei Linksschenkelblock.
    • Patienten mit Herzstillstand außerhalb des Krankenhauses (OHCA: out of hospital cardiac arrest): EKG-Befunde in der frühen Post-ROSC-Phase können nicht nur durch Koronarobstruktion verursachte Ischämien sein, sondern auch durch „no blood flow“ und/oder „low blood flow“ bedingte Ischämien bedingt sein. Empfehlung: mindestens 8 Minuten warten wg. STEMI-Befundung [6].
  • Blutdruckmessung* (beide Arme) [wichtigste Symptoms des IkS (infarktbedingter kardiogener Schock) – jedoch nicht obligat – Hypotonie/niedriger Blutdruck < 90 mmHG systolisch für mindestens 30 Minuten, in Verbindung mit Zeichen der Organminderperfusion/Organminderdurchblutung: kalte Extremitäten, Oligurie (verminderte Urinproduktion mit einer Tageshöchstmenge von 500 ml), psychische Veränderungen wie Agitation/krankhafte Unruhe]
  • Koronarangiographie (radiologisches Verfahren, das mit Hilfe von Kontrastmitteln das Lumen (Innenraum) der Koronararterien (Arterien, die kranzförmig das Herz umgeben und den Herzmuskel mit Blut versorgen) sichtbar macht) – zur Beurteilung der regionalen und globalen Herzfunktion, ggf. mit Messung der Fraktionellen Flussreserve (FFR) zur Objektivierung der funktionellen Relevanz von koronarer Stenosen; gleichzeitige Therapie möglich [vom ersten medizinischen Kontakt eines Patienten bis zur EKG-Diagnose maximal zehn Minuten und innerhalb von 90 Minuten Katheter-Intervention; bei sehr frühem Infarktbeginn (< 2 Stunden) und großen Vorderwand-Infarkten sollte das Intervall unter 60 Minuten liegen [Beachte: Bei ca. 7 % aller Myokardinfarkte  lässt sich angiographisch keine relevante Stenose nachweisen.]
    Beachte: Auch bei Patienten mit nicht eindeutigen ST-Hebungen und atypischen EKG-Veränderungen (z. B. Schenkelblöcke, ventrikulär stimulierter Rhythmus und isolierter posteriorer Myokardinfarkt) sollte im Fall anhaltender Ischämie-Symptome eine frühe Koronarangiographie erhalten [2].
  • Echokardiographie (Echo; Herzultraschall) – kann Wandbewegungsstörungen (WBS) im betroffenen Myokardbereich (Herzmuskel) und daraus resultierende Ventrikelfunktionsstörungen feststellen und wird eingesetzt, wenn das EKG beim akuten Infarkt keine eindeutigen Befunde erbringen konnte bzw. beim chronischen Myokardinfarkt (Infarkt liegt > 3 Monate zurück)
  • Herzrhythmus-Monitoring (NSTE-ACE-Guidelines, Management bei akutem Koronarsyndrom ohne ST-Streckenhebung [1]):
    • bis dass die Diagnose NSTEMI entweder ausgeschlossen oder gesichert werden kann (Klasse-1-Empfehlung).
    • in Betracht ziehen bei nachgewiesenem NSTEMI und niedrigem Arrhythmie-Risiko über 24 Stunden oder bis zu einer perkutanen Koronarintervention (PCI) (Klasse IIa)
    • bei hohem Arrhythmie-Risiko kann eine länger als 24-stündige Überwachung erwogen werden (Klasse IIa)

Fakultative Medizingerätediagnostik – in Abhängigkeit von den Ergebnissen der Anamnese, körperlichen Untersuchung, Labordiagnostik und obligaten Medizingerätediagnostik – zur differentialdiagnostischen Abklärung bzw. zum Ausschluss von Komplikationen

  • Röntgenaufnahme des Thorax (Röntgen-Thorax/Brustkorb), in zwei Ebenen – zum Ausschluss von Dekompensationszeichen, pulmonalen Stauungszeichen
  • Computertomographie des Thorax/Brustkorb (Thorax-CT) – zum Ausschluss der Differentialdiagnosen beim akuten Thoraxschmerz (Brustschmerzen)
  • CT-Angiographie (engl. Cardiac computed tomography angiography, (CCTA); nicht-invasive-Untersuchung, um die Durchgängigkeit der Koronar-Arterien zu untersuchen)
    • bei akutem Thoraxschmerz (Brustschmerzen) und niedrigem Risiko für ein akutes Koronarsyndrom (ACS)
    • Verdacht auf Lungenembolie und Aortendissektion (Synonym: Aneurysma dissecans aortae): akute Aufspaltung (Dissektion) der Wandschichten der Aorta (Hauptschlagader), mit einem Einriss der inneren Schicht der Gefäßwand (Intima) und einer Einblutung zwischen der Intima und der Muskelschicht der Gefäßwand (äußere Media), im Sinne eines Aneurysma dissecans (krankhafte Ausweitung der Schlagader)
    • Patienten, bei denen es wegen niedriger bis intermediärer Prätestwahrscheinlichkeit in erster Linie darum geht, eine koronare Herzerkrankung (Herzkranzgefäßerkrankung) auszuschließen; Voraussetzung: Troponin-Werte und/oder EKG normal oder uneindeutig (Klasse-I/Evidenzgrad A-Empfehlung) [Leitlinien: ESC Guidelines]
  • Magnetresonanztomographie des Thorax/Brustkorb (Thorax-MRT) – kann Funktionsstörungen des Myokards nachweisen; wird nicht in der Akutphase eingesetzt
  • Myokardperfusionsszintigraphie – kann nicht zwischen einem frischen und einem alten Infarkt unterscheiden; wird zur Einschätzung der Funktionsfähigkeit des Myokards durchgeführt
  • Radionuklidventrikulographie – wird zur Einschätzung der Funktionsfähigkeit des Myokards durchgeführt

*Infarktbedingterkardiogener-Schock (IkS), bei Verdacht auf IkS siehe wg. weiterer Diagnostik unter "Schock"

Nach EKG-Manifestation wird das akute Koronarsyndrom (AKS; acute coronary syndrome, ACS) wie folgt eingeteilt:

  • Nicht-ST-Hebung
    • Instabile Angina pectoris* (engl. unstable angina, UA) oder
    • NSTEMI** – engl. Non-ST-Elevation-Myocardial Infarction – Myokardinfarkt ohne ST-Streckenhebung. Dieser Typ ist zwar kleiner als ein Myokardinfarkt mit ST-Streckenhebung, dafür sind jedoch meist Risiko-Patienten mit vorgeschädigtem Herz von einem NSTEMI betroffen. Auch die Langzeitprognose ist schlechter; oder
    • NQMI – Nicht-Q-Zacken-Infarkt (engl. Non-Q-Wave-Myokardinfarkt); in 6 Monaten kommt es in ca. 30 % der Fälle zu einem Q-Zacken-Infarkt  
  • ST-Hebung
    • STEMI** – engl. ST-Elevation-Myocardial Infarction – Myokardinfarkt mit ST-Streckenhebung
      • QMI – Q-Zacken-Infarkt
      • NQMI – Nicht-Q-Zacken-Infarkt (engl. Non-Q-Wave-Myokardinfarkt); in 6 Monaten kommt es in ca. 30 % der Fälle zu einem Q-Zacken-Infarkt  

*CK-MB und Troponin (TnT) nicht erhöht
**CK-MB und Troponin (TnT) erhöht

Weitere Hinweise

  • Transiente ST-Streckenhebung bei akutem Koronarsyndrom /4-24 % der Patienten): TRANSIENT-Studie kommt zum Ergebnis, dass sich diese Patienten wie NSTEMI-Patienten verhalten; mirkovaskuläre Obstruktionen kommen selten vor (4,2 % versus 50 % bei STEMI-Patienten):
    Patienten mit transienter ST-Streckenhebung sind im Vergleich zu STEMI-Patienten in der Regel jünger, häufig Raucher und in der Mehrheit männlich [3].
  • Patienten mit Linksschenkelblock (engl. Left Bundle Branch Block, LBBB) im EKG werden häufig fälschlicherweise als Myokardinfarkt diagnostiziert. Die BARCELONA-Kriterien erreichten sowohl in der Evaluierungs- als auch in der Validierungs-Kohorte die höchste Sensitivität (93 %-95 %) im Vergleich zu früheren Kriterien (z. B. Sgarbossa-Score von ≥ 3: 33-34 %). Die drei neuen Kriterien beinhalten [5]:
    1. ST-Senkung ≥ 0,1 mV (1 mm) konkordant zur QRS-Polarität (gleiche Richtung wie QRS) in allen Ableitungen
    2. exzessive diskonkordante ST-Abweichung – also umgekehrt zur Richtung des QRS – von ≥ 0,1 mV (1 mm) mit einer Niedervoltage im QRS 
    3. konkordante ST-Erhöhung von ≥ 0,1 mV (1 mm) in jeglichen Ableitungen
    Trifft einer von drei Punkten zu, ist von einem Myokardinfarkt auszugehen.

Stadien eines Myokardinfarkts im EKG

Stadium   Beschreibung Beginn/Dauer
Stadium 0   Überhöhte T-Welle ("Erstickungs-T") Nur kurzfristig zu Beginn des Infarktes darstellbar, daher in der Regel nicht nachweisbar
Stadium I "frisches Stadium" Typische ST-Hebung – von mindestens 1 mm (mindestens 2 mm in den Ableitungen V2 und V3 – mit monophasischer Deformierung, T positiv, R klein Q noch klein Nachweisbar nach Minuten bis Stunden/bis eine Woche
Zwischenstadium   Leichte ST-Hebung, T spitz-negativ, Q groß, R klein Beginn/Dauer: 1.-10 Tag; kurz
Stadium II "reaktives Folgestadium" ST-Strecken isoelektrisch oder noch gering angehoben; T-Negativierung und Ausbildung einer Q-Zacke (> 1/4 der R-Zacke + Dauer > 0,03 sec. = Pardee-Q) 3.-7. Tag/6 Monate bis mehrere Jahre
Stadium III "End- oder Narbenstadium", "Restbefund" Pardee-Q sichtbar; ggf. R-Verlust sichtbar 6 Monate bis persistierend

Beachte: Die Demaskierung eines akuten posterioren Infarkts wird erst in den Ableitungen V7-V9 möglich; gleiches gilt für rechsventrikuläre Infarkte!

Elektrokardiografische Definition des ST-Hebungs-Infarkt (STEMI) (mod. nach [2])

Mindestens 2 ST-Streckenhebungen in 2 zusammenhängenden Abbildungen

STEMI der Vorderwand (V2/V3):

  • ≥ 0, 25 mV bei Männern < 40 Jahren
  • ≥ 0, 20 mV bei Männern > 40 Jahren
  • ≥ 0,15 mV bei Frauen
Andere Lokalisationen (wenn kein Linksschenkelblock (LSB) oder linksventrikuläre Hypertrophie):
  • ≥ 0,1mV
Streng posteriorer Myokardinfarkt
  • ST-Streckensenkungen in V1-3 ≥ 0,05 mV und
    ST-Streckenhebungen in V7-9 ≥ 0,05 mV
Myokardinfarkt bei bestehendem LSB
  • konkordante ST-Streckenhebungen ≥ 0,1 mV in Ableitungen mit positivem QRS-Komplex
  • konkordante ST-Streckensenkungen ≥ 0,1 mV in V1-3
  • diskordante ST-Streckenhebungen ≥ 0,5 mV in Ableitungen mit negativem QRS-Komplex

Nachsorge

  • Telemedizinische Rhythmuskontrolle – Die SMART-MI-Studie untersuchte, ob Hochrisikopatienten mit moderat eingeschränkter Ejektionsfraktion (Auswurffraktion), aber erhöhtem Risiko für schwere Herzrhythmusstörungen (severe arrhythmic events, SArE), davon profitieren könnten, wenn diese eine telemedizinischen Rhythmusüberwachung per subkutan implantierten Herzmonitor (ICM) erhalten. Das Risiko für schwere Herzrhythmusstörungen wurde zuvor auf Grundlage der Messung zweier digitaler Biomarker – Dezelerationskapazität (DC) und periodische Repolarisationsdynamik (PRD) – mittels eines 20-minütigen, hochauflösenden EKGs bestimmt. Ergebnis: Das per ICM detektierte SArE war genauso prädiktiv für schwere kardiovaskuläre oder zerebrovaskuläre Ereignisse (MACCE) wie das konventionell-klinisch detektierte SArE (Post-prädiktive Wert in beiden Fällen ca. 60 %); für das ICM-Telemonitoring ergab sich eine Sensitivität (Prozentsatz erkrankter Patienten, bei denen die Krankheit durch die Anwendung des Tests erkannt wird, d. h. ein positives Testresultat auftritt) von 61 % für MACCE, für das konventionelle klinische Monitoring eine Sensitivität von nur 20 % [7].

Literatur

  1. Roffi M, Patrono C, Collet JP et al.: 2015 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes in patients presenting without persistent ST-segment elevation: Task Force for the Management of Acute Coronary Syndromes in Patients Presenting without Persistent ST-Segment Elevation of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J. 2015 Aug 29. doi: 10.1093/eurheartj/ehv320
  2. Ibanez B, James S et al.: 2017 ESC Guidelines for  the management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation. The Task Force for the management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation of the European Society of Cardiology (ESC). European Heart Journal (2017) 00, 1–66. doi:10.1093/eurheartj/ehx393
  3. Lemkes JS et al.: Timing of revascularization in patients with transient ST-segment elevation myocardial infarction: a randomized clinical trial. European Heart Journal Published: 26 October 2018, ehy651, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehy651
  4. ter Haar CC et al.: Prevalence of ECGs Exceeding Thresholds for ST‐Segment–Elevation Myocardial Infarction in Apparently Healthy Individuals: The Role of Ethnicity Journal of the American Heart Association. 2020;9 https://doi.org/10.1161/JAHA.119.015477
  5. Macfarlane PW: New ECG Criteria for Acute Myocardial Infarction in Patients With Left Bundle Branch Block. J Am Heart Assoc. 2020;9:e017119. doi: 10.1161/JAHA.120.017119
  6. Baldi E et al.: Association of Timing of Electrocardiogram Acquisition After Return of Spontaneous Circulation With Coronary Angiography Findings in Patients With Out-of-Hospital Cardiac Arrest. JAMA Netw Open. 2021;4(1):e2032875. doi:10.1001/jamanetworkopen.2020.32875
  7. Bauer A: Hot Line – SMART-MI: Implantable cardiac monitors in high-risk post-infarction patients with cardiac autonomic dysfunction and moderately reduced left ventricular ejection fraction – A randomized trial. ESC Congress 2021 – The Digital Experience; 27. bis 30. August 2021

Leitlinien

  1. Roffi M, Patrono C, Collet JP et al.: 2015 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes in patients presenting without persistent ST-segment elevation: Task Force for the Management of Acute Coronary Syndromes in Patients Presenting without Persistent ST-Segment Elevation of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J. 2015 Aug 29. doi: 10.1093/eurheartj/ehv320
  2. Ibanez B, James S et al.: 2017 ESC Guidelines for  the management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation. The Task Force for the management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation of the European Society of Cardiology (ESC). European Heart Journal (2017) 00, 1–66. doi:10.1093/eurheartj/ehx393
  3. 2020 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes in patients presenting without persistent ST-segment elevation: The Task Force for the management of acute coronary syndromes in patients presenting without persistent ST-segment elevation of the European Society of Cardiology (ESC). European Heart Journal 2020, online 29. August 2020 https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehaa575
     
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