Myasthenia gravis – Einleitung

Bei der Myasthenia gravis (MG) (Synonyme: Erb-Goldflam-Syndrom; Erb-Oppenheim-Goldflam-Syndrom; Goldflam-Erb-Krankheit; Myasthenia gravis pseudoparalytica; Myasthenia pseudoparalytica; Myasthenieptose; Myasthenische Bulbärparalyse; ICD-10-GM G70.0: Myasthenia gravis) handelt es sich um eine selten vorkommende Störung der neuromuskulären (von Nerv zu Muskel) Reizübertragung, die sich in einer schweren belastungsabhängigen Muskelschwäche und schnell einsetzender Ermüdbarkeit äußert. Die Muskelschwäche tritt asymmetrisch auf und kann einzelne oder mehrere Muskeln betreffen.
Die Entstehung des Wortes basiert auf dem griechischen Wort "mys" = Muskel und "-asthenia" = Schwäche. Das lateinische Wort "gravis" steht für "schwer".

Myasthenia gravis zählt zu den Autoimmunerkrankungen, das heißt, der Körper bildet Antikörper gegen körpereigene Strukturen, in diesem Fall gegen der postsynaptischen Membran der neuromuskulären Synapse/postsynaptische Acetylcholinrezeptoren.

Formen der Myasthenia gravis

Nach der Ausbreitung der Erkrankung werden zwei Formen unterschieden:

  • Okuläre Myasthenie – nur die äußeren Augenmuskeln sind betroffen
  • Generalisierte Myasthenie – Mitbeteiligung von Gesichts-, Schlund-, Hals-/Nacken- und Skelettmuskulatur; leichte/mittlere/schwere Ausprägung möglich

Weitere Unterscheidungsmöglichkeiten siehe unter "Klassifikation".

Epidemiologie

Geschlechterverhältnis: Männer zu Frauen beträgt 2 : 3.

Häufigkeitsgipfel: Bei Frauen tritt die Erkrankung vorwiegend zwischen dem 2. und 3. Lebensjahrzehnt und bei Männern zwischen dem 6. und 8. Lebensjahrzehnt auf.
Ca. 10 % der Erkrankten sind Kinder im Alter von unter 16 Jahren.

Die Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) ist, bedingt durch gute Therapiemöglichkeiten und eine normale Lebenserwartung, gestiegen und liegt derzeit bei 78 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner (weltweit), wobei hier je nach Bestimmungsort eine Spannweite von 15-179 vorliegt [1].

Die Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen) beträgt 20-30 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr.

Verlauf und Prognose

Verlauf

Myasthenia gravis beginnt meist mit okulären Symptomen (Augensymptomen), die sich in einer belastungsabhängigen Muskelschwäche der äußeren Augenmuskeln äußern. In etwa 10-20 % der Fälle bleibt es bei dieser rein okulären Form. Bei den meisten Patienten kommt es jedoch innerhalb von zwei Jahren zu einer Generalisierung der Erkrankung, bei der zusätzlich Gesichts-, Schlund-, Hals-/Nacken- und Skelettmuskulatur betroffen sind. Diese Ausbreitung ist durch die fortschreitende Autoimmunreaktion gekennzeichnet, bei der der Körper zunehmend Antikörper gegen die postsynaptischen Acetylcholinrezeptoren bildet.

Der Verlauf der Erkrankung kann durch Phasen der Besserung und Verschlechterung gekennzeichnet sein, wobei die Muskelschwäche in Stresssituationen oder bei körperlicher Belastung stärker ausgeprägt sein kann. Die Schwankungen in der Symptomatik und die anfänglich schwache Ausprägung der Symptome können die Diagnosestellung erschweren.

Prognose

Die Prognose der Myasthenia gravis hat sich in den vergangenen Jahren durch Fortschritte in der medikamentösen Therapie deutlich verbessert. Patienten können heute ein weitgehend normales Leben führen, allerdings ist eine lebenslange Medikation erforderlich. Bei optimaler Behandlung ist die Lebenserwartung nur gering reduziert.

Patienten mit Beteiligung der Schlund- und Atemmuskulatur sind stärker gefährdet, eine myasthene Krise zu entwickeln, die ohne rechtzeitige Behandlung tödlich verlaufen kann. Die Letalität einer myasthenen Krise liegt bei 5-12 %.

Während der Schwangerschaft zeigt sich die Myasthenia gravis im 2. und 3. Trimenon (Schwangerschaftsdrittel) oft etwas milder. Dennoch kann die Muskelschwäche bei der Geburt einen Kaiserschnitt erforderlich machen.

Bei einer zu späten oder fehlenden Diagnosestellung sowie bei schweren Verläufen kann die Lebenszeit verkürzt sein. Patienten mit Myasthenia gravis haben auch ein erhöhtes Risiko für Begleiterkrankungen, insbesondere für andere Autoimmunerkrankungen wie Thyreoiditis, rheumatoide Arthritis, systemischen Lupus erythematodes und andere.

Komorbiditäten

Die Myasthenia gravis ist vermehrt mit Autoimmunerkrankungen (10-14 %) wie Thyreoiditis (Schilddrüsenentzündung) (häufig), rheumatoide Arthritis (häufig), systemischer Lupus erythematodes, perniziöse Anämie (Resorptionsstörung für B12; B12-Mangelanämie), Pemphigus vulgaris (blasenbildende Hautkrankheit), Spondylitis ankylosans (Synonym: Morbus Bechterew; chronisch entzündliche rheumatische Erkrankung mit Schmerzen und Versteifung von Gelenken), Colitis ulcerosa (chronisch-entzündliche Darmerkrankung (Dick- und Mastdarm)), Morbus Crohn (chronisch entzündliche Darmerkrankung (CED)) und Glomerulonephritis (Entzündung der Glomeruli (Nierenkörperchen) der Nieren) vergesellschaftet [2].

Literatur

  1. Carr AS, Cardwell CR et al.: A systematic review of population based epidemiological studies in Myasthenia Gravis. BMC Neurol  2010;10: 46
  2. Meriggioli MN, Sanders DB: Autoimmune myasthenia gravis: emerging clinical and biological heterogeneity. Lancet Neurol 2009;8 (5): 475-490

Leitlinien

  1. S2k-Leitlinie: Diagnostik und Therapie myasthener Syndrome. (AWMF-Registernummer: 030-087), November 2022 Langfassung