Weitere Therapie
Multiple Sklerose (MS)

Allgemeine Maßnahmen

  • Sturzprävention (s. u. "Sturzneigung/Prävention/Maßnahmen zur Sturzprophylaxe")
  • Eine halbe Stunde pro Tag ein Sonnenbad. Gemäß einer Studie nehmen die MS-Beschwerden im Mittel ab, wenn die Sonneneinstrahlung zunimmt. Das UV-Licht der Sonne regt dabei den Interferon-Signalweg an. Wurden die Patienten zuvor mit Interferon-Beta behandelt, wirkte das Sonnenlicht allerdings nicht mehr [10].
  • Nikotinrestriktion (Verzicht auf Tabakkonsum)
    • verbessert die Prognose in Bezug auf den Grad der Behinderung [2]
    • hat Einfluss auf den Zeitpunkt bis zum Übergang in die sekundär chronische Verlaufsform (SPMS): jedes zusätzliche Raucherjahr nach der Diagnose beschleunigt die Zeit bis zur SPMS-Konversion um 4,7 % [4]
  • Vermeiden von Passivrauchen
  • Begrenzter Alkoholkonsum (Männer: max. 25 g Alkohol pro Tag; Frauen: max. 12 g Alkohol pro Tag)
  • Begrenzter Koffeinkonsum (max. 240 mg Koffein pro Tag; das entspricht 2 bis 3 Tassen Kaffee bzw. 4 bis 6 Tassen grünen/schwarzen Tee)
  • Normalgewicht anstreben! 
    Bestimmung des BMI (Body-Mass-Index, Körpermasse-Index) bzw. der Körperzusammensetzung mittels der elektrischen Impedanzanalyse und ggf. Teilnahme an einem ärztlich betreuten Abnehmprogramm bzw. Programm für Untergewichtige
    • BMI ≥ 25 → Teilnahme an einem ärztlich betreuten Abnehmprogramm
    • Unterschreitung der BMI-Untergrenze (ab dem 19. Lebensjahr: 19; ab dem 25. Lebensjahr: 20; ab dem 35. Lebensjahr: 21; ab dem 45. Lebensjahr: 22; ab dem 55. Lebensjahr: 23; ab dem 65. Lebensjahr: 24) → Teilnahme an einem ärztlich betreuten Programm für Untergewichtige
  • Vermeidung psychosozialer Belastungen:
    • Stress – Stressereignisse werden als Risikofaktoren diskutiert

Impfungen

Die nachfolgenden Impfungen sind angeraten:

  • COVID-19-Impfung
  • Grippe-Impfung
  • Hepatitis A- und B-Impfung (so oft wiederholen, bis der Anti-HBS-Titer erreicht ist)
  • Herpes zoster-Impfung wg. Personen ≥ 50 Jahre bei erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge einer Grundkrankheit (hier: Multiple Sklerose)
  • HPV-Impfung (auch im Erwachsenenalter)
  • Pneumokokken-Impfung
    Beachte: Immunsupprimierte sollten sequentiell mit dem 13-valenten Konjugatimpfstoff PCV13 und sechs bis zwölf Monate später mit dem 23-valenten Polysaccharidimpfstoff PPSV23 gegen Pneumokokken geimpft werden.
  • Falls im Kindesalter nicht oder nicht vollständig durchgeführt: Masern (notwendige Lebendimpfung auch bei Immunsuppression), Mumps, Varizellen (Windpocken), Röteln, Polio
  • Auffrischimpfungen empfehlenswert: Tetanus, Diphtherie, Pertussis

Beachte

  • Da auch MS-Patienten einen guten Impfschutz erhalten sollten, wird zur Auffrischung des Impfschutzes möglichst vor Beginn einer Immuntherapie oder einer B-Zell depletierenden Therapie (Therapie, die Immunzellen aus dem Körper entfernt) geraten [11]:
    • Um einen Impferfolg zu unterstützen, sollten Impfungen idealerweise mindestens 6 Wochen vor Einleitung einer Immuntherapie abgeschlossen sein.
    • Idealerweise sollten Impfungen frühestens 4 Monate nach Behandlung mit Zell-depletierenden Therapien erfolgen; bei aktivem Infektionsgeschehen kann davon abgewichen werden und eine frühere Impfung erfolgen.
  • Vorsicht ist bei der Impfung mit Lebendimpfstoffen wg. reduzierter Immunkompetenz unter MS-Therapeutika geboten!
  • Lebendimpfstoffe sind in den ersten drei Monaten nach hochdosierter Corticoidtherapie kontraindiziert, ebenso bei einer Therapie mit immunsupprimierenden MS-Therapeutika.

Konventionelle nicht-operative Therapieverfahren

  • Stammzelltransplantation (genauer: hämatopoetische Stammzelltransplantation; HSZTBlutstammzelltransplantation) – In der HALT-MS-Studie wurden bei 19 von 24 Patienten auch drei Jahre nach der autologen Stammzelltherapie keine Zeichen einer MS-Aktivität (no evidence of disease activity, NEDA) festgestellt. Zwischenzeitlich haben weitere Patienten MRT-Läsionen entwickelt, sodass die NEDA-Rate nach fünf Jahren bei rund 60 % liegen dürfte. Ein Patient starb infolge der der initialen Immunablation an einer massiven Lebernekrose und Sepsis [5].
    Hinweis: Das Verfahren wird bislang vor allem bei jungen Menschen mit sehr aggressiven Erkrankungsform eingesetzt.
  • In einer retrospektiven Kohortenstudie mit MS-Patienten, die eine autologe Stammzelltransplantation erhalten hatten, wurde eine 5-Jahres-Wahrscheinlichkeit eines progressions­freien Überlebens mit 46 Prozent ermittelt. Acht  von 281 Patienten (2,8 Prozent; 95-Prozent-Konfidenzintervall 1,0-4,9 Prozent) starben in den ersten hundert Tagen nach der Transplantation [6].
  • Transkranielle Magnetstimulation (TMS): Verfahren mit dem mittels fluktuierender Magnetfelder (ca. 1 Tesla starke gepulste Magnetfelder) schmerzfrei ein elektrischer Strom durch den intakten Schädel im Gehirngewebe erzeugt wird und dadurch neuronale Aktionspotenziale auslöst;  3-mal wöchentlich für je 20 Minuten 6 Wochen lang – zur Reduktion der Symptome eines chronischen Erschöpfungszustandes bei Patienten mit Multipler Sklerose (MS); Verum-Gruppe zeigte eine signifikante Abnahme der Fatigue [8]

Therapieoptionen bei speziellen Störungen

Ataxie (Störungen der Bewegungskoordination)

  • Kann mit einer medikamentösen Therapie keine Besserung erzielt werden, so kann die tiefe Hirnstimulation (THS; Synonyme: Tiefenhirnstimulation; Thalamus-Stimulation; engl.: deep brain stimulation, DBS) eingesetzt werden.

Ataxie und Tremor (Zittern)

  • Koordinationsfördernde Physio- und Ergotherapie
  • Kälteanwendungen vor manuellen Tätigkeiten sowie Training mit Gewichten
  • Tiefe Hirnstimulation (bei Tremor)

Fatigue

Bei der Fatigue (Müdigkeit) sollten in ersten Linie nicht-medikamentöse Therapiemethoden eingesetzt werden; dazu zählen unter anderem:

  • Ausdauertraining – günstige Effekte von körperlichem Training und kühlenden Maßnahmen (Kühlung bei wärmeempfindlichen Patienten)
  • Energie-Management-Programme (mit Tagesstrukturierung)/Selbstmanagement-Programme
  • Achtsamkeits- und Aufmerksamkeitstraining
  • Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)

Kognitive Störungen

  • Intensives Aufmerksamkeitstraining 
  • Kompensationstraining, etwa mit Memotechniken
  • Störungsspezifisches Computertraining

Neurogene Blasenfunktionsstörungen

  • Verhaltenstherapie – Miktionstagebuch, Trinkmenge überprüfen; Blasen- bzw. Toilettentraining
  • Beratung über evtl. notwendige Hilfsmittel: Einlagen, Tropfenfänger und Windeln
  • Beckenbodentraining
  • EMG-Biofeedbackverfahren
  • Elektrostimulation
  • Intermittierende Selbstkatheterisierung (ISK) bei persistierend erhöhtem Restharn (> 100 ml) 
  • Sakrale invasive Neuromodulation zur Reduktion von Inkontinenzsymptomen
  • Transkutane N.-tibialis-Stimulation
  • Bei Versagen aller Maßnahmen können rekonstruktive operative Verfahren im Einzelfall durchgeführt werden

Neurogene Darmfunktionsstörungen

  • Körperliche Bewegung
  • ballaststoffreiche Diät und ausreichende Flüssigkeit (1,5 bis 2 l pro Tag)
  • Kolonmassage
  • Physiotherapie

Sexuelle Dysfunktion

  • Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)
  • Bei erektiler Dysfunktion (ED) kann die intrakavernöse Applikation (Schwellkörperinjektion) von Prostaglandinen versucht werden.

Spastik

  • Ganzkörpervibration (engl. whole body vibration, WBV)
  • Physikalische Therapie/Physiotherapie: Spricht auf physikalische Therapie und regelmäßig durchgeführte Übungen und Dehnungen (Physiotherapie) an. Dieses sollte am besten zwei bis dreimal wöchentlich erfolgen.
  • Transkutane elektrische Stimulation (TENS) 
  • Transkraniale Magnetstimulation (TMS; s. o.)

Medizinische Hilfsmittel

  • Bei Bedarf

Regelmäßige Kontrolluntersuchungen

  • Regelmäßige ärztliche Kontrolluntersuchungen

Ernährungsmedizin

  • Ernährungsberatung auf der Grundlage einer Ernährungsanalyse
  • Ernährungsempfehlungen gemäß einem Mischköstler unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkrankung. Das bedeutet u. a.:
    • täglich insgesamt 5 Portionen frisches Gemüse und Obst (≥ 400 g; 3 Portionen Gemüse und 2 Portionen Obst)
    • ein- bis zweimal pro Woche frischen Seefisch, d. h. fette Meeresfische (Omega-3-Fettsäuren) wie Lachs, Hering, Makrele
    • ballaststoffreiche Ernährung (Vollkornprodukte, Gemüse)
  • Beachtung folgender spezieller Ernährungsempfehlungen:
    • Reduktion von Konsum tierischer Fette und von Fleisch [1]
    • Ernährung reich an:
      • Ballaststoffen 
        • kurzkettige Fettsäuren Propionat und Butyrat, die innerhalb von Gärprozessen der Darmbakterien gebildet werden, wirken antiinflammatorisch/entzündungshemmend (ggf. auch Zufuhr von peroralem Propionat); regen regulatorische Zellen des Immunsystems an und erhöhen die Zahl dieser Zellen; auf diese Weise beeinflussen sie bei Menschen mit Multipler Sklerose (MS) positiv die Darm-vermittelte Immunregulation (Mikrobiom) [9]
      • Vitaminen (B12, D)
      • Omega-3-Fettsäuren (Meeresfisch)
      • L-Tryptophan; L-Phenylalanin
    • Da die Erkrankung mit Entzündungsprozessen einhergeht, sollten Erkenntnisse in Bezug auf eine antiinflammatorische (entzündungshemmende) Ernährung auch Grundlage der Ernährung bei Multipler Sklerose sein. Siehe unter Ernährung bei „Subklinische Inflammation“.
  • Auswahl geeigneter Lebensmittel auf Grundlage der Ernährungsanalyse
  • Siehe auch unter "Therapie mit Mikronährstoffen (Vitalstoffe)" – ggf. Einnahme eines geeigneten Nahrungsergänzungsmittels
    Für Fragen zum Thema Nahrungsergänzungsmittel stehen wir Ihnen gerne kostenfrei zur Verfügung.
    Nehmen Sie bei Fragen dazu bitte per E-Mail – info@docmedicus.de – Kontakt mit uns auf, und teilen Sie uns dabei Ihre Telefonnummer mit und wann wir Sie am besten erreichen können.
  • Detaillierte Informationen zur Ernährungsmedizin erhalten Sie von uns. 

Sportmedizin

  • Ausdauertraining (Cardiotraining) und Krafttraining (Muskeltraining)
  • Regelmäßiger Ausdauersport wirkt neuroprotektiv und fördert sogar die Neurogenese; regelmäßiges Krafttraining könnte gemäß einer Studie einer fortschreitenden Hirnatrophie entgegenwirken: per Magnetresonanztomographie (MRT) konnte nachgewiesen werden, dass in der Interventionsgruppe nach 6 Monaten eine geringere Hirnatrophie auftrat als in der Vergleichsgruppe [7].
  • Yoga – Verbesserung von Fatigue (Müdigkeit), Gleichgewicht und spatiotemporale Gangparametern [3]
  • Erstellung eines Fitness- bzw. Trainingsplans mit geeigneten Sportdisziplinen auf der Grundlage eines medizinischen Checks (Gesundheitscheck bzw. Sportlercheck)
  • Detaillierte Informationen zur Sportmedizin erhalten Sie von uns.

Physikalische Therapie (inkl. Physiotherapie)

  • Vor allem die Spastik der Muskulatur spricht auf physikalische Therapie und regelmäßig durchgeführte Übungen und Dehnungen an.
  • Ergotherapie – Arbeits- bzw. Beschäftigungstherapie 

Psychotherapie

  • Ggf. Psychotherapie
  • Detaillierte Informationen zur Psychosomatik (inkl. Stressmanagement) erhalten Sie von uns.

Organisationen und Selbsthilfegruppen

  • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA)
    Postfach 91 01 52, D-51071 Köln
    Telefon: 0221-89920, Fax: 0221-8992300 E-Mail: poststelle@bzga.de, Internet: www.bzga.de
  • DMSG, Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft, Bundesverband e. V.
    Vahrenwalderstr. 205-7, 30165 Hannover
    Telefon: 0511/968340, Fax: 0511/9683450, E-Mail: dmsg@dmsg.de, Internet: dmsg.de.
  • AG GGUP – Gynäkologie und Geburtshilfe Urologie. Proktologie
    Verband für Physiotherapeuten / Krankengymnasten (ZVK) e.V.
    Auf Beckenboden spezialisierte Physiotherapeuten in Ihrer Nähe finden Sie unter www.ag-ggup.de

Literatur

  1. Pöhlau D, Seidel D: Schriftenreihe der DMSG: MS-Information Nr 2.7.2 Ernährungsratschläge bei Multipler Sklerose Hannover: Deutsche Multiple Sklerose. Gesellschaft, Bundesverband e.V. (Hrsg.), 11/1999
  2. Manouchehrinia A et al.: Tobacco smoking and disability progression in multiple sclerosis: United Kingdom cohort study. Brain. 2013 Jul;136(Pt 7):2298-304.
  3. Guner S, Inanici F: Yoga therapy and ambulatory multiple sclerosis Assessment of gait analysis parameters, fatigue and balance. doi: http://dx.doi.org/10.1016/j.jbmt.2014.04.004
  4. Ramanujam R, Hedström AK, Manouchehrinia A et al.: Effect of smoking cessation on mutiple sclerosis prognosis. JAMA Neurol 2015; 72: 1117-23
  5. Atkins HL et al.: Immunoablation and autologous haemopoietic stem-cell transplantation for aggressive multiple sclerosis: a multicentre single-group phase 2 trial. Lancet 2016; epub 9.6.16, doi: 10.1016/S0140-6736(16)30169-6
  6. Muraro PA et al.: Long-term Outcomes After Autologous Hematopoietic Stem Cell Transplantation for Multiple Sclerosis. JAMA Neurol. Published online February 20, 2017. doi:10.1001/jamaneurol.2016.5867
  7. Kjølhede T et al.: Can resistance training impact MRI outcomes in relapsing-remitting multiple sclerosis? Multiple Sclerosis Journal First Published July 28, 2017 10.1177/1352458517722645
  8. Gaede G et al.: Safety and preliminary efficacy of deep transcranial magnetic stimulation in MS-related fatigue. Neurology Neuroimmunology & Neuroinflammation January 01, 2018; 5 (1) First published December 14, 2017, doi: https://doi.org/10.1212/NXI.0000000000000423
  9. Duscha A et al.: Propionic Acid Shapes the Multiple Sclerosis Disease Course by an Immunomodulatory Mechanism Cell March 10, 2020 doi:https://doi.org/10.1016/j.cell.2020.02.035
  10. Ostkamp P et al.: Sunlight exposure exerts immunomodulatory effects to reduce multiple sclerosis severity.Proc Natl Acad Sci U S A . 2021 Jan 5;118(1):e2018457118. doi: 10.1073/pnas.2018457118.
  11. Stellungnahme zur 3. Impfung gegen SARS-CoV2 bei Personen mit MS Kompetenznetz Multiple Sklerose 8.12.2021

Leitlinien

  1. S2k-Leitlinie: Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose, Neuromyelitis Optica Spektrum und MOG-IgG-assoziierte Erkrankungen. (AWMF-Registernummer: 030-050), Februar 2021 Langfassung
     
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