Einleitung
Multiple Sklerose (MS)

Bei der Multiplen Sklerose (MS) (Synonyme: Disseminierte Entmarkungsenzephalomyelitis; Encephalomyelitis disseminata; Enzephalitis disseminata (MS); MS; Multiple Sklerose; Multiple Sklerose (MS); Multiple sclerosis; Polysklerose; ICD-10-GM G35.-: Multiple Sklerose [Encephalomyelitis disseminata]) handelt es sich um eine chronische inflammatorische demyelinisierende Erkrankung (Entmarkung der Nerven durch entzündliche Prozesse) des Zentralnervensystems (ZNS), die fortschreitende körperliche Beeinträchtigungen hervorruft.

Sie ist die häufigste neurologische Erkrankung, die bei jungen Menschen zu bleibender Behinderung und Frühberentung führt.

Die Erkrankung wird in folgende Verlaufsformen eingeteilt:

  • Klinisch isoliertes Symptom (KIS; Clinically isolated syndrome, CIS) z. B. Optikusneuritis (Sehnervenentzündung), Hirnstammsyndrom oder transverse Myelitis (neurologisches Syndrom, das durch eine Entzündung des Rückenmarks verursacht wird)
  • Schubförmige Verlaufsform ("relapsing-remitting", RRMS) der MS – schubförmig remittierende (zeitweilig nachlassende) MS; tritt in 85 % der Fälle im frühen Stadium auf; niedrigeres Risiko eines Fortschreitens der Behinderung im Vergleich zu den nachfolgend beschriebenen Verlaufsformen
  • Sekundär (chronische) progrediente (fortschreitende) Verlaufsform (SPMS) der MS – Die Erkrankung beginnt bei dieser Form schubförmig, geht aber später in einen fortschreitenden Verlauf über
  • Primär (chronische) progrediente Verlaufsform (PPMS) der MS – kontinuierlicher Verlauf; tritt in 15 % der Fälle auf.

Liegt eine erste multifokale ZNS-Erkrankung mit vermutlich entzündlicher Genese, mit Enzephalopathie (Erkrankung des Gehirns; nicht Fieber-induziert) vor, spricht man von einer akuten disseminierten Enzephalitis (ADEM). Meist sind Kinder betroffen. Über dem 40. Lebensjahr ist die Erkrankung selten.

Ein Schub ist definiert durch das Auftreten neuer Symptome oder das Wiederaufflammen bereits bekannter Beschwerden:

  • die mindestens 24 Stunden anhalten
  • mit einem Zeitintervall zwischen zwei Schüben von mindestens 30 Tage; meist dauert ein Schub einige Tage bis wenige Wochen. 
  • mit klinischen Ausfällen und Symptomen, die nicht durch Erhöhung der Körpertemperatur (Uhthoff-Phänomen) oder im Rahmen von Infektionen und nicht durch eine anderweitige physische oder organische Ursache erklärbar sind.

Hinweis: Das Uhthoff-Phänomen, welches spezifisch ist, aber nur bei der Hälfte der Patienten auftritt, kommt vor allem in der Abklingenphase der Optikusneuritis oder bei chronischem Verlauf vor.

Geschlechterverhältnis: Frauen sind von der schubweise verlaufenden Multiplen Sklerose ca. dreimal häufiger betroffen als Männer.

Häufigkeitsgipfel: Die Erkrankung tritt vorwiegend zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr auf; der Erkrankungsgipfel liegt um das 30. Lebensjahr.

Die Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) steigt mit der Entfernung vom Äquator. Die höchste Prävalenz liegt bei 250 Erkrankten pro 100.000 Einwohner im Norden Schottlands. In Deutschland liegt die Prävalenz bei ca. 149 Erkrankten pro 100.000 Einwohner. Insgesamt sind nach Schätzungen in Deutschland rund 122.000 Menschen betroffen. Weltweit sind ca. 2 Millionen Menschen an Multipler Sklerose erkrankt.

Die Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen) beträgt ca. 3,5-5 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr (in Deutschland).

Verlauf und Prognose: MS-Patienten beanspruchen bereits in den fünf Jahren vor der Diagnose auffallend häufig ärztliche Hilfe (Zunahme der Zahl der Arzt- und Klinikbesuche sowie der Medikamentenverordnungen) [6].
Nicht selten beginnt die Erkrankung zunächst mit einem isolierten Symptom (z. B. Optikusneuritis, Hirnstammsyndrom oder transverse Myelitis), wofür sich der englische Begriff des "klinisch isolierten Syndroms (KIS)" (Clinically isolated syndrome, CIS) eingebürgert hat. Bei der Mehrzahl der Patienten bilden sich die Symptome eines Schubes innerhalb von 6-8 Wochen zurück.
Ein früher Therapiebeginn bei "klinisch isoliertem Syndrom" (KIS) kann das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen und Behinderungen begrenzen. Diese Patienten erkrankten zu 33 % seltener an einer definitiven Multiplen Sklerose als die mit verzögertem Therapiebeginn (Hazard Ratio 0,67; 95-Prozent-Konfidenzintervall 0,53-0,85) [5].

Tritt im weiteren Verlauf ein zweites Schubereignis in einem anderen neurologischen Funktionssystem auf, spricht man von einer sogenannten klinisch definitiven schubförmigen Multiplen Sklerose ("relapsing-remitting" MS, RRMS).

Kinder: Bei über 95 % der Kinder und Jugendlichen tritt ein primär schubförmiger Verlauf mit Remission (Rückbildung) bzw. symptomfreien Intervallen auf.
Erwachsene: Wenn die Frühsymptome sich nicht innerhalb von sechs Monaten zurückbilden, sinkt die Rückbildungswahrscheinlichkeit auf unter 5 %.
Die Multiple Sklerose (MS) verläuft meist schubweise.

Bei MS-Patienten, die sich in den ersten fünf Krankheitsjahren gut von den Schüben erholten, setzt die Progression der MS deutlich später ein als bei Patienten mit schlechter Erholungstendenz: Bei gut erholenden Patienten im Mittel 12,7 Jahre und bei denen mit schlechter Erholung 8,0 Jahre bis zum Übergang in die Progredienz [3].

Wenn die Progression (Fortschreiten) der MS einsetzt, sind die Patienten meist um die 40 Jahre alt – unabhängig davon, ob diese an einer sekundär (chronischen) oder primär progredienten (fortschreitenden) Verlaufsform leiden. Offensichtlich tut sich das Gehirn in diesem Alter schwer, die Myelinschäden zu reparieren.

Der Verlauf ist durch eine Pharmakotherapie (medikamentöse Behandlung) günstig zu beeinflussen. Die Krankheit ist nicht heilbar.
Durch geistige Tätigkeiten in Beruf und Alltag kann die sogenannte kognitive Reserve (= Hirnleistung) gestärkt und der Krankheitsverlauf positiv beeinflusst werden [4]. 
Bei der chronisch-progredienten MS sollte wg. nachgewiesener Neuroplastizität des Gehirns die rehabilitativen Behandlung und Sport ein besonderes Augenmerk erhalten.

Die Lebenserwartung eines MS-Patienten liegt durchschnittlich um 7 bis 14 Jahre unter derjenigen der gesunden Allgemeinbevölkerung.

Komorbiditäten (Begleiterkrankungen): Die Multiple Sklerose ist vermehrt mit Reizdarmsyndrom, Arthritis und chronische Lungenerkrankung vergesellschaftet [1]. Weitere Komorbiditäten sind Depression und Angststörungen [2].

Literatur

  1. Marrie RA, Reider N, Stuve O, Trojano M, Sorensen PS, Cutter GR, Reingold SC, Cohen J : The incidence and prevalence of comorbid gastrointestinal, musculoskeletal, ocular, pulmonary, and renal disorders in multiple sclerosis: A systematic review. Mult Scler. 2014 Dec 23. pii: 1352458514564488.
  2. Marrie RA, Reingold S, Cohen J, Stuve O, Trojano M, Sorensen PS, Cutter G, Reider N: The incidence and prevalence of psychiatric disorders in multiple sclerosis: A systematic review. Mult Scler. 2015 Jan 12. pii: 1352458514564487.
  3. Novotna M et al.: Poor early relapse recovery affects onset of progressive disease course in multiple sclerosis. Neurology 2015; 85: 722-729
  4. Luerding R et al.: Influence of Formal Education on Cognitive Reserve in Patients with Multiple Sclerosis. http://dx.doi.org/10.3389/fneur.2016.00046
  5. Kappos L et al., for the BENEFIT Study Group The 11-year long-term follow-up study from the randomized BENEFIT CIS trial Neurology (2016), doi: 10.1212/WNL.0000000000003078
  6. Wijnands JMA et al.: Health-care use before a first demyelinating event suggestive of a multiple sclerosis prodrome: a matched cohort study. Lancet Neurology 2017 Jun;16(6):445-451. doi: 10.1016/S1474-4422(17)30076-5. Epub 2017 Apr 20.

Leitlinien

  1. DGN / KKNMS Leitlinie: Diagnose und Therapie der MS. Online-Version, Stand: 13.04.2014
  2. Rovira A et al.: Evidence-based guidelines: MAGNIMS Consensus Guidelines on the use of MRI in multiples sclerosis – clinical implementation in the diagnostic process. Nat Rev Neurol. 2015 Aug;11(8):471-82. doi: 10.1038/nrneurol.2015.106. Epub 2015 Jul 7.
  3. Filippi M et al.: MRI criteria for the diagnosis of multiple sclerosis: MAGNIMS consensus guidelines. Lancet Neurol 2016; 15 (3): 292-303. doi: 10.1016/S1474-4422(15)00393-2. Epub 2016 Jan 26.
  4. S1-Leitlinie: Pädiatrische Multiple Sklerose. Bayerisches Ärzteblatt 5/2017 S200ff
  5. S2k-Leitlinie: Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose, Neuromyelitis Optica Spektrum und MOG-IgG-assoziierte Erkrankungen. (AWMF-Registernummer: 030-050), Februar 2021 Langfassung

     
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