Epilepsie – Einleitung

Als Epilepsie – umgangssprachlich Krampfleiden genannt – wird der Zustand beschrieben, wenn wiederholt Krampfanfälle aufgrund eines zugrunde liegenden chronischen Prozesses auftreten. Es handelt sich dabei um Dysfunktionen des zentralen Nervensystems.

Synonyme und ICD-10: Epilepsia; Epilepsy; Epileptischer Anfall; Grand Mal; Petit Mal; zerebraler Krampfanfall; ICD-10-GM G40.-: Epilepsie

Definition und Klassifikation

  • Definition: Wiederholte Krampfanfälle aufgrund eines zugrunde liegenden chronischen Prozesses; Dysfunktion des zentralen Nervensystems.
  • ILAE-Kriterien:
    • Mindestens zwei nicht provozierte Anfälle im Abstand von mehr als 24 Stunden.
    • Ein provozierter Anfall und eine Wahrscheinlichkeit für einen weiteren Anfall von mindestens 60 % in den nächsten 10 Jahren.
    • Diagnose eines Epilepsiesyndroms (z. B. Rolando-Epilepsie).
  • DGN-Leitlinien: Epilepsie kann nach einem unprovozierten Anfall diagnostiziert werden, wenn das Risiko für einen weiteren Anfall in den nächsten 10 Jahren bei mindestens 60 % liegt.
  • Epileptischer Anfall: Exzessive oder synchrone Entladungen ausreichend großer Nervenzellgruppen im Gehirn.
  • Gelegenheitsanfall: Einmalige Provokation durch innere oder äußere Einflüsse (z. B. metabolische Störungen oder Schlafmangel).

Einteilung der Anfallsformen

  • Fokale (lokale) Anfälle
  • Generalisierte Anfälle (den ganzen Körper betreffend)
  • Unbekannte Anfallsformen (nicht-klassifizierbare epileptische Anfälle)
  • Status epilepticus:
    • Generalisiert konvulsiv: Dauer ≥ 5 Minuten.
    • Andere Statusformen: Dauer ≥ 10 Minuten.

Anfallshäufigkeit und Verlauf

  • Kindesalter: Überwiegend generalisierte Formen.
  • Dauer eines Krampfanfalls: Normalerweise nicht länger als 2 Minuten.
  • Schlafbezogene Anfälle: Ca. 12 % aller epileptischen Anfälle treten im Schlaf auf.
  • Status epilepticus: Bei etwa 15 % der Patienten als Erstmanifestation einer Epilepsie im Erwachsenenalter.

Spezifische Syndrome

  • Doose-Syndrom: Seltene Form der Epilepsie im Kindesalter, Beginn meist im Alter von 1-5 Jahren.

Detaillierte Auflistung zu den Anfallsformen s. u. "Klassifikation".

Epidemiologie

Geschlechterunterschiede 

  • Im Kindesalter sind Jungen etwas häufiger betroffen als Mädchen.
  • Im Erwachsenenalter und höheren Lebensalter gleichen sich die Geschlechterunterschiede weitgehend aus, jedoch gibt es leichte Variationen je nach Subtyp der Epilepsie.
Häufigkeitsgipfel: Vorwiegend im Kindesalter und im höheren Lebensalter (> 50 Jahre).

Prävalenz (Krankheitshäufigkeit): 0,7-0,8 %, etwa 70 Millionen Menschen weltweit haben regelmäßig epileptische Anfälle.
Lebenszeitprävalenz: > 5 %, Wahrscheinlichkeit für einen einzelnen, isolierten epileptischen Anfall > 10 %.

Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen)
  • Kinder: ca. 60 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr.
  • Erwachsene: 30-50 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr (in Deutschland).
  • Höheres Lebensalter: 140 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr.
  • Doose-Syndrom: 10 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr.

Verlauf und Prognose

Verlauf

Epilepsie ist eine chronische Erkrankung des Gehirns, die durch wiederholte unprovozierte Anfälle gekennzeichnet ist. Der Verlauf kann je nach Ursache, Alter bei Beginn, Anfallsart und Behandlung sehr unterschiedlich sein. Hier sind einige wesentliche Aspekte des Verlaufs:

  • Erstmanifestation und Initialphase: Ein epileptischer Anfall kann oft die erste Manifestation einer Epilepsie sein. Bei Kindern treten überwiegend generalisierte Anfälle auf, während Erwachsene häufiger fokale Anfälle haben. Beim Doose-Syndrom, einer seltenen Form der Epilepsie im Kindesalter, treten typischerweise Sturzanfälle, Muskelverkrampfungen oder -erschlaffungen und Bewusstseinspausen auf.
  • Nachphase: Dem Anfall folgt in den meisten Fällen eine Nachphase (postiktale Phase), die bis zu 24 Stunden dauern kann. In dieser Phase können Gedächtnisstörungen, Sprachstörungen, Paresen (Lähmungen), depressive Verstimmungen oder aggressive Zustände auftreten.
  • Langfristiger Verlauf: Mindestens ein Drittel der Patienten erleidet nach dem ersten Anfall innerhalb der folgenden drei Jahre weitere Anfälle. Die Wahrscheinlichkeit für ein Rezidiv hängt stark von der Anfallsursache und der Anfallskontrolle durch Medikamente ab.
  • Status epilepticus: Vital bedrohlich sind generalisierte tonisch-klonische Anfälle ("Grand mal") bei Status epilepticus. Ein Status epilepticus erfordert eine sofortige medizinische Intervention, da er lebensbedrohlich sein kann.
  • Chronizität: Epilepsie kann rezidivierend (wiederkehrend) auftreten. In vielen Fällen bleibt die Erkrankung chronisch und erfordert eine langfristige medikamentöse Therapie.

Prognose

Die Prognose einer Epilepsie ist von verschiedenen Faktoren abhängig:

Prognosevarianten nach Ätiologie

  • Bei idiopathischer oder kryptogener Epilepsie ist die Prognose schwer vorherzusagen.
  • Bei bekannter Ursache und adäquater Therapie verschwinden die Anfälle dauerhaft in ca. 60-80 % der Fälle.

Anfallsfreiheit und Therapieerfolg

  • Etwa 60-80 % der Patienten erreichen unter geeigneter Therapie Anfallsfreiheit. Eine Epilepsie gilt als überwunden, wenn Patienten 10 Jahre anfallsfrei geblieben sind und in den vergangenen 5 Jahren keine Antiepileptika eingenommen haben.

Mortalität und Lebensqualität:

  • Die Mortalität (Sterberate) bei Epilepsie beträgt ca. 2,5 % [5]. Häufige Todesursachen sind Pneumonien (Lungenentzündungen), zerebrovaskuläre und neoplastische Erkrankungen sowie der plötzliche unerklärte Tod bei Epilepsie (SUDEP) [6]. Ein erhöhtes Risiko besteht auch für tödliche Unfälle während eines Anfalls (z. B. Ertrinken).
  • Eine britisch-schwedische Langzeitstudie zeigte, dass Menschen mit Epilepsie 11-mal häufiger vor ihrem 56. Geburtstag sterben, insbesondere wenn psychische Erkrankungen oder Substanzmissbrauch vorliegen. Suizid ist eine häufige Todesursache bei Epilepsiepatienten [1].
  • Mitverantwortlich für diese hohe Übersterblichkeit in den ersten beiden Jahren der Erkrankung sind zum Teil tödliche Krebserkrankungen (primärer Hirntumor, Hirnmetastasen/Tochtergeschwülste im Gehirn), die epileptische Anfälle auslösten. Dieses gilt insbesondere bei Patienten unter 60 Lebensjahren im Vergleich zu älteren Patienten (15 % versus 1 %). Bei den jüngeren Verstorbenen waren ebenso externe Ursachen (z. B. Unfälle) von großer Bedeutung (12,8 % versus 1,4 %) [4].

Langzeitverlauf und Überwindung der Epilepsie:

  • Eine Epilepsie gilt als überwunden, wenn Patienten ein altersabhängiges Epilepsiesyndrom aufweisen und über dieses Alter hinaus sind (z. B. Rolando-Epilepsie); des Weiteren, wenn sie 10 Jahre anfallsfrei geblieben sind und in den vergangenen 5 Jahren keine Antiepileptika erhalten haben.

Komorbiditäten

  • Epilepsie ist oft mit psychiatrischen Störungen wie Depressionen und Angststörungen vergesellschaftet (s. u.).

Spezielle Epilepsieformen:

  • Myoklonische Epilepsien der frühen Kindheit mit enzephalopathischem Charakter haben eine schlechte Prognose und eine verringerte Lebenserwartung.
  • Beim Doose-Syndrom ist die Prognose variabel, abhängig von der Anfallskontrolle und der Therapie.

Komorbiditäten 

Epilepsie ist vermehrt mit psychiatrische Komorbiditäten (Begleiterkrankungen) wie Depressionen und generalisierten Angststörungen vergesellschaftet. Depression und Substanzmissbrauch gehen mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko (Sterberate) einher (neunjährige Beobachtungszeit; 8,8 % der Epilepsiepatienten (vs. 0,7 % der Kontrollpersonen) verstarben in einem mittleren Alter von 34,5 Jahren [3]. Kinder haben in 15-35 % der Fälle eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS).

Literatur

  1. Seena F, Wolf A, Långström N, Newton CR, Lichtenstein P: Premature mortality in epilepsy and the role of psychiatric comorbidity: a total population study. The Lancet, Early Online Publication, 22 July 2013
  2. Fisher RS et al.: A practical clinical definition of epilepsy. Epilepsia 2014; 55: 475-482
  3. Fazel S et al.: Premature mortality in epilepsy and the role of psychiatric comorbidity: a total population study. Lancet 2013; ePub 22.7.2013, doi: 10.1016/S0140-6736(13)60899-5
  4. Keezer MR et al.: Cause of death and predictors of mortality in a community-based cohort of people with epilepsy. Neurology 2016; 86(8):704-712
  5. Neligan A, Bell GS, Johnson AL et al.: The long-term risk of premature mortality in people with epilepsy. Brain 2011; 134: 388-395
  6. Surges R, Thijs RD, Tan HL et al.: Sudden unexpected death in epilepsy: risk factors and potential pathomechanisms. NatRev Neurol 2009; 5: 492-504

Leitlinien

  1. S1-Leitlinie: Erster epileptischer Anfall und Epilepsien im Erwachsenenalter. (AWMF-Registernummer: 030-041), April 2017 Langfassung
  2. S2k-Leitlinie: Status epilepticus im Erwachsenenalter. (AWMF-Registernummer: 030 - 079), Juni 2020 Langfassung