Homocystein

Homocystein ist eine nicht proteinogene Aminosäure (Eiweißbaustein), die beim Abbau der essentiellen Aminosäure Methionin entsteht. Im Normalstoffwechsel wird Homocystein durch Remethylierung zu Methionin oder durch Transsulfuration zu Cystathionin weiterverarbeitet. Bei Störungen dieser Stoffwechselwege kommt es zu einer Erhöhung der Homocysteinspiegel (Hyperhomocysteinämie). Erhöhte Homocysteinwerte werden mit endothelialer Dysfunktion (Funktionsstörung der Gefäßinnenhaut), prothrombotischen Veränderungen (verstärkte Blutgerinnung) und einem erhöhten Risiko für Gefäßerkrankungen (Erkrankungen der Blutgefäße) assoziiert [2,3]. Eine kausale Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse (Herz-Kreislauf-Ereignisse) durch Homocysteinsenkung ist für die Allgemeinbevölkerung nicht belegt.

Synonyme

  • Hyperhomocysteinämie
  • Homocysteinämie
  • Homocystinurie (bei genetisch bedingten schweren Verlaufsformen)

Das Verfahren

  • Benötigtes Material
    • EDTA-Plasma (mit Gerinnungshemmer behandeltes Blutplasma)
      • bevorzugtes Material, da stabiler
    • Serum (flüssiger Blutanteil nach Gerinnung)
      • alternativ möglich, jedoch weniger stabil
    • Spezialröhrchen mit Stabilisator (Zusatzstoffe zur Stabilisierung)
      • verhindern die Freisetzung von Homocystein aus Erythrozyten (rote Blutkörperchen)
      • ermöglichen Stabilität der Probe bis zu 36 Stunden bei Raumtemperatur
  • Vorbereitung des Patienten
    • Blutentnahme nüchtern (ohne vorherige Nahrungsaufnahme)
      • verhindert postprandiale Methionin-bedingte Homocysteinerhöhungen
  • Störfaktoren
    • Verzögerte Plasmagetrennung (Trennung der Blutbestandteile)
      • führt zu falsch erhöhten Werten durch Homocysteinfreisetzung aus Erythrozyten
    • Ernährung
      • hohe Methioninzufuhr
      • Vitaminmangel (B6, B12, Folsäure)
    • Lifestyle
      • Rauchen
      • hoher Kaffeekonsum
      • chronischer Alkoholgebrauch
    • Vegetarische Ernährung
      • relevant nur bei gleichzeitigem Vitamin-B12-Mangel
  • Methode
    • Quantitative Bestimmung von Homocystein im Plasma oder Serum
      • HPLC (Hochleistungsflüssigkeitschromatographie)
      • Immunoassay (Antikörper-basierte Nachweismethode)
    • EDTA-Plasma
      • muss innerhalb von 30-45 Minuten zentrifugiert (geschleudert) werden

Normbereiche (je nach Labor)

Homocystein-Konzentration (μmol/l) Einordnung Klinische Bedeutung
≤10 Normalbereich Kein Handlungsbedarf
10–15 Grenzwertig Mögliche Assoziation mit kardiovaskulärem Risiko; keine generelle Therapieindikation
15–30 Leichte Hyperhomocysteinämie Häufig durch Vitaminmangel (B6, B12, Folsäure)
30–100 Mittelschwere Hyperhomocysteinämie Abklärung genetischer Ursachen und anderer Störungen erforderlich
>100 Schwere Hyperhomocysteinämie Typisch bei klassischer Homocystinurie oder seltenen Enzymdefekten

Indikationen (Anwendungsgebiete)

  • Thrombophiliediagnostik (Untersuchung auf Blutgerinnungsstörungen)
    • z. B. bei thromboembolischen Erkrankungen (Thrombosen und Embolien)
  • Risikostratifizierung (Risikoeinschätzung)
    • bei Verdacht auf erhöhte Gefäßkrankheitsanfälligkeit
  • Abklärung von Vitaminmangel
    • Vitamin B6, Vitamin B12, Folsäure
  • Diagnostik bei Gefäßerkrankungen
    • Myokardinfarkt (Herzinfarkt)
    • Schlaganfall
    • periphere arterielle Verschlusskrankheit (Durchblutungsstörung der Beine)
  • Verdacht auf angeborene Homocystinurie (erbliche Stoffwechselstörung)
    • schwere Verlaufsform mit Homocysteinwerten > 100 μmol/l
  • Präkonzeptionelle Diagnostik (Untersuchung vor der Empfängnis)
    • Untersuchung bei Kinderwunsch, da Homocystein ein Risikofaktor für Neuralrohrdefekte (Fehlbildungen des Rückenmarks) ist

Interpretation

  • Klinische Bedeutung erhöhter Werte
    • Erhöhte Homocysteinspiegel führen zu
      • endothelialer Dysfunktion (Schädigung der Gefäßinnenhaut)
      • oxidativem Stress (zellschädigende Sauerstoffverbindungen)
      • prothrombotischen Veränderungen (Verstärkung der Blutgerinnung)
    • Diese Effekte erhöhen das Risiko für thromboembolische Ereignisse (Gefäßverschlüsse) [2].
    • Die Rolle einzelner Gerinnungsfaktoren (z. B. Protein C, Faktor V) ist komplex, dennoch wird eine prokoagulatorische Verschiebung des Gerinnungssystems (verstärkte Gerinnungsneigung) durch Homocystein als gesichert angesehen.
  • Erhöhte Werte
    • Leicht erhöht (1-30 μmol/l)
      • meist erworbene Ursachen, häufig Vitaminmangel
    • Mittelschwer (30-100 μmol/l)
      • Verdacht auf genetische Polymorphismen (Genvarianten) oder Niereninsuffizienz (eingeschränkte Nierenfunktion)
    • Schwer (> 100 μmol/l)
      • typisch bei angeborenen Stoffwechselstörungen (klassische Homocystinurie)

Spezifische Konstellationen

  • Genetische Ursachen
    • MTHFR-C677T-Polymorphismus (Veränderung im Folatstoffwechselgen)
      • autosomal-rezessiv vererbt (beide Eltern müssen das Gen vererben)
      • homozygote Träger (TT): ca. 50-60 % reduzierte Enzymaktivität
      • heterozygote Träger (CT): ca. 30-40 % reduzierte Enzymaktivität
      • führt zu moderater Homocysteinsteigerung bei unzureichender Folatversorgung [1]
      • Häufigkeit in Europa:
        • Wildtyp (CC): 40-50 %
        • Heterozygot (CT): 40-45 %
        • Homozygot (TT): 8-12 %
  • Andere Enzymdefekte
    • Cystathionin-β-Synthase (CBS)
    • Cystathionin-Lyase (CL)
    • Homocystein-Methyltransferase (HMT)
    • Betain-Homocystein-Methyltransferase (BHMT)
    • verursachen teils stark erhöhte Werte (> 100 μmol/l bei klassischer Homocystinurie) [3]

Weiterführende Diagnostik

  • Vitaminstatus (Vitaminbestimmung)
    • Vitamin B6 (Pyridoxin)
    • Vitamin B12 (Cobalamin)
    • Folsäure
  • Funktionelle Tests
    • Methylmalonsäure (Marker für B12-Mangel)
    • Holotranscobalamin (aktive Form des Vitamin B12)
  • Genetische Diagnostik
    • Analyse des MTHFR-Gens und anderer Enzyme bei Verdacht auf hereditäre Störungen (erbliche Krankheiten)

Literatur

  1. Nakai K, Itoh C, Nakai K, Habano W, Gurwitz D. Correlation between C677T MTHFR gene polymorphism, plasma homocysteine levels and the incidence of CAD. Am J Cardiovasc Drugs. 2001;1(5):353-61.
  2. Ganguly P, Alam SE. Role of homocysteine in the development of cardiovascular disease. Nutr J. 2015 Jan 10; 14:6.
  3. Hankey GJ, Eikelboom JW. Homocysteine and vascular disease. Lancet. 1999 Jul 31;354(9176):407-13.