Fetalblutentnahme
Die Fetalblutentnahme – auch Cordozentese oder Nabelschnurpunktion genannt – ist ein invasives pränatales Diagnoseverfahren zur direkten Entnahme von Blut aus der fetalen Vena umbilicalis unter sonographischer Kontrolle. Die Methode ermöglicht eine präzise hämatologische, genetische, infektiologische und immunologische Diagnostik des Fetus und erlaubt bei entsprechender Indikation auch therapeutische Maßnahmen wie die intrauterine Bluttransfusion.
Die Cordozentese wird typischerweise ab der 18. Schwangerschaftswoche durchgeführt und stellt in spezialisierten Einrichtungen eine wertvolle Ergänzung zu nichtinvasiven und semiinvasiven Verfahren dar. Aufgrund des Eingriffsrisikos (Fehlgeburtsrate etwa 1-2 %) wird sie nur bei klarer medizinischer Indikation eingesetzt.
Das Verfahren
Benötigtes Material
- Hochauflösendes Ultraschallgerät zur Echtzeitführung
- Punktionsnadel (20–22 G)
- Heparinisierte Monovetten oder spezielle Blutentnahmesysteme
- Antiseptikum, sterile Abdecktücher
- Monitoringgerät zur Kardiotokographie (Aufzeichnung der fetalen Herzfrequenz und Wehentätigkeit)
Vorbereitung der Patientin
- Ausführliche Aufklärung gemäß Gendiagnostikgesetz (GenDG)
- Erhebung des Rhesusstatus und ggf. Indikation zur postinterventionellen Anti-D-Prophylaxe
- Gerinnungsdiagnostik zur Risikobewertung
- Schriftliche Einwilligung erforderlich
Durchführung
- Transabdominale Punktion der Vena umbilicalis am freien Nabelschnuranteil, am Plazentansatz oder intrahepatisch
- Ultraschallgestützte Echtzeitkontrolle während der gesamten Intervention
- Postinterventionelle Überwachung mittels Kardiotokographie für mindestens 30-60 Minuten
Störfaktoren
- Maternale Blutkontamination
- Uterine Kontraktionen oder erhöhter Tonus
- Hämatome, Hämatometra oder unzureichende Sichtverhältnisse im Ultraschall
Normwerte
Referenzbereiche für fetale Blutparameter (gestationsabhängig):
- pH-Wert (venös): 7,28-7,38
- Basenabweichung (BE): –4 bis +4 mmol/l
- Hämoglobin: 10-15 g/dl
- Thrombozyten: > 150.000/µl
- Leukozyten: 10.000-25.000/µl
- Bilirubin (gesamt): < 1,5 mg/dl im 2. Trimenon
- Virusnachweise: qualitative oder quantitative PCR je nach Erreger
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Verdacht auf fetale Anämie (z. B. bei Rhesusinkompatibilität oder Parvovirus-B19-Infektion)
- Geplante intrauterine Transfusion (z. B. bei Hydrops fetalis)
- Karyotypisierung bei Mosaiken oder unklaren Befunden aus Amniozentese oder Chorionzottenbiopsie
- Abklärung einer fetalen Thrombozytopenie oder Leukozytose
- Diagnostik bei Verdacht auf intrauterine Infektionen (z. B. Zytomegalievirus, Toxoplasmose, Röteln, Parvovirus B19)
- Evaluation fetaler Blutgruppenmerkmale (z. B. Rhesusfaktor bei RhD-negativer Mutter)
- Metabolische und enzymatische Diagnostik bei Verdacht auf seltene Stoffwechselstörungen (z. B. Mucopolysaccharidose, α-Thalassämie, Fanconi-Anämie)
- Abklärung auffälliger nichtinvasiver pränataler Tests (z. B. zellfreie DNA mit auffälligem Ultraschallbefund)
- Diagnostik bei Verdacht auf fetale Gerinnungsstörung (z. B. isolierte Thrombozytopenie unbekannter Ursache)
- Nachweis einer Alloimmunisierung gegen Plättchen- oder Leukozytenantigene (z. B. HPA-Inkompatibilität bei fetaler Thrombozytopenie)
- Sonographisch auffällige Befunde wie Hydrops fetalis, Aszites, Plazentomegalie oder intrauterine Wachstumsrestriktion (IUGR)
Interpretation
Pathologische Befunde mit klinischer Relevanz:
- pH < 7,20 / BE < -8 mmol/l: Hinweis auf fetale Azidose, Hypoxie
- Hämoglobin < 10 g/dl: Anämie infolge Hämolyse, Blutverlust oder Knochenmarkschädigung
- Thrombozyten < 100.000/µl: Verdacht auf Immunthrombozytopenie oder intrauterine Infektion
- Leukozytenzahl erhöht: möglicher Hinweis auf systemische Infektion
- Nachweis viraler DNA/RNA (z. B. CMV, Parvovirus B19): aktive intrauterine Infektion
- Karyotypveränderungen: numerische oder strukturelle Chromosomenanomalien
Komplikationen
- Fehlgeburt oder intrauteriner Fruchttod (1–2 %)
- Nabelschnurhämatom oder fetale Blutung
- Bradykardie des Fetus
- Fruchtwasserabgang oder iatrogener Blasensprung
- Chorioamnionitis (intrauterine Infektion)
- Maternofetale Transfusion mit Risiko für Rhesus-Sensibilisierung (→ Anti-D-Prophylaxe bei Rh-negativen Patientinnen indiziert)