Präoperative Bewertung und Risikostratifizierung in der Anästhesie

Die präoperative Bewertung und Risikostratifizierung ist ein zentrales Element der Anästhesie und dient der sicheren Planung sowie Durchführung chirurgischer Eingriffe. Ziel dieser Maßnahmen ist es, das individuelle Risiko des Patienten für perioperative Komplikationen zu ermitteln, bestehende Risikofaktoren zu optimieren und eine an die Patientensituation angepasste Anästhesiestrategie zu wählen.

Dieser Artikel gibt einen Überblick über die grundlegenden Prinzipien, die präoperative Evaluation bei Erwachsenen vor elektiven, nicht herz-thoraxchirurgischen Eingriffen sowie über spezielle Untersuchungen und Risikobewertungen, die je nach individueller Situation erforderlich sein können.

Grundlagen der präoperativen Bewertung

Die präoperative Bewertung umfasst eine strukturierte Erhebung und Analyse aller patientenbezogenen Faktoren, die das perioperative Risiko beeinflussen. Hierbei werden insbesondere folgende Elemente berücksichtigt:

  • Anamnese – Erfassung von Vorerkrankungen, früheren Operationen, Unverträglichkeiten, Medikamenteneinnahmen, Allergien und Narkosezwischenfällen.
  • Klinische Untersuchung – Beurteilung des allgemeinen Gesundheitszustands mit Fokus auf Herz-Kreislauf-, Lungen- und Leberfunktion.
  • Laboruntersuchungen – Auswahl gezielt nach Alter, Begleiterkrankungen und geplanter Operation.
  • Risikoeinschätzung – Einordnung des Patientenrisikos anhand etablierter Scores (z. B. ASA-Klassifikation, Revised Cardiac Risk Index).
  • Optimierung präoperativer Faktoren – Kontrolle und Einstellung von Begleiterkrankungen, ggf. Anpassung der Medikation.

Präoperative Evaluation Erwachsener vor elektiven, nicht herz-thoraxchirurgischen Eingriffen

Die Evaluation richtet sich nach den Empfehlungen aktueller Leitlinien und umfasst folgende Aspekte:

  • Erfassung des funktionellen Status – z. B. durch Beurteilung der Belastbarkeit (METs) und des Aktivitätsniveaus.
  • Kardiovaskuläre Risikostratifizierung – Einschätzung des perioperativen Risikos für kardiale Ereignisse (akute Erkrankungen oder Komplikationen, die das Herz-Kreislauf-System betreffen).
  • Pulmonale Risikoeinschätzung – insbesondere bei Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen oder erhöhtem Aspirationsrisiko (Risiko des Verschluckens von Nahrungsmitteln oder Flüssigkeiten).
  • Abschätzung des Blutungsrisikos – Analyse von Gerinnungsstörungen und antithrombotischer Medikation.
  • Präoperative Optimierung – Behandlung von Anämie, Blutzuckereinstellung bei Diabetes mellitus, Stabilisierung des Blutdrucks, Nikotinkarenz.

Für die meisten elektiven Eingriffe gilt, dass bei stabilen Patienten ohne wesentliche Risikofaktoren keine umfangreichen Zusatzuntersuchungen notwendig sind.

Spezielle Untersuchungen und Risikobewertung

Zusätzliche Untersuchungen sind indiziert, wenn die Anamnese oder klinische Untersuchung Hinweise auf potenzielle Risiken liefert. Diese können umfassen:

  • EKG und Echokardiographie (Herzultraschall) – bei Patienten mit kardialen Risikofaktoren oder Symptomen.
  • Lungenfunktionsdiagnostik – bei chronisch-obstruktiven Lungenerkrankungen oder geplanten thorakalen Eingriffen.
  • Laborchemische Spezialparameter – z. B. Nierenfunktionswerte bei verminderter Nierenleistung, Gerinnungsdiagnostik bei Blutungsneigung.
  • Bildgebende Verfahren – nur bei gezielten Fragestellungen (z. B. Thoraxröntgen bei Verdacht auf pulmonale Pathologie).
  • Risikobewertungsscores – Anwendung validierter Instrumente zur objektiven Quantifizierung des Operationsrisikos.

Die Ergebnisse dieser Untersuchungen dienen der individuellen Risikostratifizierung und können zur Anpassung des perioperativen Managements führen.

Schlusswort

Die präoperative Bewertung und Risikostratifizierung ist ein wesentlicher Bestandteil der anästhesiologischen Patientenversorgung. Durch eine sorgfältige Anamnese, klinische Untersuchung, gezielte Zusatzdiagnostik und strukturierte Risikoabschätzung lassen sich Komplikationen reduzieren und die Sicherheit des Patienten signifikant erhöhen.

Eine standardisierte und patientenorientierte Vorgehensweise bildet die Grundlage für eine sichere Anästhesie und einen optimalen postoperativen Verlauf.