Neurofilament-Leichtketten-Proteine (NFL)

Neurofilament-Leichtketten-Proteine (NFL; engl. Neurofilament light chain) im Liquor (Nervenwasser) und Serum (Blutserum) sind sensitive Marker für neuroaxonale Schäden (Nervenschädigungen). Als Serummarker für MS-Aktivität ermöglichen sie Aussagen zur aktuellen Krankheitsaktivität und zum Ansprechen auf krankheitsmodifizierende Therapien (beeinflussende Langzeittherapien). Bei unbehandelten MS-Patienten liegen die Serum-NFL-Werte im Median bei etwa 50 ng/l, nach einem Jahr unter Therapie bei etwa 30 ng/l und unter Eskalationstherapie (intensivierte Therapie) bei 15–20 ng/l – entsprechend dem Niveau gesunder Kontrollpersonen [1]. Die Bestimmung von sNfL (Serum-NFL) kann somit als Biomarker aus dem Blut zur Verlaufskontrolle und Therapieüberwachung bei Multipler Sklerose (MS; chronische Entzündung des zentralen Nervensystems) eingesetzt werden [2]. Kommt es zu einer Behinderungsprogression (zunehmende Einschränkung der Körperfunktionen) – sowohl schubabhängig als auch schubunabhängig –, lässt sich dies häufig bereits ein bis zwei Jahre zuvor anhand kontinuierlich ansteigender sNfL-Werte erkennen [3].

Synonyme

  • Neurofilament light chain (NfL)
  • Serum-NfL (sNfL)
  • Neurofilament-Leichtketten-Proteine

Das Verfahren

Benötigtes Material

  • Serum (Blutserum, bevorzugt) oder Liquor (Nervenwasser)
  • Zentrifugiertes Blutserum, idealerweise tiefgefroren gelagert (-80 °C)

Vorbereitung des Patienten

  • Keine spezielle Vorbereitung erforderlich
  • Angabe von Alter, Gewicht und Größe empfohlen (für Z-Score-Berechnung)

Störfaktoren

  • Alter – altersabhängige Zunahme der sNfL-Konzentration
  • Body-Mass-Index (BMI; Körpergewicht im Verhältnis zur Körpergröße) – höhere Werte korrelieren mit niedrigeren sNfL-Spiegeln
  • Niereninsuffizienz (eingeschränkte Nierenfunktion) – kann sNfL unabhängig von neurologischen Erkrankungen erhöhen
  • Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) – durch periphere Nervenschädigung potenziell erhöhte Werte
  • Sonstige neurologische Erkrankungen – Alzheimer, Schlaganfall, Guillain-Barré-Syndrom u. a.

Methode

  • Ultrasensitiver Immunoassay (hochempfindliche Labormethode) mittels SIMOA (digitale Einzelmolekülanalyse) oder chemilumineszenzbasierter Plattformen (z. B. Roche Elecsys)
  • Digitaler Sandwich-Immunoassay mit spezifischen Antikörpern
  • Quantitative Interpretation über alters- und BMI-adjustierte Z-Scores (standardisierte Vergleichswerte) bzw. Perzentilen (Prozentwert im Vergleich zu Gleichaltrigen)

Normbereiche (je nach Labor)

  • Absolute sNfL-Werte sind abhängig von Alter, BMI und Testsystem
  • Aussagekräftiger sind alters- und BMI-korrigierte Z-Scores:
    • Z-Score 0 – entspricht dem Medianwert gesunder Referenzpersonen
    • Z-Score ≥ 1,2 – erhöhtes Risiko für Schübe und MRT-Aktivität (Entzündungszeichen im Kernspintomogramm)
    • Z-Score < 0,8 – niedrige Krankheitsaktivität wahrscheinlich

Indikationen (Anwendungsgebiete)

  • Verlaufsmonitoring (Überwachung des Krankheitsverlaufs) bei Multipler Sklerose (MS)
  • Therapiekontrolle unter DMT (krankheitsmodifizierende Therapie)
  • Detektion subklinischer Krankheitsaktivität (nicht spürbare Entzündungsprozesse)
  • Prognoseeinschätzung (Vorhersage des Verlaufs) hinsichtlich Behinderungsprogression
  • Entscheidungshilfe bei Eskalation oder Deeskalation der Therapie (Verstärkung oder Reduzierung)
  • Frühdiagnostik bei radiologisch isoliertem Syndrom (RIS; bildgebender Frühbefund ohne Symptome)

Interpretation

Erhöhte Werte

  • Hinweis auf akute oder subakute axonale Schädigung (frische Nervenschäden)
  • MS-typisches Verlaufsmuster:
    • Unbehandelt: median 50 ng/l
    • Nach 1 Jahr Therapie: ca. 30 ng/l
    • Eskalationstherapie: 15-20 ng/l [1]
  • Kontinuierlicher Anstieg oft prädiktiv für Behinderungsprogression [3]

Erniedrigte Werte

  • Ausdruck eines stabilen Verlaufs oder Therapieerfolgs
  • Z-Score < 0,8 entspricht häufig fehlender paraklinischer Aktivität (Entzündungszeichen nur im Labor) [2]

Spezifische Konstellationen

  • Stabile MRT, aber steigender sNfL-Wert – Hinweis auf subklinische Aktivität (nicht bemerkte Entzündungsaktivität) [2]
  • Anhaltend hoher sNfL-Z-Score trotz DMT – möglicher Therapiebedarf (Behandlungsanpassung) [2]
  • Normalisierung des Z-Scores unter DMT – Hinweis auf Therapieansprechen (Behandlungswirkung) [1]

Weiterführende Diagnostik

  • Magnetresonanztomographie (MRT; Kernspintomografie) – strukturelle Läsionsanalyse
  • Expanded Disability Status Scale (EDSS; Skala zur Behinderung) – Beurteilung funktioneller Einschränkungen
  • GFAP (Glial Fibrillary Acidic Protein; Marker für Gliazellen) – ergänzender Marker bei progredienter MS

Literatur

  1. Kuhle J et al.: Fingolimod Significantly Lowers Neurofilament Light Chain Blood Levels in Relapsing-Remitting Multiple Sclerosis. Neurology. 2015 Apr 21;84(16):1639-43. doi: 10.1212/WNL.0000000000001491.
  2. Bittner S, Oh J, Hardová EK, Tintore M, Zipp F: The potential of serum neurofilament as biomarker für multiple sclerosis. Brain 2021; doi: https://​doi.​org/​10.​1093/​brain/​awab241
  3. Abdelhak A et al.: Neurofilament Light Chain Elevation and Disability Progression in Multiple Sclerosis. JAMA Neurol. Published online November 6, 2023; https://doi.org/10.1001/jamaneurol.2023.3997