Glykämischer Index: Verständnis und Bedeutung für Ernährung und Gesundheit
Kohlenhydrate sind ein wichtiger Energielieferant, wirken jedoch sehr unterschiedlich auf den Blutglucosespiegel (Blutzuckerspiegel) und das Hormon Insulin. Einige führen zu einem schnellen Anstieg des Blutzuckers, andere wirken deutlich langsamer und gleichmäßiger. Diese Unterschiede spielen eine große Rolle für den Stoffwechsel, das Körpergewicht und langfristig auch für die Gesundheit des Herz-Kreislauf-Systems. Wer versteht, wie stark einzelne Lebensmittel den Blutzucker beeinflussen, kann bewusster essen, Energieeinbrüche vermeiden und die Fettverbrennung günstig beeinflussen.
Die Kenntnis über den sogenannten glykämischen Index (GI) und die glykämische Last (GL) eines Lebensmittels oder einer Mahlzeit kann für die bewusste Steuerung der nützlichen Wirkung des Hormons Insulin eingesetzt werden:
- Soll das Körpergewicht durch einen gezielten Abbau von Körperfett reduziert werden, muss der Insulin-Serumspiegel des Blutes möglichst niedrig gehalten werden, da Insulin den Abbau von Speicherfett hemmt.
- Daraus ergibt sich die persönliche Anforderung, bewusst Lebensmittel auswählen zu können, die den Insulinspiegel nach Verzehr möglichst gering ansteigen lassen. Je geringer der Anstieg des Glucose-Serumspiegels (Blutzuckeranstieg) nach Verzehr kohlenhydrathaltiger Lebensmittel ausfällt, umso geringer ist infolgedessen der Anstieg des Insulin-Serumspiegels.
- Es gilt, zwischen „guten und schlechten Kohlenhydraten“ unterscheiden zu können.
- Als Maß für diese Unterscheidung gilt der glykämische Index (GI) eines Lebensmittels. Er weist aus, in welcher Geschwindigkeit und bis zu welcher Größe der Verzehr eines bestimmten kohlenhydrathaltigen Lebensmittels einen Blutzuckeranstieg verursacht, der dem Anstieg des Insulinspiegels vorausgeht.
Was bedeutet der glykämische Index (GI)?
Der glykämische Index beschreibt, wie schnell und wie stark ein kohlenhydrathaltiges Lebensmittel den Blutzucker ansteigen lässt. Als Vergleichswert dient Glucose (Monosaccharid/Einfachzucker) – ihr GI wird mit 100 festgelegt.
- Einfache, das heißt süß schmeckende, Kohlenhydrate, wie Traubenzucker und Fruchtzucker, werden im Darm sehr schnell aufgenommen und führen zu einem schnellen und starken Anstieg des Glucose-Serumspiegels und haben jeweils einen hohen GI.
- Komplexe Kohlenhydrate, das heißt Vielfachzucker, wie beispielsweise Stärke, müssen dagegen im Darm erst verdaut und in einfache Kohlenhydrate gespalten werden. Diese Kohlenhydrate haben einen niedrigeren GI.
- Verzehrt man stärkehaltige Lebensmittel, wie zum Beispiel Vollkornbrot oder Müsli, steigt der Glucose-Serumspiegel nur langsam und wenig an. Diese Lebensmittel haben einen niedrigen GI.
- Der GI von Getreide ist niedriger, wenn die Ballaststoffe erhalten bleiben.
- Der glykämische Index von stärke- und ballaststoffreichen Lebensmitteln liegt zwischen 30 und 60.
Je schneller und stärker der Glucose-Serumspiegel ansteigt, desto mehr Insulin wird aus dem Pankreas (Bauchspeicheldrüse) ins Blut abgegeben.
Warum steigt der Blutzucker bei manchen Lebensmitteln schneller?
Mehrere Faktoren entscheiden darüber, wie schnell Kohlenhydrate ins Blut gehen:
- Art der Kohlenhydrate: Mono- und Disaccharide wirken schneller als Stärke.
- Ballaststoffgehalt: Viel Ballaststoff = langsamerer Blutzuckeranstieg.
- Verarbeitung: Fein gemahlenes Mehl, Instant-Produkte oder stark Erhitztes erhöhen den GI deutlich.
- Fett- und Eiweißanteil der Mahlzeit: Verzögern die Aufnahme der Kohlenhydrate.
- Mahlzeitenhäufigkeit: Besonders bei Übergewicht sind drei Mahlzeiten pro Tag günstiger, um große Blutzuckerspitzen zu vermeiden.
- Menge der Kohlenhydrate: Je mehr Kohlenhydrate pro Portion, umso stärker der Effekt – unabhängig vom GI.
Daraus ergibt sich: Der GI allein reicht nicht aus, um die Wirkung eines Lebensmittels zu beurteilen.
Glykämische Last (GL): Warum die Menge genauso wichtig ist
Die glykämische Last kombiniert den GI mit der tatsächlich verzehrten Kohlenhydratmenge. Zur Berechnung der glykämischen Last wird der GI eines Lebensmittels durch 100 geteilt und das Ergebnis mit der verwertbaren Kohlenhydratmenge (in Gramm) pro Portion des zu beurteilenden Lebensmittels multipliziert.
Ein Lebensmittel kann also trotz hohem GI eine geringe GL haben, wenn es nur wenige Kohlenhydrate enthält (z. B. Wassermelone).
Beispiele:
| Lebensmittel | Glykämischer Index | Kohlenhydrate pro Portion | Glykämische Last |
| Wassermelone | 72 | 6 g | 4 (niedrig) |
| Weißbrot | 75 | 30 g | 22 (hoch) |
| Vollkornnudeln | 45 | 35 g | 16 (mittel) |
Die GL ist deshalb der praxisnähere Wert, wenn es darum geht, Blutzucker und Insulin zu kontrollieren.
Was passiert im Körper nach Lebensmitteln mit hohem GI?
Ein hoher GI führt zu einem starken Blutzuckeranstieg – und der Körper reagiert mit einer deutlichen Insulinausschüttung. Dies hat mehrere Folgen:
Unmittelbare Effekte
- Blutgefäße werden durch oxidative Vorgänge stärker belastet.
- Die Blutfettwerte (Blutlipide) verschlechtern sich (höhere Triglyceride, höheres LDL-Cholesterin).
Ein dauerhaft hoher Insulinspiegel führt zu einer Insulinresistenz, d. h., die Körperzellen sprechen schlechter auf Insulin an. In der Folge muss das Pankreas (Bauchspeicheldrüse) immer mehr Insulin produzieren. Die Insulinresistenz gilt als zentrale Triebkraft für die Entstehung des Metabolischen Syndroms („tödliches Quartett“). Seine vier Kernelemente – Adipositas (Übergewicht), Hypertonie (Bluthochdruck), Dyslipidämie (Fettstoffwechselstörungen) und gestörte Glucosetoleranz bzw. Diabetes mellitus Typ 2 – fördern gemeinsam die Entwicklung einer Atherosklerose (Arterienverkalkung). Diese wiederum erhöht das Risiko für Myokardinfarkt (Herzinfarkt) und Apoplex (Schlaganfall).
Wann ist eine Ernährung mit niedrigem GI sinnvoll?
Studien zeigen, dass ein niedriger GI besonders hilfreich sein kann bei:
- Diabetes mellitus Typ 2 (Prävention und Therapie)
- Übergewicht/Adipositas
- Hyperlipidämie/Dyslipidämie (Fettstoffwechselstörungen)
- Koronare Herzkrankheit (KHK; Erkrankung der Herzkranzgefäße)
- Stabilisierung des Körpergewichts nach Gewichtsreduktion
Wichtige Studien zum glykämischen Index
- Die OmniHeart-Studie konnte zeigen, dass sich der niedrige Kohlenhydratgehalt (bei Kompensation der Kalorien durch Protein und ungesättigte Fette) günstig auf den Stoffwechsel auswirkte: Triglyceride und VLDL-Wert sanken, erhöhte Blutdruckwerte verbesserten sich [1].
- Bei übergewichtigen Patienten mit Hypertonie (Bluthochdruck) führte eine Ernährung mit Kohlenhydraten mit niedrigem glykämischen Index – im Vergleich zu einem hohen glykämischen Index – nicht zu einer Verbesserung der Insulinsensibilität, des Lipidspiegels (Blutfettspiegel) oder des systolischen Blutdrucks (oberer Wert des Blutdrucks) [2].
- Ein hoher glykämischer Index ist in einer weltweiten Beobachtungsstudie mit einer Zunahme des kardiovaskulären Erkrankungs- und Sterberisikos verbunden. Am stärksten gefährdet sind Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder mit einer Adipositas: Die 20 % der Menschen, die am meisten Lebensmittel mit hohem glykämischen Index verzehrten, hatten ein um etwa 25 % höheres Risiko, in den folgenden knapp 10 Jahren eine Herzinsuffizienz (Herzschwäche), einen Myokardinfarkt (Herzinfarkt) oder einen Apoplex (Schlaganfall) zu entwickeln oder daran zu sterben – im Vergleich zu den 20 % der Menschen, die am wenigsten Lebensmittel mit hohem GI zu sich nahmen [3].
Literatur
- Appel LJ et al.: Effects of protein, monounsaturated fat, and carbohydrate intake on blood pressure and serum lipids: results of the OmniHeart randomized trial. JAMA. 2005;294(19):2455-64.
- Sacks FM et al.: Effects of High vs Low Glycemic Index of Dietary Carbohydrate on Cardiovascular Disease Risk Factors and Insulin Sensitivity. The OmniCarb Randomized Clinical Trial. JAMA. 2014;312(23):2531-2541.
- Jenkins DJA et al.: Glycemic Index, Glycemic Load, and Cardiovascular Disease and Mortality. N Engl J Med. 2021;384:1312-1322. doi:10.1056/NEJMoa2007123.