Lippen-Kiefer-Gaumenspalte

Lippen-Kiefer-Gaumenspalten (LKG-Spalte) – umgangssprachlich als Kiefer- und Gaumenspalten bezeichnet – sind angeborene Fehlbildungen, bei denen es zu einer Unterbrechung der normalen Struktur von Lippen, Kiefer und Gaumen kommt. Diese Fehlbildung tritt auf, wenn die Gewebe, die diese Strukturen formen, während der Embryonalentwicklung nicht richtig verschmelzen.

Synonyme und ICD-10: LKG-Spalte; Cheilognathopalatoschisis; Cheilognathoschisis; Cheiloschisis; Diastematognathie; Palatoschisis; Uranoschisis; Uvulaspalte; Uvulaspaltung; Velumspalte; ICD-10-GM Q35-Q37: Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalte

Formen der Lippen-Kiefer-Gaumenspalte

  • Isolierte Lippen- und Kieferspalten: Entstehen zwischen der fünften und siebten Schwangerschaftswoche.
  • Gaumenspalten: Entstehen zwischen dem zweiten und dritten Monat der Schwangerschaft.
  • Seitliche LKG-Spalten: Treten meist seitlich auf, können einseitig oder beidseitig sein.
  • Median gelegene Spalten: Seltener, in der Mitte gelegen.
  • Unvollständige Spalten: Reichen bis zum Ende der Oberlippe.
  • Vollständige Spalten: Erstrecken sich bis zum Naseneingang.
  • Kombinationen: Können den harten und/oder weichen Gaumen betreffen.

Epidemiologie

  • Inzidenz: Ca. 1 pro 500-700 Neugeborenen pro Jahr in Europa.
  • Geschlechterverhältnis: Knaben sind häufiger betroffen als Mädchen.
  • Häufigkeitsgipfel: Die Fehlbildung tritt häufiger bei der Bevölkerung der Ureinwohner Australiens, Kanadas, Amerikas, Indiens und der asiatischen Abstammung auf.
  • Prävalenz: LKG-Spalten gehören zu den häufigsten angeborenen Fehlbildungen des Menschen.

Verlauf und Prognose

  • Verlauf: Die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte sollte frühzeitig operativ korrigiert werden. Der Primärverschluss der Spalte erfolgt meistens innerhalb des ersten Lebensjahres. Die kieferorthopädische Betreuung beginnt nach der Geburt und endet im Erwachsenenalter.
  • Prognose: Verbesserte therapeutische Eingriffe führen in der Regel zu einer kleinen, feinen Narbe. Bei stark ausgeprägten Fehlbildungen kann es zu Einschränkungen bei der Nahrungsaufnahme, Sprach- und Gehörentwicklung, Atembeschwerden und Zahnfehlstellungen kommen. Die Therapie erfordert Geduld und kann Jahre dauern.

Symptome – Beschwerden

  • Atembeschwerden: Die Atmung kann durch die Spaltbildung erschwert sein.
  • Nahrungsaufnahme: Schwierigkeiten beim Essen und Trinken, Nahrung kann in den Nasenraum gelangen.
  • Kieferwachstum: Verhinderung eines regelrechten Kieferwachstums.
  • Sprachentwicklung: Störungen der Lautbildung, verzögerte Sprachentwicklung, Rhinophonia aperta (offenes Näseln).
  • Hörstörungen: Behindert die Belüftung des Mittelohres.
  • Ästhetik: Deutliche Einschränkungen, die psychische Belastungen hervorrufen können.

Pathogenese (Krankheitsentstehung) – Ätiologie (Ursachen)

  • Embryonalentwicklung: Entwicklungsstörung im ersten Trimenon der Schwangerschaft.
  • Genetische Faktoren: Mutationen des Gens TP63 sind besonders schwere Formen dieser Störung verantwortlich [7].
  • Exogene Faktoren: Alkohol- und Nikotinkonsum der Mutter, Folsäuremangel, erhöhte Einnahme von Retinoiden, schädliche Einflüsse durch ionisierende Strahlung sowie chemische oder physikalische Einflüsse.
  • Medikamenteneinnahme: Das Antiepileptikum Topiramat kann bei Einnahme in der Frühschwangerschaft zu Fehlbildungen führen [5].

Folgeerkrankungen

  • Gestörte Sprachentwicklung: Kann durch umfassende Behandlung frühzeitig erkannt und therapiert werden.
  • Zahnfehlstellungen: Nichtanlagen von Zähnen im Spaltbereich sind häufig.

Diagnostik

Pränataler Ultraschall: Hohe Sensitivität (87 %) und Spezifität (98 %) bei der Erkennung einer Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte.

Prävention

Folsäure: Gabe von mindestens 400 µg pro Tag drei Monate um die Konzeption herum kann das Auftreten einer Lippenspalte mit oder ohne Gaumenspalte um ca. 40 % reduzieren.

Therapie

  • Multidisziplinäre Behandlung: Zusammenarbeit von Kieferorthopäden, Mund-Kiefer- und Gesichtschirurgen, Hals-Nasen-Ohrenärzten und Logopäden.
  • Trinkplatte: Einsatz einer Gaumen- oder Trinkplatte zur Trennung von Mund- und Nasenraum sowie zur Wachstumssteuerung des Kiefers.
  • Operative Korrektur:
    • Lippenspaltplastik: Verschluss der Lippe im ersten Lebensjahr.
    • Gaumenspaltplastik: Einzeitige oder zweizeitige Verschlüsse des harten und weichen Gaumens.
    • Paukenröhrchen: Verbesserung der Mittelohrbelüftung.
    • Logopädische Behandlung: Beginn ab dem zweiten Lebensjahr zur Unterstützung der Sprachentwicklung.
    • Kieferspaltosteoplastik: Knochenverlagerung zur Stabilisierung des Alveolarfortsatzes nach Zahndurchbruch.
    • Implantate oder Brückenversorgung: Lückenschluss nach Wachstumsabschluss bei Nichtanlage von Zähnen.

Die Behandlung ist langwierig und endet erst mit Abschluss des Wachstums. Regelmäßige Kontrollen, Logopädie, kieferorthopädische Behandlungen und mehrere operative Eingriffe sind notwendig, um ein normales Leben zu ermöglichen.

Literatur

  1. de Coninck A, Vanwijck R, Calteux N: Etiological and genetic factors in cleft lip and palate. In: Kriens O (ed.): What is a cleft lip and palate? A multidisciplinary Update, p. 53, Georg Thieme, Stuttgart-New York (1989).
  2. Delaire J: Theoretical principles and technique of functional closure of the lip and nasal aperture. J Maxillofac Surg 6, 109-116 (1978).
  3. Hemprich A, Fischer-Voosholz M, Jörißen R, Goldschmidt K, Kleischmann S: Zur Entwicklung der Sprache von Patienten mit Gaumenspalten. Vortrag auf dem 2. Symposion des Arbeitskreises Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten, Mainz, 07./08.10.1988.
  4. Hemprich A: Lippen-Kiefer-Gaumenspalten. Ein interdisziplinäres Behandlungskonzept. zm 99 Nr. 10, Seite 58-62, 2008
  5. Hernandez-Diaz S et al.: Topiramate use early in pregnancy and the risk of oral clefts. A pregnancy cohort study. Neurology Dec 2017, 10.1212/WNL.0000000000004857; doi: 10.1212/WNL.0000000000004857
  6. Fahradyan A, Galdyn I, Azadgoli B, Tsuha M, Urata MM, Francis SH.To Admit or Not to Admit: That is the Cleft Lip Question. Confirming the Safety of Outpatient Cleft Lip Repair. Plast Reconstr Surg.2018 Jul;142(1):159-168. doi: 10.1097/PRS.0000000000004473.
  7. Lin-Shiao E et al.: p63 establishes epithelial enhancers at critical craniofacial development genes. Science Advances 01 May 2019: Vol. 5, no. 5, eaaw0946 doi: 10.1126/sciadv.aaw0946

Leitlinien

  1. S2k-Leitlinie: Einseitige Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten. (AWMF-Registernummer: 007-038), Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie 2010