Pharmakologische Kardioversion
Herzrhythmusstörungen

Unter einer pharmakologischen Kardioversion (pharmakologische Kardioversion) versteht man den Einsatz von Medikamenten bei bestimmten Herzrhythmusstörungen, um diese wieder in den Sinusrhythmus (normaler Herzrhythmus) zu überführen. 

Beachte: Gemäß einer Studie ist bei Patienten, die wegen eines symptomatischen Vorhofflimmerns die Notfallaufnahme einer Klinik aufsuchen, nicht unbedingt eine sofortige Kardioversion erforderlich. Es konnte gezeigt werden, dass eine abwartende Haltung ("Wait and See"-Strategie) und eine medikamentöse Frequenzkontrolle zu einem gleich guten Ergebnis führte: nach 48 Stunden hatten 150 von 218 Patienten (69 %) der „Wait and See“-Gruppe einen Sinusrhythmus; nach 4 Wochen hatten in der „Wait And See“-Gruppe 193 von 212 Patienten (91 %) gegenüber 202 von 215 Patienten (94 %) in der Gruppe mit früher Kardioversion einen Sinusrhythmus. Die Differenz zwischen den Gruppen war nicht signifikant. Für die Autoren gibt es deshalb keinen Grund, alle Patienten mit einem weniger als 36 Stunden bestehenden Vorhofflimmern sofort zu kardiovertieren. Das Augenmerk sollte jedoch auf die Risikoabschätzung eines Schlag­anfalls und in die Einleitung einer oralen Antikoagulation gerichtet werden [3].

Indikationen (Anwendungsgebiete)

  • Vorhofflimmern (VHF) 
  • Vorhofflattern
  • ventrikuläre Tachykardie

Die nachfolgenden Ausführungen betreffen ausschließlich die Indikation Vorhofflimmern.

Bei der pharmakologischen Kardioversion bleibt zu erwähnen, dass die Erfolgsquote (ca. 70 %) geringer ist als bei der elektrischen Kardioversion (ca. 90 %) und sie nicht sofort wirkt.
Ein Vorteil ist jedoch, dass der Patient keine Narkose benötigt und sie durch eine Tabletteneinnahme (ggf. auch i.v.-Gabe) einfach durchzuführen ist.

Vor der Kardioversion

  • Thrombenausschluss – vor der Durchführung der Kardioversion ist unbedingt zu überprüfen, dass sich während dem Vorliegen des Vorhofflimmerns keine Thromben (Blutgerinnsel) gebildet haben, da sich diese nach erfolgter Kardioversion durch die wiedereinsetzende mechanische Aktivität der Vorhöfe lösen und Embolien (Gefäßverschlüsse) hervorrufen können.
    • Bei Vorhofflimmern (VHF), welches seit weniger als 48 Stunden vorliegt, kann ggf. auf eine vorherige transösophageale Echokardiographie (TEE; Ultraschalluntersuchung, bei der ein Endoskop (Gerät zur Spiegelung) mit einem eingebauten Schallkopf in die Speiseröhre eingeführt wird) zum Ausschluss von Thromben (Blutgerinnseln) verzichtet werden. 
    • Im Gegensatz zu einem akuten Vorhofflimmern muss bei einem länger als 48 Stunden bestehenden VHF eine vorherige transösophageale Echokardiographie (TEE) zum Ausschluss von Thromben durchgeführt werden. Bei Nachweis von Thromben sollte eine Kardioversion erst nach Auflösung derselben durch eine effektive Antikoagulation (Blutgerinnungshemmung) erfolgen.
      Beachte: Bei Nachweis eines Thrombus sollte nach zumindest 3-wöchiger Antikoagulation vor Kardioversion eine erneute TEE erfolgen (IIaC) [2].
  • Thromboseprophylaxe: 
    • Unabhängig vom CHA2DS2-VASc-Score wird für jede pharmakologische und/oder elektrische Kardioversion von Vorhofflimmern/Vorhofflattern eine anschließende effektive Antikoagulation für wenigstens 4 Wochen empfohlen (IB) [2]
      Davon kann ausgenommen werden: Eine medikamentöse Kardioversion mittels medikamentöser antiarrhythmischer Therapie als „Pill-in-the-pocket“-Therapie bei Patienten mit niedrigem CHA2DS2-VASc-Score.
  • Laboruntersuchung – für die Erfolgsprognose der Elektrokardioversion sind zwei Laborparameter von großer Bedeutung. Sowohl eine Hypokaliämie (Kaliummangel) als auch eine Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion) sollten vor der Durchführung des Verfahrens ausgeschlossen werden.

Das Verfahren und die Wirkweisen

Die pharmakologische Kardioversion wird nur bei hämodynamisch stabilen Patienten – also bei guter Herz-Kreislauffunktion – durchgeführt.

Wirksame Antiarrhythmika zur medikamentösen bzw. pharmakologischen Kardioversion bei Vorhofflimmern sind Wirkstoffe der Klasse IA, IC und III (siehe Tabelle unten):

  • Schnell wirksame Wirkstoffe sind Flecainid und Propafenon. Mit diesen Wirkstoffen sind Kardioversionsraten von 40-70 % möglich. 
    Beide Wirkstoffe können auch im Sinne des "pill in the pocket"-Konzeptes verwendet werden, d. h. im Anfall erfolgt eine kurzfristige Dosiserhöhung durch den Patienten. Die Ersteinnahme muss zuvor allerdings unter Monitorüberwachung einmalig im Krankenhaus erfolgen.
    Diese Therapiestrategie setzt voraus, dass der Patient das Auftreten von Vorhofflimmern sicher bemerkt. 
    Kontraindikation (Gegenanzeige): Das "pill in the pocket"-Konzept darf nicht angewendet werden, wenn die Dauer der Vorhofflimmerepisode unklar ist, da sich durch das Vorhofflimmern Thromben (Blutgerinnsel) im Vorhof gebildet haben könnten.
  • Mit Vernakalant (Klasse-III-Antiarrhythmikum) werden Konversionsraten bei Vorhofflimmern, welches weniger als 72 Stunden lang bestand, von 62 % beobachtet werden. Die Zeit von Beginn der Substanzgabe bis zur Konversion zum Sinusrhythmus betrug im Median 10 Minuten. Der Wirkstoff darf nur bei Vorhofflimmern – mit einer Dauer ≤ 7 Tage – eingesetzt werden.
  • Mit Ibutilid, ein Klasse-III-Antiarrhythikum, werden Kardioversionsraten von 50-70 % erreicht (dieses Medikament ist in Deutschland nicht verfügbar).
  • Amiodaron  wird eingesetzt bei Patienten mit strukturell vorgeschädigtem Herzen und eingeschränkter linksventrikulärer Funktion (wirkt nicht negativ inotrop/ "die Kontraktionskraft des Herzens beeinflussend"), zeigt jedoch eine verzögerte Konversion von Vorhofflimmern in den Sinusrhythmus.

Weitere Hinweise

  • Die oben genannten Antiarrhythmika stehen derzeit als orale wie intravenöse Option zur Verfügung. 
  • Inzwischen steht Flecainid zur Inhalation zur Verfügung. Diese Therapieform ermöglicht durch die orale Inhalation des Wirkstoffes, das schnell ein Bolus in den systemischen Kreislauf gelangen kann. Bei 48 % der Patienten, die die höchste Dosis (120 mg in einer Saccharin-Formulierung inhalierten, stellte sich der Sinusrhythmus innerhalb von 90 Minuten ein. Der Wirkungseintritt nach Ende der Inhalation dauerte im Schnitt nur 8,1 Minuten, bis sich der Sinusrhythmus wieder einstellte.
    Typische Nebenwirkung der Therapie waren: Husten (41 %) sowie Schmerzen bzw. Irritationen im Rachenraum (14 % bzw. 3 %).
    Kardiale Nebenwirkungen traten selten auf: zwei Patienten hatten einen transienten Sinusarrest (vorübergehenden Sinusknotenstillstand), ein Patient eine Bradykardie (Herzfrequenz:  40-60 Schläge pro Minute) und ein weiterer Patient Vorhofflattern mit einer 1:1 Überleitung [5].

Nach der Kardioversion

Thromboseprophylaxe:

  • Bei Vorliegen eines Vorhofflimmerns (VHF), welches seit weniger als 48 Stunden besteht, und eines CHA2DS2-VASc-Wertes (Score zur Abschätzung des Apoplexrisikos) von 0, kann auf eine vierwöchige Antikoagulation (Blutgerinnungshemmer) verzichtet werden, da eine Thrombusentstehung im Regelfall nicht innerhalb von zwei Tagen erfolgen kann. Des Weiteren ist in einem solchen Fall auch keine vorherige transösophageale Echokardiographie (TEE; Ultraschalluntersuchung, bei der ein Endoskop (Gerät zur Spiegelung) mit einem eingebauten Schallkopf in die Speiseröhre eingeführt wird) angezeigt.
  • Unabhängig vom CHA2DS2-VASc-Score wird für jede pharmakologische und/oder elektrische Kardioversion von Vorhofflimmern/Vorhofflattern eine anschließende effektive Antikoagulation für wenigstens 4 Wochen empfohlen (IB) [2]
    Davon kann ausgenommen werden: Eine medikamentöse Kardioversion mittels medikamentöser antiarrhythmischer Therapie als „Pill-in-the-pocket“-Therapie bei Patienten mit niedrigem CHA2DS2-VASc-Score.

Sport

  • Nach Einnahme von “pill-in-the-pocket” Antiarrhythmika sollten die Patienten Sport pausieren so lange das Vorhofflimmern anhält und bis zwei Halbwertszeiten des Antiarrhythmikums verstrichen ist. 
    Flecainid – das Antiarrhythmikum mit der längsten Halbwertszeit – hat bei normaler Metabolisierung eine Halbwertszeit von 20 Stunden. Die Metabolisierung erfolgt über das Cytochrom P450-System, insb. CYP2D6, daher erhöhte Wahrscheinlichkeit klinisch relevanter Arzneimittel-Interaktionen mit Komedikation.

Ergebnisse einer medikamentösen Kardioversion [4]

  • Die Normalisierung des Sinusrhythmus trat in 52 % der Fälle durch ein Antiarrhythmikum in gewichtsabhängiger Dosierung innerhalb von durchschnittlich 23 Minuten ein.
  • Bei der medikamentösen Kardioversion traten mehr unerwünschte Ereignisse auf. Diese jedoch waren meistens nicht schwerwiegend,
  • Nach 2 Wochen befanden sich nach medikamentöser Kardioversion 95 % der Patienten im Sinusrhythmus; nach elektrischer Kardioversion 92 % der Patienten).
  • Beachte: Die versuchte pharmakologische Kardioversion erfolgte mit intravenösem Procainamid (15 mg/kg über 30 min). Es ist nicht auszuschließen, dass die genannten Ergebnisse nicht auf andere Antiarrhythmika übertragbar sind.

Falls eine pharmakologische oder elektrische Kardioversion nicht in Frage kommt, ist das therapeutische Ziel die pharmakologische Frequenzkontrolle (z. B. mit Betablockern, Ca-Kanalblockern (z. B. Verapamil), Klasse III-Antiarrhythmika oder Herzglykosiden).

Sicherheit einer Pill-in-the-Pocket-Therapie

  • Schwerwiegende Nebenwirkungen waren gemäß einer Studie selten [6]: 
    • bei 4 % (11 Patienten) kam es nach der Einnahme der Initiale Dosis zu einem unerwarteten unerwünschten Ereignis
    • bei 3 % (7 Fällen handelte es sich dabei um ein schwerwiegendes Problem; davon hatten 5 Patienten die initiale Dosis des Antiarrhythmikum in keinem überwachten Setting eingenommen):
      • Synkopen und Hypotensionen, wegen derer Vasopressoren eingesetzt werden mussten.
      • Vorhofflattern mit 1:1-Überleitung, Bradykardien, die ein Schrittmacherimplantation erforderlich machten.
    • Eine niedrige Dosis war nebenwirkungsärmer aber zugleich weniger effizient: 
      • niedrigere Dosis von Flecainid und Propafenon bedeutet weniger als 300 mg bzw. 600 mg: Kardioversion Rate: 60 % (in der Gesamtkohorte wurde eine Konversionsrate von 73 % erreicht)

Übersicht über Antiarrhythmika

Antiarrhythmika sind Medikamente, die bei Auftreten von Herzrhythmusstörungen zu deren Terminierung eingesetzt werden.

Man unterscheidet nach dem Wirkprinzip vier Klassen der Antiarrhythmika (nach Vaughan Williams)

Klasse Wirkstoffe Wirkmechanismus
Ia Ajmalin
Chinidin
Disopyramid
Prajmalin
Procainamid
Hemmung des schnellen Natriumeinstroms in die Zelle und langsame Reaktivierung
→ Leitungsverzögerung
Ib
Aprindin
Lidocain
Phenytoin
Tocainid
Hemmung des schnellen Natriumeinstroms und schnelle Reaktivierung
→ Leitungsverbesserung (durch Verkürzung des Aktionspotentials)
Ic Flecainid
Lorcainid
Propafenon
Hemmung des schnellen Natriumeinstroms und langsame Reaktivierung
→ Leitungsverzögerung
II Atenolol
Bisoprolol
Metoprolol
Propranolol
Kompetitive Hemmung
der ß-Rezeptoren
→ Erregbarkeit ↓
III Amiodaron
Ibutilide (nicht zugelassen in Deutschland)
Sotalol
Vernakalant
Hemmung des Kaliumausstroms
→ Aktionspotential ↑
IV Diltiazem
Verapamil
Hemmung des Calciumausstroms
→ Leitungsverzögerung
Nicht-
Klassifiziert
Adenosin
Hemmung der Erregungsüberleitung
  Magnesium Calciumantagonist

Legende

  • Klasse I – Natriumkanalblocker
  • Klasse II – Betablocker 
  • Klasse III – Kaliumkanalblocker 
  • Klasse IV – Calciumkanalblocker 
  • Daneben gibt es noch die Wirkstoffe Adenosin oder Digitalis, die nicht in die oben angegebenen Klassen eingeteilt werden können.

Nebenwirkungen ergeben sich aus dem jeweiligen Nebenwirkungsspektrum der verordneten Medikamente. In jedem Fall kann es zur Auslösung weiterer Herzrhythmusstörungen kommen.

Literatur

  1. Camm AJ, Kirchhof P, Lip GY et al.: Guidelines for the management of atrial fibrillation: the task force for the management of atrial fibrillation of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2010; 31:2369–2429
  2. Kirchhof P et al.: 2016 ESC Guidelines for the management of atrial fibrillation developed in collaboration with EACTS. European Association of Cardio-Thoracic Surgery, EACTS. doi: http://dx.doi.org/10.1093/eurheartj/ehw210 ehw210. First published online: 27 August 2016
  3. Plugmaekers NAHA et al.: Early or Delayed Cardioversion in Recent-Onset Atrial Fibrillation. New Engl J Med March 18, 2019 doi: 10.1056/NEJMoa1900353
  4. Stiell I et al.: Electrical versus pharmacological cardioversion for emergency department patients with acute atrial fibrillation (RAFF2): a partial factorial randomised trial. The Lancet 2020. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(19)32994-0
  5. Crijns H et al. Open-Label, Multicenter Study of Flecainide Acetate Oral Inhalation Solution for Acute Conversion of Recent-Onset, Symptomatic Atrial Fibrillation to Sinus Rhythm; Circ Arrhythm Electrophysiol. 2022;15:e010204. doi: 10.1161/CIRCEP.121.010204
  6. Markman T et al.: Safety of Pill-in-the-Pocket Class 1C Antiarrhythmic Drugs for Atrial Fibrillation. J Am Coll Cardiol EP 2022;8:1515-1520

Leitlinien

  1. Camm AJ, Kirchhof P, Lip GY et al.: Guidelines for the management of atrial fibrillation: the task force for the management of atrial fibrillation of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2010; 31:2369–2429
  2. Kirchhof P et al.: 2016 ESC Guidelines for the management of atrial fibrillation developed in collaboration with EACTS. European Association of Cardio-Thoracic Surgery, EACTS. doi: http://dx.doi.org/10.1093/eurheartj/ehw210 ehw210. First published online: 27 August 2016
     
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