Einleitung
Schlaganfall (Apoplex)

Unter einem Apoplex – umgangssprachlich Schlaganfall genannt – (Synonyme: apoplektischer Insult; Apoplexia cerebri; Apoplexie; Apoplexy; Cerebrovascular accident; Gehirninsult; hämorrhagischer Infarkt; Hirninfarkt; Insult; ischämischer Infarkt; ischämischer Insult; stroke; Stroke; zerebraler angiospastischer Insult; Zerebraler Insult; zerebraler Schlaganfall; zerebrovaskulärer Insult; ICD-10-GM I64: Schlaganfall, nicht als Blutung oder Infarkt bezeichnet*) versteht man die plötzliche Durchblutungsstörung des Gehirns. Infolgedessen kommt es zu einer Ischämie (Unterversorgung mit Sauerstoff) mit anschließendem Untergang von Nervenzellen im betroffenen Bereich.

* Im neuen internationalen Diagnosenschlüssel ICD-10-GM der Weltgesundheitsorga­nisation (WHO) wird der Apoplex in der Gruppe der neurologischen Erkrankungen erscheinen.

Ein Apoplex kann ausgelöst werden durch:

  • Ischämischen Infarkt (ischämischer Insult, Hirninfarkt; z. B. Embolie und dadurch zu einer plötzlichen Minderdurchblutung des Gehirns) (80-85 % der Fälle)
  • Hämorrhagischen Infarkt (intrazerebrale Blutung (ICB); Hirnblutung); z. B. wg. hypertensiver Massenblutung, fibrinolytischer bzw. antikoagulativer Therapie) (15-20 % der Fälle)
  • Subarachnoidalblutung (SAB) (ca. 5 % der Fälle)
  • Sinusvenenthrombose (SVT) (< 1 % der Fälle)

Bei jedem vierten Apoplex ist die Ursache unklar, man spricht von einem kryptogenen Apoplex („Embolic Stroke of Undetermined Source“ (ESUS)). Studien zeigen, dass dabei in den meisten Fällen eine Embolie die Ursache ist [2]. Bei 40-50 % der Patienten mit kryptogenem Schlaganfall wird ein persistierendes Foramen ovale (engl. „patent foramen ovale“, PFO; offenes Foramen ovale) diagnostiziert [10]. Die Definition zu ESUS siehe unter Medizingerätediagnostik.
Beim juvenilen Apoplex sind ca. 25-50 % der Fälle kryptogen.

Etwa 25 Prozent aller Apoplexe treffen die Menschen im Schlaf (engl. Wake-up-Stroke). Beachte: Bei diesen Patienten ist erweiterte Bildgebung mit MRT oder Perfusions-CT nötig, um die effektive Akuttherapie zu steuern.

Nach dem zeitlichen Verlauf wird der Schlaganfall wie folgt eingeteilt:

  • TIA transitorische ischämische Attacke Symptome dauern weniger als 24 Stunden
  • PRIND prolongiertes reversibles ischämisches neurologisches Defizit eine länger als 24 Std. anhaltende Symptomatik, die sich nur langsam, schließlich aber vollständig zurückbildet
  • Infarkt in Progression stetige Zunahme der neurologischen Symptome
  • Vollendeter Infarkt bzw. kompletter Apoplex – partielle oder fehlende Rückbildung der neurologischen Ausfallerscheinungen

Von einem Schlaganfall im Kindesalter („Childhood stroke“) spricht man bei Auftreten eines Apoplexes im Kindes- und Jugendalter (> 28. Lebenstag bis 18 Jahre).

Von einem juvenilen Schlaganfall spricht man bei Auftreten eines Apoplexes in der Altersgruppe 18-55 Jahren. Ca. 25-50 % der Fälle sind kryptogen ("von unbekanntem Ursprung"). In Deutschland sind ca. 30.000 Menschen pro Jahr davon betroffen.

Beachte: Tritt der erste Schlaganfall bereits in einem Alter unter 50 Jahren auf, könnte dies ein Warnzeichen für eine okkulte (verborgene) Krebserkrankung sein [13].

Hinweis: Krankheitszustände, die als Schlaganfälle verkannt werden, werden als Stroke mimics (SM)zu Deutsch Schlaganfallimitatoren, bezeichnet. Diese werden auch als Schlaganfall-Chamäleon benannt. Mit solchen Fehldiagnosen bei der Krankenhauseinweisung ist in 15 bis 25 % der Fälle zu rechnen. Entsprechende Differentialdiagnosen sind gekennzeichnet.

Geschlechterverhältnis: Das Risiko für Männer vom 55. Lebensjahr bis zum etwa 75. Lebensjahr ist mehr als 50 % höher als das für Frauen!

Häufigkeitsgipfel: Die Erkrankung tritt vorwiegend ab dem mittleren Lebensalter auf: Ab dem 55. Lebensjahr verdoppelt sich das Schlaganfallrisiko alle 10 Jahre!
Frauen sind bei einem Schlaganfall oder einer TIA im Schnitt 7,6 Jahre älter als Männer (77,9 versus 70,3 Jahre) [3].
31 % aller Apoplexe findet in der Gruppe der 20- bis 64-Jährigen statt; jeder 20. Apoplex tritt bei Jugendlichen und Kindern auf.
Die Inzidenz von ischämischen Schlaganfällen hat sich in der Gruppe der 35- bis 39-Jährigen von 1995 bis 2014 mehr als verdoppelt (Rate Ratio [RR] 2,47) [6].

Die Lebenszeitprävalenz (Krankheitshäufigkeit während des gesamten Lebens) liegt bei 15 % (in Deutschland) und das globale Lebenszeitrisiko von erwachsenen Menschen (über 25 Jahre) liegt bei 24,9 % [11].

Die Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen) in den Industrieländern verteilt sich wie folgt:

  • Alter  (> 28. Lebenstag bis 18 Jahre): 1-8 Erkrankungen (hier: arteriell ischämischer Schlaganfall (AIS)) auf 100.000 Einwohner pro Jahr
  • Alter < 25 Jahre: < 1 Erkrankung auf 100.000 Einwohner pro Jahr [4]
  • Alter 25-34 Jahre: 3,7 Erkrankungen auf 100.000 Einwohner pro Jahr [4]
  • Alter 35-44 Jahre: 19,1 Erkrankungen auf 100.000 Einwohner pro Jahr [4]
  • Alter 55-64 Jahre: 300 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr 
  • Alter 65-74 Jahre: 800 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr 

Die höchsten Inzidenzen finden sich in Deutschland und in den Ostblockländern.

Die Inzidenz im Kindesalter beträgt 1-8  Erkrankungen auf 100.000 Einwohner pro Jahr (leichter Anstieg im Vorschulalter; Jungen etwas mehr als Mädchen) [7, 8].

Schlaganfälle stellen in Deutschland die dritthäufigste Todesursache dar. 15 % aller Todesfälle in Deutschland sind durch einen Schlaganfall bedingt.

Verlauf und Prognose: Hohes Alter und die Existenz von Herzerkrankungen beeinflussen die Prognose nach Apoplex, mit der Folge einer erhöhten Morbidität (Krankheitshäufigkeit) und Mortalität (Anzahl der Todesfälle in einem bestimmten Zeitraum, bezogen auf die Anzahl der betreffenden Population). Ein einfacher Zeichentest (Trail-Making-Test, TMT), bei dem so schnell wie möglich Punkte mit Strichen verbunden werden sollen, erfasst kognitive Funktionen und ermöglicht eine Prognose nach dem Apoplex.
Die Tests wurden Jahre vor dem Apoplex durchgeführt. Teilnehmer mit den schlechtesten Ergebnissen (unteres Tertial) hatten ein dreifach höheres Mortalitätsrisiko [1].

Fazit: Eine Vorschädigung des Gehirns (häufige Ursache einer Kognitionsstörung im Alter), lässt Patienten nach einem ischämischen Infarkt für die Regeneration weniger Reserven zur Verfügung.

In einer Langzeitstudie (619 Patienten, zwischen 1980 und 2010, im Alter zwischen 18 und 50 Jahren) konnte nachgewiesen werden, dass ein ischämischer Schlaganfall im jungen Erwachsenenalter oft lebenslange Folgen hat: Frauen waren davon doppelt so häufig betroffen wie Männer [5].

Bei etwa zwei Drittel der Apoplex-Patienten ist anfänglich auch die Mobilität gestört. Rehabilitationsmethoden können dabei zur Verbesserung der Gehfähigkeit, Gehstrecke, Gehgeschwindigkeit sowie der Gang- und Standsicherheit beitragen.

Der Anteil der Schlaganfallhospitalisierungen mit Todesfolge ist über einen längeren Zeitraum mit 8,5 % im Jahr 2014 und 8,6 % im Jahr 2019 stabil geblieben [15].

Beachte: Eine adäquate orale Antikoagulation (OAK) kann etwa zwei Drittel der ischämischen Schlaganfälle verhindern; dadurch entstehende Blutungskomplikationen sind deutlich geringer [9].

Patienten mit Vorhofflimmern (VHF) und vorherigem Schlaganfall können durch frühen Rhythmuserhalt vor Komplikationen geschützt werden: kardiovaskuläre Ereignisse wurden um 21 % reduziert [14].

Die Letalität (Sterblichkeit bezogen auf die Gesamtzahl der an der Krankheit Erkrankten) des Apoplex liegt innerhalb der ersten drei Monate bei ca. 15 %.
Das kumulative Rezidivrisiko (Wiederauftreten) für einen Apoplex liegt im ersten Jahr bei 5-20 % – danach nimmt das Risiko ab.
Nach einer Auswertung von Daten des Erlangener Schlaganfall-Registers (ESPRO) stirbt nahezu jeder zweite Patient innerhalb von fünf Jahren nach dem ersten Apoplex: Jeder fünfte Patient erleidet in diesem Zeitraum einen erneuten Schlaganfall. Das Mortalitätsrisiko beträgt bei Frauen 49,6 Prozent und bei Männern 41,8 Prozent [12].
Beim juvenilen Apoplex beträgt die Letalität im ersten Jahr 4,5 %; 1,5 % erleiden in diesem Zeitraum ein Rezidiv (erneuter Apoplex).

Komorbiditäten (Begleiterkrankungen): Der Apoplex ist vermehrt mit weiteren Erkrankungen wie koronare Herzkrankheit (KHK; Herzkranzgefäßerkrankung), Hypertonie (Bluthochdruck), Diabetes mellitus und Vorhofflimmern (VHF) vergesellschaftet.

Literatur

  1. Wiberg B, Kilander L, Sundström J, Byberg L, Lind L: The relationship between executive dysfunction and post-stroke mortality: a population-based cohort study. BMJ Open 2; 2012;e000458 doi: 10.1136/bmijpgen-2011-000458
  2. Hart RG et al.: Embolic strokes of undetermined source: the case for a new clinical construct. Lancet Neurol. 2014 Apr;13(4):429-38
  3. EFNS/ENS Joint Congress of European Neurology, 31. Mai – 3. Juni 2014, Istanbul. Oral Session 3.1.: Cerebrovascular diseases 1. Thomas Gattringer: Gender aspects of stroke unit care. Results from the Austrian Stroke Unit Registry.
  4. Marini C, Totaro R, De Santis F, Ciancarelli I, Baldassarre M, Carolei A: Stroke in young adults in the community-based l’aquila registry: Incidence and prognosis. Stroke. 2001;32:52-56 
  5. Synhaeve NE et al.: Women have a poorer very long-term functional outcome after stroke among adults aged 18–50 years: the FUTURE study. J Neurol 2016; epub 2.4.16, doi 10.1007/s00415-016-8042-2.
  6. Swerdel JN et al.: Ischemic Stroke Rate Increases in Young Adults: Evidence for a Generational Effect? J Am Heart Assoc. 2016 Nov 23;5(12). pii: e004245.
  7. Rafay MF, Pontigon AM, Chiang J et al.: Delay to diagnosis in acute pediatric arterial ischemic stroke. Stroke 2009 Jan;40(1):58-64. doi: 10.1161/STROKEAHA.108.519066. Epub 2008 Sep 18.
  8. Steinlin M: A clinical approach to arterial ischemic childhood stroke: increasing knowledge over the last decade. Neuropediatrics 2012 Feb;43(1):1-9. doi: 10.1055/s-0032-1307449. Epub 2012 Mar 19.
  9. Kirchhof P et al.: 2016 ESC Guidelines for the management of atrial fibrillation developed in collaboration with EACTS. Eur Heart J 2016 Oct 7;37(38):2893-2962. Epub 2016 Aug 27
  10. Saver JL: Clinical practice. Cryptogenic stroke. N Engl J Med 2016 May 26;374(21):2065-74. doi: 10.1056/NEJMcp1503946.
  11. Feigin VL et al.: Global, Regional, and Country-Specific Lifetime Risks of Stroke, 1990 and 2016. N Engl J Med 2018; 379:2429-2437 doi: 10.1056/NEJMoa1804492
  12. Rücker V et al.: Twenty-Year Time Trends in Long-Term Case-Fatality and Recurrence Rates After Ischemic Stroke Stratified by Etiology. Stroke. 2020;51:2778-2785 https://doi.org/10.1161/STROKEAHA.120.029972
  13. Verhoeven J: Stroke in the Young: Cancer in Disguise? European Stroke Organization Conference (ESOC) 2022. Presented May 6, 2022
  14. Jensen M et al.: Early rhythm control therapy for atrial fibrillation in patients with history of stroke in the EAST – AFNET 4 trial. WSC 2022 Kongress-Abstract
  15. Kelly DM, Feld J, Rothwell PM et al.: Admission rates, time trends, risk Factors, and outcomes of ischemic and hemorrhagic stroke from german nationwide data. Neurology. 2022; 99: e2593-604 doi: 10.1212/WNL.0000000000201259

Leitlinien

  1. European Stroke Organisation Executive C, Committee ESOW. Guidelines for management of ischaemic stroke and transient ischaemic attack 2008. Cerebrovasc Dis 2008; 25(5):457-507
  2. Leitlinie: Diagnostik akuter zerebrovaskulärer Erkrankungen. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. DGN 2008
  3. Stone NJ, Robinson JG, Lichtenstein AH, Bairey Merz CN, Blum CB, Eckel RH, Goldberg AC, Gordon D, Levy D, Lloyd-Jones DM, McBride P, Schwartz JS, Shero ST, Smith SC Jr, Watson K, Wilson PW; American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines: 2013 ACC/AHA Guideline on the Treatment of Blood Cholesterol to Reduce Atherosclerotic Cardiovascular Risk in Adults. A Report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines. Circulation. 2012,  November;129:S1-S45. doi:10.1161/01.cir.0000437738.63853.7.
  4. Jauch E et al.: Guidelines for the Early Management of Patients With Acute Ischemic Stroke. A Guideline for Healthcare Professionals From the American Heart Association/American Stroke Association. Stroke März 2013; 44:870-947
  5. AHA/ASA Guideline: Guidelines for the Prevention of Stroke in Women. A Statement for Healthcare Professionals. From the American Heart Association/American Stroke Association. Stroke 2014, ePub 6.2.2014. doi: 10.1161/01.str.0000442009.06663.48.
  6. Kernan WN, Ovbiagele B, Black HR et al.: Guidelines for the prevention of stroke in patients with stroke and transient ischemic attack: a guideline for healthcare professionals from the American Heart Association/American Stroke Association. Stroke 2014, Juli; 45(7):2160-236. doi: 10.1161/STR.0000000000000024
  7. Meschia JF et al.: AHA/ASA Guideline Guidelines for the Primary Prevention of Stroke A Statement for Healthcare Professionals From the American Heart Association/American Stroke Association. STR.0000000000000046 Published online before print October 28, 2014, doi: 10.1161/STR.0000000000000046
  8. S3-Leitlinie: Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke – Teil 1: Plättchenhemmer, Vorhofflimmern, Hypercholesterinämie und Hypertonie. (AWMF-Registernummer: 030-133), Januar 2015 Langfassung
  9. Kirchhof P et al.: 2016 ESC Guidelines for the management of atrial fibrillation developed in collaboration with EACTS. Eur Heart J 2016 Oct 7;37(38):2893-2962. Epub 2016 Aug 27.
  10. AHA/ASA Guideline: 2018 Guidelines for the Early Management of Patients With Acute Ischemic Stroke. A Guideline for Healthcare Professionals From the American Heart Association/American Stroke Association. doi: https://doi.org/10.1161/STR.0000000000000158
  11. S2e-Leitlinie: Kryptogener Schlaganfall und offenes Foramen ovale. (AWMF-Registernummer: 030 - 142), Juni 2018. Langfassung
  12. S3-Leitlinie: Schlaganfall. (AWMF-Registernummer: 053-011), Februar 2020 Kurzfassung Langfassung
  13. S3-Leitlinie: Rehabilitative Therapie bei Armparese nach Schlaganfall. (AWMF-Registernummer: 080 - 001), April 2020 Langfassung
  14. S2e-Leitlinie: Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls. (AWMF-Registernummer: 030-046), Mai 2021 Kurzfassung Langfassung

     
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