Juckreiz (Pruritus) – Anamnese
Die Anamnese stellt einen wichtigen Baustein in der Diagnostik des Pruritus (Juckreiz) dar.
Familienanamnese
- Gibt es in Ihrer Familie Angehörige mit:
- Skabies (Krätze)?
- Parasitären-Erkrankungen?
- Hautkrankheiten wie Ekzeme oder Psoriasis (Schuppenflechte)?
Sozialanamnese
- Beruf:
- Welchen Beruf üben Sie aus?
- Sind Sie in Ihrem Beruf schädigenden Arbeitsstoffen (z. B. Chemikalien, Lösungsmittel) ausgesetzt?
- Gibt es Hinweise auf psychosoziale Belastungen oder Belastungen aus Ihrer familiären Situation?
Reiseanamnese
- Waren Sie in den letzten Wochen oder Monaten auf Reisen? Wenn ja:
- Welche Länder haben Sie besucht? Bestimmte Regionen sind für spezifische Erkrankungen bekannt:
- Afrika, Asien, Mittel- und Südamerika: Hier besteht ein erhöhtes Risiko für parasitäre Infektionen wie Schistosomiasis (Bilharziose), die durch Kontakt mit kontaminiertem Wasser übertragen wird und Juckreiz verursachen kann.
- Tropische und subtropische Gebiete: In diesen Regionen können Insektenstiche, insbesondere von Sandmücken, zu Leishmaniose führen, die Hautläsionen und Juckreiz hervorruft.
- Mittelmeerraum, Afrika, Asien, Südamerika: In diesen Gebieten ist die Larva migrans cutanea verbreitet, eine Hauterkrankung, die durch das Eindringen von Hakenwurmlarven verursacht wird und starken Juckreiz auslöst.
- Welche Länder haben Sie besucht? Bestimmte Regionen sind für spezifische Erkrankungen bekannt:
- Wann fand Ihre Reise statt und wie lange dauerte sie? [Die Inkubationszeit einiger Erkrankungen kann variieren, daher sind genaue Zeitangaben wichtig.]
- Gab es während Ihres Aufenthalts Kontakt mit Süßwasserquellen wie Seen oder Flüssen? [Risiko für Schistosomiasis]
- Wurden Sie von Insekten gestochen oder gebissen? [Stiche von Sandmücken können beispielsweise Leishmaniose übertragen.]
- Haben Sie barfuß am Strand oder auf unbekannten Böden verbracht? [Risiko für Larva migrans cutanea]
- Gab es während oder nach Ihrer Reise Fieber oder andere Symptome wie Fieber?
Aktuelle Anamnese/Systemanamnese (somatische und psychische Beschwerden)
- Plötzlicher Beginn oder langsam zunehmend?
- Wo juckt es?
- An einem bestimmten Ort (z. B. Kopfhaut, Hände, Beine)?
- Oder am gesamten Körper (generalisiert)?
- Ist der Juckreiz nachts stärker als am Tag?
- Gibt es sichtbare Hautveränderungen?
- Pusteln (Eiterbläschen)?
- Bläschen?
- Hautrötungen, Schwellungen, Kratzspuren oder Ekzeme?
- Gelbsucht (gelbliche Verfärbung der Haut oder Augen)?
- Haben Sie weitere Symptome wie:
- Fieber?*
- Nachtschweiß?*
- Müdigkeit oder Abgeschlagenheit?
- Ist Ihre Haut besonders trocken oder schuppend?
- Wird der Juckreiz ausgelöst oder verstärkt durch:
- Körperliche Aktivität?
- Wasserkontakt (z. B. nach dem Baden oder Duschen stechender Juckreiz)?
- Wärmeeinfluss (heiße Duschen, Überheizung)?
- Bestimmte Kleidungsmaterialien (z. B. Wolle, synthetische Stoffe)?
- Wird der Juckreiz durch tägliche Hautpflege gemindert oder verstärkt?
- Tritt der Juckreiz verstärkt nach Medikamenteneinnahme auf?
- Wenn ja, welche Medikamente?
Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese
- Haben Sie an Körpergewicht verloren? Wenn ja, wie viel und in welchem Zeitraum?*
- Hat sich Ihr Appetit verändert?
- Haben sich Stuhlgang oder Wasserlassen verändert?
- (z. B. in Menge, Konsistenz, Beimengungen wie Blut oder Schleim?)
- Nehmen Sie Drogen?
- Wenn ja, welche und wie häufig (z. B. intravenöse Substanzen, Kokain)?
Eigenanamnese
- Vorerkrankungen:
- Bestehen chronische Erkrankungen, wie:
- Neurodermitis, Heuschnupfen oder Asthma?
- Hauterkrankungen (z. B. Psoriasis (Schuppenflechte, Ekzeme)?
- Infektionskrankheiten (z. B. HIV, Hepatitis (Leberentzündung))?
- Stoffwechselerkrankungen (z. B. Diabetes mellitus)?
- Leber- oder Nierenerkrankungen?
- Schwangerschaft? (Hormonelle Veränderungen als Auslöser?)
- Bestehen chronische Erkrankungen, wie:
- Hatten Sie in der Vergangenheit größere Operationen (z. B. Leber- oder Magen-Darm-OPs)?
- Sind Typ-I- oder Typ-IV-Allergien (z. B. auf Nahrungsmittel, Insektenstiche oder Medikamente) bekannt?
Medikamentenanamnese
- α4β7-Integrin-Antagonist (Vedolizumab)
- ACE-Hemmer (Benazepril, Captopril, Cilazapril, Enalapril, Fosinopril, Lisinopril, Moexipril, Peridopril, Quinapril, Ramipril, Spirapril)
- Allopurinol
- Analgetika
- NSAID (nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR); auch nichtsteroidales Antiphlogistikum (NSAP) oder NSAID, non steroidal anti inflammatory drugs) – Acetylsalicylsäure (ASS; 1-5 % der Exponierten)
- Paracetamol
- Angiogenesehemmer (Sorafenib, Sunitinib)
- Antiarrhythmika (Amiodaron, Chinidin)
- Antibiotika
- Aminopenicilline (Amoxicillin); insb. als Amoxicillin/Clavulansäure-Kombination (Häufigkeit: sehr gering)
- β-Lactam-Antibiotika (Aminopenicilline) – Ampicillin
- Beomycin (> 5 % der Exponierten)
- Makrolidantibiotika (Erythromycin)
- Nitroimidazole (Metronidazol)
- Sulfonamide
- Tetracycline (Minocyclin)
- Trimethoprim und Sulfamethoxazol
- Antidepressiva
- Antiepileptika
- aromatische Antikonvulsiva (Carbamazepin, Lamotrigin, Phenobarbital)
- Funktionalisierte Aminosäure (Lacosamid)
- Phenytoin
- Selektiver Dopamin- und Noradrenalin- (geringfügig auch Serotonin-) Wiederaufnahmehemmer (NDRI) – Bupropion [aquagener Pruritus]
- Valproinsäure/Valproat
- Antihypotonika: α-Adrenozeptor-Agonist (Midodrin)
- Antimalariamittel (Artesunat, Chloroquin, Primaquin) [aquagener Pruritus]
- Antimykotika, lokale
- Imidazolderivate (Clotrimazol, Econazol, Ketoconazol, Miconazol)
- Morpholine (Amorolfin)
- Antipsychotika (Neuroleptika) – Chlorpromazin, Phenothiazine
- Antirheumatika
- NSAID (nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR); auch nichtsteroidales Antiphlogistikum (NSAP) oder NSAID, non steroidal anti inflammatory drugs) – Acetylsalicylsäure (ASS; 1-5 % der Exponierten)
- Antisympathotonikum (Clonidin)
- Arsentrioxid
- α2-Agonisten (Apraclonidin, Brimonidin, Clonidin)
- Betablocker
- Nicht selektive Betablocker (z. B. Carvedilol, Propranolol, Soltalol)
- Selektive Betablocker (z. B. Atenolol, Bisoprolol, Metoprolol)
- Biologicals (Etanercept, Infliximab, Secukinumab, Ustekinumab)
- Darmtherapeutika, antiinflammatorische (Mesalazin)
- Dicarbonsäure
- Direkter Faktor Xa-Inhibitor (Rivaroxaban)
- Fibrate (Clofibrat)
- Goldpräparate (Goldsalze)
- Glutamatmodulator (Acamprosat)
- Hormone
- Anabole Steroide
- Glucocorticoide (Betamethasondipropionat, Mometasonfuroat, Clobetasol)
- Östrogene (Ethinylestradiol, Estradiol)
- Prostaglandin (Alprostadil)
- selektiver Estrogenrezeptormodulator (SERM) – Tamoxifen
- Testosteron
- Hydroxethylstärke (nach Infusion häufig monatelang persistierender Pruritus) [mediane Latenz zwischen Hydroxyethylstärke-Gabe und Auftreten des Pruritus beträgt 3 Wochen]
- Hypnotika/Sedativa (Clomethiazol)
- Intestinaler Entzündungshemmer (Sulfasalzin)
- Insektizide und Akarizide
- Pyrethroide (Allethrin, Permethrin)
- Pyrethrine (Pyrethrum)
- Kolloide (kolloidale Lösung)
- Lithium
- Monoklonale Antikörper
- Anti-CD25-Antikörper Daclizumab (DAC)
- IgG1-Antikörper Pertuzumab
- PD-1-Immun-Checkpoint-Inhibitoren: Nivolumab
- Trastuzumab
- Mukolytika (Acetylcystein (ACC); N-Acetylcystein (NAC); N-Acetyl-L-Cystein)
- Narkotika (Halothan)
- Nikotinsäurederivate (Nicotinsäure)
- Noradrenalin-Reuptake-Inhibitor (Atomoxetin)
- Opiate bzw. Opioide (Alfentanil, Apomorphin, Buprenorphin, Codein, Dihydrocodein, Fentanyl, Hydromorphon, Loperamid, Morphin, Methadon, Nalbuphin, Naloxon, Naltrexon, Oxycodon, Pentazocin, Pethidin, Piritramid, Remifentanil, Sufentanil, Tapentadol, Tilidin, Tramadol)
- Peroxide (Benzoylperoxid)
- Phytotherapeutika (Rosskastanien (Triterpenglykosid)
- Polypharmazie (≥ 5 Pharmaka) [2]
- Protonenpumpenhemmer (Protonenpumpeninhibitoren, PPI; Säureblocker) – Esomeprazol, Lansoprazol, Omeprazol, Pantoprazol, Rabeprazol
- Quarternäre Amoniumverbindungen (Dequalinium
- Retinoide (Alitretinoin, Tazaroten)
- Röntgenkontrastmittel (als Sofortreaktion)
- Statine – Lovastatin, Simvastatin
- Sulfasalazin (INN), auch Salazosulfapyridin
- Topische Calcineurin-Inhibitoren (Pimecrolimus, Tacrolimus)
- Tuberkulostatikum (Isoniazid)
- Vasodilatatoren (Diazoxid)
- Virostatika (Aciclovir, Brivudin, Famciclovir, Simeprevir, Valaciclovir)
- Nicht-Nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI) – Efavirenz, Nevirapin, Rilpivirin
- NS5A-Inhibitoren (Daclatasvir, Ledipasvir, Ombitasvir)
- Proteaseinhibitoren (PI; Proteasehemmer) – Boceprevir, Paritaprevir, Telaprevir (analer Pruritus)
- Zytostatika (Busulfan, Ingenolmebutat, Methotrexat (MTX), Sunitinib, Temodal)
Siehe zudem unter "Photosensibilisierende Medikamente".
Umweltanamnese
- Hatten/haben Sie Kontakt mit Chemikalien, Lösungsmitteln oder anderen irritierenden Substanzen?
- Haben Witterungseinflüsse Auswirkungen auf den Juckreiz?
- Kalte Jahreszeit oder Winterkälte (trockene Heizungsluft, Kälte als Trigger)? → Reduktion der Talgdrüsensekretion
- Klimaanlagen oder überheizte Räume?
- Nehmen Sie häufig Sonnenbäder oder setzen Sie sich bewusst UV-Bestrahlung (Solarium) aus?
Hinweis: Bei Patienten mit chronischen Pruritus empfiehlt sich ein Symptomtagebuch zu führen. Das gibt es mittlerweile auch in App-Form.
* B-Symptomatik [Neoplasie (abnormale Gewebeneubildung, die durch unkontrollierte Zellteilung entsteht), Lymphome]; Falls diese Frage mit „Ja“ beantwortet worden ist, ist ein sofortiger Arztbesuch erforderlich! (Angaben ohne Gewähr)
Pruritus-Scores
Zur standardisierten Erfassung der Juckreizintensität stehen mehrere validierte Skalen zur Verfügung, die eine objektive Quantifizierung dieses subjektiven Symptoms ermöglichen. Pruritus stellt bei zahlreichen dermatologischen Erkrankungen, insbesondere bei atopischer Dermatitis und Psoriasis, ein Leitsymptom dar und beeinflusst wesentlich das Therapiemanagement. Neben der Erhebung weiterer klinischer Parameter (z. B. befallene Hautareale, Body Surface Area – BSA) können folgende Messinstrumente eingesetzt werden:
- Numeric Rating Scale (NRS) – numerische Skala von 0 (kein Juckreiz) bis 10 (schlimmster vorstellbarer Juckreiz). Werte von ≥ 7 bis < 9 weisen auf einen schweren, Werte ≥ 9 auf einen sehr schweren Pruritus hin.
- Visual Analogue Scale (VAS) – visuelle Analogskala in Form einer 10 cm langen Linie mit den Endpunkten 0 (kein Juckreiz) und 10 (schlimmster Juckreiz). Die Einordnung der Schweregrade entspricht der NRS. Die VAS kann auch zur retrospektiven Beurteilung längerer Zeiträume (z. B. 4 Wochen) eingesetzt werden [1].
- Verbal Rating Scale (VRS) – verbale Kategorisierung der Juckreizintensität auf einer 5-stufigen Skala (0 = kein Juckreiz bis 4 = sehr starker Juckreiz).
Alle drei Skalen sind in mehreren Sprachen validiert, lassen sich innerhalb von etwa einer Minute ausfüllen und eignen sich sowohl für den klinischen Alltag als auch für Studienzwecke. Die Auswahl des Instruments sollte sich an der klinischen Fragestellung und dem Untersuchungszeitraum orientieren.
Unsere Empfehlung: Drucken Sie die Anamnese aus, markieren Sie alle mit „Ja“ beantworteten Fragen und nehmen Sie das Dokument mit zu Ihrem behandelnden Arzt.
Literatur
- Phan NQ et al. Assessment of pruritus intensity: prospective study on validity and reliability of the visual analogue scale, numerical rating scale and verbal rating scale in patients with chronic pruritus. Acta Derm Venereol. 2012;92(5):502-507. https://doi.org/10.2340/00015555-1246
- Kogame T et al.: Longitudinal Association Between Polypharmacy and Development of Pruritus: A Nationwide Cohort Study in a Japanese Population. J Eur Acad Dermatol Venereol 2021; https://doi.org/10.1111/jdv.17443
Leitlinien
- S2k-Leitlinie: Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus. (AWMF-Registernummer: 013-048), März 2022 Langfassung