Einleitung
Störungen der Vestibularfunktion

Eine Störung der Vestibularfunktion (ICD-10-GM H81.-: Störungen der Vestibularfunktionbzw. des vestibulären Systems betrifft im Wesentlichen die Gleichgewichtskontrolle.

Das Vestibularorgan (Gleichgewichtsorgan) dient zur Wahrnehmung von Beschleunigungen und zur Bestimmung der Richtung der Erdanziehungskraft. Es ist Bestandteil des Innenohrs.
Das Vestibularorgan besteht aus drei Bogengängen und die beiden als Maculaorgane bezeichneten Strukturen (Sacculus und Utriculus). Die mit der Endolymphe ausgefüllten Bogengänge bilden das Drehsinnorgan. Die Maculaorgane erfassen die translatorische Beschleunigung des Körpers im Raum. Die so gewonnenen Sinnesinformationen gelangen über den VIII. Hirnnerven (Nervus vestibulocochlearis) zu entsprechenden Nervenkernen im Hirnstamm (Vestibulariskerne). Nachfolgend werden Störungen der Vestibularfunktion beschrieben.

Bei den Störungen der Vestibularfunktion kann man nach dem ICD-10 die folgenden Formen unterscheiden:

  • Ménière-Krankheit (ICD-10-GM H81.0) – Erkrankung des Innenohrs, die mit Drehschwindel und Hypakusis (Hörminderung) einhergeht; Häufigkeit: 10,1 %
  • Vestibuläre Migräne  / Basilarismigräne (ICD-10-GM G43.1) – Schwindel ist dabei Teilsymptom der Migräne; 11,4 %), M. Menière (10,1 %) Spontane, wiederholte Schwindelattacken
  • Benigner (gutartiger) paroxysmaler (anfallsartig auftretend) Schwindel (ICD-10-GM H81.1) bzw. benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPLS; Synonyme: Cupulolithiasis; Canalolithiasis und (verkürzt) gutartiger Lagerungsschwindel (nicht zu verwechseln mit Lageschwindel); benigne paroxysmale positionale Vertigo (BPPV); benigner peripherer paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPPV)) – ist eine harmlose, wenn auch äußerst unangenehme, sehr häufige Form des Schwindels; Häufigkeit: 17,1 %
  • Neuritis vestibularis (Synonym: Neuropathia vestibularis) (ICD-10-GM H81.2) – eine akute oder chronische Funktionsstörung des Gleichgewichtsorgans im Innenohr; Häufigkeit: 8,3 %
  • Bilaterale Vestibulopathie (BV) –  vestibuläre Erkrankung, die durch einen kompletten Ausfall oder ein inkomplettes Defizit beider Labyrinthe und/oder der Vestibularisnerven charakterisiert ist; Häufigkeit: 7,1 %
  • Vestibularisparoxysmie – neurovaskuläres Kompressionssyndrom des achten Hirnnerven; die Schwindelattacken dauern in der Regel nur Sekunden bis wenige Minuten an; dabei können sowohl ein Drehschwindel als auch ein Schwankschwindel auftreten; Häufigkeit: 3,7 %
  • Sonstiger peripherer Schwindel (ICD-10-GM H81.3) – Störung des sogenannten Labyrinths (das im Innenohr lokalisierte Gleichgewichtsorgan); diese wird als unangenehmes Bewegungsempfinden (Bewegungsillusion) wahrgenommen
  • Schwindel zentralen Ursprungs/zentraler Schwindel (ICD-10-GM H81.4) ‒ Schwindel, der durch Störungen des zentralen Nervensystems bedingt ist:
    • Hirnstammläsionen
    • Morbus Parkinson (Schüttelkrankheit; Schüttellähmung)
    • Multiple Sklerose (MS)
    • Zerebrovaskulär ‒ durch Störungen der Durchblutung des zentralen Nervensystems
    • Zerebelläre Läsionen ‒ Schädigungen des Kleinhirns
  • Sonstige Störungen der Vestibularfunktion (ICD-10-GM H81.8)
  • Störungen der Vestibularfunktion, nicht näher bezeichnet (ICD-10-GM H81.9)

Man kann die folgenden Arten des Schwindels unterscheiden:

  • Systematischer Schwindel (gerichteter Schwindel)
    • Dauerschwindel
    • Drehschwindel
    • Höhenschwindel
    • Lagerungsschwindel
    • Lageschwindel
    • Liftschwindel
    • Schwankschwindel (z. B. phobischer Schwankschwindel, Häufigkeit: 15 %)
  • Unsystematischer Schwindel (ungerichteter Schwindel, diffuser Schwindel)

Schwindelanfälle sind nach Kopfschmerzen das zweithäufigste Leitsymptom, nicht nur in der Neurologie.

Geschlechterverhältnis
Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel: Männer zu Frauen 1 : 2.
Morbus Menière: Männer sind häufiger betroffen als Frauen. Allerdings ist die Studienlage in vielen Fällen widersprüchlich.

Häufigkeitsgipfel:
Schwindel im Allgemeinen tritt mit zunehmendem Alter gehäuft auf, besonders in der Gruppe der über 80-Jährigen.
Der benigne periphere paroxysmale Lagerungsschwindel (BPPV) kann von der Kindheit bis zum Senium auftreten.
Neuritis vestibularis: Die Erkrankung tritt vorwiegend zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr auf.
Morbus Menière: Die Erkrankung tritt vorwiegend zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr auf.
Nicht-kardialer Schwindel: Die Erkrankung tritt vorwiegend bei den über 65-Jährigen auf.

Die Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) für Schwindel im Allgemeinen liegt ungefähr bei einem Viertel der Bevölkerung (in Deutschland). Die Prävalenz kann im Alter auf bis zu 40 % ansteigen.
Die Lebenszeitprävalenz (Krankheitshäufigkeit während des gesamten Lebens) für mittelschweren und schweren Schwindel liegt bei bis zu 30 %. Über 65-Jährige leiden in ca. 30 % der Fälle mindestens einmal pro Monat an Schwindel.
Die Prävalenz für den benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel liegt bei 10 % (bei den über 80-Jährigen).
Die Lebenszeitprävalenz von Dreh- und Schwankschwindel bei ca. 30 %.
Die Lebenszeitprävalenz von Morbus Menière liegt bei 0,5 %.
Die Lebenszeitprävalenz der vestibulären Migräne wird auf 1 %, die Einjahresprävalenz auf 0,9 % geschätzt [1].
Die Prävalenz für den nicht-kardialen Schwindel liegt bei 20 % (bei den über 65- Jährigen).

Die Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen) für den benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel (BPLS) beträgt ca. 64 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr (in den USA).
Die Inzidenz für die Neuritis vestibularis (vestibulärer Schwindel) beträgt ca. 3,5 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr (in Deutschland).
Die Inzidenz für Morbus
Menière beträgt ca. 1 Erkrankung pro 1.000 Einwohner pro Jahr (in den Industrieländern). 

Verlauf und Prognose: Schwindelanfälle kommen meist unerwartet und können mit Nausea (Übelkeit) und Emesis (Erbrechen) einhergehen. Die Betroffenen fühlen sich meist hilflos.
Die Prognose ist abhängig von der Art und Schwere der zugrunde liegenden Erkrankung. Allerdings braucht es meist einige Zeit, die Grunderkrankung zu diagnostizieren. Z. B. weist ein Dauerschwindel meist auf seelische Auslöser hin.

Literatur

  1. Neuhauser HK, Radtke A, von Brevern M et al.: Migrainous vertigo: prevalence and impact on quality of life. Neurology 2006;67:1028-33 doi: https://doi.org/10.1212/01.wnl.0000237539.09942.06 FULL PDF

     
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