Spinale Muskelatrophie – Medikamentöse Therapie

Therapieziele

  • Linderung von Symptomatik und Beschwerden
  • Verlangsamung der Progredienz
  • Heilung

Therapieempfehlungen

  • Bei molekulargenetischer gesicherter Diagnose 5q-SMA erfolgt zuerst gemäß Gendiagnostikgesetz eine genetische Beratung der Eltern/des Patienten.
    Beachte: Für die Eltern eines SMA-Patienten besteht in jeder weiteren Schwangerschaft eine bis zu 25%ige Wiederholungswahrscheinlichkeit für ein weiteres, in ähnlicher Weise betroffenes Kind.
  • Nusinersen (Spinraza®; Arzneistoff aus der Klasse der Antisense-Oligonukleotide; seit Juli 2017 in Deutschland verfügbar) [1]: Hierbei handelt es sich um ein einzelsträngige Nukleinsäure, welches an das komplementäre Intron (non-codierende Region eines prä-RNA-Transkripts) 7 der SMN2-prä-mRNA (der Prozessierung unterliegende mRNA) bindet und somit das Entfernen des Exon 7 durch das Spliceosom (Struktur im eukaryotischen Zellkern, die bei der Genexpression mitwirkt) verhindert. Resultat ist eine Hochregulation (d. h. vermehrte Synthese) des SMN2-Proteins.
    Bei 51 % der Kinder bis zum Alter von 12 Jahren können dadurch motorische Meilensteine erzielt werden. Die Einnahme erfolgt intrathekal* mittels Lumbalpunktion, damit ein Überwinden der Blut-Hirn-Schranke und somit Eintritt in die Motoneuronen möglich ist. Die Behandlung ist für alle Altersstufen und alle Typen der SMA zugelassen.
    *Injektion in den liquor-gefüllten Raum zwischen Arachnoidea (Spinnwebenhaut) und Pia mater (harte Hirnhaut), den Subarachnoidalraum.
  • Onasemnogen-Abeparvovec (Zolgensma®Gentherapie; nur in den USA, seit Mai 2019, zugelassen) [2]; seit Juli 2020 in Europa bedingte Zulassung: Hierbei kommt es mithilfe eines Vektors (ein von einem Adenovirus extrahiertes Plasmid (ringförmiges DNA-Molekül)) zur Einschleusung eines intakten SMN1-Gen in den Zellkern der alpha-Motoneuronen. Die eigentliche Virus-DNA wurde dabei so modifiziert, dass es weder zur Replikation noch zur Transkription (Synthese von RNA anhand einer DNA als Vorlage) der Virusgene kommt. Dieses Ersatz-Gen verbleibt lange in einen stabilen Zustand. Es kommt zur Hochregulation des SMN1-Protein.
    Bei Kindern, welche 2 Jahre oder jünger sind, überwindet Zolgensma nach intravenöser Verabreichung die Blut-Hirn-Schranke und erreicht letztlich die alpha-Motoneurone des Rückenmarks sowie des Hirnstamms. Es eignet sich damit primär für die Behandlung der Typ 1 SMA. Nach der Therapie wird bei mehr als 90 % der Betroffenen selbständiges Sitzen und Gehen sowie ein normale Sprachentwicklung beobachtet.
  • Siehe unter "Weitere Therapie"

Wirkstoffe

  • Wirkweise von Nusinersen (Spinraza®Arzneistoff aus der Klasse der Antisense-Oligonukleotide, ASO): Veränderung, wie die prä-mRNAs von SMN2 gespleißt wird → Bildung von vollständigen und funktionsfähigen SMN-Protein in größeren Mengen
  • Dosierung: 4 Gaben innerhalb von 2 Monaten (= Aufsättigungsphase), jeweils intrathekal mittels Lumbalpunktion; Erhaltungsphase: erneute Verabreichung alle 4 Monate
  • Nebenwirkungen: Gerinnungsstörungen, Thrombozytopenien (Mangel an Thrombozyten/Blutplättchen im Blut) sowie Leber- und Nierenfunktionsstörungen
  • Wirkweise von Onasemnogen-Abeparvovec (Zolgensma®): Genersatztherapie (Beschreibung s. o.); Einschleusung eines intakten SMN1-Gen mittels eines Adeno-assoziierten Virusvektors in die α-Motoneurone. Die α-Motoneurone innervieren die Muskelzellen, die für die Ausführung der Bewegung verantwortlich sind.
  • Indikation: Behandlung von an spi­naler Muskelatrophie (SMA) erkrankte Babys und Kinder mit einem Gewicht von bis zu 21 Kilogramm
  • Nebenwirkungen: akute Leberschädigung bzw. transiente (vorübergehende) Erhöhung der Transaminasen (spezielle Leberwerte)
  • Im Zusammenhang mit Onasemnogen-Abeparvovec
    • wurde eine thrombotische Mikroangiopathie (TMA) berichtet. Diese akute und lebensbedrohliche Erkrankung ist gekennzeichnet durch Thrombozytopenie (Verminderung der Zahl der Blutplättchen (Thrombozyten) auf < 150.000/µl im Blut), hämolytische Anämie (Blutarmut (Anämie), die durch einen erhöhten bzw. vorzeitigen Zerfall von Erythrozyten (Hämolyse) bedingt ist) und akute Nierenschädigung [4].
    • wurden tödliche Fälle von akutem Leberversagen bei Patienten mit SMA im Alter von 4 bis 28 Monaten berichtet [5].

Weitere Therapiealternative

  • Risdiplam (Evrysdi®): Hierbei handelt es sich um einzelsträngiges Oligonukleotid, mit gleicher Wirkung wie Nusinersen. Es ist jedoch dazu in der Lage, die Blut-Hirn-Schrinke zu überwinden, wodurch eine orale Aufnahme ermöglicht wird. Über einen sich 12 Monate erstreckende Behandlungszeitraum konnte eine Verdopplung des SMN2-Protein-Serumgehalts beobachtet werden.
    Phase-III-Studie SUNFISH Part 2: 180 Kinder und junge Erwachsene (zwei bis 25 Jahre) mit SMA Typ 2 und Typ 3 über zwölf Monate erhielten entweder Risdiplam (1 x täglich oral) oder Placebo. Dieses führte zu einer Steigerung der motorischen Fähigkeiten [Teil 1: 3]
    Indikation: Behandlung der spinalen Muskelatrophie von erwachsenen Kindern im Alter von mindestens 2 Monaten.
    Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat im Jahr 2020 damit erstmals ein orales Medi­ka­ment zur Behandlung der spinalen Muskelatrophie zugelassen. Die europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat inzwischen ebenfalls grünes Licht für die Zulassung des Wirkstoff Risdiplam gegeben.

Literatur

  1. Neurol J et al.: Treatment expectations and patient-reported outcomes of nusinersen therapy in adult spinal muscular atrophy. J Neurol. 2020 May 2. doi: 10.1007/s00415-020-09847-8.
  2. Ziegler E et al.: [Recommendations for gene therapy of spinal muscular atrophy with onasemnogene abeparvovec-AVXS-101 : Consensus paper of the German representatives of the Society for Pediatric Neurology (GNP) and the German treatment centers with collaboration of the medical scientific advisory board of the German Society for Muscular Diseases (DGM)]. 2020 May 11. doi: 10.1007/s00115-020-00919-8
  3. Ratni H et al.: Discovery of Risdiplam, a Selective Survival of Motor Neuron-2 ( SMN2) Gene Splicing Modifier for the Treatment of Spinal Muscular Atrophy (SMA) J Med Chem. 2018 Aug 9;61(15):6501-6517. doi: 10.1021/acs.jmedchem.8b00741.
  4. Rote-Hand-Brief zu Zolgensma® (Onasemnogen-Abeparvovec): Risiko einer thrombotischen Mikroangiopathie AkdÄ Drug Safety Mail | 2021-17
  5. Rote-Hand-Brief zu Zolgensma® (Onasemnogen-Abeparvovec): Tödliche Fälle von akutem Leberversagen AkdÄ Drug Safety Mail | 2023-07

Leitlinien

  1. S1-Leitlinie: Spinale Muskelatrophie (SMA), Diagnostik und Therapie. (AWMF-Registernummer: 022 - 030), Februar 2020 Langfassung