Leichte kognitive Beeinträchtigung – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Physische Ursachen der leichten kognitiven Beeinträchtigung (LKB) liegen in der Schädigung von Hirnstrukturen, die für die Kognition erforderlich sind. Neben normalen Alterungsprozessen ("Kontinuitätshypothese") können spezifische Erkrankungen ("Spezifitätshypothese") Ursache dessen sein.
Nachfolgend die Auflistung der bekannten Risikofaktoren.

Zwischen einer Beta-Amyloid-Belastung und der Funktion des episodischen Gedächtnisses bestand eine Dosis-Wirkungs-Beziehung: Mit Abnahme der Gedächtnisleistung wuchs die Amyloidlast. Dieser Sachverhalt war in der Altersgruppe der 30- bis 49-Jährigen stärker und bei den 50- bis 69-Jährigen schwächer ausgeprägt [9].

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Blutgruppe – Blutgruppe AB (1,82-fach erhöhtes Risiko) [14]
  • Lebensalter zunehmendes Alter (> 60 Jahre)
  • Hormonelle Faktoren – Prämature Menopause (vorzeitige Menopause; Klimakterium praecox) [1] – vorzeitige Ovarialinsuffizienz (POF, Premature Ovarian Failure): Eine Frau kann vorzeitig in die Menopause kommen, wenn die Eizellreserven vorzeitig aufgebraucht werden.
    Das durchschnittliche Lebensalter für den Eintritt in die Menopause (Wechseljahre) liegt derzeit bei circa 51 Jahren. Wenn jedoch die Eizellreserven (wegen Follikelatresie) vorzeitig aufgebraucht sind, bleibt die Ovulation aus und die Menstruationen können ebenfalls vorzeitig aufhören. Falls dieses bei Frauen unter 40 Jahren geschieht, spricht man von einer prämaturen Menopause. Diese kommt bei 1-4 % der Frauen vor. 

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung – s. u. unter Ursachen/Vitaminmangel
  • Genussmittelkonsum
    • Alkohol (Frau: > 20 g/Tag; Mann: > 30 g/Tag) → dosisabhängige abnehmende Dichte der grauen Substanz vor allem im Hippocampus und in Teilen der Amygdala [11]
    • Tabak (Rauchen)
  • Drogenkonsum
    • Cannabis (Haschisch und Marihuana) [5]
  • Psycho-soziale Situation
    • Stress
  • Fernsehkonsum (> 50. Lebensjahr und > 3,5 Stunden Fernsehkonsum) → TV-bedingte Demenz (= Abbau des verbalen Gedächtnisses) [15]

Krankheitsbedingte Ursachen

Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)

  • Chronische Eisenmangelanämie und Eisenmangel ohne Anämie (Blutarmut) bei Kleinkindern → Kognitionsdefizite
  • Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit)
  • Latente Hyperthyreose bzw. latente Hypothyreose – subklinische Schilddrüsenüber-/-unterfunktion
  • Testosteronmangel

Herzkreislaufsystem (I00-I99)

  • Arterielle Hypertonie (Bluthochdruck) [vaskuläre Schäden]; Hypertonie im mittleren Lebensalter (45-65 Lebensjahr) beschleunigt den geistigen Abbau (Abnahme der kognitiven Leistung); stärkster geistiger Abbau bei unbehandelter Hypertonie [3]
  • Koronare Herzkrankheit (KHK; Herzkranzgefäßerkrankung) in Kombination mit Hypertonie und Diabetes mellitus [8]

Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)

  • Chronische Meningitis − Hirnhautentzündung, die von vielen verschiedenen Erregern ausgelöst werden kann; dazu zählen Borrelien, Treponema pallidum (Syphilis) oder das HI-Virus

Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)

  • Alkoholabusus
  • Chemobrain – kognitive Einschränkungen, verlangsamtes Denken, Unfähigkeit mehrere Dinge gleichzeitig zu tun (Multitasking), Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit (75 % bei Nicht-ZNS-Tumoren und mit 90 % bei Hirntumoren während der Therapie)
  • Depression
  • Nikotinabhängigkeit
  • Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) – im Langzeitverlauf häufiger Einschränkungen der kognitiven Funktion [7]

Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sind (R00-R99)

  • Gewichtsverlust im Alter – Menschen über 70 Jahren, die Gewicht verlieren, könnten ein erhöhtes Risiko für kognitive Einschränkungen haben (= Risikofaktor für Demenz) [6]

Urogenitalsystem (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)

  • Chronische Niereninsuffizienz (Nierenschwäche)

Verletzungen, Vergiftungen und andere Folgen äußerer Ursachen (S00-T98)

  • Gewalteinwirkung auf den Schädel, nicht näher bezeichnet (z. B. Hirnkontusion (Hirnprellung))

Labordiagnosen – Laborparameter, die als unabhängige Risikofaktoren gelten

  • Albuminurie [10]
  • Glomeruläre Filtrationsrate (GFR) ↓
  • Hyperhomocysteinämie – erhöhte Konzentration der Aminosäure Homocystein im Blut
  • Hyperlipidämie – Fettstoffwechselstörung, die mit einer Erhöhung von Cholesterin und Triglyceriden und den dazugehörigen Lipoproteinen im Blut einhergeht
  • Vitaminmangel:
    • Cholecalciferol (Vitamin D)
    • Cobalamin (Vitamin B12)
    • Folsäure
    • Nicotinsäure/Niacin (Vitamin B3)
    • Pyridoxin (Vitamin B6)
    • Thiamin (Vitamin B1)

Medikamente

  • ACE-Hemmstoffe
  • Antiarrhythmika
  • Antibiotika
    • ß-Lactam-Antibiotika
    • Fluorchinolone
    • Penicillin in hohen Dosen
  • Alphablocker
  • Anticholinergika 
  • Antidepressiva
    • Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI)
    • Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)
    • Trizyklische Antidepressiva
  • Antidiabetika, orale – die Hypoglykämien auslösen
  • Antiepileptika, u. a. auch Phenytoin
  • Antihypertonika 
    • Senioren, die im Alter > 85 Jahre noch Antihypertensiva einnahmen, hatten häufiger kognitive Einschränkungen und ein erhöhtes Mortalitätsrisiko; ein niedriger systolischer Blutdruck war auch mit einem beschleunigten kognitiven Abbau assoziiert [13].
  • Antikonvulsiva 
  • Antivertiginosa
  • Benzodiazepine – betrifft die Einnahme anxiolytischer Benzodiazepine (Alprazolam, Bromazepam, Chlordiazepoxid, Clonazepam, Diazepam, Lorazepam, Oxazepam) [16]
  • Betablocker
  • Calciumantagonisten
  • Digoxin 
  • Diuretika
  • Glucocorticoide
  • MAO-Hemmer
  • Neuroleptika (D2-Antagonisten und Serotonin-Dopamin-Antagonisten)
  • Nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAR)
  • Nitrate und andere Vasodilatatanzien
  • Lidocain
  • Opiate/Opioid-Analgetika
  • Parkinsonmittel, z. B. Bromocriptin, Amantadin
  • Psychopharmaka
  • Sedativa; dazu zählt vor allem Diazepam
  • Sedierende H1-Antihistaminika
  • Statine (Statine (Simvastatin, Atorvastatin; beide Wirkstoffe sind lipophil und überwinden die Blut-Hirn-Schranke): In einer Studie hatten Ärzte bei 3,03 % der Statin-Anwender im Verlauf der Therapie unterschiedliche Störungen des Gedächtnisses (von vereinzelten Gedächtnislücken bis zu einer retrograden Amnesie) angegeben. Bei 2,31 % der Nichtanwender von Statinen traten diese Störungen ebenfalls auf. Die adjustierte Odds Ratio betrug 1,23, die bei einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 1,18 bis 1,28 signifikant war. Dieses weist auf einen leichten Anstieg von Gedächtnisstörungen hin. Deutlicher war die Assoziation in den ersten 30 Tagen der Therapie (0,08 % der Statin-Anwender gegenüber 0,02 % der Nicht-Anwender) [4].
  • Theophyllin

Operationen

  • Postoperative kognitive Dysfunktion (POCD) (protektive Assoziation längerer Bildungsdauer und POCD-Risiko)

Umweltbelastungen – Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Hochfrequente elektromagnetische Felder (z. B. Mobilfunktelefone; Smartphones, Handys) – kumulative Hirn-HF-EMF-Exposition durch Mobiltelefone kann sich negativ auf die Entwicklung der figuralen Gedächtnisleistung bei Jugendlichen auswirken [12]
  • Lösungsmittel-Enzephalopathie (Veränderungen des Gehirns durch Kontakt zu Lösungsmitteln) [2]:
    • Benzol (z. B. enthalten in: Motorenbenzin)
    • Chlorkohlenwasserstoffe (z. B. enthalten in: Lösungen zur Trockenreinigung, Reinigungsmitteln für Motoren sowie in Farb- und Fettentfernern)
    • Lösungsmittel auf Petroleumbasis (z. B. enthalten in: Möbelpflegemitteln und Teppichklebern sowie Farben und Lacken)
  • Medikamenten-induzierte Hyponatriämie (Natriummangel) etwa durch Diuretika (wassertreibende Mittel, welche die Bildung und Ausscheidung von Harn fördern), Antiepileptika oder gelegentlich durch ACE-Hemmer – dieses kann zu einer sekundären Demenz führen
  • Perchloräthylen
  • Quecksilber
  • Schwermetallvergiftung (Arsen, Blei, Quecksilber, Thallium)

Literatur

  1. Ryan J et al.: Impact of a premature menopause on cognitive function in later life. 7 MAY 2014 DOI: 10.1111/1471-0528.12828
  2. Sabbath EL et al.: Time may not fully attenuate solvent-associated cognitive deficits in highly exposed workers. doi: 10.1212/WNL.0000000000000413 Neurology May 13, 2014 vol. 82 no. 19 1716-1723
  3. Gottesman RF et al.: Midlife Hypertension and 20-Year Cognitive Change: The Atherosclerosis Risk in Communities Neurocognitive Study. JAMA Neurol, online 4 August 2014; doi:10.1001/jamaneurol.2014.1646
  4. Strom BL et al.: Statin Therapy and Risk of Acute Memory Impairment. JAMA Intern Med. Published online June 08, 2015. doi:10.1001/jamainternmed.2015.2092
  5. Auer R et al.: Association Between Lifetime Marijuana Use and Cognitive Function in Middle Age The Coronary Artery Risk Development in Young Adults (CARDIA) Study. JAMA Intern Med. Published online February 01, 2016. doi:10.1001/jamainternmed.2015.7841
  6. Alhurani RE et al.: Decline in Weight and Incident Mild Cognitive. Impairment Mayo Clinic Study of Aging. JAMA Neurol. Published online February 01, 2016. doi:10.1001/jamaneurol.2015.4756
  7. Clouston SAP et al.: Cognitive impairment among World Trade Center responders: Long-term implications of re-experiencing the 9/11 terrorist attacks. doi: http://dx.doi.org/10.1016/j.dadm.2016.08.001
  8. Lyall DM et al.: Associations between single and multiple cardiometabolic diseases and cognitive abilities in 474,129 UK Biobank participants. Eur Heart J, First published online: 15 November 2016, doi: http://dx.doi.org/10.1093/eurheartj/ehw528 ehw528
  9. Bischof GN et al.: Amyloid deposition in younger adults is linked to episodic memory performance. Neurology 2016, online 11. November; doi: 10.1212/WNL.0000000000003425
  10. Deckers K et al.: Dementia risk in renal dysfunction. Neurology 10.1212/WNL.0000000000003482 doi: http://dx.doi.org/10.1212/​WNL.0000000000003482 published online before print December 14, 2016
  11. Topiwala A et al.: Moderate alcohol consumption as risk factor for adverse brain outcomes and cognitive decline: longitudinal cohort study. BMJ 2017;357:j2353 doi: https://doi.org/10.1136/bmj.j2353
  12. Schoeni A et al.: Memory performance, wireless communication and exposure to radiofrequency electromagnetic fields: A prospective cohort study in adolescents. Environ Int. 2015 Dec;85:343-51. doi: 10.1016/j.envint.2015.09.025. Epub 2015 Oct 30.
  13. Streit S et al.: Lower blood pressure during antihypertensive treatment is associated with higher all-cause mortality and accelerated cognitive decline in the oldest-old. Data from the Leiden 85-plus Study. Age and Ageing, Volume 47, Issue 4, 1 July 2018, Pages 545-550, https://doi.org/10.1093/ageing/afy072
  14. Alexander KS et al.: ABO Blood Type, Factor VIII, and Incident Cognitive Impairment in the REGARDS Cohort. eurology . 2014 Sep 30;83(14):1271-6. doi: 10.1212/WNL.0000000000000844. Epub 2014 Sep 10.
  15. Fancourt D, Steptoe A: Television viewing and cognitive decline in older age: findings from the English Longitudinal Study of Ageing Scientific Reports volume 9, Article number: 2851 (2019)
  16. vom Hofe I: Benzodiazepine use in relation to long-term dementia risk and imaging markers of neurodegeneration: a population-based cohort study. Alzheimer's Association International Conference® (AAIC) 2023, 16.-20.07.2023, Amsterdam, Niederlande