Bewusstseinsstörungen (Somnolenz, Sopor und Koma) – Einleitung

Bewusstseinsstörungen bezeichnen Veränderungen im gewöhnlichen Alltags- oder Normalbewusstsein.

Synonyme und ICD-10: Benommenheit; Bewusstlosigkeit; Bewusstseinstrübung; Coma; Coma cardiale; Coma cerebrale; Coma hypercapnicum; Coma prolonge; Irritations-Syndrom des Mesodienzephalon; Koma; Komaartige Störung; komaartiger Zustand; Komatöser Zustand; Präkoma; Schläfrigkeit; Somnolenz; Sopor; Stupor; Zerebrales Koma; ICD-10-GM R40.-: Somnolenz, Sopor und Koma

Formen der Bewusstseinsstörungen

Man kann quantitative von qualitativen Bewusstseinsstörungen unterscheiden.

Quantitative Bewusstseinsstörungen:

  • Somnolenz (ICD-10-GM R40.0) – bezeichnet die Benommenheit mit einer abnormen Schläfrigkeit; sie kennzeichnet die leichteste Form der Verminderung des Bewusstseins.
    In einigen Texten wird die Benommenheit mit verlangsamten Denken/Handeln als eigenständige Bewusstseinsstörung gesehen.
  • Sopor (Präkoma; ICD-10-GM R40.1) – bezeichnet die schwere Bewusstseinseintrübung
  • Koma (ICD-10-GM R40.2: Koma, nicht näher bezeichnet) – bezeichnet die schwere tiefe Bewusstlosigkeit, die durch das Fehlen von Reaktionen auf Ansprache gekennzeichnet ist.

Bei quantitativen Bewusstseinsstörungen unterscheidet man zwischen einer verminderten Bewusstseinslage (Somnolenz, Sopor, Koma) und einer gesteigerten Bewusstseinslage (Bewusstseinshelligkeit).

Qualitative Bewusstseinsstörungen

Diese betreffen die Inhalte des Bewusstseins und sind durch gestörte psychische Abläufe gekennzeichnet. Zu den häufigsten Formen zählen:

  • Wahnvorstellungen: Falsche, anhaltende Überzeugungen, die nicht durch Vernunft oder widersprüchliche Beweise beeinflusst werden können.
  • Halluzinationen: Wahrnehmungen von Dingen, die nicht existieren, z. B. Stimmen hören oder Bilder sehen.
  • Bewusstseinseinengung: Eingeschränktes Bewusstsein, bei dem die Aufmerksamkeit auf wenige Inhalte fixiert ist, während andere Aspekte der Umgebung ausgeblendet werden.

Ursachen von Bewusstseinsstörungen

Bewusstseinsstörungen können viele verschiedene physische oder psychische Ursachen haben, darunter:

  • Physische Ursachen
    • Schädel-Hirn-Trauma (SHT)
    • Hirnblutungen
    • Infektionen des Gehirns (z. B. Meningitis, Enzephalitis)
    • Stoffwechselstörungen (z. B. Hypoglykämie, Leberversagen)
    • Intoxikationen (z. B. Drogen, Alkohol)
    • Herz-Kreislauf-Erkrankungen (z. B. Herzinfarkt, Schlaganfall)
  • Psychische Ursachen
    • Schwere Depressionen
    • Schizophrenie
    • Angststörungen

Eine sorgfältige Diagnostik ist notwendig, um die genaue Ursache der Bewusstseinsstörung zu identifizieren und eine geeignete Therapie einzuleiten.

Von einem Koma unklarer Genese/Herkunft (engl. „coma of unknown etiology“ (CUE)) spricht man, wenn eine Vigilanzminderung (tiefe Somnolenz, Sopor oder Koma) vorliegt, die nicht primär auf ein Trauma oder eine kardiale Ursache zurückzuführen ist.

Bewusstseinsstörungen können Symptom vieler Erkrankungen sein (siehe unter "Differentialdiagnosen").

Epidemiologie

Die Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) einer quantitativen Bewusstseinsstörung beträgt bei Notaufnahmepatienten 5 bis 9 %; bis zu 2 % aller Patienten sind bei der Ankunft komatös, bei erhaltener Herz-Kreislauffunktion [1, 2].

Verlauf und Prognose

Der Verlauf und die Prognose von Bewusstseinsstörungen hängen maßgeblich von der zugrunde liegenden Ursache und deren adäquater und rechtzeitiger Behandlung ab.

Quantitative Bewusstseinsstörungen

  • Somnolenz
    • Verlauf: Diese leichteste Form der quantitativen Bewusstseinsstörung ist oft vorübergehend und kann durch Ursachen wie Schlafmangel, medikamentöse Nebenwirkungen oder leichte Infektionen ausgelöst werden.
    • Prognose: Bei Behandlung der Ursache normalisiert sich der Bewusstseinszustand in der Regel schnell. Unbehandelt kann die Somnolenz jedoch zu schwereren Bewusstseinsstörungen fortschreiten.
  • Sopor
    • Verlauf: Beim Sopor handelt es sich um eine schwere Bewusstseinseintrübung, die intensive medizinische Überwachung und Behandlung erfordert. Infektionen, metabolische Störungen oder toxische Einflüsse sind häufige Auslöser.
    • Prognose: Wird die Ursache rechtzeitig identifiziert und behandelt, kann sich der Zustand verbessern. Ohne adäquate Behandlung kann der Sopor in ein Koma übergehen.
  • Koma
    • Verlauf: Das Koma ist die schwerste Form der quantitativen Bewusstseinsstörung. Ein Koma kann durch zahlreiche Faktoren wie schwere Kopfverletzungen, Schlaganfälle, Intoxikationen, Infektionen oder metabolische Störungen verursacht werden.
    • Prognose: Die Überlebensrate und das Ausmaß der langfristigen neurologischen Schäden hängen von der Ursache des Komas, der Schnelligkeit der medizinischen Intervention und der allgemeinen Gesundheit des Patienten ab. Patienten, die aus einem Koma erwachen, können unterschiedlich schwere neurologische Defizite aufweisen, abhängig von der Dauer und Tiefe des Komas sowie der zugrunde liegenden Ursache. In einigen Fällen kann eine vollständige Erholung möglich sein, in anderen Fällen bleiben dauerhafte Beeinträchtigungen bestehen. Die Mortalität (Sterberate) ist höher als für Polytrauma, Myokardinfarkt (Herzinfarkt) oder Apoplex (Schlaganfall) und liegt in verschiedenen Studien bei 25-50 % [3].

Qualitative Bewusstseinsstörungen

  • Verlauf: Die qualitativen Bewusstseinsstörungen wie Wahnvorstellungen oder Halluzinationen sind durch gestörte psychische Abläufe gekennzeichnet und treten häufig im Rahmen psychiatrischer Erkrankungen, neurologischer Störungen oder durch toxische Einflüsse auf.
  • Prognose: Die Prognose ist stark abhängig von der zugrunde liegenden Ursache. Eine frühzeitige Diagnose und adäquate Behandlung können die Symptome in vielen Fällen deutlich lindern oder sogar beseitigen. Dauerhafte Beeinträchtigungen sind möglich, besonders wenn die zugrunde liegende Ursache schwerwiegend oder chronisch ist.

Beachte: Bei Bewusstseinsstörungen liegt häufig eine Kombination mehrerer Ursachen vor. Eine umfassende diagnostische Abklärung ist daher essenziell, um die zugrunde liegenden Probleme zu identifizieren und zielgerichtet zu behandeln. 
Bei mehr als 30 % der Patienten liegen mehrere, die Bewusstseinsstörung erklärende Erkrankungen vor [4].

Komorbiditäten

Bewusstseinsstörungen können in Verbindung mit anderen schwerwiegenden Begleiterkrankungen wie Polytrauma, Myokardinfarkt oder Schlaganfall auftreten, was die Prognose weiter verschlechtert.

Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Neurologen, Intensivmedizinern und weiteren Fachrichtungen ist oft erforderlich, um die bestmögliche Versorgung der Patienten sicherzustellen.

Literatur

  1. Kanich W, Brady WJ, Huff JS, Perron AD, Holstege C, Lindbeck G, Carter CT: Altered mental status: evaluation and etiology in the ED. Am J Emerg Med 2002;20:613-617 doi: 10.1053/ajem.2002.35464.
  2. Royl G, Ploner CJ, Mockel M, Leithner C: Neurological chief complaints in an emergency room. Nervenarzt 2010;81:1226-1230
  3. Horsting MW, Franken MD, Meulenbelt J, van Klei WA, de Lange DW: The etiology and outcome of non-traumatic coma in critical care: a systematic review. BMC Anesthesiol 2015;15:65 doi: 10.1186/s12871-015-0041-9.
  4. Schmidt WU, Ploner CJ, Lutz M, Möckel T, Lindner T, Braun M: Causes of brain dysfunction in acute coma: a cohort study of 1027 patients in the emergency department. Scand J Trauma Resusc Emerg Med 2019;27:101

Leitlinien

  1. S1-Leitlinie: Akute Bewusstseinsstörung jenseits der Neugeborenenperiode. (AWMF-Registernummer: 022 - 016), Dezember 2020 Langfassung