Libidostörungen der Frau – Einleitung

Libidostörungen bezeichnen Störungen des Geschlechtstriebes, wobei es sich meistens um einen Libidomangel bzw. eine sexuelle Lustlosigkeit handelt. Ein vermindertes sexuelles Verlangen muss nicht zwangsläufig pathologisch sein und kann in bestimmten Lebensphasen, wie nach der Geburt eines Kindes oder bei körperlichen Erkrankungen und den damit verbundenen Behandlungen, häufiger auftreten. Klinisch bedeutsam ist ein Mangel bzw. Verlust von sexuellem Verlangen, wenn dieser mit einer subjektiven Beeinträchtigung oder einem Leidensdruck einhergeht.

Synonyme und ICD-10

  • Synonyme: Appetenzstörung; Hypoactive Sexual Desire Disorder (HSDD); Libido disorder; Libidostörung – Frau; Sexuelle Appetenzstörung
  • ICD-10-GM: F52.0: Mangel oder Verlust von sexuellem Verlangen; F52.2: mangelnde oder fehlende vaginale Lubrikation

Klassifikation

Im Gegensatz zum ICD-10-GM werden im DSM-5 geschlechtsspezifische Diagnosen eingeführt, welche den Besonderheiten der weiblichen Sexualität eher Rechnung tragen.

Ätiologie und Pathogenese der Libidostörungen bei Frauen

Libidostörungen bei Frauen können durch eine Vielzahl von organischen und psychischen Faktoren verursacht werden. Hier sind die spezifischen

1. Organische Ursachen

Hormonelle Störungen

  • Östrogenmangel: Besonders häufig in den Wechseljahren, nach einer Oophorektomie (Entfernung der Eierstöcke) oder bei Stillen. Östrogenmangel kann zu vaginaler Trockenheit und Dyspareunie (Schmerzen beim Geschlechtsverkehr) führen, was das sexuelle Verlangen vermindert.
  • Testosteronmangel: Obwohl Testosteron bei Frauen in geringeren Mengen vorhanden ist, spielt es eine wichtige Rolle für das sexuelle Verlangen. Ein Mangel kann zu einer verminderten Libido führen.
  • Schilddrüsenfunktionsstörungen: Sowohl Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) als auch Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion) können das sexuelle Verlangen beeinflussen.

Neurologische Erkrankungen

  • Multiple Sklerose (MS): Kann Nervenbahnen betreffen, die für sexuelle Funktionen wichtig sind.
  • Parkinson-Krankheit: Beeinträchtigt die motorischen Fähigkeiten und kann auch die Libido reduzieren.

Kardiovaskuläre Erkrankungen

  • Atherosklerose (Arteriosklerose, Arterienverkalkung): Kann die Blutversorgung der Genitalien beeinträchtigen.
  • Herzinsuffizienz (Herzschwäche): Reduziert die körperliche Leistungsfähigkeit und das sexuelle Verlangen.

Diabetes mellitus

  • Mikrovaskuläre Komplikationen und Neuropathien (Erkrankungen der peripheren Nerven): Können die Nerven und Blutgefäße beeinträchtigen, die für die sexuelle Funktion wichtig sind.

Chronische Nierenerkrankungen

  • Auswirkungen auf den Hormonhaushalt und die allgemeine körperliche Verfassung: Können zu einer verminderten Libido führen.

Psychische Ursachen

  • Depressionen: Vermindertes sexuelles Verlangen als Symptom einer Depression: Häufiges Begleitsymptom bei depressiven Störungen.
  • Angststörungen: Leistungsdruck und Versagensängste: Können die Libido erheblich mindern.
  • Partnerschaftskonflikte: Kommunikationsprobleme und emotionale Distanz: Beeinträchtigen das sexuelle Verlangen.
  • Stress: Beruflicher oder familiärer Stress: Kann die sexuelle Lust verringern.

2. Medikamenten-Nebenwirkungen

  • Antidepressiva (z. B. SSRIs): Können die sexuelle Lust reduzieren.
  • Antihypertensiva: Einige blutdrucksenkende Medikamente können die Libido beeinflussen.

3. Weitere Ursachen

  • Lebensstil: Alkohol- und Drogenmissbrauch: Haben negative Auswirkungen auf die Libido.
  • Traumatische Erlebnisse: Sexueller Missbrauch: Kann zu einer anhaltenden Abneigung gegen sexuelle Aktivitäten führen.
  • Kulturelle und religiöse Faktoren: Unterdrückung sexueller Wünsche aufgrund kultureller oder religiöser Überzeugungen: Kann zu Libidostörungen führen.

Formen der Libidostörungen bei Frauen

Libidostörungen bei Frauen können sich in verschiedenen Formen manifestieren:

  • Libidomangel (Hypoactive Sexual Desire Disorder, HSDD): Vermindertes sexuelles Verlangen über einen längeren Zeitraum.
  • Libidosteigerung (Hypersexualität): Gesteigerte Libido, häufig im Zusammenhang mit Paraphilien wie Exhibitionismus oder Fetischismus.
  • Situative Libidostörungen: Sexuelle Lustlosigkeit, die nur in bestimmten Situationen oder mit bestimmten Partnern auftritt.

Die Ursachen und Mechanismen von Libidostörungen bei Frauen sind komplex und multifaktoriell. Eine genaue Diagnostik und individuell angepasste Therapieansätze sind entscheidend für die Behandlung und Verbesserung der Lebensqualität betroffener Frauen.

Neben dem Libidomangel gibt es noch eine gesteigerte Libido, die meist bei der Paraphilie (von der Norm abweichende Sexualität) vorkommt. Dazu zählt vor allem der Exhibitionismus und der Fetischismus.

Epidemiologie

Die Hypoactive Sexual Desire Disorder (HSDD) ist die häufigste sexuelle Störung der Frau.

Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) einer reduzierten Libido bei prämenopausalen Frauen im Alter von 20 bis 49 Jahren wird auf 22-43 % geschätzt [1, 2].

Man geht davon aus, dass bei ca. 10 % der Frauen eine Libidostörung mit Leidensdruck vorliegt.

Verlauf und Prognose

Verlauf

  • Bei organischen Ursachen: Die Libido kann sich nach erfolgreicher Behandlung der Grunderkrankung oder Anpassung der Medikation wieder normalisieren.
  • Bei psychischen Ursachen: Diese erfordern oft eine längerfristige Therapie. Die Prognose variiert je nach Schweregrad und Therapieansprechen.
  • Bei situativen Störungen: Diese können durch Paartherapie und Kommunikationstraining oft gut behandelt werden.

Prognose

  • Gute Prognose: Bei hormonellen Störungen, die gut auf eine Hormontherapie ansprechen, und bei medikamentös bedingten Libidostörungen nach Anpassung der Medikation.
  • Variable Prognose: Bei psychischen Ursachen, abhängig von der Therapie und der individuellen Situation der Patientin.
  • Schwierigere Prognose: Bei schweren psychischen Erkrankungen oder bei langjährigem Substanzmissbrauch.

Literatur

  1. Shifren JL et al.: Sexual problems and distress in United States women: prevalence and correlates. Obstet Gynecol 2008 Nov;112(5):970-8. doi: 10.1097/AOG.0b013e3181898cdb.
  2. Leiblum SR et al.: Hypoactive sexual desire disorder in postmenopausal women: US results from the Women’s International Study of Health and Sexuality (WISHeS). Menopause 2006 Jan-Feb;13(1):46-56.