Kurzsichtigkeit (Myopie) – Prävention
Zur Prävention der Myopie (Kurzsichtigkeit) muss auf eine Reduktion individueller Risikofaktoren geachtet werden.
Verhaltensbedingte Risikofaktoren
- Aufenthalt in Räumen mit wenig Tageslicht – Kinder, die sich überwiegend in Innenräumen aufhalten, haben ein bis zu fünffach erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Myopie [1].
- Wenig Zeit draußen ("outdoor time") und viel Zeit mit Naharbeit ("near-vision time") – Kinder, die weniger Zeit im Freien verbringen und mehr Zeit mit Naharbeiten verbringen, haben ein um das 15,9-fache erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Myopie [1].
- Naharbeit am Smartphone, Computer oder anderen Medien – Längere Zeitspannen mit Naharbeit können die Entwicklung von Kurzsichtigkeit fördern.
- Jede zusätzliche Stunde tägliche digitale Bildschirmzeit war in einer Studie mit einem um 21 Prozent höheren Myopie-Risiko assoziiert [6].
Präventionsfaktoren (Schutzfaktoren)
- Outdoor-Aktivitäten – Emmetrope (normalsichtige) und bereits myope (kurzsichtige) Kinder sollten möglichst viel Zeit unter freiem Himmel verbringen. Tageslicht hat einen positiven Effekt auf die Verzögerung der Myopieentwicklung. Studien zeigen, dass Kinder, die zusätzlich zu den täglichen Schulstunden 40 Minuten im Freien verbrachten, seltener eine Myopie entwickelten [2].
- Erhöhte UVB-Exposition – Eine erhöhte UVB-Exposition im jüngeren Lebensalter hat einen schützenden Effekt gegen Myopie:
- Alter: 14-19 Jahre – 19 % Reduktion des Myopie-Risikos (Odds-Ratio 0,81; 95-Prozent-Konfidenzintervall 0,71-0,92).
- Alter: 20-39 Jahre – 30 % Reduktion des Myopie-Risikos (Odds-Ratio 0,70; 0,62-0,93) [4].
- Myopie-Präventionstrias – Die folgenden Maßnahmen haben sich zur Prävention von Myopie bewährt:
- 2 Stunden Aufenthalt im Freien bei Tageslicht.
- Naharbeit mindestens alle 20 Minuten unterbrechen.
- Naharbeitsabstand mindestens 30 bis 40 cm einhalten.
- Mikronährstoffe
- Vitamin A – Vitamin A ist wichtig für die Sehfunktion. Kinder und Erwachsene mit zu niedrigen Retinolwerten im Blut (< 0,7 µmol/l) haben häufiger eine ausgeprägte Kurzsichtigkeit [7, 8]. Eine ausreichende Zufuhr über Ernährung oder Nahrungsergänzung ist daher sinnvoll.
- Vitamin D – Ein niedriger Vitamin-D-Spiegel im Blut (unter 20 ng/ml) steht in mehreren Studien mit einem erhöhten Risiko für Myopie in Zusammenhang [9-11]. Eine ausreichende Versorgung – zum Beispiel durch Sonne, Fisch oder Supplemente – wird empfohlen.
- Omega-3-Fettsäuren (Eicosapentaensäure (EPA)/Docosahexaensäure (DHA)) – Kinder mit einer Ernährung, die reich an Omega-3-Fettsäuren ist (z. B. aus fettem Fisch), haben ein geringeres Risiko, kurzsichtig zu werden [12, 13]. Empfohlen wird eine Zufuhr von etwa 250-500 mg EPA + DHA pro Tag, was etwa zwei Fischmahlzeiten pro Woche entspricht.
- Anthocyane (z. B. aus Heidelbeeren) – Heidelbeer-Extrakte können das Fortschreiten einer beginnenden Kurzsichtigkeit bremsen. In einer zweijährigen Studie bei Kindern zeigte sich ein langsameres Längenwachstum des Augapfels [14, 15].
- Carotinoide (Lutein und Zeaxanthin) – Diese Pflanzenfarbstoffe unterstützen die Netzhautgesundheit. In einer Studie verbesserte Lutein (20 mg täglich über sechs Monate) die Dichte der schützenden Makulapigmente [16]. Der direkte Einfluss auf die Kurzsichtigkeit ist zwar nicht gesichert, aber wahrscheinlich positiv.
Sekundärprävention
Die Sekundärprävention zielt darauf ab, das Fortschreiten der Myopie zu verhindern.
- Atropin-Augentropfen (0,01 %) – Studien haben gezeigt, dass niedrig dosiertes Atropin das Fortschreiten der Myopie bei Kindern im Alter von sechs bis zwölf Jahren um bis zu 80 % verzögern kann [3].
- Hinweis auf Negativstudie – Eine andere Studie zeigte, dass nächtliche Augentropfen mit niedrig dosiertem Atropin (0,01 %) das Fortschreiten einer sphärischen Myopie bei Kindern im Alter von fünf bis zwölf Jahren nicht aufhalten konnten [5].
- Off-Label-Use – Bei unzureichender Wirkung wird inzwischen häufiger auf 0,025 %-ige Tropfen zurückgegriffen.
- Mikronährstoffbasierte Therapieansätze
- Vitamin A – Bei nachgewiesenem Mangel sollte Vitamin A ergänzt werden, um die normale Funktion der Netzhaut zu sichern [7, 8].
- Vitamin D – Wird ein Mangel festgestellt (unter 20 ng/ml), sollte dieser behoben werden, um die allgemeine Augengesundheit zu unterstützen [9-11].
- Omega-3-Fettsäuren (Eicosapentaensäure (EPA)/Docosahexaensäure (DHA)) – Wenn eine Kurzsichtigkeit bereits besteht, kann eine höhere Zufuhr an Omega-3-Fettsäuren (z. B. 1.000–1.500 mg EPA + DHA pro Tag) helfen, das Fortschreiten zu verlangsamen [12, 13].
- Anthocyane (Heidelbeerextrakt) – In Studien reduzierte die Einnahme von Heidelbeerextrakt (50 mg zweimal täglich) über ein Jahr das Fortschreiten der Myopie [14, 15].
- Carotinoide (Lutein und Zeaxanthin) – Die zusätzliche Einnahme (10-20 mg Lutein täglich) kann die Schutzschicht der Netzhaut stärken und oxidativen Stress verringern [16].
Tertiärprävention
Die Tertiärprävention zielt darauf ab, die Progression der Myopie zu verlangsamen und die Lebensqualität der Betroffenen zu erhalten.
- Langzeitkontrollen – Regelmäßige augenärztliche Untersuchungen zur frühzeitigen Erkennung von Veränderungen der Sehkraft.
- Spezielle Brillengläser und Kontaktlinsen – Orthokeratologische Kontaktlinsen und spezielle Multifokalbrillen können helfen, das Fortschreiten der Myopie zu bremsen.
- Verhaltensmaßnahmen im Alltag – Anpassung von Arbeits- und Lernumgebungen zur Reduktion von Naharbeit.
- Rehabilitation und Sehhilfen – Einsatz von vergrößernden Sehhilfen und gezielte Schulungen zum Umgang mit Sehbehinderungen.
- Mikronährstoffbasierte Langzeitstrategien
- Vitamin A – Eine ausreichende Vitamin-A-Versorgung (Serum-Retinol ≥ 0,7 µmol/l) sollte langfristig gesichert werden, um Sehschäden durch Mangel zu vermeiden [7, 8].
- Vitamin D – Ein stabiler Vitamin-D-Spiegel zwischen 20 und 50 ng/ml trägt zur allgemeinen Augengesundheit bei [9-11].
- Omega-3-Fettsäuren (Eicosapentaensäure (EPA)/Docosahexaensäure (DHA)) – Eine langfristig ausreichende Versorgung mit Omega-3 (250–500 mg EPA + DHA pro Tag) kann helfen, die Sehfähigkeit zu erhalten und die Durchblutung der Netzhaut zu fördern [12, 13].
- Anthocyane – Eine wiederkehrende Einnahme von Heidelbeerextrakt kann antioxidative Prozesse unterstützen; der Effekt auf die Myopie selbst ist aber noch nicht eindeutig belegt [14, 15].
- Carotinoide (Lutein und Zeaxanthin) – Eine dauerhafte Aufnahme von 10-20 mg Lutein täglich kann die Netzhaut stabilisieren und vor oxidativen Schäden schützen [16].
Literatur
- French AN, Morgan IG, Mitchell P, Rose KA: Risk factors for incident myopia in Australian schoolchildren: the Sydney Adolescent Vascular and Eye Study. Ophthalmology 2013 Oct;120(10):2100-8. doi: 10.1016/j.ophtha.2013.02.035. Epub 2013 May 11.
- Mingguang He et al.: Effect of Time Spent Outdoors at School on the Development of Myopia Among Children in China. A Randomized Clinical Trial. JAMA. 2015;314(11):1142-1148. doi:10.1001/jama.2015.10803.
- Chia A et al.: Atropine for the Treatment of Childhood Myopia: Safety and Efficacy of 0.5 %, 0.1 % and 0.01 % Doses (Atropine for the Treatment of Myopia 2), Am J Ophthalmol 2014; 157: 451-4
- Williams KM et al.: Association Between Myopia, Ultraviolet B Radiation Exposure, Serum Vitamin D Concentrations, and Genetic Polymorphisms in Vitamin D Metabolic Pathways in a Multicountry European Study. JAMA Ophthalmol. Published online December 1, 2016. doi:10.1001/jamaophthalmol.2016.4752
- Repka MX et al.: Low-Dose 0.01 % Atropine Eye Drops vs Placebo for Myopia Control A Randomized Clinical Trial Author Affiliations JAMA Ophthalmol. Published online July 13, 2023. doi:10.1001/jamaophthalmol.2023.2855
- Ha A et al.: Digital Screen Time and Myopia A Systematic Review and Dose-Response Meta-Analysis JAMA Netw Open. 2025;8(2):e2460026. doi:10.1001/jamanetworkopen.2024.60026
- Lee YJ, Jee D. The relationship between vitamin A and myopia: A population-based study. PLoS One. 2025 Jan 24;20(1):e0316438. doi: 10.1371/journal.pone.0316438
- Likoswe BH, Joy EJM, Sandalinas F, Filteau S, Maleta K, Phuka JC. Re-Defining the Population-Specific Cut-Off Mark for Vitamin A Deficiency in Pre-School Children of Malawi. Nutrients. 2021 Mar 5;13(3):849. doi: 10.3390/nu13030849
- Gao F, Li P, Liu YQ, Chen Y. Association study of the serum 25(OH)D concentration and myopia in Chinese children. Medicine (Baltimore). 2021 Jul 2;100(26):e26570. doi: 10.1097/MD.0000000000026570
- Płudowski P, Kos-Kudła B, Walczak M, Fal A, Zozulińska-Ziółkiewicz D, Sieroszewski P, Peregud-Pogorzelski J, Lauterbach R, Targowski T, Lewiński A, Spaczyński R, Wielgoś Met al. Guidelines for Preventing and Treating Vitamin D Deficiency: A 2023 Update in Poland. Nutrients. 2023 Jan 30;15(3):695. doi: 10.3390/nu15030695
- Tao Q, Chang Y, Day AS, Wu J, Wang X. Association between serum 25-hydroxyvitamin D level and myopia in children and adolescents: a cross-sectional study. Transl Pediatr. 2024 Feb 29;13(2):310-317. doi: 10.21037/tp-23-617
- Zhang XJ, Zhang Y, Zhang YJ, Yu J, Tang FY, Li Y, Yeung S, Kam KW, Agrawal K, Loh NC, Ip P, Wong IC, Zhang W, Young AL, Tham CC, Pang CP, Chen LJ, Yam JC. Dietary omega-3 polyunsaturated fatty acids as a protective factor of myopia: the Hong Kong Children Eye Study. Br J Ophthalmol. 2025 Aug 19:bjo-2024-326872. doi: 10.1136/bjo-2024-326872
- Xue CC, Li H, Dong XX, Yu M, Soh ZD, Chong CCY, Jiang C, Choquet H, Zebardast N, Zekavat SM, Hysi PG, Saw SM, Fan Q, Tham YC, Pan CW, Cheng CY. Omega-3 Polyunsaturated Fatty Acids as a Protective Factor for Myopia. Am J Ophthalmol. 2024 Dec;268:368-377. doi: 10.1016/j.ajo.2024.08.041
- Omar IAN. Effect of bilberry extract on slowing high-myopia progression in children: 2-year follow-up study. Clin Ophthalmol. 2018 Dec 12;12:2575-2579. doi: 10.2147/OPTH.S187949
- Deng HW, Tian Y, Zhou XJ, Zhang XM, Meng J. Effect of Bilberry Extract on Development of Form-Deprivation Myopia in the Guinea Pig. J Ocul Pharmacol Ther. 2016 May;32(4):196-202. doi: 10.1089/jop.2015.0053
- Yoshida T, Takagi Y, Igarashi-Yokoi T, Ohno-Matsui K. Efficacy of lutein supplements on macular pigment optical density in highly myopic individuals: A randomized controlled trial. Medicine (Baltimore). 2023 Mar 24;102(12):e33280. doi: 10.1097/MD.0000000000033280