Protonentherapie
Die Protonentherapie (Strahlenbehandlung mit positiv geladenen Teilchen) stellt eine hochpräzise Form der Strahlentherapie (Behandlung mit energiereichen Strahlen) dar, bei der energiereiche Protonen (positiv geladene Teilchen) anstelle von Photonen (Lichtteilchen) eingesetzt werden. Das charakteristische physikalische Phänomen des Bragg-Peaks (Höhepunkt der Energieabgabe) ermöglicht eine gezielte Ablage der Strahlendosis innerhalb des Tumors und eine signifikante Schonung des umgebenden gesunden Gewebes. Aufgrund dieser Eigenschaften kommt die Protonentherapie insbesondere bei sensiblen anatomischen Lokalisationen (kritischen Körperregionen) und in der pädiatrischen Onkologie (Kinderkrebsmedizin) zum Einsatz.
Zielsetzung und Wirkung
Das Hauptziel der Protonentherapie ist die präzise Applikation (gezielte Verabreichung) einer therapeutisch wirksamen Strahlendosis bei gleichzeitiger Minimierung der Belastung des gesunden Gewebes. Die Energieabgabe von Protonen folgt einer charakteristischen Kurve: Der Energieverlust ist auf dem Weg durch das Gewebe gering, steigt aber kurz vor dem Stillstand abrupt an – das sogenannte Bragg-Peak-Phänomen (Höhepunkt der Energieabgabe). Durch die Anpassung der Protonenenergie lässt sich der Bragg-Peak exakt in die Tiefe des Tumors platzieren. Dadurch werden kritische Strukturen hinter dem Tumor nahezu vollständig vor Strahlenschäden bewahrt, was insbesondere bei Kindern und bei Tumoren in der Nähe vitaler Organe (lebenswichtiger Organe) von zentraler Bedeutung ist.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Tumoren der Schädelbasis
- Chordome (knorpelähnliche Tumoren) und Chondrosarkome (bösartige Knorpeltumoren)
- Tumoren im Bereich der Hirnnerven (Nerven des Gehirns), Hypophyse (Hirnanhangdrüse) und des Hirnstamms (Verbindungsstelle zwischen Gehirn und Rückenmark)
- Schwierig chirurgisch zugängliche Läsionen (Veränderungen) mit enger Lagebeziehung zu kritischen Strukturen wie dem Sehnerv oder dem Hirnstamm
- Pädiatrische Tumoren
- Medulloblastome (bösartige Tumoren des Kleinhirns)
- Ependymome (Tumoren der Hirn- oder Rückenmarkswasserwege)
- Rhabdoide Tumoren und atypische teratoide Tumoren (hochgradig bösartige Hirntumoren bei Kindern)
- Sarkome (Bindegewebskrebs, z. B. Rhabdomyosarkome (Muskeltumoren))
- Retinoblastome (bösartige Netzhauttumoren)
- Neuroblastome (Tumoren des Nervengewebes)
- Augentumoren
- Uveamelanome (bösartige Tumoren der mittleren Augenhaut)
- Retinoblastome
- Hämangiome der Aderhaut (gutartige Blutgefäßtumoren im Auge)
- Andere seltene intraokuläre Neoplasien (Tumoren im Inneren des Auges)
Zusätzlich kann die Protonentherapie in Einzelfällen bei anderen Lokalisationen (anderen Körperregionen) eingesetzt werden, wenn eine hochpräzise Schonung des Gewebes essenziell ist.
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Generalisierte Metastasierung (weite Streuung von Tumorzellen im Körper) ohne kurative Perspektive (Heilungsaussicht)
- Patienten mit implantierten aktiven elektronischen Geräten (z. B. Herzschrittmacher), wenn eine sichere Bestrahlungsplanung nicht möglich ist
- Tumoren mit ausgedehnter Infiltration (Eindringen von Tumorzellen) in Bereiche, die eine ausreichende Dosisablage unmöglich machen (z. B. sehr große Volumina (Tumormassen))
- Bewegliche Tumoren ohne adäquates Atemgating (atemgesteuerte Bestrahlung) oder Bewegungsmanagement
Das Verfahren (Anwendung und Durchführung)
- Bildgebungsbasierte Planung: Verwendung von hochauflösender Magnetresonanztomographie (MRT) (Bildgebung mit Magnetfeldern) und Computertomographie (CT) (Schichtaufnahmen mittels Röntgenstrahlung) zur exakten Tumorlokalisation.
- Dosismodulation: Individualisierte Anpassung der Protonenenergie zur Positionierung des Bragg-Peaks innerhalb des Tumorgewebes.
- Strahlapplikation: Nutzung von Pencil Beam Scanning (Bleistiftstrahltechnik) oder passiv modulierten Protonenfeldern (Protonenstrahlen, die gleichmäßig verteilt werden).
- Therapiekontrolle: Regelmäßige Bildkontrollen (Image-Guided Radiotherapy, IGRT) (strahlengestützte Bildkontrolle) zur Sicherstellung der präzisen Bestrahlung während der Therapie.
Aktueller Stellenwert im Therapiekonzept
Die Protonentherapie ist heute bei bestimmten Indikationen (Anwendungsgebieten), insbesondere bei Kindern und Tumoren in der Nähe kritischer anatomischer Strukturen, als Therapie der Wahl anerkannt. Nationale und internationale Leitlinien (Behandlungsrichtlinien) (z. B. der Pediatric Proton Consortium Registry, PPCR) empfehlen die Protonentherapie bei pädiatrischen zentralnervösen Tumoren und Schädelbasistumoren. Aufgrund der aufwendigen Infrastruktur (technischer Aufwand) ist der Zugang jedoch häufig auf spezialisierte Zentren beschränkt.
Evidenzlage und Studien
- Pädiatrische Onkologie: Studien zeigen eine signifikante Reduktion der Spättoxizitäten (späte Nebenwirkungen) wie Neurokognitionseinschränkungen (Beeinträchtigungen des Denkvermögens), Hormonstörungen und Zweitneoplasien (neue Tumoren) bei vergleichbarer Tumorkontrolle im Vergleich zur konventionellen Photonenstrahlentherapie [1].
- Schädelbasistumoren: Retrospektive und prospektive Kohortenstudien (Studien mit Patientengruppen) belegen eine verbesserte lokale Kontrolle und reduzierte Langzeitmorbidität (Langzeitfolgen) bei Protonentherapie von Chordomen und Chondrosarkomen [2].
- Augentumoren: Die Protonentherapie erzielt bei Uveamelanomen exzellente lokale Kontrollraten (>95 %) bei gleichzeitigem Erhalt des Auges und Reduktion sekundärer Strahlenschäden [3].
Literatur
- Greenberger BA, Yock TI: The role of proton therapy in pediatric malignancies: Recent advances and future directions Semin Oncol . 2020 Feb;47(1):8-22. doi: 10.1053/j.seminoncol.2020.02.002.
- Schulz-Ertner D, Tsujii H. Particle Radiation Therapy Using Proton and Heavier Ion Beams. Journal of Clinical Oncology. 2007;25(8):953-964. doi: 10.1200/JCO.2006.09.7816
- Damato B, et al. Proton Beam Radiotherapy of Uveal Melanoma. Saudi J Ophthalmol. 2013 Jul 8;27(3):151–157. doi: 10.1016/j.sjopt.2013.06.014